It takes three years to build a ship, it takes three centuries to build a tradition.
Andrew Browne Cunningham, 1st Viscount Cunningham of Hyndhope, 1941
Tu es nicht, beschwor mich meine Mutter.
Ich kann nicht anders, insistierte ich. Ihr habe mich so gemacht und erzogen, ich muss es tun.
Aber wenn Dich jemand sieht, gab sie zu bedenken.
Deshalb komme ich ja auch wie der Dieb in der Nacht.
Du kannst von uns haben, was Du willst, versuchte sie es erneut.
Aber ich will genau den einen, und Vater hat es 1979 genauso gemacht.
Aber das war im besten Geschäft der Stadt und Du…
Im Haus der alten Frau P. ist auch nicht Schlechtes. Ich mache das jetzt.
Aber pass auf, dass Dich keiner sieht! Ich will kein Gerede!
Ich wartete, bis die Sonne an jenem Sommertag 2006 blutrot untergegangen war, zog mir schlechte Kleidung an, und eilte durch die engen Gassen meiner dummen, kleinen Heimatstadt an der Donau. Nicht weit von meinem Haus steht ein anderer, etwas kleinerer Stadtpalast des Barock, damals der Besitz der alteingesessenen Familie P.. Die alte Frau P. hatte sich bis zuletzt darin gegen alle Versuche gewehrt, sie ins Altersheim abzuschieben, und als es nicht mehr anders ging, kamen auch bald die Antiquitätenhändler und räumten ihre Wohnung aus. Als Frau P. dann gestorben war, verkauften die Erben das unrestaurierte Haus an einen Notar, der damit für den Rest seines Lebens Steuern legal vermeiden wollte. Was noch im Haus war, musste weg. Als ich am Nachmittag daran vorbeikam, warfen sie gerade den Sarough der Familie P. weg.
Die alte Frau P. war eine Bekannte meiner Grossmutter, so wie man sich eben kennt, wenn man das ganze Leben im gleichen Viertel der Altstadt wohnt. Der Sarough stammt aus der grossen Zeit der für die Verhältnisse der Stadt immens reichen Familie, und lag schon im Wohnzimmer, als Frau P. geboren wurde. Um 1900, schätzte Frau P., musste ihr Grossvater den Teppich erworben haben, und er war das teuerste Stück im Haus: Ein Monstrum, 2,5 Meter breit und 3,7 Meter lang, und an die 80 Kilo schwer. Gross genug, um einen halben Landesbankvorstand darin einzuwickeln und in der Donau zu versenken, falls man als neuer Ministerpräsident alte Mitwisser loswerden möchte. Aber viel zu schade dafür. Und ebenso zu schade für den Container, in den ihn die Erben der alten Frau P. werfen wollten. Immerhin, sie hatten dabei ein schlechtes Gewissen und waren heilfroh, als ich sie bat, das Monstrum mitsamt seinem Staub und Mottenlöchern mir zu schenken. Es folgte eine nicht ganz billige Restaurierung, und würde ich – was ich natürlich bis mindestens zum nächsten Mal unter keinen Umständen tue, denn es wäre nicht schicklich – je eine Frau in meinem Frühstückszimmer verführen, wäre der Sarough der Familie P. die erste, weiche, angenehme und exquisite Station nach dem Herabsinken von englischen Chesterfieldsesseln, deren Geschichte dereinst auch zu erzählen sein wird.
Ich kann mir ein Zimmer ohne Perserteppich nicht vorstellen. Das gehört einfach dazu. Das ist in uns seit Generationen drin, dieser Wunsch nach dem Perserteppich, es gibt keine Alternative, und als meine Mutter dann sah, was ich des Nachts keuchend durch die Gassen geschleppt hatte, freute sie sich wie ein Kind. Über Jahrhunderte war der Perserteppich der ultimative Einrichtungsgegenstand der Reichen; in der Renaissance benutzte man ihn noch als Tischdecke, und nur die Allerreichsten konnten es sich leisten, auf solchen Kostbarkeiten zu gehen. Von blauen Kurfürsten wird berichtet, dass ihm während seines Exils in Holland der Verbleib seiner Gemäldesammlung reichlich egal war, aber die Teppiche wollte er aus München haben. Bis zu meiner Generation ist der Perserteppich neben dem edlen Porzellan und dem Silber und unabhängig von jeder politisch-weltanschaulichen Einstellung die zentrale Erfahrung von gelebtem Reichtum: Als Kind musste man dafür die Schuhe ausziehen, und durfte später keinesfalls darauf, wenn die Eltern in Urlaub waren, der Apotheker und Bankdirektoren Töchter hinunterziehen. Trotzdem oder gerade deshalb ist der Perserteppich auch unvergesslicher Bestandteil des jugendlichen Erwachens, und ich möchte behaupten: Es gibt da so einiges, an das man sich weniger gern erinnert.
Dann kam Khomeini und das Austrocknen der persischen Kunst und Importe, es kamen die indischen Teppiche und all die Betrüger, die bis zu 90% reduzierten, der Perser galt bald als unmodern und grosselternhaft, und es dauerte keine 10 Jahre, bis der vom Mittelalter bis zur Gegenwart begehrte Begleiter der besseren Gesellschaft des Hauses verwiesen wurde. Teppiche galten als Hausmilbenheimat und viel zu indezent für den neuen Purismus, es gab erbitterte Debatten um Kinderarbeit und die Menschenrechte, die erstaunlicherweise weitgehend ausbleiben, wenn es nicht um die Bewahrung einer Jahrtausende alten Kultur, sondern um billig zusammengeschluderte Kleider aus Diktaturen wie Bangladesch und China geht. Heute bekommt man beste Teppiche im Nachverkauf von Auktionen für einen Bruchteil dessen, was sich an Preisen auf alten, sorgsam bewahrten Rechnungen findet. Wenn man so will: Die Teppiche einer normalen Villa im Westviertel sind ein schlechtes Investment für die Erben, die einen damals erheblich billigeren Porsche in der Doppelgarage sicher nicht so verschleudern würden.
Derartig veränderte Einstellungen zum Besitz dürften auch der Hintergrund für den Niedergang der Perserteppiche sein: Es gibt zu viele andere Alternativen für die Repräsentation. Alles, was man als Heimelektronik bezeichnet, spielte bis Ende der 60er Jahre keine besondere Rolle, Ortsgespräche wählte man auf Drehscheiben an und konnte unbegrenzt reden, TV gab es nur am Abend und Plattenspieler wurden für Dekaden erworben. Nahrungsmittel wurden in den letzten Jahrzehnten billiger, aber die Essgewohnheiten wurden mit dem Niedergang der Kochkunst sehr viel teurer. Die Generationenanschaffung eines guten Teppichs dagegen hindert die Mobilität und macht im Vergleich zu abwaschbaren Laminat erheblich mehr Arbeit. Wer seine Freizeit nicht mit Gesprächen und Büchern verbringt, sondern abgedunkelt in Sitzlandschaften vor der Glotze, hat auch nichts von so einem Teppich, ja, er fühlt sich nicht mal armselig, und das Auf den Teppich Ziehen hat er dank Pr0nodownload auch nicht mehr nötig.
Genau aber dieses Unvorstellbar-Unerlaubte jedoch, diese byzantinisch-prunkvolle Freude am Hinabsinken mit dem Teuersten, das man hat, auf das Teuerste, das man ererbt, geschenkt bekommt oder im Nachverkauf abstaubt, könnte die Rettung für den Teppich sein. Es ging ein gewisses Raunen durch die Modewelt, als Dolce&Gabbana 2004 es wagten, ihre Modelle auf ausgefallenen Orientteppichen zu präsentieren. Seitdem muss man sich auf den bevorzugten Jagdgründen mitunter schon wieder um manchen pastellfarbenen Seidenteppich mit dreisten Rechtsanwälten streiten und über ihren, zur in Versace vom vorletzten Jahr gekleideten Begleiterin geneigten Aufsteigerkopf einen Preis ansagen, der vielleicht im retardierten Bayern immer noch gering wäre, aber im verkommenen Berlin der Transferleistungsempfänger aus Kanzleien und Beratung bei der allseits bekannten und sachverständigen Händlerfamilie M. schon eine gewisse Achtung erzeugt. Von Renaissance zu sprechen wäre zu viel.
Aber vor ein paar Wochen traf ich einen Abkömmling der Familie P., und der bedauerte schon wieder den Verlust so mancher schönen Dinge: Das alte Haus, mit dem man selbst hätte Steuern sparen können, die alten Möbel, die viel zu billig verkauft wurden, und der Teppich, von dem die alte Frau P. so angetan war, und den man hergegeben hat. Aber so ist das eben, sage ich tröstend: Natürlich macht eine Fussbodenheizung den Boden warm, wenn sie einmal läuft. Natürlich kann man Schuhe anziehen, und spürt dann nicht die Härte der Bodenplatten. Es gibt auch Webteppiche, die nicht hässlich sind, bis man das erste Mal Wein darauf verschüttet, was beim Perser nicht aufgefallen wäre. Auch die Katzen finden sich zur Not mit den Polstermöbeln ab und zupfen genervt jene Fabrikfäden raus, die im geknüpften Teppich verbleiben würde. Es geht durchaus ohne. Es sind ja nur 500 Jahre Tradition. Man kann so existieren.
Rational spricht also, auch wenn der Kampf um die Abschaffung des Teppichs inzwischen wieder ein wenig offen ist, wirklich vieles dagegen, auf derartig teuren Dingen herumzulaufen. Und wenn man mal Kinder hat und in Urlaub ist, können die immer noch den Badvorleger benutzen, in der Hoffnung, dass bei Apothekers daheim auch alles so kahl, glatt, sauber und kalt wie in der Leichenhalle ist. Niemand braucht Perserteppiche. Es ist nur Luxus, aber die neue Grundlage der besseren Gesellschaft ist ohnehin Marmor, wie im Empfangsbereich der Kanzlei oder Bank. Das Zeug, das bei mir unten im Hausgang liegt und nun auch schon ein paar Jahrhunderte mitmacht, wenn ich darauf den Schnee von den Schuhen klopfe, um dann oben den Täbriz zu betreten. Und ein paar weiche, feinste Millimeter einsinke. Es muss nicht sein.
(Der Teppich auf dem dritten Bild ist übrigens ein rund 130 Jahre alter und extrem robuster Afschar, auf dem man angeblich mit dem Panzer fahren könnte. Ich halte das für eine gemeine Untertreibung, hat er doch auch schon Besuche von fünf Kleinkindern, davon drei nicht schlafend, überlebt!)
Begleitmusik:
Vor den alabastern Mauer des Kalifengarten
Heult der Broder und macht den harten
Moslemfeind. Ich aber ruhe unter Palmen
Trinke Tee und kaue an dan Halmen
Feiner Pfefferminze. Es ist schön hier.
So angenehm. Und es tönt mir
Wundersame Weise von dieser Platte
Die schon länger ich im Auge hatte
Zur Vorstellung dem wertem Publikum.
Der Broder aber kippt vor Grausen um.