Bis dass der Tod Euch scheidet
Populäre Unwahrheit, die oft in Kirchenräumen zu hören ist.
Es gibt Themen, über die spricht man in besseren Kreisen nicht. Und dann gibt es noch Themen, über die man nicht nur nicht spricht, sondern die man auch nicht weiterplaudert oder weitertratscht. Themen, über die man nicht spricht, sind Themen, die als allgemein bekannt vorausgesetzt werden und über die man vertraulich schon mal ein wenig schwätzen kann. Themen, über die man definitiv nicht spricht und deshalb auch nicht plaudert, sind jene Dinge, die einen selbst irgendwie treffen könnten, und die ebenso unangenehm wie häufig sind. Und dazu gehört auch der Ehebruch.
Das war früher ganz anders. Früher war es das Bestreben der moralisch tonangebenden Kreise, die seltenen Fälle von Ehebruch so öffentlich wie möglich zu machen, um Missetäter zu diskriminieren und Nachahmer abzuschrecken. Zudem war Ehebruch bis 1969 auch strafrechtlich sanktioniert, sprich, man konnte das mit allem Nachdruck tun und wusste das Recht auf seiner Seite; die öffentliche Empörung und Blossstellung der Täter war nicht weniger geboten als die Anzeige eines Ladendiebs oder eines Reifenstechers. Ehebruch hatte in der öffentlichen Rezeption in etwa jenen Unterhaltungswert, den man bei unsereins heute dem Vorfahren der Steuerfahndung beim Nachbarn zumisst, selbst wenn man sein Geld jüngst nach Singapur verschob.
Der Ehebruch als solcher ist in Deutschland auch heute nicht legal, es gibt sogar noch einen Paragraphen im BGB dagegen, aber es gibt auf Autobahnen auch eine Richtgeschwindigkeit und einen Mindestabstand zum Vordermann, und das, was in Privatsendern zu späterer Stunde an Nacktheit und Promiskuität ohne jede moralische Verbrämung zu sehen ist, war sicher auch nicht der Grundgedanke bei der Zulassung von privaten TV-Anbietern. Nachdem aber die bessere Gesellschaft deutscher Westviertel in diesen Punkten nicht zwingend liberaler ist, hat das Verschweigen des Ehebruchs andere Gründe. Und die sind selbst gemacht: Die eigenen Kinder.
Früher war es so leicht, über Ehebruch herzuziehen, weil das Risiko der eigenen Betroffenheit eher gering war. Man ging nicht fremd, und falls doch, gab man sich alle Mühe, es zu verheimlichen. Eine Scheidung aus einem dummen, emotionalen Grund einer Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen heraus wäre unvorstellbar gewesen, und hätte ausserdem enorme Kosten verursacht. Man konnte das Thema ansprechen und dabei die sicher auch nicht geringe Dunkelziffer geflissentlich ignorieren, denn die Geschwätzigkeit der Öffentlichkeit wurde auf Seiten der Liebenden mit hochgradig effizienten Verschleierungstaktiken beantwortet. Bei einem Risiko der eigenen Betroffenheit von weniger als 5% lässt es sich leichter Leute ausrichten, als mit einem Risiko von mehr als 50%.
Dort aber steht heute auch die bessere Gesellschaft. Denn auch bei uns sind die Scheidungsraten inzwischen nicht mehr so niedrig, dass man daraus die besondere Tugend dieser Kreise ableiten konnte, wie es früher üblich war – Alleinerziehende, Geschiedene und zerbrochene Ehen waren stets nur in niedrigeren Schichten anzutreffen, aber höchst unüblich in den konservativen Kreisen, die für sich die moralische Führung beanspruchten. Eine Scheidung hat noch zu meiner Kindheit nicht nur massiven familiären Druck nach sich gezogen, sondern natürlich auch den Ausschluss aus allen sozialen Bindungen: Man kann eine Geschiedene schlecht zu einem Kaffeetratsch einladen, in dem über Scheidungen hergezogen wird, das verstanden alle, und die Frau zog vielleicht bald weg, was nicht das Schlechteste wäre, denn wie erklärt man das den eigenen Kindern, dass ihre Freundin keinen Vater hat? Schlechte Manieren breiten sich ja so schnell unter der Jugend aus, man darf die das gar nicht mitbekommen lassen. Das System aus Ehepartner, Familien und Umfeld war selbstverstärkend, und spätestens nach der Geburt von Kindern war eine Trennung vollkommen undenkbar.
Trotzdem muss es irgendwann einen Bruch gegeben haben, und die Vermutung liegt nahe, dass die letzten Bastionen dieser Haltung, wie das Westviertel, aus dem ich stamme, von einer Generation geschliffen wurde, die mit mir in die Schule ging. Um es so brutal zu sagen, wie man es bei uns nie sagen würde: Die Scheidungsrate ist inzwischen fraglos auf dem Niveau von Blockvierteln. Die Illusion, bei uns würden die Partner besser passen und mit grösserer Umsicht ausgewählt, erlitt an der verschwiegenen Erkenntnis Schiffbruch, dass Vermögen und Mitgliedschaft im Konzertverein das Leben und die Sinnesfreuden, nach denen mancher Partner giert, nicht dauerhaft befriedigen können. Aus meiner Erfahrung kann ich – hier in dieser Zeitung, aber nur begrenzt über Damast und Hutschenreuther hinweg – sagen: 40% Scheidungsrate schaffen wir in den ersten 10 Jahren vermögender Ehen problemlos. Und nachdem davor eine Zerrüttung der Ehe festgestellt werden sollte, und die Partner formal getrennt leben, stellt sich eine weitere Frage, die man nicht stellen sollte: Mit wem haben sie Sex, wenn sie nicht miteinander schlafen? Und woher nehmen sie diese Leute?
Als Unverheirateter und Junggeselle ist man natürlich in solchen Fällen stets tatverdächtig, zumal die Scheidungen zwangsläufig solche – diskreten, sehr diskreten – Untersuchungen nach sich ziehen. Wo eine Scheidung ist, muss auch mindestens ein Beischläfer, ein Zizibeh, ein loses Weibsstück sein, das leuchtet ein und ist logisch, aber der natürlich Lauf der Ehedinge ist doch eher so, dass sich junge Paare zusammenfinden, und da stellt sich natürlich auch die Frage, ob vielleicht nicht daraus der Missetäter stammen könnte… und verkehrte der eigene Sohn mit der Schwiegertochter nicht auch dort… Zum Elend der alten Tanten verwandeln sich die Scheidungen nicht nur in persönliche Dramen, sondern auch zu reinen Tretminen gesellschaftlicher Delikatesse. Geht eine Ehe in die Luft, fliegen Verdächtigungssplitter nach den Ehebrechern durch die Wohnzimmer, vielleicht war es nicht der eigene Sohn, aber die Tochter von der Bekannten soll recht frei denken und Dinge, also wirklich Dinge sagen, die man nicht sagt. Die eigene Brut hat das früher so geschätzte Terrain der öffentlichen Hinrichtung mit Sprengfallen versehen. Es könnte jeden treffen. Mindestens jede 2. Person ist mit dem Problem verwandt, jeder kennt einige, die man damit verletzen könnte, und nie kann man wissen, was die anderen vielleicht über die eigenen Kinder wissen, was man selbst nicht weiss.
Zum Glück gibt es ja noch den Ministerpräsidenten und seine Verfehlung in Berlin, man kennt auch jemanden, der jemanden kennt, dessen Sohn eine Frau aus Afrika mitbrachte, über den alten Deppen von Notar und seine aus Russland bestellte Frau kann man reden, und auch ein Bürgermeister soll sich wenig Mühe geben, den Wechsel in seinem Nichtehebett den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Es sind schwere Zeiten, man kann nicht mehr über alles reden in der allgemeinen Schamlosigkeit, also sucht man sich Fälle, die ausreichend weit vom eigenen Teetisch entfernt sind. Der verheiratete Ehebrecher, der seriös erscheinende, aber von den Tanten enttarnte Lüstling ist ebenso aus der Wahrnehmung verschwunden wie die unter dem Deckmantel der Lebensbeziehung agierende Abenteurerin. Man kapriziert sich eher auf jene, denen man ab erklärter Kinderfeindlichkeit ohnehin alles zutrauen kann, und findet enorm viele wunderbar und sinnreich klingende Gründe, wenn die eigene Tochter gesteht, dass es mit dem Karl so nicht mehr weiter geht: Seine Vorliebe für Wagneropern, sein Essen mit offenem Mund, seitdem er für die Heuschrecke arbeitet, seine Lieblosigkeit. Ein Ehebruch, das jedoch passiert immer nur anderen Leuten in weiterer Entfernung.
Und ausserdem redet man ohnehin nicht über solche Sachen. Noch etwas Tee, Herr Porcamadonna? Und wie ist das Wetter am Tegernsee?