Look at the faces, listen to the bells, it’s hard to believe we need a place called hell
INXS, Devil inside
Wenn ich mit anderen über Heimat rede, ist das immer eine reichlich elitäre Angelegenheit, denn meine Wohnorte, egal ob der immens erfolgreiche Wirtschaftsraum an der Donau oder das Tegernseer Tal, sind in sich elitär. Ich argumentiere natürlich lieber mit dem Tegernseer Tal, denn es ist nicht nur eine der reichsten Regionen des Landes, sondern auch stark von einer Heimatkultur geprägt, und obendrein schön.
Atemberaubend schön.
Man muss nur so ein Bild zeigen und das Wort “Heimat” dazu schreiben, und viele finden das gut. Denn es ist schön, rein und, weil kaum Menschen zu sehen sind, unschuldig. Raunzt mich einer an, dass da unten auch Nazis wohnten, die die Natur vergötterten, raunze ich zurück, dass sie das bildungsfern angesichts eines Heiligen Berges der Deutschen Literatur sagen, auf den Thomas Mann mit Familie sich persönlich von Bauernburschen hat hoch tragen lassen.
Dann zeige ich noch ein Bild von unserem Wetter oben mit Blick auf die Nebelschwaden darunter und sage bedauernd, dass das Leben im Nebel manchen die Laune und den Blick trübt, man muss das verstehen, diese schlechte Laune. Wenn ich auf der genau anderen Seite des Landes leben würde, in Hamburg nämlich, und für die Zeit Social Media machen würde, oder von Berlin aus schriebe – dann hätte ich angesichts der dortigen Zustände auch mehr Probleme, Heimat anzuerkennen. Denen fehlt einfach einer von Thomas Manns Zauberbergen und die Landschaft, in der August Macke malte. Von der Enge einer Mietwohnung in Berlin heraus würde ich vielleicht auch schreiben, dass man den Begriff der Heimat dem rechten Rand überlassen sollte [https://www.zeit.de/kultur/2018-02/heimatministerium-heimat-rechtspopulismus-begriff-kulturgeschichte/komplettansicht]. Und wäre mein Arbeitsplatz nicht das Gipfelplateau des Wallbergs, und wären im flammenden Licht der Sonne nicht alle Gleitschirmflieger, Bergsteiger und Rodler, egal ob blond oder alt oder indisch wie jener Herr, dem ich das Bremsen auf dem Rodel erklärte, so schöne Menschen, wie es hier jeder ist, hätte ich die Industriekloake der Alster vor mir und dahinter nur noch den Wattensumpf des Eismeeres, in dessen Schlick die deutsche U-Boot-Waffe gammelt, würde ich vielleicht auch nach einem Interview zu Indianerkostümen den Deutschen raten, sich doch mal als, wörtlich, Kartoffeln zu verkleiden.
Bei der Zeit bin ich mittlerweile geneigt, bei solchen Aussagen von Vorsatz auszugehen, denn schon 2016 machte das Blatt Furore, als es in Bezug auf die deutschen Handballer mit dem Schimpfwort “Kartoffel” auf sich aufmerksam machte. Nun also bringt die Zeit im Kartoffelkontext ein Interview mit einer Dresdner Wissenschaftlerin, die im Bereich “Critical Whiteness” arbeitet und erklärt, warum gewisse Kostüme kolonialrassistisch sind und gefährliche Stereotypen reduplizieren. Es ist wenig erstaunlich, dass die Zeit nach Trans-Kindern und Regenbogenfamilien nun auch diese Strömung der Social Justice Bewegung aus den USA entdeckt, und dem Deutschen dazu noch hineindrückt, er sollte doch als Kartoffel gehen. Bis vor ein paar Jahren war das Wort in dieser beleidigenden Form lediglich in linksradikalen und antideutschen Kreisen verbreitet. Und, wenn man einer Autorin von Bento glauben kann, die früher auch schon durch unsensible Aussagen aufgefallen ist, als Schimpfwort innerhalb türkischer Kreise für Deutsche.
Kurz, während ich auf dem Berg sitze und ein schönes Bild meiner Heimat nach dem nächsten mache, wird in der Zeit unter dem Nebel Heimat als Begriff des rechten Randes umgedeutet, schon deutschen Kindern wegen ihrer Verkleidung Kolonialrassismus unterstellt, und die Mehrheitsgesellschaft im antideutschen Duktus kritisiert. Es gibt, so lese ich allenthalben, keine unschuldige Heimat, die Natur sei nur vorgeschoben, und weil es durchaus so sein mag, könnte ich nun behaupten, dass ich von meinen thomasmannesken Bergen herab gerodelt bin, dem Inder “brake! Brake!” vor einer tückischen Eisplatte zurief, und dann ins Donaumoss fuhr, um eine Antwort zu schreiben.
Das wäre leider gelogen, die Wahrheit ist, dass meine Ciabattabäckerin am letzten Samstag in Urlaub ging und ich Brot vorbestellt hatte. Also setzte ich mich am Samstag ins Auto und fuhr zum Wochenmarkt. Oder besser, ich habe es versucht, denn offensichtlich haben viele Berliner und Norddeutsche die antideutschen Kommandos nicht verstanden, und verstopften in beide Richtungen die Autobahn der heimatlichen Berge. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für den Erziehungsjournalismus, sondern auch der Grund, warum ich eine Stunde zu spät auf dem Wochenmarkt angekommen bin. Da blieb mir also nichts anderes übrig, als ins Donaumoos zu fahren. Nach Karlshuld, am Faschingssamstag.
So wie der Tegernsee der Inbegriff des Tourismusbayern ist – voller Kultur und Berge und Sonne und Reichtum und einem glasklaren See – ist das Donaumoos das genaue Gegenteil. Es ist ein ehemaliges,m menschenleeres Sumpfgebiet, das ab 1795 entwässert wurde. Es ist dort sehr oft immer noch oft neblig, der Boden ist schwarz und wenig fruchtbar, kilometerlang ziehen sich die Dörfer an Strassen entlang, mit kleinen, gedrungenen, alten Häusern, aus denen die Armut spricht, und wo sie auf den Abriss warten, für wenig gelungene Neubauten. Man hat im 19. Jahrhundert vor allem Menschen aus der zu Bayern gehörenden Pfalz dort angesiedelt. Sie sprachen anders, und das merkt man bei echten Leuten “de ausm Moos kumma”, immer noch: “Des is a andere Rass“, sagen wir in Bayern. “Dea kimmt ausm Moos” war früher eine abwertende Bezeichnung und bedeutete arm, fremd und ungebildet. Neben Pfälzern wurden dort auch Sträflinge und sozial schwierige Elemente angesiedelt, weshalb bei uns, in der Stadt, lange auch das Wort “Zuchtheisla” ein Synonym für Menschen aus dieser Region war. Die Entwässerung des Donaumooses war vor allem ein Projekt der Landgewinnung für den bayerischen Staat, aber nicht für die neuen Bürger: Meine Heimatstadt war damals Landesfestung, und die Dörfer, die südlich davon angelegt wurden, waren mitten im Schussfeld. Bei Hagau ist heute noch eine grosse, offene Batterie im Gelände erkennbar: Hätte sich der Feind hier angenährt, hätten bayerische Kanoniere ohne Zögern die Siedlungen der Pfälzer und der Armen zerschossen.
Man sagt immer “Der ersten Tod, der zweiten Not, der dritten Brot”, wenn es um Besiedlung geht, aber im Donaumoos stimmt das nicht. Von 1795 bis nach dem 2. Weltkrieg war das hier die Armenhaus des Landes Bayern. Noch im meiner Klasse der 80er Jahre waren viele Söhne der Bauern nördlich der Donau, aber kaum jemand aus dem Moos. Die alte Abneigung der Bürger, die durch den Spruch “Über die Donau zieht man nicht” zum Ausdruck kommt, hat ihre Ursache in der Fremdheit der Kolonisten. Und natürlich ist “Kardoffe” und “Kardoffebauer” im Sinne eines unfähigen, ungebildeten und sozial fragwürdigen Landbewohners seit jeher eine schwere Beleidigung. Dass es besser wurde, dass das Moos heute mit Immobilienpreisen aufwarten kann, unter denen Hamburger winseln und Berliner nach Lichtenberg umziehen, liegt allein am Boom der großen Stadt mit ihren weltweit begehrten Autos. Langsam werden die alten, schlimmen Geschichten vergessen, die noch Teil meiner eigenen Jugend waren. Eine Generation ist das vielleicht her. Und man sollte denken, dass Menschen mit dieser Geschichte Jahrhunderte langer Diskriminierung geläutert sind , wenn sie in der türkischen Pizzeria Dolce Vita einen schnellen Imbiss nehmen, bevor sie später im Tanzlokal Octagon Discofox bei der Ü30-Party tanzen.
Wie gesagt, ich kenne die Leute hier, manche sind Freunde, und wenn ich während des Studiums von München nach Hause geradelt bin, wurde ich hier immer gastfreundlich empfangen. Ich finde das alles hier, das Leben, die Schautafeln, mit denen Geburtstage und Hochzeiten in aller Öffentlichkeit gefeiert werden, überhaupt nicht peinlich. So ist das halt hier. Man muss diese soziale Wärme aus der Geschichte verstehen: Heimat war für diese Menschen der nasskalte, schwarze Boden, das kleine, niedrige Haus, die Familie und das Dorf. Es sind 21 Kilometer in die Stadt, früher eine Tagesreise hin und zurück. Wenn hier im November wochenlang Nebel herrscht, rückt man zusammen. Diese Heimat ist nicht schön und sie ist nicht touristisch, und trotzdem sind hier die Gärten voll mit weißblauen Fahnenmasten. Man hätte die Leute vor 110 Jahren mit Feldbatterien über den Haufen geschossen, wenn der Feind durch ihre Dörfer gekommen wäre. Trotzdem hängen hier an den Feiertagen die Fahnen des Freistaates. Sie haben kein internationales Essen jenseits der Pizza, der Gasthof heisst Scharfes Eck, und ist gleichzeitig Dorfmetzger, 21 Kilometer von der Stadt entfernt.
Davor ist ein Kreisel, und als ich dort ankam, sperrte die Polizei den Weg. Am Samstag war der Pferdefaschingszug. Voran schritt die Gemeindekapelle Hohenwart in regionaler Tracht mit langen Röcken und Hosen und mit einem Trommler, der den Marschtakt vorgab.
Und dahinter kamen die Pferde und die Maschgerer, manche als Einhörner und manche, natürlich, als Indianer.
Und danach kam eine Person in Einhornkostüm und kehrte alle Pferdeäpfel gleich wieder zusammen, damit die Strasse sauber ist.
Es ist leicht, über Heimat in den Bergen zu reden und leicht, als Publizist oder Forscherin oder Social Media Mitarbeiterin im Kreise eines multikulturellen Umfelds die Auffassung zu vertreten, die Kinder hier seien auf eine dumme Art rassistisch, und statt der Fahnenstangen sollte man lieber in Kartoffelkostüme investieren. Es passiert nichts, weil die wenigsten hier zur Kenntnis nehmen, was Critical Whiteness Forscherinnen auf Basis staatlicher Transferleistungen und gefeierte Autoren über sie denken. Das Donaumoos ist keine Gegend von schönen Geschichten, ich kannte einen, der betrunken schwimmen wollte und nie am anderen Ufer ankam, und das Bauernhofsterben macht den Menschen hier schwer zu schaffen. Sie haben oft mit ihren schwarzen Böden den Baugrund, mit dem sie vermögend oder sogar reich werden können, während Süsskartoffeln heute für Biokonsumenten auch garantiert aus Asien kommen sollten. Es ist nicht gerade viel Heimat hier, und beim letzten Donauhochwasser drohten viele die Existenz zu verlieren. Damals war ich auch hier. Das war alles nicht schön. Die Leute hier sagen, dass man halt vor der Flut nicht davonlaufen kann. Und generell war es eine Fehlentscheidung, das Moos zu besiedeln. Nur hat man 1795 seinen Wert als Naturraum nicht erkannt. Jetzt ist es halt die Heimat, die sie haben. Auch die Heimat dessen, was in Hamburg und Berlin als rechter Rand gilt.
Es gibt hier drei grössere Parteien, die in Fragen der Heimat rechts von jener CSU sind, bei deren linken Rändern nach allgemeiner Vorstellung spätestens der rechte Rand beginnt – ich las gerade einen Beitrag, dass jetzt sogar die Kabarettistin Lisa Fitz unter Rechtsverdacht steht. Jedenfalls, die AfD, die Freien Wähler und die separatistische Bayernpartei bekamen hier zusammen 25% der Zweitstimmen. Jedem 4. ist die CSU nicht hart rechts genug.
Die bevorzugten Parteien üblicher Journalisten sind SPD, Grüne und Linke. Die haben in Karlshuld zusammen gerade einmal 20%.
Natürlich wird viel über ein Ministerium gespottet, das sich Heimatministerium nennt und eigentlich vom Zuschnitt her, nüchtern betrachtet, ein Ministerium für Infrastruktur und ländliche Raumentwicklung ist. Wenn jeder 4. Rechts von der CSU wählt, ist das ein deutliches Zeichen der Unzufriedenheit und der Meinung, dass diese Heimat hier jetzt auch einmal an der Reihe sei, dass die Sparkasse gefälligst ihre Filiale behalte und die nächste Poststelle nicht 10km entfernt in einem Supermarkt ist. Der in meinen Berufskreisen so vielgeforderte Breitbandausbau ist hier kein Problem, die Frage ist hier -und noch verschärft im Osten des Landes – inwieweit die Lebensqualität noch verschlechtert wird, während der Staat drüben im Oberstimm für viel Geld für neue Sicherheitskräfte für das Transitlager ausgibt. Man kann das alles ignorieren und lächerlich machen, die Leute als Kartoffeln beschimpfen und als Rassisten und als rechten Rand. Was juckt einen in Berlin schon der Milchpreis, was bedeutet in Hamburg der Hochwasserschutz an der Donau, wenn schon Indianerinnen auf Pferden und die positive Aufladung als Heimat andere zum rechten Rand machen. Zum Feind. Zu Kartoffeln halt. Wenn sie sagen, der Staat und die Medien müssen gegen Rechts aktiv werden, dann meinen sie das hier.
Natürlich geht die Zeit hier nicht ins Scharfe Eck und erklärt bei Bier und Weisswürsten, warum man rechter Rand ist und gefälligst andere Kostüme tragen sollte. Hier bei uns, auf beiden Seiten der Donau, kommt die AfD und legt Listen zur Abschaffung des “Staatsfunks” aus, die Leute kommen gern, und niemand steht davor und demonstriert. Der rechte Rand ist hier längst die Mehrheit.
Die alte Feldbatterie bei Hagau dagegen ist überwachsen, dahinter ist ein Baggersee vom Kiesabbau, und daneben liegt Daddy’s Boazn, wo man sich nach dem Eisstockschiessen aufwärmen kann. Niemand würde die Dörfer hier heute noch mit Kruppgeschützen beschießen, aber die Verachtung, die Abwertung, die als richtig betrachtete Ausgrenzung, die Achtlosigkeit und die Herabwürdigung zum Kartoffel, die gibt es heute noch. Wer den Aufstieg der Rechten in breiten Schichten sehen will, ein Aufstieg, der die Linken zum bedeutungslosen Rand verkommen lässt wird hier bei uns fündig. Wer die Ursachen finden will, sollte auch nach Hamburg und Berlin fahren.