Kind, Du musst glücklich werden, also wenn es passt, kannst Du ihn schon nehmen. Ich muss ihn ja nicht heiraten.
Häufige mütterliche Lüge in besseren Kreisen
Ein Zahnarztbesuch kann wirklich an genehm sein. Auch ist es nicht weiter schlimm, von einem Kollegen zusammen mit der Chefsekretärin am Kopierer erwischt zu werden. Man könnte sich auch einen schönen Tag unter netten Menschen machen, indem man nach Berlin fährt und alle Menschen mit bayerischem Tonfall anspricht. Fein wäre auch ein Sprung vom 1-Meter-Brett in den Pool, auf dessen Grund nur etwas Eis vor sich hin schmilzt. Feiner jedenfalls als der unvermeidliche Moment, da der besseren Tochter Eltern den neuen Herrn an ihrer Seite nicht nur sehen, sondern auch dessen Lebensumstände inspizieren wollen.
Denn nicht nur vor Vermietern muss man sich heute in besseren Lagen in jeder Hinsicht nackig machen, und Bescheinigungen über finanzielle und soziale Mittel vorlegen. Mehr Angst als vor Mietnomaden hat man – das lehrt die Erfahrung – vor Beischlafsnomaden. Jene scheinbar ordentliche Herrschaften, die der besseren Tochter noch gefährlich werden, wenn sie schon drei Studiengangwechsel, die Kifferei, einen Selbstmordversuch und diesen nicht öffentlich erklärbaren, aber unerwarteten Anlass für das neue Auto ebenso überstanden haben, wie die beiden Abtreibungen und andere Peinlichkeiten, über die man zum Glück nichts weiss. Irgendwann jedoch ist auch eine bessere Tochter in jenem Alter über 30, da bessere Eltern automatisch ernsthafte Interessen der Partner voraussetzen, und weil die Tochter, siehe oben, offensichtlich zu dumm für eine korrekte Lebenseinschätzung ist, werden die fraglichen Herren untersucht, selbst wenn sie auf dem Papier Nichtraucher, Nichttrinker, Kinderfeinde und seit der Grundschule Konzertvereinsmitglieder sind.
Bücher – zumal, wenn sie sich mit gehobenem Lebensstandard beschäftigen und sich mit einem traditionsreichen Steueroptimierungswort zieren – sind da schon mal keine schlechten Ausweise der gewünschten Lebenseinstellung des fraglichen Herrn; allein, Bücher haben natürlich alle, und sind gerade im erbitterten Wettbewerb um die Gunst von Töchtern und Eltern eher zweitrangig. Man setzt einfach voraus, dass jene Kaffeetischbücher vorhanden sind, die in diesem Umfeld Modeillustrierte, Wochenmagazine und Wirtschaftsblätter weitgehend verdrängt haben. Eine gute Mischung an aktuellen Ausstellungskatalogen, antiquarischen Kostbarkeiten und allseits bekannter Literatur ist das Mindeste, was man erwarten kann, wenn man die Tochter abgibt und selbst wieder vor der Glotze und der Programmzeitschrift gelangweilt, aber wenigstens sorglos versumpfen kann.
Eine ganz andere Sache ist dagegen die öffentliche Zuschaustellung von Porzellan, genauer, jener Einzelstücke, die mangels überlebender Exemplare in freier Antikwildbahn eben nicht schon von jedem besessen werden. Natürlich macht man mit Tee aus Rosenthal Maria Weiss nichts falsch, aber das gibt es inzwischen in jeder Werbeagentur, wo, wie es dem Westviertel bekannt ist, alle Drogen nehmen und dann Pleite machen. Aufgestellte Teller jedoch drücken etwas anderes aus: Porzellan nicht zur Benutzung, sondern als Kunsthandwerk; nicht als Zeichen gehobener Tischkultur, sondern als Ausdruck von Kennerschaft. Fern läge es mir zu behaupten, dass einem solche Dinge gefallen müssen, aber der Kunstmarkt hat über chinesischen Famille-Rose-Stil – so der Name dieser über Glasur aufgemalten Emaille – entschieden. Diesem Stil eifert Europa seit Erfindung des Porzellans nach, dieser Stil findet sich in den Kunstkabinetten, es ist der Ursprung von Streublumenmuster und all den Dekoren, die Schwiegermütter weggepackt haben in der Hoffnung, dass folgende Generationen darauf aufpassen werden. Meissen und KPM jedoch sind die eine Sache, die europäischen Kopien – das hier sind Originale. Und die sieht auch eine porzellansüchtige Schwiegermutter eher selten.
Dafür gibt es sogleich ein Thema, über das beide Seiten parlieren können, ohne dass derartige Besuche in jenes Gedruckse ausarten, das allzu typisch für den Versuch ist, keine direkten Fragen zu stellen und dennoch direkte Antworten zu erhalten. Diese Teller sind aber aussergewöhnlich schön, kann die sich als Schwiegermutter Wähnende bekunden, und man kann ihr bedeuten, dass sie damit sachverständig ist – selten nur sieht man die Goldgrundbemalung so fein, so exakt ausgeführt, die Ranken und Blumengirlanden so präzise, jeder Punkt auf den Schmetterlingsflügeln sitzt an der richtigen Stelle, zu schade, dass dergleichen heute natürlich nicht mehr gemacht wird. Man selbst jedoch scheut keine Kosten und Mühen, natürlich ist das nicht unbedingt günstig oder gar billig gewesen, reiche Chinesen machen auch Jagd auf diese Stücke – aber der eine bevorzugt eben 100 PS mehr im Auto, man selbst erfreut sich dagegen an der Kunstfertigkeit des 18. Jahrhunderts.
Natürlich haben sie etwas gelitten, der Goldgrund an einigen Stellen ist abgerieben, das jedoch, sollte man betonen, sind die Spuren der Zeit, das gehört einfach dazu, und deshalb schätzt man sie nicht geringer. Womit ein paar peinliche Fragen – Sind Sie auch so ein Raser? Laden Sie unsere Tochter bei den ersten Krähenfüssen unter den Augen wieder vor unserer Tür ab, um mit ihrer Rennkarre Gymnasiastinnen abzuschleppen? Machen Sie uns Schande, sind Sie ein Zizibeh, sind Ihre Absichten unlauter? – indirekt beantwortet sind. Wie auch die bange Unsicherheit, ob der Neue der Tochter denn auch bereit ist, sich bei den unvermeidbaren Kosten für den zukünftigen Hausstand zu beteiligen. Auf einem Ehevertrag wird man als Finanzier der Vereinigung – schliesslich bekommt die Tochter auch die gute Bettwäsche von Tante Euphemia mit – nicht verzichten, aber es gibt eben Eheverträge, die man aus Misstrauen betreibt, und Eheverträge, wo es nur um Kontrolle geht. Bleibt natürlich noch eine Frage; die wichtigste Frage für Menschen vielleicht, die nicht wissen können, ob sie in 20 Jahren noch kontrollieren können, oder über Entmündigung selbst kontrolliert werden, von einer Tochter, die von ihrem Mann kontrolliert wird: Wie halten Sie es mit uns, wenn wir gebrechlich und alt sind?
Hier nun ist der Moment gekommen, um über die Echtheit der Stücke zu sprechen, und über die sorgsam geklebten Brüche, die man von vorne gar nicht erkennen kann. Nur hinten wird offenbar, dass die Teller nicht nur jene blaue Färbung aufweisen, die dem Kenner das hohe Alter verrät, sondern eben auch alte Reparaturen, die den Wert und die Hochschätzung keinesfalls mindern. Natürlich wird man sie keinesfalls belasten, sondern pfleglich behandeln, man weiss um den Wert des Alters, und wenn es nun zu Tische geht, hat man das gute Hutschenreuther vom Amtsrichter S… – kennen Sie den, Amtsrichter S. aus R., genau, der war der Schwiegervater von Onkel P. und der Bruder von Direktor K., jedenfalls hat man aus dessen Erbe das gute Hutschenreuther für 24 Personen, auch das sind Dinge, die es heute gar nicht mehr gibt… und über dem Kuchen und Tee – Assam? Darjeeling? Ceylon? Grüner Tee, bitte, das macht keine Umstände, wirklich nicht – haken die Eltern der besseren Tochter ab: Gutes Haus? Haken. Gute Familie? Haken. Ein wenig konservativ? Haken. Keine Entmündigung? Haken. Keine finanzielle Belastung im Falle einer Scheidung? Haken. Und wenn sie dann gegangen sind, und die S-Klasse mit dem “Notarzt im Dienst”-Schild nicht mehr in der Feuerwehreinfahrt steht, kann man das Kleingedruckte und die Ausnahmen mit der besseren Tochter allein aushandeln.