Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Rettung der Alpen durch britische Silberkannen

Seien wir ehrlich: Wir hassen die Krise, wir wollen nicht in Sack und Asche gehen, wir wollen Luxus und Freude, wir wollen über Pässe in den Urlaub brettern und Silber auf dem Tisch. Und natürlich wissen wir auch, dass uns der Zusammenbruch des angloamerikanischen Bankensystems davon abhält. Solange wir nicht einen taktisch klugen Bailout machen, bei dem wir die Werte bekommen, und die anderen unser schönes Land nicht schädigen. Ich weiss da einen Trick.

Abgesehen davon ist dies ja auch ein Krieg für die Demokratie, und da sähe es furchtbar dumm aus, wenn die Reichen den Eindruck vermitteln, als wollten sie sich der Verantwortung entziehen.

Basil Seal in Evelyn Waughs “Mit Glanz und Gloria”

Obwohl ich und meine Bekannten dafür eintreten, Europa zu teilen und mit unserem angenehmen Teil der Schweiz beizutreten, kommen wir nicht umhin, uns vorläufig mit dem Rest Europas zu beschäftigen. Besonders unerfreulich, wie sich an diesem Wochenende wieder zeigte, ist die Lage auf der britischen Insel. Faktisch war sie am 10. Oktober 2008 pleite, und die Banken standen vor dem Zusammenbruch. Inzwischen sind die Hauspreise weiter gefallen, die Arbeitslosigkeit steigt, das britische Pfund heisst fast schon offiziell britischer Peso. Mittelfristig wird die Regierung nicht umhin kommen, den gesamten Bankenmüll zu verstaatlichen und abzuwickeln, und danach angesichts der immensen Schulden auch den Staat verstaatlichen und abwick – nein, halt, das geht nicht. Wäre das Land eine Firma, müsste man Premier Gordon Brown wegen Insolvenzverschleppung anzeigen. Alles in allem ist das Land ein hässliches, aber treffendes Abbild dessen, was weite Teile des Kontinents – darunter auch die Heimat so manchen Lesers – in drei, vier Monaten darstellen werden.

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Die Tage, da das Pfund Sterling seinen Wert aus dem Sterling Silber ableitete, sind lange vorbei. Sogar der stramm rechtskonservative Telegraph ist mitsamt seinen Euroskeptikern nach langen Monaten des Verdrängens und Beschönigens im Panikmodus. Wer allerdings gedacht hätte, dass man dort jetzt um die Aufnahme in den Euroraum bettelt, sieht sich getäuscht: Deren Lösung der Krise mit dem wertlosen Peso ist das Sparen auf Kosten des Kontinents. Schamlos empfiehlt das Blatt, den Skiurlaub in Österreich zu machen – und zwar an Bord eines pinkfarbenen Wohnmobils.

Sie haben kein Geld, also machen sie es so billig wie möglich. Sollten die britischen Skifahrer das beherzigen, droht dem Alpenraum – meiner Heimat – eine schlimme Zeit. Hoteliers werden pleite gehen, es wird überall nach selbstgekochtem britischen Essen riechen, sie werden erheblich mehr trinken, denn der Alkohol im Supermarkt ist billiger als im Hotel, sie werden besoffen auf den Pisten sein und, weil die Nacht im Auto sicher kein Vergnügen ist, sehr spät kleine Alpendörfer in Mitleidenschaft ziehen. Sie werden als Wintervariante der Fussball-Rowdies den Apres-Ski-Alptraum nach mallorquinischer Art vollenden. Und das Schlimmste: Sie nehmen einer bedrohten, zentraleuropäischen Spezies mit ihrem Wohnmobil den Lebensraum weg.

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Meiner Spezies. Die Spezies der schlechteren Kinder aus besserem Hause, die den stolzen Alpenpässen mit den röhrenden Roadstern und flinken Maseratis erst den grossbürgerlichen Charme verleihen; die Geniesser, die den O*el *stras den Platz auf den Seitenstreifen offerieren und deren Insassen überzeugen, dass sie ein vernünftiges Auto, aber nicht wirklich vernünftigen Spass haben. Wir sterben, wenn wir nach dem O*el auf dem Pass von einem schwankenden Holländer oder Briten ausgebremst werden. Meine Spezies ist es, die Träume lebt und in den Asphalt schreibt, meine Spezies durcheilt den Stelvio und Jaufenpass offen und schneidig wie im Film, wir sind es, die den Geissbock mit offenem Verdeck und C.P.E. Bachs Cellokonzert in A-Dur grüssen, wir fliegen ohne Behinderung durch breite Wohnwägen über die Grenzen der Schweiz zu den Banken in Müstair und Zuoz, es ist unser Lebensraum, und wenn es etwas gibt, das wir bremsend in unseren Kurven, vor dem Hotel Imperial in Meran, oder beim Markt in Naturns, oder auf dem Parkplatz am Gotthard, oder auf den Rampen zum Sellajoch, oder beim Transfer zur Mille Miglia, oder auf dem Weg zum Schokoladenkauf in Rottach oder Schwaz, oder gar vor unseren Frühstückterrassen mit Bergblick keinesfalls sehen wollen – dann sind es vier restalkoholisierte Telegraph-Journalisten oder deren Leser in einem pinkfarbenen Wohnmobil, die jammern, weil es hier kein Brot mit der Konsistenz eines benutzten Schwamms gibt, zur Erbauung Reden von Frau Thatcher hören, und uns auf dem Berg unter die Rodelkufen kommen. So nicht, Freunde der Blasmusik.

Nun wird man aber sagen, dass den Briten gar nichts anderes in Zeiten des Niedergangs ihrer Heimat übrig bleibt. Das Hotel, das Restaurant und den Flug können sie nicht mehr zahlen, und keiner denkt daran, ihnen einen Bailout zu bescheren. Erschwerend kommt hinzu, dass sie tatsächlich nichts haben, was sie noch dem Kontinent anbieten könnten: Die Insel ist weitgehend entindustrialisiert, die “britischen” Autos werden von Deutschen entwickelt, von Indern gefertigt oder gar von den Chinesen geliefert, Wedgwood ging soeben wie viele andere Porzellanhersteller pleite, und niemand braucht hier mehr hochtoxische Bankdienstleistungen aus der City of London, die in den letzten Jahren der Exportschlager waren. So sieht die Kreditkrise am Einzelnen aus: Kein Geld. Ganz einfach.

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Trotzdem sind wir heute bei Tee und Kuchen auf die Lösung der Probleme gekommen. Die Briten nämlich haben durchaus noch etwas, das sie verkaufen können, um dadurch ihren Skiurlaub zu finanzieren, mit dem das Geld gleich wieder in den Alpenraum zurück kommt: Ihr nutzloses Silber. Briten haben 100.000e von weitgehend sinnlos gewordenen Teekannen aus Silber. Sie stammen aus der Zeit, da die Insel noch eine richtige Oberschicht ungefähr an der Stelle hat, wo heute Frau Whinehouse Drogen nimmt und Thronfolger, vorsichtig gesagt, schräge Dinge tun, aus einer Epoche, als die Landhäuser noch nicht bei Sotheby´s verramscht wurden, und ein breites Bürgertum die Würde besass, am Nachmittag niemals im Starbucks mit Kaffee die Mails zu checken. Die silberne Teekanne war der Inbegriff dieser bewundernswerten Einstellung; heute jedoch hat man einen Becher und einen Teebeutel, wenn überhaupt. Und das Silber der Erbtanten läuft irgendwo im Schrank dunkel an.

Das hätten wir hier gerne, schliesslich ist hier noch jede Scheidung verzeihlich, wenn der Tisch ordentlich gedeckt ist. Wir möchten unseren Lesern raten, diese Form des kleinen Bailouts für die einzelnen Briten ebenfalls in Betracht zu ziehen. Es wird unser Schaden nicht sein: So, wie die Vertreter des Telegraph meine Berge tatsächlich mit ihrem pinkfarbenen Wohnmobil verstopften, habe ich heute über das Internet eine massiv silberne, weit über ein Pfund schwere Teekanne ersteigert. Für lachhafte 180,55 Peso. Lachhaft, weil der aktuelle Materialwert des Silbers schon bei 152,52 Peso liegt. 85 Jahre aufbewahren, putzen, pflegen und zur Antiquität werden lassen, bringt den Verkäufern 28,03 Peso. Restwert der Geschichte von drei Generationen. Abzüglich Auktionsgebühr. Man darf darüber nicht zu lange nachdenken, sonst realisiert man, wie schlimm es wirklich ist. Hätte ich die gleiche Menge Silber in Deutschland im Barren gekauft, wären mit der Mehrwertsteuer 28,98 Peso für Herrn Steinbrück dazugekommen. Und Barren, mit Verlaub, sind wirklich nur etwas für Menschen, die nichts von Werten verstehen. Wer einen Barren auf den Tisch legt, ist ein erbärmlicher Angeber. Wer mit einer Silberkanne serviert…

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Sie verstehen. Vielleicht haben Sie ja Kinder. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie toll Kinder verschnörkelte Silberkannen finden. Kinder lieben solche Gegenstände. Nutzen Sie diese famose Gelegenheit und erzählen Sie ihnen die traurige Geschichte der entbürgerlichten Briten, die angefangen haben, mit einem Teebeutel im schmutzigen Pott auf Bildschirme mit Zockerspielen zu starren, statt sich beim Tee in Konversation zu üben, und am Ende so arm wurden, dass sie ihr Silber verkaufen mussten, um sich mit einem pinkfarbenen Wohnmobil nicht zum Gespött der Berge zu machen. Während Ihr Kind dereinst, diese Kanne im Gepäck, die Grand Tour nach Italien im eigenen Roadster* antreten wird. Die Briten sind pleite, aber wir bewahren ihr Erbe.

*Vielleicht wäre unsere Gelegenheit auch gar nicht unpassend, einem verarmten britischen Banker seinen hübschen Austin Healey abzukaufen, bevor auch der Euro den Weg aller Peseten geht.