„Ihr könnt unseren Einzug in die Parlamente und der Polizei nicht verhindern. Wir ,Schwarzköpfe‘ werden die Parlamente erobern. Dann habt ihr hier nichts mehr zu melden.“
Öczan Mutlu soll das laut der Anzeige eines Polizisten 2001 bei einem Streit gesagt haben, als es darum ging, ob sein Auto abgeschleppt wird. Damals war Mutlu noch aufstrebender Jungpolitiker der Grünen, der es von der Bezirksverordnetenversammlung Kreuzberg in das Abgeordnetenhaus Berlin geschafft hatte. Anlass für seinen Konflikt mit dem Polizisten war der Besuch des Bundespräsidenten in einer Schule, bei dem Mutlu eine tragende Rolle spielen, aber nicht mit dem Auto in den Schulhof fahren konnte. Das wenig staatsmännische Auftreten Mutlus führte zu einer Aufhebung der Immunität und zu einem Freispruch in der zweiten Instanz. Seitdem war Mutlu, um es höflich zu sagen, wegen anderer Ereignisse selbst bei den Grünen nicht unumstritten. Trotzdem ist er seit der letzten Wahl für die Grünen im Bundestag und dort Sprecher für Bildungspolitik. Sollte er das obige Zitat tatsächlich so gesagt haben, ist seine Vorhersage zumindest für ihn teilweise eingetreten, selbst wenn Berliner Polizisten immer noch in der Lage sind, Autos abzuschleppen – besonders, wenn sie liegen bleiben.
Als Deutscher, der in der Türkei geboren wurde, hat Mutlu ein besonderes Interesse an der innenpolitischen Entwicklung des Landes, und als Direktkandidat für den Wahlkreis Berlin Mitte mit einem hohen Anteil an Migranten wird er auch im Herbst für die Grünen direkt wählbar sein. Mutlu hat das Referendum in der Türkei und unter Auslandstürken kritisch mit Wortmeldungen bei Twitter begleitet, und wie etliche andere Politiker und Beobachter seine Sicht der Dinge dargestellt. Zum famosen Abschneiden des Erdoganlagers gibt es etwa diesen nachdenklichen Beitrag über eine Art innertürkischen Rassismus, oder die Wortmeldung der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen, die ebenfalls kein Kind rechtskonservativer Traurigkeit ist: Als vehemente Kritikerin der deutschen Türkeipolitik sieht sie die Verantwortung bei Erdogans Netzwerken in Deutschland, die man jahrelang gewähren liess. Mutlu dagegen sucht und findet die Schuld auch bei der Integrationspolitik:
“Wir haben es nicht geschafft, ihre neue Heimat zu werden“
Man muss das ganz langsam lesen und nachdenken, was das bedeutet. Wir, die Deutschen, die, die ein grünennaher Funktionär als Köterrasse ebenfalls ohne juristische Konsequenzen bezeichnete, oder, die wir laut Kanzlerin schon länger hier sind, haben es nicht geschafft, die Heimat von Personen zu werden, die recht genau wissen, was Erdogan in den letzten Jahren getan und gesagt hat. Und ihn dann gewählt haben, und mit ihm eine Despotie auf Basis von Nationalismus und Islamismus, die nur dann mit den mitteleuropäischen Wertvorstellungen zusammen geht, wenn man zufälligerweise gerade eine ganze Panzerfabrik an das Regime liefert und es mit Milliarden bezahlt, damit es nicht wieder Migranten als erklärtes Druckmittel auf die Balkanroute entlässt. Wir hätten demzufolge die Verantwortung, auch die Heimat von jenen eilig zusammengetrommelten Leuten zu werden, die letzthin in meiner Heimatstadt teils vollverschleiert und teils mit der osmanischen Kriegsflagge durch die Stadt liefen, und das Zeichen der – nach unseren Vorstellungen – rechtsextremistischen Grauen Wölfe machten.
Die gute Nachricht ist eine andere: Von den 3,5 Millionen türkischstämmigen Menschen haben nur 1,5 Millionen einen türkischen Pass, die Wahlbeteiligung lag – leider – wegen der Repressionen bei nur 50%, und nur unter diesen Leuten hatte Erdogan eine deutliche Mehrheit. Es geht also nicht um “die“ Türken in Deutschland, sondern um eine Minderheit, die kein Problem damit hat, die Demokratie zugunsten einen Präsidialsystems abzuwählen. Das ist fraglos unangenehm, aber es ist nicht pauschal das, was manche als “die Türken“ bezeichnen.
Man könnte an dieser Stelle nun darüber reden, ob es überhaupt wünschenswert ist, die Heimat dieser Gruppe unter den Türkischstämmigen zu sein – nach meiner Auffassung sollten islamistische Nationalisten konsequent sein und ihre Heimat dort wählen, wo islamistischer Nationalismus die Staatsdoktrin ist. Deutschland ist bislang eher laizistisch und sogar so antinationalistisch, dass es seit dem heimatkritischen Kongress der Grünen in Bayern nach fast einem halben Jahr das erste Mal ist, dass ich von einem Grünen überhaupt das Wort Heimat in einem positiven Kontext vernehme. Grüne sagen sonst eher Sprüche wie “no borders, no nations“, und Heimat bringt es meist nun mal mit sich, dass sie einen begrenzten, geographischen Raum mit einem bestimmten, in staatliche Strukturen übersetzten Volkswillen darstellt. Heimat ist etwas, das von Grünen stets hinterfragt wird. Es ist gefährlich, nationalistisch, es bräunelt und hat eine toxische Tradition, ist wörtlich “historisch durch völkische Bewegungen vorbelastet” und wie das ausgehen kann, zeigt die Geschichte immer wieder – die Pervertierung von Heimatbegriffen, Hass auf andere und nationalistische Arroganz sah man gerade wieder beim Referendum in der Türkei.
Und für Leute, die das wollen, sollen wir Heimat bieten. Seit dem Beginn der Migrationskrise greifen Grüne und ihre Verbündeten und staatlich finanzierte Kontrolleure jene an, die das sagen, was man in meiner Heimat oft hört: Dass man sich inzwischen fremd im eigenen Land fühlt. Wer sich so äußert, gehört zu den Dunkeldeutschen, den Intoleranten und Gegnern der Weltoffenheit. Es wird vom Sächsit geschrieben und davon, dass eine abweichende Meinung zur Migration eine Schande für das Land sei. Mutlu selbst forderte jüngst eine Sonderstaatsanwaltschaft gegen Hatespeech. Man sollte Migration als Chance und nicht als Überfremdung betrachten – letzteres sei ein Begriff der Rechtsextremisten. Nun wählt eine radikale Minderheit mit üblen Folgen für die Türkei einen Potentaten, neben dem auch deutsche Rechtsextremisten wie ein Kinderfasching in einer Kita in Berlin-Kreuzberg wirken. Sie bejubeln rassistische Ausfälle gegen die Deutschen und andere Europäer, und Aussagen, denen zufolge uns Erdogans Türken tatsächlich überfremden werden: Genau hier wünscht sich ein Grüner in Berlin für diese Leute mehr Heimat bei uns, die wir bereitzustellen hätten. Heimat, das nehme ich aus dieser Aussage mit, ist plötzlich doch gut, wenn jemand anderes sie kriegen soll. Nur für Deutsche ist Heimat riskant und gefährlich, und Mutlu geht aus guten, warnenden Gründen mit, wenn es darum geht., die Deutschen an ihre Verbrechen in Afrika des deutschen Vorvorvorvorgängerstaates unter Kaiser Wilhelm II. hinzuweisen.
Man kann die Absage, die eine Minderheit in Deutschland mit der Wahl gegen die positiven Werte des Westens formuliert hat, nur begrenzt schönreden. Erdogans Anhänger folgen einer Ideologie, die die Grünen mit Sprüchen wie “keinen Fussbreit“ bekämpfen, wenn sie von Deutschen kommt. Mutlu würde vermutlich nie auf die Idee kommen, Neonazis in Berlin zu rechtfertigen, weil man sie nicht genug mitgenommen und ihnen die Heimatlichkeit des neuen, migrationsfreundlichen Deutschlands nicht mit allen Vorteilen ausreichend erklärt hat. Dass das Gefühl der Fremdheit und der Ablehnung anderer Lebensformen im schlimmsten Fall zu Gewalt und Diktatur führen kann, ist keine neue Erkenntnis. Das Problem bei der radikalen türkischen Minderheit ist, dass sie nicht nur Erdogans abfällige Einschätzung Deutschlands und Europas und die historische Überschätzung des osmanischen Reiches teilt. Sie will nicht die Heimat, die die laizistisch-demokratische Türkei früher einmal war, und erst recht nicht das, was Deutschland ist.
Ein Deutschland, das sich so verbiegt, dass eine derartig integrationsresistente Minderheit sie irgendwie als Heimat begreifen kann, ein Deutschland, das mit einer derartigen Verachtung auf sich selbst blickt, dass es Erdogans Sichtweise entspricht: Das gibt es bei Grünen durchaus, wenn sie wegen angeblicher Nazis nach neuen Bomben für Dresden rufen und behaupten, Verschleierung befreie die Frauen im Sinne unserer Emanzipation. Es wäre ein Deutschland, das Milli Görüs und andere Extremisten hofieren würde, aber auch gleichzeitig eines, das für die Deutschen keine Heimat mehr ist. Die Geschichte der Einwanderung immer auch eine Geschichte der Anpassung der Einwanderer – nur Eroberte und Versklavte mussten Neuankömmlingen in der menschlichen Geschichte so weit entgegen kommen, dass die sich mit all ihren Radikalen heimisch fühlen konnten. Das ist übrigens exakt das, was Erdogan in den Schulen über den Aufstieg des osmanischen Reiches lehren lässt. Mit den Grünen hat Mutlu die Partei gefunden, mit der man mit diesem für Radikale angenehmen und alle ihre Gegner eher anstrengenden Heimatbegriff in den Bundestag kommt.
Sofern die Grünen gewählt werden, von denen, die bislang noch etwas zu melden haben. Ich wohne in einer Gegend, in der man auf Heimat viel Wert legt und durchaus freundlich gegen jeden ist, der sich den Gegebenheiten anzupassen weiss. Hier wird kein Kopf verschleiert und das Tuch über der Brust wurde auch schon lange eingemottet. Im kommenden Herbst könnten heimatbewusste Regionen wie meine dafür sorgen, dass die Grünen und Herr Mutlu bundespolitisch nur noch wenig Grund haben, sich hier heimatlich zu fühlen.
Es geht übrigens auch anders: Der Gewinner meines Wahlkreises hat ägyptische Wurzeln, ist bei der CSU und hat definitiv nichts hören lassen von wegen, wir müssten radikalen Muslimbrüdern eine Heimat werden.