Komm her und mochs mit mia, mein Tiroler Stier.
DJ Ötzi, Anton aus Tirol
Der 10. Oktober 2008 war ein magischer Tag. Über dem gesamten Alpenraum dehnte ich das grenzenlose Blau eines traumhaften Spätsommertages aus, die Börsen in Frankfurt und London stürzten, die Luft war warm und angenehm, während die Währungen bröckelten und Banken einander nicht mehr vertrauten. Meine ärmeren deutschen Mitbürger rannten zu den Bankautomaten. Das Regime, das damals auch schon eine grosse Koalition unter sich ausmachte, plante Garantien, und ich plante nicht weiter als bis zum Abend, denn ich hatte in Meran gebucht. Die Weltwirtschaft kam ins Schleudern, als mein Roadster mit quietschenden Reifen zum Reschenpass hoch flog, und dann hinunter nach Glurns wie das panisch erbrochene Essen eines Zentralbanksters entlang seiner Krawatte glitt, und später ging es ins Licht und Richtung sichere Schweiz, wo man nun mal hingeht, wenn andere nicht mehr weiter wissen, mit röhrendem Motor hinauf zum Stilfser Joch.
Das Bild steht an meinem Schreibtisch. Das bin ich an jenem Tag, vor den letzten Kehren am Stelvio. Es war Feuer im Himmel, die Hölle brannte die Erdkruste unter Frankfurt durch, und an der obersten Spitze dieser durch das All rasenden Schmutzkugel war ich, und der Weltenlauf drehte sich unter meinen Rädern. Auf der anderen Seite der Berge, weiter im Osten, nahe der Grenze zu Slowenien, ging ein schlanker Mann in ein Hotel und gab ein Interview, ich fuhr weiter nach Müstair, und als der Mann schliesslich noch eine Party besuchte, sass ich schon im Cafe Darling an der Meraner Promenade. Es war ein phantastischer Tag, und so ging ich früh ins Bett und der schlanke Mann hätte das vielleicht auch noch tun sollen. Statt dessen ging er in eine Schwulenbar.
Das Hotel hatte damals kein Internet, und um mich über den weiteren Niedergang des deutschen Bankwesens und seiner Politiker auf dem Laufenden zu halten, schaltete ich das TV-Gerät ein, wo mich entsetzte Politiker erwarteten. Österreichische Politiker. Ganz schrecklich, eine Tragödie, sagten sie, sichtlich mitgenommen. Es wäre ein schmerzlicher Verlust. Er war so wichtig für dieses Land. Es sei wirklich tragisch. Er hinterlasse eine riesige Lücke. Es dauerte einige Zeit, bis jemand nicht mehr “Er“ sagte, sondern den Namen des Toten.
Doktor Jörg Haider
Ich war während der Sanktionszeit 1999/2000 in Wien. Als Vertreter der dort sogenannten “Ostküste“, mit besten Verbindungen zu den juristischen Knochenbrechern, die damals in der Zwangsarbeiterfrage die deutsche Regierung in die Knie gezwungen hatten, und sich nun anschickten, Themen wie Restitution und Arisierung auch in Österreich anzugehen. Es war die Zeit, da jede Kritik an Österreich als “Vernaderung“ galt, und ich erlebte sie alle, die Ferrero-Waldners, die Schüssels, die Gusenbauers, die Riess-Passers und durch einen blöden Zufall auch die Leute, die man mit den Worten “Feschismus“ oder “Buberlpartie“ umschreibt – die Riege junger, dynamischer, fescher Männer, die unter ihrem Anführer Jörg Haider angetreten waren, die alten, weissen Männer von ÖVP und SPÖ zum Teufel zu jagen. Oder, wenn es sich anbot, mit ihnen zu koalieren. So eine Art männlicher Netzfeminismus: Die austroalpinen Hipster, die Gegenkultur, die Jugend. Haider am Steuer des 911er Cabrio, neben ihm Schüssel, dem das alles unendlich peinlich war. Haider, der seine Partei auf 27% brachte und dann zerschlug, um mit dem BZÖ weiter zu machen. Die FPÖ übernahm einer seiner früheren Untertanen, der Strache, der Unfescheste von allen. Damals dachte man, Haider hätte es überspannt, und die Partei stürzte ab. Aber 2008 kam er noch einmal, und damals kamen FPÖ und BZÖ schon wieder auf 27%.
Und danach ging er zu viel trinken und endete sein Dasein an einem Betonpfeiler. Und in Klagenfurt traf sich im Sommer 2009 die Kulturelite zum Wettbewerbslesen, und machte das, was sie seitdem immer tut: Sie spuckt auf Haiders Grab, ständig getragen und erhoben vom Gefühl, dass er tot ist und nie wieder kommt, und sie nun seiner Stadt anderen Glanz verleihen. Haider war tot, und ist tot, und der über sein Andenken hereinbrechende Hypo-Alpe-Adria-Skandal, der Kärnten an den Rand der Pleite brachte, garantierte auch, dass er endgültig weg bleiben wird. Das Speiben auf Haider, das Anderssein als er, das da gefeiert und ausgezeichnet ist, ist so etwas wie die Steinigung des Teufels der jungdeutschliterarischen Wallfahrt nach Mekka. Ständig wird etwas angegriffen, für das Haider Bedeutung hatte: Früher Banken, immer Heimat, heute alte Männer. Es wird der Abscheu zelebriert. Grad so, als wären die Preisträger der 80er Jahre auch noch junge Menschen und keine ergrauten Stützen des Kulturfördersystems.
Und grad so, als hätte sich mit Haiders Tod irgend etwas verbessert. Vor acht Jahren dachten wir alle, dass diese 27% das Maximum dessen sind, was der Rechten in Österreich gelingen kann. Heute sind wir froh, wenn sie keine 50% bekommt, obwohl Haider tot ist. Sein ehemaliger Anwalt Böhmdorfer und der Unfescheste von allen seinen Paladinen, sie haben Neuwahlen vor dem Verfassungsgerichtshof erzwungen. Dem Linken Robert Misik bleibt nur das Jörg-Haider-Gedächtnisschimpfen auf die Verfassungsrichter: Dem Haider passten die slowenischen Ortstafeln nicht, dem Misik die Wiederholung und die “zu hohen Standards“ des Gerichts. Die verbleibenden Feschisten sind weit, sehr weit gekommen in diesen wenigen Jahren, und niemals hätte ich mir das vorstellen können, als ich mir in Meran dachte: Dann halt so. Hauptsache, der rechte Spuk ist vorbei.
Der Wettlese-Betrieb, dem Haider 2000 das Geld entzogen hat – wie konnte er es wagen! – steinigt seitdem fleissig den Teufel, sie werfen Steinderl nach ihm, sie marschieren in Klagenfurt ein und zeigen denen mal, was sie von Heimat halten, so voll mit Nazis und alten Männern. Die tausend verkauften Bücher voller richtiger Gesinnungsprosa zählen mehr als die Millionen Scheiben, die der Strachebefürworter Andreas Gabalier verkauft. Man fährt nach Klagenfurt. Man weiss, wo der Betonpfeiler steht, und vergisst gern, dass hier im letzten Winter noch die Busse voller Migranten aus dem Balkan zur deutschen, offenen Grenze fuhren, und Europa am Kippem war. Wie kann man nur FPÖ wählen, höhnt der angereiste Kulturträger die Einheimischen an, die auf ihn wie ein erweitertes Sachsen mit noch schlimmerem Dialekt wirken. Wie könnt ihr das nur tun? Fragt er, so er einmal die Filterblase des Studios mit den feschen Menschen verlassen möchte.
Die feschen Antwort schreibt man sich gleich selbst. Brexit – der böse Verführer Johnson und die ungebildeten alten Leute auf dem Land. Migrationsfeindliche Visegrad-Staaten: Nationalisten, denen ein paar Jahrzehnte Demokratie und politisches Feingefühl fehlen. Die Schweizer SVP. die FPÖ, die CSU: Zurückgebliebene Bergvölker. Es gibt immer eine einfache Erklärung, man muss die Teufelsanbeter nicht mehr fragen, wie sie es tun können – sie müssen das nur noch gestehen und sich unterwerfen. Es gibt mehr Verständnis für das Anzünden von Autos durch die Rigaer-94-Aktivisten, die sich von der Gentrifizierung bedroht fühlen, als für Landbewohner, die sich die Willkommenskultur nicht zu eigen machen wollen und fragen, wer das alles bezahlen soll. Und ob das dann noch Heimat ist, wenn andere anschaffen, wie sie zu sein hat.
Auf so ein unterwürfiges Geständnis des Volkes hat die EU in Österreich 2000 vergeblich gewartet – so vergeblich, wie sie und ihre Eliten jetzt auf eine echte Massenbewegung gegen den Brexit warten. Es gibt in Österreich keinen Aufschrei, wenn der FPÖ-Mann Hofer eine Volksabstimmung über die EU vorschlägt, sollten die Türken, wie es Frau Merkel will, aufgenommen werden. Das Kultursystem der Eliten beschwört das Supranationale, die Projekte und Preise, die dadurch möglich sind, und die politische Elite will eine Vertiefung und mehr Macht. Mit dem Brexit ist eine wichtige Gegenmacht zu den dominanten Deutschen draussen. Haider ist tot, wir können viele wortgedrechselte Steine werfen, aber der Anton kommt hier immer noch aus Tirol und hasst Bevormundung, und das Bussi, von dem die Band Wanda singt, klingt auf Wienerisch immer etwas unterleiblich. So ist das auf dem Land. Da singen sie mit, dass sie Bussi wollen und die Hasen SOS rufen. Wir, die kulturell hoch Stehenden, die Elite, wir sind aufgerufen, eine schimmernde Wehr um die Ideale des Herrn Juncker zu bilden. Sein Schild und seine Zier sollen wir sein, und singen, wenn er sein Europa verteidigt.
Ich bin so schnell, ich hab an Schmäh,
ich bin Alphonso aus Gmund am Tegansäh,
mit einem Roadster tu ich rasen
und verschmäh Berliner Hasen,
also, wo war ich, ach so, ich mag Alpenässe und ich denke mir so, nach all den Jahren und nicht endenden Krisen im zerbrechenden Europa, dass jeder von seinem Ego besoffene Politiker irgendwann seinen Betonpfeiler findet, auf die ein oder andere Weise. Ob ich jetzt auch noch einen Stein auf den toten Jörg Haider werfe, oder auf den lebenden Johnson, auf einen alten Nazi oder einen Nachwuchsmusiker, der nicht genderneutral genug ist, ist egal. Die anderen machen das schon recht gut, sie bekommen dafür auch Preise und Anerkennung, und danach lesen sie, was im Koran der Zeit und der Prantlhausener Zeitung steht, und blicken voller Verachtung auf die Ungläubigen, die nicht einsehen wollen, dass die EU so gross wie ihre Kulturleistung und Juncker auch im Kulturbereich ihr Profitprophet ist.
Dabei muss alles einmal sterben. Das kommt oft überraschend und fast immer etwas ungelegen. Die Welt ist ein einziger, grosser Betonpfeiler, und was wir gerade hören, ist in meinen Ohren das panische Kreischen derer, die gerade erst begriffen haben, dass sie keine Kontrolle mehr haben, und der Westen die Demokratie absichtlich als Betonpfeiler für Politiker gestaltet hat. Mehrheit entscheidet.
Bussi.