Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben – dabei soll’s bleiben.
Goethe
Weihnachtsmarkt, Martinsumzüge, Currywurst und Schweinebraten bleiben Bestandteile unserer Kultur, sagt der Innenminister, in dessen Aufgabenbereich eine islamistische Anschlagsserie fällt. Und die Kanzlerin, die die Grenzen für gut eine Million Menschen geöffnet hat, ohne zu wissen, wer da eigentlich kommt, lässt das Volk wissen, dass es an Weihnachten zur Blockflöte greifen und Kirchenlieder intonieren soll. So geht das mit der christlich-abendländischen Kultur. Als Atheist und Vegetarier soll ich dann vermutlich auf der gottlosen Stalinorgel spielen, de-Sade-Orgien inszenieren und Kartoffeln essen, und womöglich das Gefühl haben, alles sei mit dem deutschen Kulturbegriff bestens.
Das empfiehlt sich natürlich, denn bei der ARD in Form des NDR erfahre ich fürsorglicherweise nicht, welcher Herkunft der 18-Jährige Somalier war, der in Neuenhaus wegen dringendem Verdacht der Tötung einer Rentnerin festgenommen wurde. Dazu müsste ich schon den Polizeibericht lesen, um mir dann Sorgen um die Sicherheit von älteren Verwandten zu machen. Besser ist es, sich die Sorgen ganz leise zu machen, denn die ARD in Form des MDR entdeckte in Schmölln schon menschenfeindliche Extremisten, wo, wie sich nachher erst herausstellte, gar keine waren, Das mit dem öffentlichen Vorführen von Meinungsschuldigen geht heutzutage schnell, und da kann man im Sinne der Beruhigung eigentlich nur dankbar sein, dass die Aufklärung des Nichtfalls Schmölln den Platz für den echten Fall Neuenhaus klein hielt. Also, alles bestens, solange es Schweinebraten und die Blockflötenmusik ist, mit der sich Frau Merkel offensichtlich auskennt. Alles prima. Auf ganz niedrigem Niveau.
Denn es mag tatsächlich Leute geben, die sich mit solchen Basiszusagen abspeisen lassen. Zur Erinnerung: Was da von Politikern versichert wird, Freiheit der Essensaufnahme und der persönlichen Freizeitgestaltung, ist so essentiell, dass noch nicht einmal die Väter des Grundgesetzes auf die Idee kamen, es gesondert zu schützen. Dass nun betont werden muss, dass es Bestandteil der deutschen Kultur bleibt – bleibt! – ist das eine. Die seltsame Auffassung, dass Schweinebraten, Blockflöten und Currywurst die Identität bestimmen, ist das andere. Denn Kultur und Identität sind gemeinhin hochkomplexe und anspruchsvolle Systeme, und nicht ganz umsonst ist Integration in andere Kulturräume eine grosse Herausforderung. Zusammenhanglose Artefakte sind hier nicht wirklich entscheidend: Wer sich eine Buddhastatue in den Garten stellt und Yoga macht, muss noch lange nicht Witwenverbrennungen schätzen. Die Verbindung von Völkern, Kulturen und Essen ist nur bei den Briten nicht riskant, weil es auf der Insel ohnehin keinerlei nennenswerte Nahrung gibt – Froschfresser für Franzosen und Spaghettifresser für Italiener sind klar rassistische Bezeichnungen, wie auch “Boches“ oder “Krauts“ für Deutsche.
Kartoffel ist auch so ein abwertendes Wort. Benutzt wird es von den Rassisten der antideutschen Bewegung, die mittlerweile von staatlichen Mitteln profitieren. Solche Verbindungen sind sowohl in Bezug auf die Menschen und ihre Kulturen als auch in Bezug auf die Nahrung unterkomplex. Seit jeher definieren Lebensraum, Böden und Klima das Essen und damit auch die Jahresläufe der Menschen. Die Höfe der Milchbauern im Oberland sind anders als die Anwesen der Hopfenbauern in der Hallertau konstruiert, und die wiederum anders als die Höfe im Jura mit ihrem Schwerpunkt auf Schafzucht und Ackerbau. Jede Landschaft hat ihre eigene Kultur gefunden, die in ihr als geschlossenes System Jahrhunderte lang evolutionär funktionierte. Als Einheimischer erkenne ich an vielen Details sogar die Unterschiede zwischen links und rechts der Donau, selbst wenn die vom Fluss geprägten Landschaften einem Fremden gleich erscheinen. Linke verachten das Weltbild von Schweinebraten und Blockflöte, weil es ihr reaktionäres Feindbild ist. Bei uns ist es eine brandgefährliche Vereinfachung, die eigentlich allen zeigt, wie wenig Politiker der CDU über das Land wissen, dem sie für die Bürger dienen sollten: Currywurst und Weihnachtsmarkt, die konservativ-urbane Version von Panem et Circenses.
Zum Schweinebraten gehört in Bayern seit ungefähr 200 Jahren der Kartoffelknödel – aus sich selbst heraus übrigens eine interessante kulturelle Entwicklung. Denn vor der Einführung der Kartoffel wurden Knödel aus Ei und alten Semmeln hergestellt, was nie ganz einfach war: Eier waren im Winter Mangelware und mussten davor gespart und in Kalk eingelegt werden. Altes Brot gab es nur, wenn etwas übrig blieb – und die Zeiten waren selten so, dass die Menschen etwas verkommen liessen. Die Kartoffel war dagegen lange haltbar, in grossen Mengen vorhanden, klebte als Kloß ohne Ei selbst zusammen, und war viel billiger als der Semmelknödel. Als Reminiszenz sind im bayerischen Kartoffelknödel deshalb in der Mitte immer noch einige, na, wie sagt man, genau, Croutons – so nennen de Hochgschissnah in der Berliner Gastronomie unsere Semmebreggahl – eingeschlossen. Aber da fängt sie eben an, die Identität.
Und so, wie es nicht “den“ Schweinebraten gibt, gibt es auch nicht “die“ Kartoffel. Es trifft zu, dass “Kartoffelbauer“ in Bayern eine alte, abwertende Bezeichnung für jemanden ist, bei dem es nur zum Anbau der relativ simplen und billigen Wurzelfrucht reichte, im Gegensatz zu den hoch angesehenen Viehzüchtern. Aber auch mit Kartoffeln muss man sich auskennen, wenn es schmecken soll – und deshalb war ich auch heute rechts der Donau. Da ist nämlich ein älterer Herr, der seinen Acker mit 12 Monate gelagertem Pferdemist düngt. Und der während der Reife nicht das Grün über dem Boden mit Gift vernichtet, das ansonsten in die Knolle ziehen würde. Das ist einer, der manchmal, wie es früher üblich war, den Acker mit den Nachbarn tauscht, damit nicht immer die gleiche Frucht angebaut wird. Das sind so die Feinheiten dessen, was man als Identität bezeichnet.
Der Traktor ist von 1972 und noch deutsche Wertarbeit, der Nachbar hat ein neues Gerät vom internationalen Markt, da ist nach 3000 Betriebsstunden der Motor durch. und jetzt braucht er einen neuen für 20.000 Euro, sagt er und tätschelt sein grünes Ungetüm mit den schmalen Reifen, die auf dem sandigen Boden am besten laufen, Die Sorte, die er anbaut, hat eine ganz dünne Haut, besonders, wenn es die kleinen Kartoffeln sind – die kann man einfach schneiden, mit Butter und Rosmarin in den Ofen legen und mit Schale essen. Man kann natürlich auch Kartoffelbrei machen, oder Knödel. Es steht nicht “bio“ drauf, weil jeder im Dorf sehen kann, was er auf seinem Acker macht. Es ist eine Sache des Vertrauens und der Bekanntschaft. In gewisser Weise ist alles hier sehr einfach. Aber es ist eine ganz andere Kultur als ein Berliner Hipster, der um 23 Uhr die billigsten Kartoffeln im Supermarkt mitnimmt und die Hälfte verfaulen lässt, weil sie nach der langen Lagerung nach nichts schmecken. Und nochmal eine andere Kultur als der Kölner Fussballfan, der sich mit einer Tüte Chips vor der Glotze ernährt.
Wenn man Kartoffeln nur in Form von Chips und Fertigknödeln aus dem Kühlregal kennt, wird man vielleicht denken, dass die da draussen auch nur so eine blasse, unförmige Knolle anbauen, und das war es auch schon. Dass es Leute wären, denen es reicht, wenn der Schweinsbraten im Rohr dampft. und die Enkel zu Weihnachten “Ihr Kinderlein kommet“ intonieren. Das kann so schlicht sein, aber ich würde mich nicht darauf verlassen – ich kenne es auch ganz anders. Man hört auch solche Politikersprüche und vergisst sie schnell wieder. Aber eigentlich ist das eine ignorante Beleidigung vom gleichen Kaliber, als würde man Frau Merkel eine Banane aus Kuba und eine FDJ-Uniform hinhalten. Es sind dumme und populistische Aussagen, sie zielen auf eher niedrige Instinkte und sortieren Menschen, die durchaus reflektiert sein können und wissen, warum sie genau so leben, ganz unten ein. Beim 500grammHackfür1.99- und NeWuasimStehn-Publikum, das wohl das neue, urbane Zielpublikum der CDU sein soll.
Das waren jetzt nur die Kartoffeln, man könnte hier auch über die Bierkultur oder die Schmalzbäckerei oder richtigen Apfelsorten für den Strudel diskutieren. Und über alles, was darauf aufbaut und Identitäten erzwingt. Ein Teil der Bevölkerung hat sich vielleicht beim Einkauf und durch das Absinken zum Medienmacher, Stiftungsmitarbeiter und sonstigen Einsparpotenzialen davon abgekoppelt, aber um wirklich zu verstehen, was den Menschen wichtig ist, muss man ihre Kultur insgesamt betrachten. Mein privater Eindruck ist aber, dass es gar nicht gewünscht ist. Denn auf dem Schweinebratenniveau mag die Integration von Migranten machbar erscheinen. Die werden dann mit Döner und Falafel auch deutsch.
Aber hier bei uns wird das nach meinem Empfinden mangels echtem Druck auf urbane Parallelgesellschaften hinaus laufen. Der Druck wird nicht kommen, weil die Nichtintegrierten auch an der Spitze der Regierung stehen, und Banalitäten wie Schweinebraten und Blockflöte mit Identität verwechseln.