Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Soziale Teilhabe an Millionen und Crystal Meth

Zum Reichtum führen viele Wege, und die meisten von ihnen sind schmutzig.
Cicero

Als schlechterer Sohn aus besserem Hause ist mein Interesse an Leistungserbringung naturgemäss begrenzt, und es ist mir fast ein wenig peinlich, dass ich dennoch gern gelesen werde. Manchmal jedoch gebe ich mir auch Mühe und überprüfe meine Annahmen, bevor ich sie niederschreibe. Wie auch immer, ich habe als im Internet nachgelesen und mein Verdacht war richtig: Es gibt in Deutschland keine Leibeigenschaft mehr. Sie wurde meist schon vor über 200 Jahren ersatzlos gestrichen. Ehemalige Leibeigene müssen also nicht mehr auf der Scholle ihrer Grundherren Naturalien erwirtschaften, sie können einfach gehen, wenn es ihnen nicht gefällt. Ich persönlich finde, dass Leibeigenschaft und Sklaverei deutlich besser als ihr Ruf waren und die Abschaffung vielleicht nicht völlig durchdacht wurde, wie man das ja auch von Grenzöffnungen und Einladungen zu Invasionen so kennt: Fest steht aber, dass der Deutsche nach Lust, Laune, eigenem Vorteil und zur Gestaltung der besten aller möglichen Welten umziehen kann, wohin er gerade möchte.

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Das ist wichtig, weil letzte Woche die Klientelpartei der ehemaligen Leibeigenen und Sklaven, die zur Mehrheitenbeschafferin herabgesunkene SPD, durch ihre Friedrich-Ebert-Stiftung beklagte, dass die im Grundgesetz geforderten, vergleichbaren Lebensverhältnisse im Land kaum noch existierten. Dazu veröffentlichte sie im “Sozioökonomischen Disparitätenbericht 2015“ Datensätze, die meine deutschen Wohnorte von ihrer besten Seite zeigen und die Areale, in den die SPD noch etwas zu melden hat, weniger günstig darstellen. Möglicherweise hat das auch etwas mit Politik zu tun, aber bei den Gründen für die auseinander gehende Entwicklung hält sich die FES nicht auf. Pünktlich zum Bekanntwerden des hauptsächlich von Bayern getragenen Bundesfinanzausgleichs also zeigt die FES, wie prima es mancherorts läuft, und wie schrecklich woanders – und das, obwohl das rotgrüninsolvente Bremen heute auch Medienpolitik wie die CSU unter Strauss macht. Das allein reicht wohl nicht aus.

Ja, also, die Sache ist nur, und bitte, das weiss ich von einer hochintelligenten Volkswirtschaftlerin: Wenn in einem Land die Unterschiede zu gross werden, kommt es zu massiven Wanderungsbewegungen. So entstand etwa das Ruhrgebiet, so entstanden Kurorte, so entstanden Opernhäuser – überall zogen spezielle Einrichtungen spezielle Gruppen nach sich. Das hat sich nicht grundlegend geändert, meine Heimat weist tatsächlich eine heftige Einwanderungsbewegung auf. Aber es kommen bei weitem nicht alle, obwohl die Regionen Vollbeschäftigung haben und ihre Mitarbeiter auch aus dem Ausland beziehen. Es gibt bei uns menschenverschlingende Pullfaktoren und woanders menschenverachtende Pushfaktoren, erklären mir die Daten der FES. Eigentlich müsste es da zu einem Ausgleich kommen, denn die Menschen sind ja keine Leibeigenen mehr, solange sie nicht gerade im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter politischen Vorgaben arbeiten. Und da denke ich mir: Könnte es nicht eventuell sein, dass die Karten nicht alle relevanten Faktoren abbilden?

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Ein Kriterium, das die FES natürlich in Berlin nicht kennt, ist beispielsweise das Thema Hubschraubereinsätze. Sehen Sie, wenn Sie in Berlin zum Beispiel keine Möglichkeit haben, Ihre fragwürdige und begrenzt kluge politische Überzeugung wie unsereins in den Leitmedien zu verkünden, nehmen Sie eine Spraydose und schreiben das an die Wand. Dann kommt vielleicht der Büroleiter eines momentan krank geschriebenen Abgeordneten und vertreibt Ihre “Gib Handy“-Forderung auf seinem privaten Account. Das ist bei uns in Bayern anders, wir jagen solche Freunde des Schrifttums mit dem Polizeihubschrauber. Oder Sie nehmen die Ungleichheit der Verhältnisse in Deutschland zum Anlass, nicht auf die Weltrevolution zu warten – Sie bereichern sich mit Schwarzfahren, lehnen auch die Herrschaft des Kontrolleurs ab und greifen den an. Dafür bekommen Sie in Duisburg Hilfe von körperbetonenden Clans. Bei uns in Bayern jagt man Sie mit dem Hubschrauber. Oder Sie versuchen, das soziale Ungleichgewicht mit dem Vorzeigen eines Messers in Ihrem Sinne zu verändern. In Bremen mag es dafür eine rotgrüne Integrationssendung geben, die Ihre Motivation verständnisvoll begleitet. Bei uns in Bayern werden Sie mit dem Hubschrauber gejagt. Natürlich kann man die Teilhabe am Reichtum fordern, aber Reichtum erleuchtet auch Strassen mit dem gleissenden Licht des Suchscheinwerfers, wenn die Teilhabe nicht systemkonform ist.

Ich weiss, wie sich das anfühlt, denn ich war in Wackersdorf. Es ist laut, und so schnell kann man gar nicht laufen. Das nimmt man vielleicht in Kauf, wenn man eine Wiederaufbereitungsanlage verhindern will, aber bei alltäglichen Metropolenhobbies wie Sprayen, Schwarzfahren oder schwerem Raub kann einem das Gehubschraubere ziemlich auf die Nerven gehen. Die FES müsste also auch mal eine Karte machen, wo die Hubschraubereinsätze gegen Systemkritiker der Tat verzeichnet sind. Da würde meine Heimat dann ganz schlecht aussehen. Und es kann natürlich sein, dass manche ihre Prioritäten danach ausrichten, ob sie danach ihre Freunde zum Prahlen oder einen Anwalt aus der U-Haft anrufen. Weitere nette Karten könnte man auch zum Thema “Überwachung des Tanzverbots am Karfreitag“ und “Straffreiheit bei illegalen Autorennen“ machen, zur Verfügbarkeit von Drogen und zur Geschäftsöffnung. Bei uns am Tegernsee wird am Morgen gebacken, und nach vier Uhr Nachmittags ist das Angebot begrenzt. Wenn Sie hier einen dieser modernen Coworking-Plätze wollen, müssen Sie extra zahlen, wenn Sie nach 20 Uhr Zugang haben wollen. Das sind auch alles Kriterien, die für Menschen wichtig sind.

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Die FES könnte aufschlussreiche Karten über die Wohnraumkosten in wirtschaftlich entwickelten Regionen machen und mit dem sozialen Wohnungsbau im Norden vergleichen. Sie könnte Karten des Landes zeigen, wo man die Menschen mit fast geschenkten Grundstücken und 0%-Zins-Krediten erpresst, ein Eigenheim zu bauen, statt sich der sozialen Gemeinschaft anzuvertrauen. Sie könnte meine Freunde, die Miris von der Bergmannstrasse fragen, wo der Bayer den in Berlin unverkäuflichen Seidenteppich holt, und die Alkoholkranken davor, warum sie die bayerische Wirtschaft mit Tegrnseer Hell stützen. Mein Gefühl sagt mir, es entstünde mit all den säuferleberweichen Faktoren kein Modell der Ungleichheit mehr, sondern ein Bild der Diversität, die unterschiedlichsten Glücksvorstellungen multioptionale Räume zur Selbsterfüllung bietet. Höre ich nicht dauernd, Deutschland sei bunt, vom Grau unserer Gebirgsjägertrachten bis zum Blau der Junkievenen? Und warum konzentrieren sich ausgerechnet Sozialisten auf die Vermögensverteilung? Selbst bei Marx bis Pol Pot werden doch ganz andere Lebensziele in den Vordergrund gerückt. Da muss die FES deutlich nachbessern, um den Menschen und nicht die Ideologie in den Mittelpunkt zu stellen. Teilhabe ist universell zu betrachten.

Wie gesagt, wem die Verhältnisse in Ort A nicht behagen, der kann jederzeit Ort B aufsuchen und dort teilhaben, wo es besser ist. Würde man wirklich versuchen, einzelne Faktoren überall anzugleichen, könnte es schnell passieren, dass auch anderes aus dem Ruder läuft: Zu meiner Zeit in Berlin war die jetzt ruhige Wohngegend rund um die Lychener Strassse unter dem Namen LSD-Viertel bekannt – heute ist es nach der Gentrifizierung nicht mehr weit bis zur Bürgerwehr, die Unpassende mit Golfschlägern verscheucht. Geld ist nun da, aber die Matratzen auf dem Bürgersteig sind selten geworden. Man muss da wirklich mal wegkommen vom schnöden, monokausalen Mammon und das alles gesamtheitlich als Biotope betrachten, die einer vielschichtigen Gesellschaft ihre nötigen Experimentierfelder überlässt, mit Mut zum Scheitern. So funktioniert die Freiheit. Das hohe Vermögen im Landkreis Miesbach kommt mit steinalten Millionären und das Hochgefühl in Berlin mit 0,6 Gramm Crystal Meth für 70 Euro.

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So endet das, was als wehleidiges Geflenne ob sozialer Unterschiede begann, in der formschönen Dialektik des historischen Materialismus. Wenn sich jeder in Freiheit verwirklichen wollte, aber die Ansprüche daran unterschiedlich waren, musste man schon immer mit unterschiedlichen Konzepten innerhalb eines Landes leben. Der Austausch der Freiheitsbegriffe ist durch den Ortswechsel möglich, und dass damit eventuell andere Nachteile verbunden sind – nun, man kann auch in der besten aller möglichen Welten nicht alles haben, noch nicht mal als schlechterer Sohn aus besserem Hause. Das war auch für mich eine harte Lektion, aber ich habe überlebt, und auch die FES wird vielleicht irgendwann verstehen: Man kann hübsche Karten haben und befreundete Journalisten und Genderkongresse und Sigmar Gabriel und 50 Millionen Euro mehr für den Kampf gegen Rechts und eine wirkungslose Mietpreisbremse und TTIP und Pack-Beschimpfung der eigenen Wähler– die Garantie, langfristig über 5% der Stimmen zu bekommen, hat man danach nicht mehr. So ist das eben mit der desperaten Disparität in unserem schönen Land der Möglichkeiten und der Teilhabe.