Geniessen wir das Papsttum, weil Gott es uns gegeben hat.
Papst Leo X.
[von Don Alphonso und Andrea Diener] San Matteo ist die letzte Kirche unserer Romreise. Sie steht in Verona, gleich hinter dem antiken Tor, und sie füllt sich. Sie füllt sich wie keine Kirche sonst auf diesen 2400 Kilometern von Frankfurt nach Rom. Zu Beginn sind wir ziemlich allein, gegen Ende ist sie bis zum letzten Platz besetzt. Wir, die wir eine Woche kaum ein anderes Thema als den Katholizismus hatten, sind im Chor, über der versammelten Gemeinde, gegenüber hinter den Chorschranken sitzen zwei falsche Blondinen und betrinken sich heftig, hinter ihnen gesellt sich einer Männergruppe dazu, die sie unverhohlen anstarrt. Ein Gruppe sehr gut gekleideter und sehr lauter älterer Ehepaare komplettiert die Besatzung dieses heiligsten Ortes, aber die Gemeinde im Kirchenschiff interessiert das alles nicht. Man müsste sich hinstellen und denen eine Predigt halten, die sich gewaschen hat, dass wir in zig Kirchen in drei Ländern waren, dass wir dort Bettler und Priester gesehen haben, Glanz und Elend, Glaube und dessen Verrat, Beter und Kunstsinnige, fein gekleidete Japanerinnen und Deutsche mit schlimmen Schuhen, aber kein einziges Mal so einen verlotterten Haufen, der kein anderes Interesse hat als Essen, Trinken und vielleicht noch die Sexanbahnung, als wäre das hier keine ehrwürdige Kirche aus dem 11. Jahrhundert, sondern ein zur Kaschemme herabgewürdigtes Haus Gottes, wo jeder, der das Gedeck zahlt, sich im Allerheiligsten den Magen vollstopfen kann. Aber es würde sie nicht rühren.
Denn San Matteo ist ein Restaurant. Ein sehr gutes Restaurant, das von all jenen verschont wird, die an der Arena di Verona grauenvolle Pizzen zu überzogenen Preisen kaufen. Als Napoleon in Italien einmarschierte und bei der Gelegenheit gleich das Papsttum de facto abschaffte, hoben seine Beamten auch diese Kirche auf, die bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts nicht mehr als ein Lager war. Erst dann wurde San Matteo zu einem Restaurant umgebaut, das den Beweis antritt, dass Kirchen durchaus auch ohne Glauben funktionieren.
Genauso, wie die Fragmente des Glaubens auch ausserhalb der Kirche funktionieren. Weil die Kirche den Anspruch erhebt, alle Lebensbereiche eines Menschen durchdringen zu wollen, auch die profansten, ist nichts vor ihr und ihrer Symbolik sicher. Und wenn es nur Symbolik wäre, aber das ist es eben nicht, das sind wirklich Wundertaten und Verwandlungen und Engelserscheinungen, die hin und wieder berichtet werden und die sie dankbar in ihr Repertoire aufnimmt als Beweis, daß der Mythos nach 2000 Jahren noch wirkt und sich noch nicht abgenutzt hat. Und die vor Ort dankbar aufgenommen werden, weil so ein Wunder oder eine Verwandlung oder eine Engelserscheinung ein schlagkräftiges Argument im Glaubenswettbewerb sein kann, was sich letztendlich auch in barer Münze auszahlt. Und das geht, weil sich immer Menschen finden werden, die dankbar an Wunder glauben möchten, wenn sonst nichts mehr hilft.
Ein solcherart anschaulich gemachter Glaube generiert Bilder, die gerne auch aus dem Kontext gerissen werden, aber stark genug sind, daß sie auch ohne Kontext sofort zugeordnet werden können. Und damit werden die Bilder schließlich Dekoration, gleichwertig mit keltischem Geknote oder ägyptischen Hieroglyphen, einfach nur ein weiteres Angebot auf dem Gebiet vage mystelnder Zeichenhaftigkeit, das man sich irgendwohin tätowiert, um ein klein wenig geheimnisvoller zu erscheinen. Und hat diese artfremde Verwendung von Glaubenssymbolen nicht immer etwas leicht anstößiges? Aber etwas trotzdem Braves, weil es so leicht ist, damit zu provozieren?
Dabei gäbe es auch innerhalb der Kirchen genug Anlaß für Anstoß: Was, wenn aus Fleisch und Blut, verdammt wird, ist als marmornes Abbild durchaus tolerabel und darf seine Geschlechtsmerkmale aufreizend in den Gebetraum strecken, hier etwa in der gotischen – und nicht profanisierten – Kirche Sant’ Anastasia in Verona. Es ist ja für einen höheren Zweck. Es wird ja schließlich eines Toten gedacht. Ja, die Sepulkralkultur war schon einmal sehr viel interessanter und farbiger als sie momentan daherkommt mit ihren nierentischförmigen Grabklötzen und Würde behauptenden Koniferen, die eher an ewige Verdammnis gemahnen als irgendjemandem Trost und Erlösung versprechen, schon gar nicht den Hinterbliebenen, die den Granit fegen müssen. Die Leichtigkeit ist verschwunden, die Körperlichkeit, die Bildhaftigkeit – da kann es niemanden verwundern, wenn sie sich über das Hintertürchen einer modischen Tätowierung wieder Eintritt verschafft.
In Sant’ Anastasia findet sich dann vielleicht auch der Urgrund alles Bösen, das kunstgeschichtliche Fanal zur Auflösung kirchlicher Dominanz und die Abkehr vom der Aufgabe des Christenmenschen, sich im Kampf gegen den Unglauben zu bewähren: Pisanellos heiliger Georg, der seine ikonigraphische Karriere in der Kirche als Drachentöter begann. Der Heilige, der im Durchstossen der Tatzelwurmgurgel nicht nur das Monstrum erlegte, sondern damit zum personifizierter Kämpfer gegen den Pesthauch des Weltlichen, der kollektiven Sünde und der Häersie aufstieg, und dabei eine Stadt und die als Opfer ausersehene Königstochter rettete. Im gesamten Mittelalter ist die Ikonographie einzementiert; man sieht den Moment des entscheidenden Angrifs und Sieges. Nicht so bei Pisanello:
Kurz nach 1433 malt er eine höfische Szene, für die der Kampf gegen den Drachen nur noch ein Anlass für ostentativen Prunk und Reichtum ist. St. Georg tritt uns hier nicht mehr als Krieger gegenüber, sondern als junger Edelmann, der sich von der Tochter des Königs verabschiedet, als ginge es zur Hirschjagd, oder zu einem anderen Vergnügen der Elitenkultur der Hochrenaissance. Pferd und Kämpfer sind aufwendig geschmückt, die Gefolgschaft plaudert im Hintergrund, und zu den Füssen sieht man einen Jagdhund. Irgendwo ganz hinten ist dann das Untier, das es zu erlegen gilt, aber wenn man das nicht erkennt – und nachdem das Gemälde hoch oben im Kirchenschiff liegt, ist es gar nicht so leicht zu finden – bleibt von all dem Gotteskriegertum nur eine schicke Landpartie in einer Welt, in der alles von selbst geregelt wird: Der Adel bekommt die schönsten Frauen, in der Stadt dahinter überragen Kirchen und Wehrtürme der Oberschicht alles andere, und die Unterschicht hat auch ihren Platz: Mit runtergelassenen Hosen am Galgen.
Das jedoch ist nicht das Interesse dieses Heiligen: Goldgelockt und alles andere als uneitel wendet er sich von den Baumelnden ab und dem Betrachter zu, und die Königstochter, die stundenlang an ihrer Haarpracht gearbeitet haben dürfte, zeigt an ihm kein anderes Interesse als jenes, das man in der Welt nicht allzu gut kennen würde. Pisanello negiert die einigende Kirche und die “Brüder im Herrn”, er macht seine eigene, elitäre und im Hier und Jetzt verankerte Gesellschaftsvision auf, für die der Glauben nur noch ein Anlass für Repräsentation ist.
Was also erhält die Kirche, den Glauben, wenn sich die Gesellschaft abwendet? Die Restaurierung ihrer Innenräume ganz sicher nicht, wie auch nicht die Besuche derjenigen Heiden, die Kunst und Glaube erfahren, sich dem aber nicht hingeben wollen. Auch nicht die Touristen, die kommen, weil man das angeblich gesehen haben muss, denn es steht ja im Baedeker. Vermutlich auch nicht die Mediengesellschaft mit ihren sozialen Bluescreens, für die der Papst durch seine Wahl, seinen Tod und die Feiertage zum Spektakel gleich nach der neuesten Superstarmodellskandalnudel herabgewürdigt wird, zum Volksbibelstifter der Gossenpresse, und Endemol würde, wenn sie dürften und es Quote brächte, demnächst sicher auch den Superpapst wählen lassen, mit SMS-Abstimmung und Webcam aus dem Conclave.
Man reist nach Rom, ins Zentrum der katholischen Christenheit, um zu verstehen, man sieht all die Zeugnisse des Glaubens, profan, eitel, schlicht, rührend, nichts Menschliches ist ihnen fremd, da stehen sie in bester Tradition mit dem Kirchenvater Augustinus, der das zu seinem Wahlspruch machte. Man sieht die Bettler an den Türen und die knackigen Priester im Kalender, die Zeugnisse von Macht und Niedertracht, von Glaube und Hoffnung, und manchmal, wenn eine Helferin die Palmzweige verteilt, sogar so etwas wie Liebe. Die Bilder sind stark und die Inhalte bewegend, aber es ist alles. Und nichts. Es hebt sich gegenseitig auf, es ist beliebig und postmodern, zusammengehalten von der Überzeugung, dass dieser jüdische Rabbiner damals wirklich der Messias war, wie man es in der Schule lernt, und ansonsten: Nichts, was einen mit Erkenntnis erfüllt über den Gardasee, Meran, den jaufenpass und Innsbruck zurück nach Deutschland fahren lassen würde.
Kurz: Wir haben alles gesehen und nichts begriffen. Nun, vielleicht nicht alles gesehen, aber doch sehr viel. Und wir waren in sehr viel mehr Kirchen, als wir hier im Blog auf dieser Reise haben beschreiben können. Darum geht es dann auch in der Verlosung für die treue Leserschaft, denn wir haben unterwegs zwei Fresspakete für Herz und Bauch zusammengetragen, mit Würsten aus Kalabrien, Pasta aus Umbrien, Speckmesser aus Brixen, Salz aus dem Meer, Knoblauchpaste aus Verona, Panforte aus Siena, Caccioricotta, ein grandioser, in feinen Scheiben zu grillender Käse aus Mantua und – den Priesterkalender aus Rom. Die FAZ war so gütig, als Gegengewicht auch noch die Autobiographie von Marcel Reich-Ranicki beizugeben. Die Preisfrage lautet: Wie viele Kirchen haben wir auf dieser Reise insgesamt besichtigt? Schicken Sie einfach bis kommenden Sonntag, 19. April, 24 Uhr eine Mail an donalphonso ät gmail dot com mit der von Ihnen erratenen Zahl, die beiden, die der Zahl am nächsten kommen, erhalten dann die Pakete. Sollten mehrere die richtige Zahl – oder bis Sonntag die besten Annäherungswerte – gefunden haben, gewinnen diejenigen, die zuerst die Zahl geschickt haben. Wir melden uns dann per Mail und erfragen die Adresse, wir wollen keine persönlichen Daten. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, aber natürlich nicht der Beistand von Oben.