Una mattina mi son svegliato, e ho trovato l’invasor.
Bella Ciao, (Trad.)
Come un bel di di maggio überquere ich jedes Jahr die Berge, fliege über Pässe und fege durch die Täler, bis ich dann die Stadt Brescia erreiche, die erfüllt ist von blauen Abgasen und dem heissen Dröhnen alter Motoren. Denn an diesem schönen Maientag beginnt hier das Rennen aller Rennen, die Mille Miglia, 1000 Meilen von Brescia nach Rom und zurück, ausgetragen in klassischen Automobilen, die noch echte Pannen, aber keinen Schutz vor Regen und Schmutz bieten – meist steht der erste Bentley mit geplatztem Motor hinter dem Ortsschild, und bei Ferrara liegt mindestens ein 300 SL im Graben. Ein Stuttgarter Werkswagen krepierte 2007 gar schon bei der Anfahrt zur technischen Abnahme, und O*el gibt es hier nicht. Es ist schön hier.
Natürlich sind die Zeiten meines Grossvaters vorbei, der schon Autos in den Graben führte, da andere allenfalls ein Fahrrad besassen. Und so findet sich unsereins in Brescia auch mit Leuten an einem Tisch, denen man nicht vorgestellt wurde, und mit denen man ausser der Liebe zum alten Automobil keinerlei Gemeinsamkeiten hat. Es gibt dort, unumwunden gesagt, gesellschaftlich nicht akzeptables Betragen. Als Tiefpunkt des letzten Jahres empfand ich nicht Stuttgarter Monteure, selbst einen blondlockigen Greis, der ein deutscher TV-Arbeiter bei einer Wettshow sein soll, fand ich erträglich, im Vergleich zu dem Teilnehmer, der seinen englischen Rennwagen mit russischen Papierfähnchen gespickt hatte, als wäre der ein Käseigel. Nichts könnte hier weniger passen; als die echte Mille Miglia mit einem derartigen Modell ausgetragen wurde, herrschte Genosse Stalin über die Russen, und der Grossvater des Piloten blieb auch nicht bei Sterzing liegen, sondern teilte Zwangsarbeiter ein oder tat, was Russen damals sonst so taten: Jedenfalls nicht nach der Bezahlung einer hohen Teilnahmegebühr breit grinsend und protzig einen dümmlichen Nationalismus durch Brescia kutschieren.
Ich wünschte ihm umgehend drei Tage Wolkenbrüche in seiner russifizierten, traditionsgebrochenen Schleuder, und so kam es dann auch: Ich machte drei Tage Bilder im Regen, und der reiche Russe erlebte Italien fast so schön wie die Ukraine im späten November. Italien mag keinen Mangel an Stil. Und für dieses Jahr besteht Hoffnung, dass die Finanzkrise derartige Fressfeinde meiner Klasse von Brescia fernhält: Denn der “reiche Russe” ist dank fallender Rohstoffpreise ein verschwindender Typus auf dem glatten Parkett des alten Europas.
Seit ungefähr 10 Jahren ist der reiche Russe zu einem beliebten Topos von Hoteliers, dürren Maklerinnen, Journalisten und anderen Berufen geworden, die sich aus der Dienerschaft entwickelt und klassischen Abhängigkeiten entzogen haben, nur um sich dem reichen Russen leibeigenschaftlich zu unterwerfen. Fast scheint es, als sei der reiche Russe ihre Gelegenheit, sich endlich an der einheimischen besseren Gesellschaft zu rächen. Als meine Eltern vor dem Petersburger Nobelhotel ihr Gepäck fanden und in eine Absteige an der finnischen Grenze verlegt wurden, steckte das Wirken von reichen Russen dahinter. Wenn hinter einer engen Kurve am Achenpass ein SUV steht und dessen Fahrer an den Felsen uriniert, und man ihn vollgebremst anbrüllt – ein Russe. Die besoffenen Clanstrukturen im winterlichen Ischgl, der Anlass für verlegene Blicke an der Bar im Radisson, das peinliche Benehmen im ebenso peinlichen Quartier 206 – reiche Russen. Wenn Baccarat einen Flägschippstoar von Philippe Starck einrichten lässt, den die deutsche Architectural Digest ganz toll findet – dann ist das in einem zu Tode sanierten Stadthaus bei den reichen Russen in Moskau.
Selbst wenn sie nicht in persona in Erscheinung treten, sind sie als Druckmittel immer anwesend: Dieses Bild ist nicht verhandelbar, das hat schon ein reicher Russe bestellt. Diese Wohnung geht nur zu diesem Preis weg, sonst nimmt sie ein reicher Russe, und zwar bar. Hier ist schon reserviert, für eine Gruppe reicher Russen. Diese Lokäischn mit dem unverschämten Personal und den verbrannten Steaks ist schickque und kuhl, da muss man hin, weil dort die Töchter der reichen Russen sind. Berlin ist eine Weltstadt, weil es die Russen mögen. Das Hotel Heiligendamm hat Zukunft, weil es die reichen Russen entdecken. Man lässt uns wissen, dass der reiche Russe bei einem einzigen Besuch ein besseres Geschäft sei, als der deutsche Stammkunde in fünf Jahren. Nur am Tegernsee, dort, wo ich wohne, hat die Gemeinde Tegernsee das Gelände des ehemalige Krankenhauses reichen Russen mit, Zitat “Geld wie Heu” zukommen lassen, aber die kriegen in der Finanzkrise plötzlich nichts auf die Reihe, mit ihrem angeblichen russischen Bisnäshotel für angeblich reiche Russen.
Es ist ganz einfach: Auch mit einem kaputten Währungssystem, sozialen Unruhen durch krasse Umverteilung von Unten nach Oben, einem vierteldemokratischen Regime mit Mafia und Morden, und besonders einem Ölpreis um die 40 Dollar für das Fass bleiben sicher ein paar Oligarchen in Petersburg, London und Zürich übrig. Aber der normale reiche Russe hat inzwischen ein massives Finanzproblem. Russland und seine Reichen sind in Fremdwährungen hoch verschuldet, und das macht keinen Spass, wenn die eigene Währung Richtung Staatsbankrott tendiert. Der Tegernsee wird obsolet, die Einkaufstouren durch Salzburg und Berlin werden seltener, und all die “Gesellschafts”-Mietreporterinnen werden sich eine andere Elite suchen müssen, an deren Kaufgewohnheiten sie Strassanhänger, übergrosse Markennamen, geschmacklose Konsumklötze und Schönheitskurpfuscher a la mode bewerben.
Manche werden jetzt einwenden, dass ohne die reichen Russen viele Geschäfte in der Friedrichstrasse pleite gehen, dass die Wartezeiten für Bugattis sinken, und junger Malernachwuchs aus Leipzig und Berlin lange keinen Champagner trinken wird. Der reiche Russe war so ein angenehmer Kunde, er hat den Schmuck und das Haus immer bar bezahlt, wie man es sonst nur in Davos von deutschen Schwarzgeldbesitzern kennt. Der reiche Russe war in jeder Hinsicht ein besserer Kunde als die knausrige bessere deutsche Gesellschaft, von der man das Sparen lernen kann, und die man jetzt wieder umschmeicheln muss, da der reiche Russe zum ersten Mal in seiner Geschichte so etwas wie Vergangenheit hat: Seine eigene, und die ist reich, kurz und abgeschlossen.
Zu gern würde man also diesen Maklerinnen a la russe, den Galeristinnen, Sicherheitsdiensten, SUV-Vermietern, Modemachern und anderen geschmacklichen Firlefanschisten raten, doch den liebgewonnenen Kunden in deren Heimat vor und hinter dem Ural zu folgen, statt hier das Ende eines Goldenen Zeitalters zu beklagen, das sein Entstehen der Freiheit der reichen Leute, der Tapferkeit gegen die Wehrlosen, der Ehre der Mörder, der Grösse des Schmutzes und der Unsterblichkeit der Gemeinheit* verdankt. Der reiche Russe geht zwar nach Hause, aber dennoch den Weg aller Mobutus und Imelda Marcos´, er hat jetzt andere Probleme, und sollte ihn das ausgebeutete und betrogene Volk besuchen, seine Berliner Bilder nicht achten und gar die Swarovski-Löwen seiner Frau aus der Zarenstilvitrine werfen – wird es mich an jenem schönen Maientag nicht dauern, da ich wieder über die Pässe nach Italien eile. Leid täte es mir nur um den britischen Rennwagen.
*Brecht, Mahagonny 20