Die Schweine ändern sich, der Trog bleibt.
Meine Grosstante Mami
Am Samstag gehe ich auf den Wochenmarkt. Ich könnte schlanker sein, und kaufe deshalb noch etwas bewusster als sonst ein. Bei Frau D. etwa Feldsalat aus Eigenbau, und keine Trüffelbutter. Ich erkläre das mit meiner Figur; Frau D. versteht die Vertraulichkeit und empfiehlt mir, vor jedem Essen ein Glas Wasser zu trinken, das füllt den Magen, und dann isst man wenig. Das aber, betone ich, wäre doch schlecht für sie und Frau M. und Herrn S. vom Käsestand und überhaupt solle sie doch bedenken, dass sie alle älter sind als ich – sicher kann meine Nahrungsaufnahme mein Leben verkürzen, doch ist es nicht wahrscheinlich, dass sie davon in ihrer Lebensspanne davon Einbussen erleben. Im hier und jetzt jedoch wäre der Ratschlag eher ihrer Geschäfte hinderlich. Frau D. aber insistiert, dass man mit dem Glas Wasser schon früher am Essen gespart hätte. Ich bin etwas überrascht, denn Frau D. besitzt nicht nur eine famose Trüffelquelle, sondern auch einen üppigen Bauernhof in bester Lage, wo man sich die Bauern eigentlich rund wie Tonnen und voller Cholesterin bis in die Haarspitzen vorstellt. Dem aber scheint nicht so zu sein, man habe gespart, wo es nur ging, berichtet Frau D.. Ich klage noch etwas über meine Figur, und Frau D. antwortet, sie hätte hier noch ein Packerl Trüffelfettucini, das angerissen sei, sie dürfe es nicht verkaufen, aber sie wolle es auch keinesfalls wegwerfen, also schenke sie es mir. Ich will gar nicht wissen, was passieren würde, wenn ich behauptete, ich sei zu dünn.
Am Montag bin ich zuerst am Tegernsee, wo ich in dieser Jahreszeit lange sitze und über Zeit nachdenke, und dann in München. Nach den Geschäften erreicht mich der Anruf einer Bekannten, ob ich nicht Lust hätte, Essen zu gehen. Ich sage, ich bin zu fett und nichts passt mir mehr, und sie sagt, wir treffen uns in einer Stunde in einem beliebten Lokal im Glockenbachviertel, wo sich die Leute so zerrissen stylen, wie sie in Berlin der Not gehorchend sind. Meine Bekannte lässt es sich nicht nehmen zu bezahlen, weil sie, abergläubisch wie sie ist, das Schicksal heute mit sich versöhnen möchte.
Es sei nämlich so gewesen, sie war zu Mittag mit Kollegen essen. Ein Kollege, der sich trotz Unterhalt für die Erstfrau eine Zweitfrau mit Kindern und Pferden leistet, gehört ansonsten zur sparenden Gattung Mensch, und für dieses Bestreben sah man sich genötigt, ein günstiges Restaurant aufzusuchen, wo er das Schnitzel von der preiswerten Tageskarte bestellte. Und kein Getränk, natürlich, denn Getränke sind unverhältnismässig teuer. Die Bedienung verlangte 6,90 Euro. Er gab ihr 10 und meinte, den Rest könnte sie behalten. Sie verliessen die Gaststätte, und draussen sah er auf die Tafel, die den Preis des Schnitzels verkündete. Die Bedienung habe ihn betrogen, empörte er sich, sie habe 9,90 gesagt. Seine Kollegen jedoch hatten 6,90 vernommen, und sie beschichtigten, er musste sich verhört haben. Das jedoch erzürnte ihn noch mehr, und es hätte trotz der Proteste aller Anwesenden nicht viel gefehlt, und er hätte das Lokal erneut betreten und der Bedienung die drei Euro wieder abgenommen. Erstaunlich bei einem Mann, dessen Stundensatz beinahe im vierstelligen Bereich liegt. Am Nachmittag liess er einen Hausjuristen prüfen, ob er nicht doch seinen Anspruch auf das zuviel bezahlte Trinkgeld durchsetzen könnte. Und deshalb, sagt meine Begleiterin, sehe sie sich nun veranlasst, die Gerechtigkeit auf der Welt mit mehr Trinkgeld wiederherzustellen.
Mittwochs, ich bin längst zurück am Tegernsee, ist das Wetter nicht perfekt. Es ist etwas zu kühl für meine Garderobe, also fahre ich nach Bad Wiessee zu einem ersten Haus am Platz. Dort entdecke ich einen hübschen Merinopullover, und auf dem Weg zur Kasse springt mich hinterrücks ein dreistes Kaschmirsakko an, das zudem zu meinem neuen Hut passt. Ich finde diese Art der Selbstvorstellung ungehörig, aber denke mir dann, dass dieses Sakko nicht so teuer ist wie jene Grippe, die ich unzweifelhaft bekomme, wenn ich zu dünn angezogen am See sitze, und beschliesse, mit dessen Erwerb Krankheit und Medikamente einzusparen.
An der Kasse dieses ansonsten dank Hemschwellenarchitektur nicht überfüllten Geschäfts stehen schon etliche Herren, und ganz vorne gibt es ein Problem. Offensichtlich war eine Hose nicht richtig ausgezeichnet, was die Verkäuferin bemerkte. Der Käufer, ein reichlich lauter Schwabe mit sehr blonder Frau in Hermès, ist offensichtlich nicht bereit, das zu akzeptieren, und verlangt, die Hose aus dem Sonderangebot zum noch niedrigeren Preis auf dem Bapperl zu bekommen. Die Verkäuferin bedauert, dass sie es nicht machen kann, woraufhin der laute Schwabe noch etwas lauter wird und am Ende von der standhaften Verkäuferin ihren Namen verlangt; er werde da beim Chef mal anrufen und nachfragen, wenn sie auf dem höheren Preis bestehe. Die Frau in Hermès schaut unterstützend giftig. Mit stoischem Gleichmut ignorieren sie die dezenten Blicke auf die Uhren, mit denen die Nachfolgenden andeuten, dass sie nun genug gesehen haben. Irgendwann geht der Schwabe, seine Frau nach sich ziehend, zackig aus dem Geschäft. Ohne Hose. Ich bin ohnehin der höflichste Mensch, aber ich behandle die Verkäuferin mit allerhöchsten Zuvorkommen, und sage, sie habe das gut gemacht.
Am Freitag habe ich genug vom schönen Wetter am See, zudem kommt schlechtes Volksparteienvolk nach St. Quirin in meiner Nachbarschaft, und meine Vorräte sind am Ende. So beschliesse ich, den Heimweg an die kleine, dumme Stadt an die Donau anzutreten. Bei der Gelegenheit statte ich meinen Eltern einen Besuch ab und transportiere einen kleinen Teil des frostempfindlichen Urwalds in den Keller. Es kommt auch der Mann von der Kriegsgräberfürsorge und wird nicht ohne Spende weggeschickt, aber er erzählt, dass es hier nicht überall so ist; genauer, nirgendwo sei die Spendenbereitschaft geringer; im Gegenteil, er hörte schon brüskierende Sprüche wie “Mir schenkt auch keiner was” – so gesprochen an einer hohen Tür der kleinen, dummen Stadt. Womit mir Ursache und Wirkung gleichermassen ausgedrückt scheint, denn von grosszügigen Menschen hört man dergleichen nicht.
Also, wobei ich natürlich auch sagen muss, dass mir die Grosszügigkeit der offensichtlich sozial benachteiligten Unterschichten im Deutschen Bundestag mitunter etwas zu weit geht. Meine Mutter erzählt mir von jenen Abgeordneten, die sich auf Bundeskosten jene Schreibgeräte bestellten, die man eigentlich einfach hat, wenn man aus einer halbwegs ordentlichen Familie kommt; sei es durch Geschenk oder Erbfolge. Ich kannte sogar Startup-Gründer, die sich ihre Füller selbst kauften; darunter muss man wohl auch Leute ansiedeln, die sich Volksvertreter nennen. Meine Mutter bringt mir den Spruch in Erinnerung, den meine Grosstante prägte: Die Schweine ändern sich, der Trog bleibt.
Es schmerzt mich sehr, nach dieser Woche ausgerechnet der ZEIT und mit Frau Dückers einer Berliner (!) Autorin Recht geben zu müssen, aber nach den Erfahrungen dieser Woche, die sich lückenlos in meine sonstigen Erlebnisse mit der Sparsamkeit in meinen Kreisen einfügen – und manche zu berichten wäre an dieser Stelle beim besten Willen nicht schicklich – nach all den Erlebnissen schient es mir absolut nicht sinnvoll darauf zu hoffen, dass die sogenannten Leistungsträger der Gesellschaft bereit wären, freiwillig den Benachteiligten Gaben zukommen zu lassen. Ich kenne in meinen Kreisen zu viele Sprüche – meinst Du, ich hau mein maul an das Tischeck hin, wir kommen von Federn auf Stroh, lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt etwas geschenkt – die die einzige Weisheit des Reichtums verkünden: Reich wird man durch behalten, arm wird man durch hergeben.
Von dieser Weisheit leben nun mal Steuerberater und Schweizer Banken, Berliner Lobbyisten und Heerscharen von Journalisten, die der Umverteilung das Wort reden. Von Oben jedoch käme nur dann etwas zurück, wenn man bereit wäre, ärmer zu werden. Wer im Rahmen der Erfindung einer aufgeschlossenen, reichen, gebildeten und dennoch sozial bewussten Oberschicht im schwarzgelben Deutschland behauptet, das läge im Wesen meiner Klasse, kennt sie entweder nicht, oder er lügt. Es gibt Lippenbekenntnisse, es gibt öffentlich sichtbare Charity, aber im Kleinen wird das Preisbapperl umgeklebt, und nach dem Schnitzel auf dem Klo aus dem Wasserhahn gesoffen. Und es gibt natürlich Frau D., und ihre famosen Trüffelfettucini. Aber auf die Ausnahmen würde ich mich nicht verlassen wollen.
Begleitmusik: Ich möchte mich hier auch gar nicht der Hoffnung hingeben, dass es in den besseren Kreisen des italienischen Spätmittelalters anders zugegangen ist. Die Höfe waren auch damals schon Rattennester voller Giftmörder und selbstgerechter Beutelschneider. Die Klöster pinselten die Akte der Nächstenliebe in prunkvolle Codices und liessen die Armen vor den Toren krepieren, denn das Elend in den Städten hielt die Preise für die Arbeiter niedrig, die gerne übersehen werden, wenn man den Reichtum der Renaissance bewundert. Immerhin hat diese Epoche mehr hervorgebracht als Auswahlsendungen mit Popmusik: Suso in Italia bella nennt sich die ausgesprochen feine CD des Ensembles La Reverdie mit Musik von den Höfen und aus dem Klöstern jener Epoche, die, spät Nachts gehört, einen fortträgt von all den Bildern der kleinen, dummen Gier der besseren Gesellschaft.