Sehet die Atheisten auf den Feldern. Sie fahren nicht nach Altötting, sie folgen nicht dem Luther und halten keinen Ramadan, und der Biergarten ernährt sie trotzdem
Es gibt ein einfaches und probates Mittel gegen den Feiertagsneid, der alljährlich Deutschland entlang der konfessionellen Konfliktlinien zwischen Katholischen und Ketzern lutheranischer Prägung spaltet: Das mit Brückentag stets günstig gelegene Fest Fronleichnam fällt einem gar nicht mehr sonderlich auf, wenn das Leben in Wohlstand Arbeit nur aus Erzählungen anderer Leute kennt. Da ist es völlig egal, ob etwas zu feiern ist, oder nicht: Das Leben ist immer gleich festlich und eine erbauliche Angelegenheit, auch ganz ohne Bezug auf Glauben, oder wie in meinem Falle, zum aufgeklärten Atheismus. Allerdings glaube ich auch: Etwa, dass Teller stets voll und die Aussicht schön sein sollten.
Aber nicht allen steht diese einfache und vorteilhafte Lösung des Konflikts zur Verfügung, und wenn ich also an Fronleichnam ähnlich sorglos in den Tag hinein radle, wie ich es immer tue, schallt mir aus dem Netz Missgunst für meine Bilder entgegen: Andere, die im lutheranischen Teil Deutschlands leben, unterstellen mir, dass ich sie mit meinen Bildern beleidigen und quälen will: Die einen sitzen demnach im Biergarten mit Aussicht auf die Landschaft und die anderen im klimatisierten Büro mit Aussicht auf den Feierabendverkehr in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das finden sie nicht gerecht, aber was soll ich sagen: Gerechtigkeit ist ein Thema der SPD, und man schaue sie sich doch mal an, wie weit man damit kommt – nicht weiter als bis zu einer nicht funktionierenden Mietpreisbremse, Möbeln von Westwing und, ich bin gerade guter Dinge und mein Leben ist schön, gnädigerweise vielleicht 18%, also ungefähr beim Fettgehalt auf diesem Bild.
Dass Lutheraner keinen Feiertag haben, liegt ursächlich an der Person, deren Thesenanschlag in Wittenberg momentan gefeiert wird: Luther hatte nicht nur etwas gegen den Ablass, sondern auch gegen den Papst, die Juden, die Heiligenverehrung und den katholischen Glauben an Wunder. So ein Wunder einer blutenden Hostie liegt dem Fronleichnamsfest zugrunde, und man kann Luther wirklich viel vorwerfen – aber nicht, dass er seinen Anhängern nicht überdeutlich gesagt hat, dass es am zweiten Donnerstag nach Pfingsten mit ihm und seiner Lehre keinerlei freien Tag geben würde: “Ich bin keinem Fest mehr feind … als diesem. Denn es ist das allerschändlichste Fest. An keinem Fest wird Gott und sein Christus mehr gelästert, denn an diesem Tage und sonderlich mit der Prozession. Denn da tut man alle Schmach dem heiligen Sakrament, dass man’s nur zum Schauspiel umträgt und eitel Abgötterei damit treibet.“Dieses Schauspiel, das auch die Aufklärung abschaffen wollte, erfreut sich in Zeiten globaler Unsicherheit in meiner Heimat langsam wieder steigender Beliebtheit. Fernen Städtern mag es wie ein anachronistisches Ritual erscheinen, mit einer Monstranz betend durch die Strassen zu ziehen, und darüber einen Himmel aus Stoff zu halten, den zu tragen Privileg der besseren Kreise ist. In den Städten muss man schon warten, bis sie vorbei sind, um zum Radeln zu gehen, aber draußen, auf dem Land, wird das wiederentdeckte Brauchtum noch deutlicher: Dort werden nicht nur seitens der Gemeinden und der Kirche Fahnen aufgehängt, damit jeder sieht, wie wichtig dieses Hochfest für Thron Bürgermeisterstuhl und Altar sind.
Da kommt es auch zur Einrichtung von öffentlich sichtbaren Altären, mit Bankerl zum Hinknien, mit Heiligenbildern, mit Birkenzweigen und Blumen und Kerzen und Statuen und vielem anderen, das Luther zutiefst suspekt wäre. Aber es ist wie es ist, wir leben nicht mehr in der Zeit der Glaubenskriege, auch bei uns werden Lutheraner aufgenommen, und erwerben hier Grund und Boden. Wenn der Wanninger links und der Gruber rechts ihren Haussegen nach draußen stellen und dazu einen Blumenteppich legen, stellt die kleine Lea-Sophie ihren Eltern die Frage, warum Annamirl und d‘Theres so einen Blumenteppich bekommen, und sie nicht.
Sie will das auch. Und was man so hört, passen sich dann manche eben der umgebenden Kultur an, und so kommt das dann, dass vor allen Häusern zumindest Schmuck auf Blumen zu finden ist, und auch der Lutheraner als ein solcher dafür einen Segen bekommt, der den guten katholischen Willen 500 Jahre nach dem Thesenanschlag anerkennt. Dafür, das muss man aber auch sagen, arbeiten die Söhne und Töchter der Bayern in Berlins Projekten des erhofften Mammons, und so gleicht sich das eben heilsgeschichtlich wieder aus.
Nun ließe sich trefflich darüber reden, wie die Identität in der Heimat von allen gleich gesucht wird, und sich an solche Rituale klammert, an die Freiwillige Feuerwehr, an die Blüten, die verstreut werden, an das gemeinsame Essen der Bratwürste und die Gelegenheit, hier, fern der Berge, Lederhose und Dirndl zu tragen. Es gibt gute Grunde, das zu feiern, und obendrein bezahlt der Arbeitgeber, das Wetter ist prächtig, und es ist nachvollziehbar, warum die Städte der Protestanten da neidisch sind. Die eigentlich interessante Frage ist aber eine andere: Warum sind die Protestanten einem der Kirche entlaufenen Augustinerchorherrn gefolgt, der ihnen klar sagte, dass er so einen Feiertag nicht will? Wieso entschieden sich die Vorfahren der jetzt Maulenden bewusst gegen diesen freien Tag?
Nun, weil sie die kurzfristige Rechnung ohne den langfristigen Sozialstaat gemacht haben. Zu Luthers Zeiten gab es Dutzende von Feiertagen, manche gesamtkirchlich, manche lokal, an denen die Arbeit zu ruhen und der Mensch in der Kirche zu erscheinen hatte. Legion waren zu Luthers Zeiten die Legenden, in denen Arbeitende, Jagende und Sündigende an diesem Tag vom Blitz erschlagen und vom Teufel geholt wurden. Die schnöde, ökonomische Beurteilung des Feiertags gab es schon damals: Für Bauern, die zumeist leibeigen waren, war so ein Feiertag ein freier Tag, an dem keine Arbeit verrichtet werden musste. Es war ein Tag, an dem die Kirche Musik, Schauspiel und Mysterien bot, ein danach ein Tag des Essens, Tanzens und Beisammenseins. Die Landbevölkerung, die heute noch die Häuser schmückt, profitierte von den Gelegenheiten, zu denen die Kirche der weltlichen Herrschaft Grenzen setzte. Daher sind Feiertage im Mittelalter auch so beliebt.
Das änderte sich in der beginnenden Neuzeit in den aufstrebenden Städten. Dort gab es keine Leibeigenschaft, sondern frühkapitalistische Verhältnisse und Arbeitsteilung und Bezahlung für Arbeit. Feiertage hielten Städter von der bezahlten Arbeit ab. Feiertage erzwangen Unterbrechungen bei Handel und Gewerbe, Feiertage kamen mit der Produktivität in Konflikt, und obendrein waren Feiertage in den Städten mit ihren Bettelmönchen und Orden teuer: Zu den Feiertagen hatte man in den Städten nicht nur zu beten, sondern auch für das Seelenheil zu zahlen. Wenn Luther in der damals aufstrebenden Handelsstadt Wittenberg gegen den Ablass wetterte, sprach er sich indirekt für mehr Geld im heimischen Wirtschaftskreislauf aus. Und wenn Luther Heiligenglauben und Feiertage abschaffen wollte, ermöglichte er einheitliche Bedingungen für Produktion und Erwerb von Vermögen.
Man redet bei der Reformation oft über Landesherren, die sich am Gut der Klöster bereicherten – und übersieht dabei die ökonomischen Interessen der Städter beim Zurückdrängen der kirchlichen Verpflichtungen. Die Bauern liefen entweder gleich zu den Radikalen über, die die Leibeigenschaft beenden wollten, oder blieben dem alten Glauben treu. Die Handelsherren, die Silberknappen, die Wollweber und Brauer, die Steinmetze und Fuhrleute dagegen schlossen sich in Scharen Luther an, der die Befreiung von lästiger Glaubensbürokratie versprach. Die Katholiken radikalisierten sich, indem sie bis zum Rokoko immer mehr Prunk und Pomp um ihre Feste und Kirchen errichteten, und die Protestanten räumten die Kirche leer und erklärten wirtschaftlichen Erfolg als Beweis der Zuneigung Gottes für ihr geschäftstüchtiges Treiben. Die einen feierten, die anderen sparten. Evangelische Länder begannen mit der Industrialisierung, katholische Länder blieben oft agrarisch strukturiert.
Es konnte ja kein Papst und kein Luther wissen, dass man ernsthaft anfangen könnte, Schweinehirten und Arbeitnehmern Rechte zu geben, Menschen als gleich vor dem Gesetz zu betrachten, und sie auch noch mitreden zu lassen, indem sie vielleicht nicht die öffentlich-rechtlichen Medien, aber so doch gewisse Parteien wählen konnten, die auf diese althergebrachte Trennung zwischen den Religionen das Prinzip des bezahlten, gesetzlichen Feiertag für alle oben drauf setzten. Es war ein Kardinaltugendfehler, es obendrein den Bundesländern zu überlassen, sich für ihre eigenen Menschen einzusetzen. In Bayern gibt es nun mal eine CSU, die von diesem Mittel der Beschenkung und Bekirchlichung des Landes grosszügigsten Gebrauch zur Verankerung ihrer Herrschaft machte. und das ebenso dreist wie unwidersprochen als Akt der Arbeitnehmerrechte und Besinnung darstellt. Von Luthers Opportunismus lernen heisst nun mal siegen lernen, und wie man an den evangelischen Blumenteppichen sieht: Wenn der Feiertag nur fremdfinanziert wird, ist auch der Abgefallene des Jahres 1517 bereit, 2017 vom katholischen Landfrauenbund das Legen eines Kelchs mit Hostie wieder zu erlernen. Ausserdem schaut es so schön aus und Lea-Sophie durfte informell auch Blumen vor dem Pfarrer verstreuen. So adrett, pardon, fesch war sie im Dirndl. Und Bratwurschtl haben keine Religion, nur die Regierungen in Bundesländern, die mehrheitlich lutheranisch sind, die schon und die arbeiten, bei der Hitze gestern auch wie so eine Art Bratwust im Büro.
Bitte, schauen Sie mich nicht so an, ich bin religiöser Nichtkombattant und außerdem eh kein Freund geregelter Arbeit, ich radle nur über Wiesen und Felder und mache mir Gedanken zu dem, was ich so sehe. Ich finde es besser, wenn Lea-Sophie Blumen verstreut, als dass sie zwangskatholisch gemacht wird, wie das früher üblich war, und ich mag die angenehme Stimmung im Biergarten, wenn alle gut gelaunt beisammen sitzen und sich zuprosten und plaudern.
Am Freitag ist hier eh fast alles zu, die Kinder haben noch Schulferien, da radelt man mit ihnen über das Land und freut sich des Lebens, wie so ein mittelalterlicher Leibeigener, der gerade zwischen Saat und Ernte ein wenig Zeit für sich selbst hat. Es ist eh viel zu heiß für Arbeit.
Wie giftig und z‘wider jene werden, die im Norden in ihren Büros sitzen, bei der Hitze, die nicht weit weg von den Höllenqualen ist, sieht man ja im Internet. Das Arbeiten tut dem Menschen nicht gut.