Madl im Bett, Bua im Bett, Bett aus der Feder, Feder am Vogel, Vogel im Ei, Ei im Nest, Nest beim Blatt, Blatt am Zweig, Zweig am Ast, Ast am Baum, Baum in der Au.
Drunt in da greana Au, (Trad.)
In Osteuropa bittet man Sie, liebe westeuropäische Leser aus den wohlhabenden Ländern, dieser Tage um die milde Spende von erheblich unter 1000 Euro pro Person . Diese Wohltat ist nur ein erster Schritt und zahlbar durch Ihre Regierung an das notleidende Osteuropa, das, durch Schulden bei Ihren Banken – wie etwa der Bayerischen Landesbank – momentan am Abgrund steht. Und droht, den Euro und die EU mit in den Abgrund zu ziehen, was Sie hätten verhindern können, wenn sie ebenfalls für die Teilung Europas eingetreten wären. Was weniger als 1000 Euro für Sie persönlich bedeutet, wissen Sie, aber natürlich haben Sie keine Ahnung, was nun eigentlich wirklich der Anlass ist, welche Leute dahinterstecken, weshalb nun Osteuropa diese 180 Milliarden Euro haben möchte, zu denen Sie beitragen werden. Nichts jedoch ist leichter, als diesen Kommplex zu erklären, denn wenn ich nun seit einem halben Jahr aus dem Fenster sehe, steht dort die Begründung: Es ist das Buchsbäumchen der Apokalypse.
Es steht dort draußen vor einem Wohnheim und ist offensichtlich tot. Zu Lebzeiten war es hübsch und zu zwei Kugeln gestutzt, wie die Buchsbäume in den Parks des Rokoko, es war auch üppig und sicher nicht ganz billig. Eine bessere Frau Mama hat es einem besseren Kinde gekauft, als es von daheim auszog und seine Studien in meiner Heimatstadt begann. Wie man am ausgewachsenen Zustand der Kugeln erkennen kann, lebte das Buchsbäumchen eine Weile, und dann muss das bessere Kind beschlossen haben, dass Giessen zu viel der Arbeit ist, und hat es vertrocknen lassen. Vielleicht waren auch Läuse daran, die zu bekämpfen zu viel Stress bedeutet hätte. Als das Buchsbäumchen dann gänzlich braun und tot war, stand es einen schönen Spätsommertages in der freien Luft vor dem Fenster, und erfreut mich, der ich gegenüber wohne, jeden Morgen beim Aufstehen mit seinen nunmehr kahlen Ästen.
Weitet man den Blick, kann man erkennen, dass das Bäumchen recht einsam vor einer Fassade mit vielen Fenstern steht. Hinter jedem dieser Fenster wohnt ein Student, und die meisten sind nicht irgendwas und irgendwo. Sie sind hier, weil sich hier am Ort eine der elitärsten Einrichtungen für Wirtschaftswissenschaften der Republik befindet. Hier studieren Sie Powerpoint und Auditing, Marketing und bei StudiVZ, ob die Dame in der dritten Reihe schon einen Freund hat, oder noch für die Abendgestaltung verfügbar ist. Die Universität hat natürlich auch ein Leitbild, ein christliches Leitbild sogar, das da lautet: “Die Studierenden sollen befähigt werden, Führungs- und Fachaufgaben im nationalen und internationalen Umfeld verantwortungsbewusst, sozial- und fachkompetent zu erfüllen.” Das Buchsbäumchen, das seit einem halben Jahr seinen Kadaver ausstellt, spricht leider eine andere Sprache: Da ist also einer, der seinen Müll allen anderen zumutet, nachdem er es nicht für notwendig befand, sich um die Gabe seiner Eltern zu kümmern. Und Dutzende anderer Studenten sehen keinen Anlass, dieser Person auf dem Gang einen Wink zu geben, seinen Müll nicht mehr der Allgemeinheit zuzumuten.
Man verstehe mich nicht falsch; im israelischen Jaffa etwa ist es auf dem Flohmarkt vollkommen normal, alten Müll auf den Dächern vorrätig zu halten, aber dort verkauft man ihn – in diesem Fall jedoch sprechen wir über exakt jene Kaste, die in wenigen Jahren nicht ehrlich gefälschte Teppiche rund um das Jaffa Hostel verkauft, sondern als Funktionselite in Banken und Firmen über Geldströme, Schulden und Investitionen entscheiden wird. Keiner von denen wird sich mit einem Sachbearbeiterposten zufrieden geben. Wer hier ist, wurde schon bei der Bewerbung ausgesiebt. Das sind die Besten. Trotzdem steht dort das Buchsbäumchen der Apokalypse seit 6 Monaten, und diese unsere Elite, unter denen einer verantwortungslos sein Ableben zu verantworten hat, entzieht sich nun der Verantwortung, das Problem so schneidig anzugehen, wie sie später Abteilungen aufgeben, Humanrohstoffe abbauen und Kassiererinnen feuern werden, die angeblich Bons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen haben sollen. Im eigenen Hinterhof, unter Kollegen, hinter den Fassaden ist man ja gar nicht so. Später würde keine Putzfrau ihren Lohn erhalten, die auch nur ein Blatt Papier im Gang herumliegen lassen würde, aber unter sich kann man schon mal. Elite. Sie verstehen. Hält zusammen. Netzwerke. Und so.
Ausserdem hat es dem Staat und der Kirche gefallen, das Problem optisch abzuschließen. Diesen Ausblick hat nicht jeder, denn der Buchsbaum steht erhöht auf einer Eingangshalle. Davor ist eben jenes Wohnheim, für das man einige alte Bäume fällte. Es wartet nicht nur mit dem Buchsbäumchen der Apokalypse auf, es versperrt auch den Blick aus all den Baudenkmäler, in die es von oben hineinbefohlen wurde, um die Elite zu beherbergen. Geradeaus sehen Sie etwa das Wohnhaus des Gegenreformators Eck, das rosa Gebäude im Hintergrund ist die ehemalige bayerische Landesuniversität, das Monstrum verdeckt den Chor der schönsten bayerischen Hallenkirche, dazu noch das berühmte Jesuitenkolleg, Teile der Revolutionsarchitektur von Klenze, es grenzt direkt an mein eigenes Kollegiatsgebäude an, und verschandelt auch noch den Ausblick, wenn man eine der schönsten Asamkirchen verlässt und sich nach rechts wendet. Dafür aber hat die Elite inmitten wirklich hinreissender Bausubstanz einen hochmodernen, hellgrauen Klotz mit Schiessscharten zur Strasse, der sie einstimmt auf die Herrschaftsarchitektur des Geldes, in dem es immer jemanden gibt, an den man das eigene Versagen deligieren kann. Und andere, die wegschauen. So wie damals beim Buchsbäumchen. So funktioniert Elite: Herausragen und sich um den Rest nicht scheren. Nur so.
Und weil die Finanzwelt nicht nur voller vertrockneter Buchsbäumchen ist, die man vernachlässigte, anderen zumutete und sich reichlich sicher fühlte – so als Elite hinter unnahbaren Mauern zwischen Menschen, die erst gar nicht gefragt wurden, ob sie das so wollen -, weil man ganze blühende Bilanzlandschaften über dürre Felder powerpointete und Ernten ausschüttete, die es gar nicht gab, wird man Sie in Osteuropa nach Milliarden fragen, damit man sich in den Banken von den zurück gezahlten Krediten aus Ihrem Geld wieder viele, schöne, neue Buchsbäumchen hinstellen kann. Neue, bessere Buchsbäumchen, die allesamt so schön sauber, reinlich und nach Wohlstand aussehen, damit Sie auch sonst Ihr restliches Geld eben jenen Banken geben. Ich aber sehe zum Fenster hinaus und weiß schon, warum mein Geld in einem niedrigen Haus an einem Schweizer Dorfplatz ist, und die Bilanz dieser Bauernbank Kredite an die Züchter historischer Schafrassen oben auf dem Stelvio aufweist. Dort gibt es keine Elite, und auch keine Buchsbäumchen der Apokalypse.
Begleitmusik: Wenn ich demnächst dort wieder hinfahre, werde ich Musik von einem echten Genie – und nicht nur selbsternannter Elite – hören, der sich Zeit seines Lebens geweigert hat, einen Job in der Londoner City anzutreten, und im schönen Newcastle upon Tyne als Organist tätig war und blieb: “Concertos in seven parts done from the lessons of Domenico Scarlatti” von Charles Avison, in einer Aufnahme des Ensembles “Cafe Zimmermann “, erschienen beim kleinen und feinen Label Alpha. Überhaupt sollte man sich an alles halten, was klein & fein ist.