Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach nur verprasst.
George Best
Ich bin vermutlich – wie Sie und alle anderen emotionalen Menschen auch – das, was man mit etwas schlechter Absicht als Fetischisten bezeichnen könnte. Meine letzte Woche war voll mit fetischistisch bedingten Handlungen, denn am Montag ereichte mich ein Gemälde, am Mittwoch zog ich mich fein an, dann besuchte ich ein Konzert mit Triosonaten von Schubert, und in der Pause trank ich einen Orangensaft. Ich habe Leidenschaften und gebe dafür weitaus mehr Geld als der durchschnittliche Mensch aus. Mich dürstet es nach einer bestimmten, teuren, klar definierten Welt der Kultur, die zum Glück weitgehend deckungsgleich mit den Idealen der besseren Gesellschaft ist. Mein Fetisch fällt daher nicht auf.
Würde ich aber erzählen, dass ich mir in der Nacht für ähnliche Unsummen von einem Playboy Bunny Drinks servieren liess, und mit ihm über Hugh Hefners Playboy sprach, gäbe es einige hochgezogene Augenbrauen. Und das, obwohl die Servierkräfte im Theater erheblich schlechter als Damen in Häschenkostümen bezahlt werden. Auf dem Weg zu einem Schuberttrio zerbersten an Musikhochschulen Dutzende von Lebensträumen. Der Fetisch Kultur ist so stark, dass wir Musik genießen, für die viele junge Menschen jahrelang vergeblich übten, nur um an Aufnahmeprüfungen zu scheitern und vielleicht Säfte in der Pause verkaufen. Das nehmen wir für den wohligen Schauer der sich umschmeichelnden und vereinigenden Harmonien in Kauf. Aber der wohlige Schauer, mit einer Frau mit Plüschhäschenohren zu plaudern und sie besser als eine gescheiterte Musikstudentin zu bezahlen – der ist gesellschaftlich nicht akzeptiert, auch wenn man auch dort über Schubert reden könnte.
Die aktuellen Zeiten, in denen Werbung von grünen und roten Politikern wie in der Weimarer Republik verboten und zur Denunziation aufgerufen wird, wenn sie unerwünschte Rollenbilder transportiert, sehen jedenfalls darin eine Herabwürdigung, auch wenn es sich, ähnlich wie Kunst oder Musik, von der Nachfrage her um einen Fetisch handelt, und bei der Befriedigung um ein banales Geschäft. Das Klaviergeklimper der Kinder gibt es umsonst, ins Telefonbuch kann jeder kritzeln und unfreundliche Menschen, die andere anpöbeln, sind zwar in Form der öffentlich rechtlichen Medien sehr teuer, aber im Gegensatz zum netten Bunny vom Konsumenten nicht für die Zuneigung bezahlt. Wobei ich natürlich nicht ausschließen würde, dass solche Medien nicht auch ihre freiwillig zahlenden Kunden finden: Ich bin tolerant, und wieso sollte es nicht Freunde der aus dem sonstigen Programm herausragenden Gesellschaftsserie der Mainzelmännchen geben, wie es auch Liebhaber von Plüschohren auf Frauen gibt?
Ich bin eigentlich gar nicht mehr hier, denn gleich nach dem Konzert stopfte ich meine Reisetasche auf den Beifahrersitz, schnürte mein 1972er RUFA Sport auf den Gepäckträger meines 272PS starken Nichtdiesel-und-deshalb-Umwelt-Roadsters, und machte mich röhrend auf dem Weg in die Toskana. Fetischisten haben bekanntlich ihre Rituale bei ihrem Treiben, und immer Anfang Oktober ist in Gaiole in Chianti die L’Eroica. So, wie es beim Konzert um die Musik geht, und nicht um die gescheiterten, musischen Abiturientinnen, und im Playboy um die guten Interviews und nicht um die nackten Frauen, geht es in der Toskana bei dieser Veranstaltung vordergründig um Sport. Radsport für Jedermann. Es geht darum, auf staubigen Pisten viele Höhenmeter zu fahren. Aber deshalb gibt es noch lange keinen Grund, zwei Tage davor in kurzen, hautengen Lycrahosen, so körpernah wie ein Bunnykostüm, auffälligen Wolltrikots mit Werbeaufschrift, bunten Socken und vorne hasenohrgleich aufgestellten Käppchen in einer toskanischen Kleinstadt die eigenen körperlichen Vorzüge, soweit vorhanden, zu präsentieren.
Was ich und ganz viele Tausende aber getan haben, und ich bin so weit gegangen, dass ich mir ein Leibchen mit dem eigenen Namen habe fertigen lassen, wie so ein Bunny mit Namensschildchen, damit es Besucher gleich wieder erkennen. Bunnies tragen phantasievolle Namen wie Esmeralda oder Claudette, ich heisse laut Aufschrift Don Alphonso, und hätte das Leibchen einen längeren Reissverschluss, würde ich ihn auch weiter öffnen, und mir dabei auf die Unterlippe beissen, wegen der Hitze, Sie verstehen das sicher. So angetan ging ich also in der Toskana umher, und suchte mach Objekten, die mir bei der Fetischisierung meines Urlaubs helfen. Unsereins liebt Chrom und fein gearbeitete Muffen, ziselierte Gabelköpfe und Inschriften wie Boschetti, Patelli und Brev. Campagnolo, die an alte, weisse Männer und ihre Taten erinnern.
Erschwerend kommt natürlich die Bereitschaft dazu, sich auf dem Rad allen Widrigkeiten der Natur, Staub, Regen und Hitze mit Freude und Begeisterung willig hinzugeben. Im Konzert können Frauen noch behaupten, sie brauchen neue Kleider, um gut auszusehen, und niemand wird das verübeln, selbst wenn dabei die gleichen Sexualisierungsstrategien wie beim Playboyhäschen bemüht werden. Hier in Gaiole ist der körperliche Aspekt, getrieben von Adrenalin und Testosteron, schon sehr viel deutlicher ausgeprägt, und weniger von Ritualen begrenzt. Was uns jedoch in unseren hautengen Kleidern vor moralischer Verdammnis bewahrt: Wir sind Männer.
Da ist den Feministinnen die Sexualisierung egal, denn erstens wollen sie uns gar nicht und zweitens haben sie hier keine Gelegenheit, gut aussehenden, klugen und durchaus selbstbewussten Frauen, die genau wissen, was sie für ihr Verhalten verdienen können, ihre ideologisch bedingte Unterdrückungshilfe aufzuzwingen. Dass beim Anblick von mitfahrenden Frauen Männermuskeln platzen und Herzen am Anschlag pumpen, weil 9 alte Trottel und ein Homme de lettres mit Don-Alphonso-Leibchen einem Mädchen in Hotpants gleichzeitig zeigen wollen, wie stark sie von Darwins Gesetz der natürlichen Auslese auch heute noch geprägt sind, findet keinerlei Niederschlag in roten oder grünen Koalitionspapieren – auch wenn es hier sogar pinkfarbene Frauenradschuhe gibt.
Aber wehe, 10 Männer würden mit Geld um die Gunst einer Frau im knappen Hasenkostüm wetteifern, und ein Mann wie Hugh Hefner profitiert davon: Dann wird ihm der Hass und die Verachtung über den Tod hinaus nachgebrüllt. Dabei liegt es in der Natur der Menschen, um Partner zu wetteifern, und es in den jeweiligen Fetischszenen zu kanalisieren: Musiker bewundern das Spiel der Finger auf Hölzern, die für Geigenbauer des Rokoko geschlagen wurden. Radfahrer verstehen es anzubandeln, wenn eine Frau ein candyrotes Colnago zu den Gipfeln peitscht. Manche haben ein Faible für Plüschohren, die ich privat – wir sind hier ja unter uns, nicht wahr – deutlich kleidsamer als Tätowierungen und Piercings und blaue Haare finde. Und sexuell bedürftige Metropolenbewohner gehen freiwillig auf Veranstaltungen des Gunda-Werner-Instituts oder der Friedrich-Ebert-Stiftung, und wollen wissen, was Kopftücher, Judith Butlers Thesen gegen Israel und extremes Übergewicht in Leggins mit der Freiheit der Frau zu tun haben.
Ich finde es auch legitim, wenn jemand mit solchen Tätigkeiten Geld verdient. Die Männer, die jene zwei Rahmen fanden und aufbereiteten, die ich zwanghaft gekauft habe, sollen schließlich auch leben. Ich finde es schön, wenn aus einem im Chiantigestrüpp versteckten Städtchen eine Welthauptstadt voll mit begeisterten Menschen wird, die alle dem gleichen Lebensideal huldigen. Es tut niemandem weh, auch wenn gewiss hier gepredigte, körpersaftige Rollenideale manchen nicht gefallen mögen – das ist bei jedem Kult und bei jeder Lebensvorstellung so. Man tut das, weil man es tun will, und man sich davon für sich selbst Vorteile verspricht. So ist eben der Markt, und viele, die meisten, eigentlich alle, wollen einfach nur gut behandelt und mit ihren Wünschen verstanden werden. Wir verdanken es Menschen wie Hugh Hefner, dass wir das heute divers und frei ausdrücken können, und nicht wie mancher Radstar der 50er Jahre mit Seitenbeziehung oder Religionskritiker in Saudi-Arabien öffentlich fertig gemacht werden. Die Freiheiten unserer hellen und dunklen Leidenschaften können nur in Toleranz ausgelebt werden. Manche, die Hefner jetzt verteufeln, haben vermutlich vergessen, dass ihre eigene Freiheit zur abweichenden Meinung früher genauso verteufelt wurde.
Man muss eigentlich froh um Leute wie Hugh Hefner sein, die die alte Ordnung zerstört haben, nur um in der neuen Ordnung neue Todfeinde zu finden, und dann wieder um die Freiheit kämpfen – und wenn es die Freiheit der Frau ist, für gute Bezahlung im Häschenkostüm Drinks zu servieren, und die Freiheit des Mannes, dafür einen hohen Preis zu bezahlen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Freiheit die Unterschiede in ihrer ganzen Breite zu Tage treten lässt, und leider sind die letzten schönen Tage in Gaiole auch die letzten Tage vor dem Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes des Zensurministers und SPD-Mitwahlverlierers Heiko Maas, das in Deutschland eine neue, private Zensurinfrastruktur erzwingt. Das ist nicht gut in Zeiten der Empörung, in denen bestimmte linke Fetischgruppen die Vorlieber der anderen als Hate Speech definieren, und sie entsprechend gern zur Löschung melden möchten. Ich verstehe nicht, wie man in so einer Zeit der neuen geistigen Prüderie und Gedankenunfreiheit beim Tode von Hugh Hefner Zufriedenheit ausdrücken kann.
Aber egal, et in Arcadia ego. Natürlich gibt es auch bei uns hier Intoleranz. Manche meinen, italienische Räder müssen italienische Komponenten tragen, und Traditionalisten werden vielleicht die Nase ob meines Hemdes rümpfen. Aber so ist das hier eben, alle kommen zusammen, und am Sonntag fährt jeder sein eigenes Rennen gegen die weissen, staubigen Strassen, und ist auf seinem eigenen Rad die Quelle des Glücks oder des Versagens. Man kann hier nur sich selbst einen Vorwurf machen, wenn man nicht ankommt. Und natürlich fragt man sich in Staub, Hitze oder Regen ab und zu, ob man es bei einem Playboy-Häschen, bei einem Hauskonzert mit Schubert oder einfach nur daheim im warmen Bett nicht weitaus besser hätte. Das zu entscheiden, ist die Freiheit des Menschen. Was man dann trotzdem tut, ist Leidenschaft, Gier, Fetisch, Obsession und Hingabe, und manchmal, wenn man stürzt und blutüberströmt weiter kämpft, ist es in den Augen mancher Betrachter auch fast schon krank.
Aber nur fast.
Jedoch, im grauen Berlin sitzt dann eine Aktivistin an ihrem Rechner, und schreibt eine Anzeige an den Werberat, weil sie irgendwo zu viel Fleisch und Haut auf einem Plakat gesehen hat.