Fanny Pistor dagegen verspricht, so oft als tunlichst Pelze zu tragen, und besonders wenn sie grausam ist.
Unterwerfungsvertrag von Leopold Ritter von Sacher-Masoch für Fanny Pistor, 1869
Pünktlich um 17 Uhr rief mich das Auktionshaus an. Die Bücherschränke kämen jetzt zum Aufruf, sagte er, und im Hintergrund hörte ich schon: Nummer 2214, Limit 100, schriftliche Gebote liegen bis 200 vor, bietet jemand mehr. Im Saal meldeten sich Käufer, darunter vielleicht auch die Frau in meinem Alter, die sich bei der Vorbesichtigung so intensiv um die Schränke bemüht hatte. Man überbot sich, erreichte einen hohen Preis, und ich verzichtete darauf, mich zu beteiligen. Dann kam unter 2215 der zweite Schrank zum Aufruf. Die Abläufe wiederholten sich, zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten.
Doch anstatt nun zu Nummer 2216 weiter zu gehen, teilte der Auktionator dem Publikum mit, dass ein telefonischer Bieter für beide Schränke bieten wollte. Im Saal stöhnte eine Frau, die Preise wurden addiert, und ich wurde gefragt, ob ich das zu bieten bereit sei. Natürlich. Es stöhnte im Saal. Und jemand hielt dagegen. Ob ich…? Natürlich. Stöhnen. Wieder wehrte sich der Saal. Ob…? Aber sicher. Stöhnen. Zum Ersten, zum Zweiten. Der Saal zuckte noch einmal stöhnend. Ich gehe drüber! Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Stöhnen. Lautes, entsetztes Stöhnen. Da sah jemand schon seine Bibliothek mit Schränken erweitert, die er sich nicht leisten konnte. Man gratuliert mir, ich bedanke mich, Montag schicken sie die Rechnung. Woanders, möchte ich vermuten, nahm nach hoffnungsfrohem Beginnen ein schrecklicher Tag seinen Verlauf.
Man sagt ja, dass Essen der Sex des Alters sei, aber ich würde bei den Angehörigen der besseren Kreise behaupten, dass das Auktionshaus das Bordell der älteren Reichen mit ausreichendem Bildungshintergrund ist: Gewollt wird viel, aber nicht jede Hoffnung erfüllt sich. Von einem Freudenhaus ist hier keinesfalls zu reden: In aller Regel gelten die Käufe als zu teuer, denn man hat beim Heben der Hand nie an die zusätzlichen Gebühren gedacht. Und die schönsten Gemälde, Sekretäre und Bücherregale sind stets jene, die man unter lautem Stöhnen nicht bekommen hat. Mit derlei gekauften und entgangenen Imponderabilen des gehobenen Lebensumfeldes lassen sich Opernpausen bestreiten und langweilige Einladungen überbrücken, und gemeinhin war es stets teuer oder zu teuer, man wurde an seine Grenzen gebracht, oder es wurden einem die Grenzen aufgezeigt.
Diese schlechte Laune, die bei Bedarf auch nach Jahren wieder hervorgeholt wird – damals, in den späten 80ern, hätte ich bei Neumeister noch, aber dann habe ich doch nicht – ist erstaunlich angesichts von Betroffenen, die ein Schicksal beklagen, das sie zwingt, fünfstellige Eurobeträge zu behalten, sie nicht in Leinwand zu stecken und sparend für andere Zwecke aufzubewahren. Und all das nur, weil es jemanden gab, der noch ein wenig mehr zahlen wollte. Was bleibt, ist das bescheiden angenehme Wissen, dass man den anderen sauber hochgetrieben hat, und die kleine Hoffnung, dass einem selbst nicht so oft geschah, wie mir etwa mit meinen Bücherschränken. All das Gejammer, von dem ich mich ausnehmen möchte, denn Bücherschränke können gar nicht so teuer sein, um nicht gut investiert zu sein, solange sie nicht von Ikea und anderen Geschäftemachern mit anderer Leute Elend kommen – all das Gejammer ist so unerquicklich, wie das Lächeln des nachlässig bekleideten Mannes hocherfreut war, der gestern in der Bahnhofunterführung hinter einem Müllkorb einige dort deponierte Pfandflaschen entdeckte.
Was unweigerlich zu der Frage führt, wie es denn mit dem Glück in den besseren Kreisen aussieht. Angesichts der sporadisch im Tegernsee schwimmenden, schmuckbehängten Frauenleichen und den hochroten Gesichtern, sobald man auf das Thema Steuern kommt, kann es damit nicht immer und überall allzu weit her sein. Die Einstiegsklasse in das mangelnde Wohlbefinden liegt aber schon weit darunter: Der vielleicht skurrilste Augenblick meines Lebens mit reichen Menschen war einer der hundert reichsten Deutschen, der sich allen Ernstes eine halbe Stunde Zeit nahm – eine halbe Stunde wohlweislich, die man mit jedem anderen Thema und Zeitvertreib hätte zubringen können – sich über das verwaltungstechnische Elend zu beschweren, das ihm die geringfügige Beschäftigung eines Gärtners verursachte.
Während es bei armen Menschen zumeist das Schicksal zu sein scheint, das ihnen die schweren Stunden bereitet, ist das Luxusproblem eher die alltägliche und selbstbestimmte Sorge der vermögenden Klassen. Lieferte im vorletzten Jahrhundert eine fragwürdige Moral den Anlass für all die Anna Kareninas aus höheren Kreisen, vor die Züge zu springen, oder aber, so männlich, sich bei einem Duell von einem anderen Idioten gleicher Machart den Bauch durchlöchern zu lassen, sind die Anlässe für derlei Betragen in der liberalen Gesellschaft nach 1968 eher frei wählbar, und sie werden auch gewählt. Fast mag es scheinen, als wäre einem Menschen generell einfach nur ein gewisses Mass an Glück und ein bestimmtes Quantum an Elend zugesichert: Der Reiche kann sich die Anlässe öfters frei aus einer breiten Palette von Gelegenheiten heraussuchen, und wenn es die ungleichmässige Maserung seines Marmorwaschbeckens ist. Nichts garantiert ihm, dass sein Kind mit der Farbe des neuen Motorrollers höchst unzufrieden ist, während in Afrika ein erdgefülltes Tuch den Kindern einer Strasse im Slum zur Fussballfreude gereicht.
Es ist nicht nett, wenn man die Luxusprobleme auf das Elend der Gewöhnung zurückführt, aber historisch gesehen kann man es kaum bestreiten: Kamen vor 100 Jahren die Damen noch an den Tegernsee, um sich hier ein wenig Linderung von ihren Lungenkrankheiten zu verschaffen und das Leben angenehmer zu gestalten, hat sich die Sorge um das körperliche Wohlergehen zum heutigen Tag verschoben. Keine muss heute noch über den baldigen Hustentod jammern, aber das Leid um das körperliche Wohlergehen ist angesichts des runderneuerten Freundinnenkreises nicht kleiner geworden. Heute sind nicht mehr ausgehustete rote Brocken und Ödeme Anlass zur Verzweiflung, sondern Falten, Fettpolster und andere Makel, die nicht mehr mit dem früher üblichen Kropfband, dem Brilliantdiadem und der wertvollen Kleidung zu kaschieren sind. Erlösung verspricht der Schönheitschirurg, aber bald schon steht die zart hingejammerte Frage im Raum, ob nach dem Fettabsaugen nicht vielleicht ein wenig Tackern im Gesichtsschatten angemessen wäre. Sollte man diese Probleme je vollkommen in den Griff bekommen, wären als nächste Problemzone die gealterten Hände ausgemacht, für die bis heute allein der Schmuck ein wenig Linderung verschaffen kann.
Es kann natürlich kein Zweifel daran bestehen, dass es sich in besseren Kreisen leichter und angenehmer jammert, und man sich schluchzend in wahrlich weiche Kissen der trügerischen Sicherheiten wirft. Echte Unglücke, die auch hier nicht zu vermeiden sind, sind in ihrer heilsamen Wirkung durchaus angeta, für eine Weile zu desensibilisieren. Man wünscht natürlich niemandem etwas Schlimmes, aber so eine Krebsdiagnose lässt die besseren Regelsorgen als die peinlichen Bagatellen erscheinen, die sie sind. Und dennoch ist das Tal voller Aufspritzer und Abnäher und Leuten, die sich unten, im düsteren Nebel über Rottach-Egern sehr unwohl fühlen, wenn die Bankenkrise gerade den Erwerb jener roten Aallederjacke verhindert, die so wunderbar zum Interieur ihres neuen Sportwagens passen würde, mit dem sie beim neuen Luxusretaurant vorfahren wollen.
Dort oben, woher die Bilder stammen, kam mir knapp unter dem Gipfel ein erkennbar ausgesorgt habender Mann in jenem Alter entgegen, vor dem ich wie jeder etwas Angst habe – man kann ja nie wissen, Alzheimer, Schlaganfall und Tumore können späte Lebensphasen ziemlich unerfreulich gestalten. Da kam also dieser alte Mann den letzten Anstieg mit seinem Rennrodel vom Berg herunter, faltenübersäht und von der Sonne verbrannt, breitbeinig und robust, grinste mich, der ich weniger als die Hälfte seiner Jahre zähle, mit Blick auf meinen Eistorpedo dick an und fragte, ob ich Lust auf ein Wettrennen ins Tal hätte. Ich bedauerte, ich müsste nun auch hinauf, dort, wo die Sonne sei, wo die Temperatur an der Hauswand 17 Grad erreiche, nur 100 Meter über all dem Nebel und den Wolken über dem fetten Tal und dem reichen Deutschland, jenes graue Gebräu, das für 82 Millionen Menschen die Sonne nicht scheinen liessen und für die paar Tausend auf den Gipfeln sehr wohl, und so trennten sich unsere Wege, jeder sein Glück suchend, er bei der Hatz in das Tal und ich hinauf in das Licht, in dem alle Sorgen von einem abfallen. Zumindest steht es einem frei, das Elend und das Unglück zu suchen, oder die Erfüllung und die Liebe.
Wobei, zugegeben, man sich wirklich leichter tut, wenn man daheim die Bücher gut und standesgemäss zwischen intarsiertem Mahagoni untergebracht weiss.