C’est le souverain Bien, le reste n’est rien.
François Francœur, Amans, voulez-vous être heureux (Alpha 076)
Herr Burda ist ein kunstsinniger Mann. Herr Burda ist auch Besitzer eines bekannten Medienkonzerns. Und in der zweiten Eigenschaft hat Herr Burda in diesem Blatt einen Beitrag geschrieben, wie unfair es im Internet zugeht: Grob gesagt werde das Geld nicht mehr durch Verbindung von hochwertigen und teuren Inhalten mit Werbung verdient, sondern mit der Suche nach Inhalten und der bei der Suche geschalteten Werbung. Vereinfacht gesagt: Herr Burda will, wie so viele andere Verlage auch, Geld von Google und anderen Suchmaschinen. Es geht um das Urheberrecht und die Frechheit mancher, sich alle Inhalte nicht mehr brav bei der eigenen Publikation abzuholen, sondern sich das Gewünschte zusammen zu suchen, wie es ihnen gefällt. Das betrifft die Musik, die nicht mehr in Alben mit zwei Hits und all den Füllstücken gekauft werden, es betrifft aber auch die Medien. Dazu hätte ich einiges anzumerken.
Ein wenig kunstsinniger Hinweis hat mit meiner eigenen, auch nicht immer kunstsinnigen Vita zu tun. In jenen schwarzen Tagen der New Economy war ich in München, der einzigartigen Munich Area, wie man damals sagte, in jenen Kreisen der Startups und Finanziers gern gesehener Gast. Am Anfang war das alles auch noch amüsant, die Buffets waren gut und die Chancen für junge Mitarbeiter exzellent. Damals wurden von einer Tochterfirma von Burda namens Tomorrow Focus kräftig angeworben, bei Medien, Universitäten und auf dem freien Markt. Büros wurden angemietet, eine sehr teure Werbekampagne mit einem Promi gedreht, und all das zu dem Zweck, Netguide nach vorne zu bringen. Netguide sollte, oh Wunder, eine dieser heute verdammten Suchmaschinen werden. Zu jener Zeit drohte jedoch der ganze Konzern in Schieflage zu geraten, und so wurde Netguide nach heftigen Millionenverlusten mitsamt Kampagne abgeblasen, ohne das Licht des Internets zu erblicken. Die Leute wurden damals in ein berufliches Nichts gekippt, in dem auch die Buffets nur noch Fingerfood waren. Man möchte Herrn Burda dennoch fragen: Wie würde seine Rede heute lauten, wenn Netguide zum neuen Google geworden wäre? Und wie steht er eigentlich zur Verteilung der Werbeeinkünfte von Fitter.de und Travel IQ? So heissen nämlich die Suchmaschinen für Gesundheit und Reise, an denen sich Burda erst vor Kurzem selbst beteiligt hat.
Nun sind wir hier in diesem Projekt allerdings in der übersättigten und besseren Gesellschaft, und neben Zweitoldtimer, Dreifachgarage und Viertwohnsitz ist auch eine feine Doppelmoral nichts weniger als ein Zeichen des Umstandes, dass, wer ko, der ko, wie man in meiner schönen bayerischen Heimat so trefflich zu sagen pflegt. Ich ko, und zwar sowohl doppelmoralisch als auch kunstsinnig.
Denn ganz ehrlich: Ich kann dieses Gejammer nicht mehr hören. Das Geheule von Plattenfirmen, dass die Kunden den billigst abgemischten Kommerzpop inzwischen billiger beziehen, als er hergestellt wird – das ist in meinen Augen nur angemessene Preisfindung. Die Klagen von Herrn Burda, seine wertvollen Inhalte würden schleichend enteignet – was meint er damit? Auf Focus.de finde ich den gleichen Infomüll wie überall, angereichert mit einem “Strandführer Ibiza” und “Richtungsstreit in der Busenpartei“. In den Produktplatzierungssumpf der Freundin muss man dabei erst gar nicht hinabsteigen. Mit Verlaub: Da ist die Zahlungsbereitschaft der Leser nur angemessen. Andere kunstsinnige Männerfreunde von Herrn Burda, wie Springer, die Süddeutsche Zeitung und Gruner + Jahr bedienen sich bei Bildern und Videos schamlos aus dem Netz und bringen kostenlose PR-Fotos zum Abwinken, und darunter findet sich in den Nutzungsbedingungen der fette Hinweis auf ihr eingebildetes Urheberrecht. Warum sollten Leser und Google nicht genauso wurschtig, beliebig und desinteressiert sein, wie die Inhalte, die man ihnen darbietet?
Denn es geht auch anders. Ganz anders. Ich stelle hier jeden Freitag am Ende meines Beitrages eine CD vor. Eine CD aus dem grossen Angebot der Plattenfirmen, die sich mit alter Musik beschäftigen. Es ist nichts, was man im Radio hören würde, aber für Kenner ein Genuss, anders als Wohlfühlklassik und Wellnessbarock, anspruchsvoll in Inhalt und Aufmachung. Und niemand, kein Label und kein Herausgeber dieser Szene käme auf die Idee, sich laut über Raubkopien zu beschweren. Denen geht es gut. Alle paar Wochen kommt ein neues Label hinzu. Weil die Raubkopie in diesem Bereich der Musikindustrie kein Thema ist. Und das nicht, weil die typische Musikanlage der audiophilen Käufer die 20 Euro für eine CD irrelevant erscheinen lässt, oder die Käufer Extremisten sind, die datenreduziertes mp3 für eine Ausgeburt des Teufels halten. Es liegt daran, dass diese Firmen ein Angebot machen, das man gerne annimmt, und das sich mehr als die Raubkopie lohnt.
Ausgehend vom Label Alpha aus Frankreich wurden in den letzten Jahren Tonträger geschaffen, die meinesgleichen begeistern. Diese CDs sind schön und haptisch befriedigend. Man kann sie neben die besten Bücher des Rokoko stellen, ohne dass es ein Stilbruch wäre. Die Hüllen sind nicht aus Plastik, die Informationen sind präzise und umfassend, und in allen Aspekten ist es den Firmen gelungen, einen Gegenstand herzustellen, den man exakt so haben möchte. Diese CDs sind dauerhaft, elegant, eine Bereicherung für das Leben, und in jeder Hinsicht das Gegenteil einer Burda’schen Kruschkiste wie Focus Online, sie sind hochwertig, begehrenswert, etwas, zu dem man sich bekennen kann, ein Ausdruck des Besitzers. Es gibt in den Begleitbüchern keine seitenlangen Verbote des Verleihens und Weitergenbens, man vertraut den Käufern, und ich würde meine CDs auch niemandem zum Kopieren geben. Ich wünsche, dass man diese Ersteller des digitalen Datenträgers CD finanziell belohnt. Gleichzeitig bin ich hocherfreut, wenn das Kommerzgedudel grosser Labels wegen der Klauerei vor die Hunde geht. Ich empfinde das als gerecht.
Obwohl es das natürlich nicht ist, laut Gesetzbuch. Aber bei meinen Plattenfirmen habe ich den Eindruck, als Kunde und Kenner geschätzt zu werden. Bei der Plattenindustrie der Popmusik bin ich nur der potenzielle Dieb. So geht man mit mir nicht um. Für Herrn Burda bin ich die halbe Schlachtsau, die möglichst effektiv auf seinen Seiten ausgeweidet wird, ein Klickdepp, der sich die Inhalte nur anschaut, damit die Kasse über die Werbebanner klingelt. Genau so, mit Verlaub, lesen sich die Produkte von Burda auch. Und genau so möchte ich nicht behandelt werden. Mitunter muss ich damit leben. Aber ich gedenke nicht, dafür zu zahlen. Weder für Google, noch für die GEMA, eine Content Flatrate (allein schon der den Billigheimern und dem Alkoholismus entlehnte Name!) oder den kunstsinnigen Herrn Burda.
Herr Burda ist ein kunstsinniger Mann. Er würde an dieser Stelle sicher einwerfen, meine Haltung sei elitär, achte nicht die Bedürfnisse der Massen und verweigere sich einer Realität, die sich hinter meiner Welt des Stucks und der Streublumen erstreckt, mit nackten Mädchen, die auf Seite drei und nicht auf einer Rötelzeichnung sind. Seinem Geschäft ist mit meiner Haltung nicht geholfen, es sei schon immer so, dass Verlage für die Inhalte Geld bekämen, und nun würde das unterlaufen. Ein anderer käme vielleicht sogar mit dem Einwurf, es gefährde die Pressevielfalt, und verhindere zudem den Diskurs etwa über jenen “Richtungsstreit der Busenpartei“. Ich muss gestehen: Natürlich bin ich elitär. Ich habe das Geld, das jene Herrschaften wollen. Ich bin der Kunde, ich bin oben, sie unten. Ich kaufe, was mir gefällt. Sie sind die Diener. Ich bin froh und dankbar, kunstsinnige Männer zum Diener zu haben, da gibt es noch ganz andere Figuren in der Szene, und ich bemühe mich selbst redlich, meinen Lesern kunstsinnig und anregend zu dienen. Ich habe absolut kein Problem damit, wenn mir Google Leser schickt. Bin ich gut genug, dass es ihnen gefällt, werden sie bleiben, verweilen und nebenbei zum Wohlergehen der FAZ beitragen. Bin ich nicht gut genug, muss ich besser werden. Gut genug für die Leser und besser als eine dumme, nicht kunstsinnige Suchmaschine. Das sollte nicht so schwer sein.
Ich bin gern elitär. Ich finde, jeder sollte elitär sein. Es gibt auf dieser Welt und im Internet nicht zu viel Niveau, sondern zu viel kostenoptimierten Müll, der suchmaschinenoptimiert Google zur Müllmaschine macht. Dass die Nutzer in diesem Müll wühlen, dass Google so viele Klicks von genervten Suchern bekommt, die irgendwann angeödet auf eine Anzeige drücken, ist gerade kein Zeichen von zu viel Qualität, sondern ein Zeichen des Mangels, und da unterscheidet sich Google keinesfalls von den Favelas in Südamerika und Prenzlauer Berg. Natürlich sollte man da rauskommen. Aber die Lösung des Mülls ist nicht die bessere Finanzierung des Abfalls, sondern ein besseres, müllfreies Angebot.
Und ich hoffe, dass Herr Burda, der ja ein kunstsinniger Mann ist, das auch so sehen könnte.