Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Besuch bei Analphabeten und Zauseln

In gewisser Weise scheint es mir gerechtfertigt zu sein, von Bloggern - wie ich einer bin - abfällig zu reden. Das tue ich auch, zudem halte ich Journalisten für nicht gesellschaftsfähig, spreche FDP-Politikern Bilung ab, und würde den Bundeshauptslum Berlin mitsamt Politikern gerne an die Russen oder die Kongolesen verkaufen. Meine ganze Welt besteht aus geprüften Vorurteilen, und ich bin keinem böse, der auch welche hat, solange sie nur so hochwertig wie die meinigen sind. Leider ist das allerdings bei der Abwertung von Bloggern definitiv nicht der Fall, weswegen ich langatmig ein paar Dinge klarstellen möchte.

Zur Klarstellung nach einer Woche mit diversen, begrenzt kompetenten Wortmeldungen, die ich so nicht unterschreiben würde

Wie es nun mal nach einer anstrengenden Tour über fünf Pässe sein kann, wache ich reichlich spät auf. Durch die grünen Fensterläden, die eine angenehme Reminiszenz an alte Bautraditionen darstellen, fällt lichter Sonnenschein auf den kaukasischen Läufer und die alte Reisetruhe eines längst vergessenen Vorfahren. Wie immer am See, betrachte ich meine Gemälde von Rupprecht Geiger an der gegenüber liegenden Wand, stehe auf und überlege mir, was ich heute, an jenem sonnigen Frühlingstag anziehen könnte. Angesichts des üppigen Kleiderschranks – Art Deco und innen Mahagoni, da war einiges an Geld in der Familie – und seines Angebotes gibt es leichtere Aufgaben. Ich entscheide mich für ein dezentes, sandfarbenes Glencheck-Sakko aus Seidenwollstoff von Carlo Barbera, eine passende, unauffällige Baumwollhose und zweifarbige Sportschuhe von Tricker’s. Im Glencheck ist ein wenig Blau, und nach etwas Suchen finde ich ein passendes Hemd mit Streifen. Es sind viele Hemden da, aber es ist nie ganz leicht, den richtigen Blauton zu finden.

Selbst in ihrem Weltbild unerschütterliche Netzmenschen wie der Berliner Felix Schwenzel, der in seiner Zotteligkeit dem Prototyp des Bloggers ziemlich nahe kommt
Harald Staun in der FAS

Über Nacht und, zugegeben, fast den gesamten Vormittag sind beim letzten Blogeintrag über die Bedeutung des Romans “Brideshead revisited” für die Angehörigen meiner Schicht in den späten 80er Jahren einige sehr interessante Kommentare eingegangen, die ich nun leider verspätet freischalte. Beantworten kann ich sie aufgrund meiner Verpflichtungen im Augenblick nicht. Dann begebe ich mich nach draussen. Mein Gast ist lange vor mir erwacht, war aber so nett, mich schlafen zu lassen, und vertreibt sich die Zeit auf der Terrasse mit einem Buch aus der Bibliothek.

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Angetan hat es ihm “Karl August Böttiger: Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar.” Wir plaudern etwas über die Zustände an jenem Hof und überlegen, wie Weimar seine Bedeutung für die Kulturschaffenden verlieren konnte. Im Biedermeier zog es die Literaten weg von den Höfen, wo man von der volatilen Gunst der alten Eliten abhängig war, hin zu den Salons der Städte, wo man offen war und froh um geistreiche Unterhaltung, wo man sich unterhielt, und nicht als redender Affe gehalten wurde – so zumindest interpretiere ich manch abschätzige Bemerkung des verehrten Heine über das deutsche Fürstenwesen.

“Schliesslich liest man im Internet nicht, man scrollt.”
Oliver Jungen bespricht das Buch “I am Airen Man” des durch das kollektive Versagen deutscher Feuilletonisten im Hegemann-Skandal bekannt gewordenen Bloggers Airen in der FAZ

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Ich frage meinen Freund, ob ich ihm das angesichts der Zumutungen des modernen Literaturbetriebs vermutlich vergriffene Buch leihen soll, aber er hat es sich bereits im Internet antiquarisch bestellt. Wir begeben uns in die Küche und bereiten aus dem, was wir nördlich und südlich des Alpenhauptkammes erworben haben, ein nicht ganz karges, aber auch nicht allzu verfeinertes Frühstück; es findet sich ein wenig Parmaschinken und Salami aus Sterzing, Trüffelpecorino und diverse Brotsorten aus Brixen, ein Dutzend Wachteleier aus dem Donautal, französische Meersalzbutter, und zwei Arten Scamorza. Gerade der Scamorza aus diesem kleinen Geschäft in den Lauben von Brixen hat es uns angetan, er ist saftig geräuchert und von einem fast feuchten Aroma.

Ich glaube, dass das unendliche Mediengespräch des Netzes, in dem so viele sich verfangen haben und gefangen sind und das doch zugleich so immateriell und ungreifbar bleibt, eine tiefe Unsicherheit gegenüber allem produziert, was sich dieser unendlichen Plauderei entzieht.
Thomas Hettche in der FAZ

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Also, Brixen, das muss ich Ihnen erzählen, wir waren natürlich nicht zum einkaufen dort. Wir waren im Kreuzgang von Brixen, einem Meisterwerk der spätmittelalterlichen Kunst, und ich erzählte dem Gast etwas über die Bildprogramme der Parlerzeit; warum etwa die Auferstehung Christi zusammen mit Samson erscheint, der die Tore von Gaza zum Hügel bei Hebron trägt,  und daneben eine recht späte Darstellung des eher in der Spätantike beliebten Jonah zu sehen ist, der dem Wal entrinnt. Wir stehen im Kreuzgang, bis uns die Hälse weh tun. Ich mache das gerne, das kann ich wenigstens, ich bin ja kein Journalist, der sich das Zeug erst mal in der Wikipedia zusammenklauben muss, um darüber zu schreiben. Ich kann zwar nicht schreiben, ich habe das als Blogger ohne jedes Volontariat natürlich nicht gelernt, aber ich habe etwas Ahnung von der Kunstgeschichte des späten Mittelalters.

Stilistisch gelangt das Opus nirgends über den schnodderig-expliziten Tonfall und die Parataxe hinaus, welche die meisten Online-Foren prägen. Das Tempus ist der Tagebuchform wegen ein ödes Universalpräsens.
Oliver Jungen a.a.O.

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Jetzt aber unterscheiden wir uns nicht besonders von anderen Privilegierten an einem übervollen Frühstückstisch; Essen macht angenehm träge, und wir plaudern ein wenig über Themen, wie sie gerade kommen: Über den fiesen Lärm, den Passanten erzeugen, und der einem erst auffällt, wenn man an einer Anliegerstrasse in den Bergen wohnt. Über den geschmacklichen Unterschied zwischen Wachteleiern und normalen Eiern – ich meine, dass Wachteleier konzentriert alle guten Komponenten des Eigeschmacks mit sich bringen, ohne mit den unerfreulichen Aspekten zu ennuieren. Über das Für und Wider des bedingungslosen Grundeinkommens, und wie lustig das wäre, wenn zu dessen Finanzierung die Mehrwertsteuer in Deutschland auf 50% stiege – und hier das günstige Ausland vor der Haustür liegt, und ansonsten alle Steuern abgeschafft werden, wie das mancher wünscht. Das wären feinste Zeiten für uns, die wir hier leben.

Sie gingen an einen Ort, an dem noch keiner vor ihnen war und bauten an einer Gemeinschaft, wie es sie noch nicht gab.
Marcus Jauer im “Dossier Deutsche Blogger” in der FAZ

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Es geht erstaunlich normal und zivilisiert zu, kein Rechner piepst und keine Zeitlinie wird ergänzt, oder was auch immer man erwarten sollte, wenn zwei bekannte deutsche Blogger zusammensitzen. Es ist recht frei vom Thema Internet, nur ab und zu wollen ein paar Kommentare freigeschaltet werden, man mag die Ruhe und die entspannte Haltung über all die Stunden in der Sonne hinweg kaum glauben, wenn man liest, was alles über Zausel und Analphabeten wie uns in der Zeitung, auch in dieser Zeitung steht. Natürlich machen wir, vom journalistischen Standpunkt aus, hassenswerte Dinge; wir plaudern, wir halten uns nicht an die relevanten Themenvorgaben der Medien, wir erzählen Geschichten so wie jene, die wir später in das Internet schreiben. Wir kennen uns auch aus dem Internet, später auch privat, es macht keinen Unterschied, wie auch nicht bei den vielen anderen, die ich kenne. Es geht um Gespräche, um das Amüsante, den Diskurs, es muss keinen Anfang und kein Ende haben, es darf sich verbindlichen Formen verweigern, weil die Formen keine Bedeutung haben, und die Leser sie noch nicht mal kennen. Wir arbeiten irgendwie bei Medien, aber wir kümmern uns nicht um das, was sie theoretisch einfordern, und es kommt erstaunlicherweise gut an, weil wir uns eher um das kümmern, was die Leser  sagen, wenn es im Netz steht.

Bloggen, nur um dabei zu sein, ist meine Sache jedenfalls nicht. Ich denke aber, dass Sie von mir lesen werden.
Bischof Overbeck im Gespräch mit der FAZ

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Also, Sie, liebe Leser, Sie merken schon, dieser Text zerfasert und läuft auf ein Ende zu, das keines ist, wie auch ein gutes Frühstück zum Ende hin zerfällt und zum Mittegessen übergeht, aber das, was ich hier am Tisch mit meinem Freund in Echt, in Echtzeit, in Realität mache, das möchte ich auch im Internet machen. Es ist eine Möglichkeit, die das “Bloggen”, um das Wort lässig auszusprechen, das so vielen Kollegen mit der gleichen Abscheu über die getippten Lippen kommt, wie das verrufene “Ich”, die dieses Bloggen zulässt, weil es mit Verboten und Regeln nicht funktioniert. Ich – Sie merken vielleicht, wie leicht ich das niederschreibe  – ich glaube, es ist ein ebenso üblicher wie massiver Fehler, Sie zu ignorieren, wenn ich nicht gerade etwas Angenehmes wie dieses Frühstück zu tun habe, und deshalb freue ich mich über Kommentare. Dafür stosse ich Sie mit meinem klar andersartigen Dasein auf der besseren Seite des Lebens mit unkorrekten Haltungen vor den Kopf, wo andere peinlich genau darauf achten würden, nur ja nicht selbst in Erscheinung zu treten. Diesem meinem Verhalten kommt man mit journalistischem Werkzeug nicht bei; nach der Theorie des Journalismus dürfte es das nicht geben, und wenn doch, dürfte es beim Leser nicht gut ankommen. Wenn es trotzdem gern gelesen wird, muss der Leser einen Fehler machen. Zu dumm, zu seicht, zu sehr auf Plaudern eingestellt. Irgendwas findet man immer, man muss sich nur einzelne Aspekte einer Sache oder, wollte ich feuilletonistische Überlegenheit demonstrieren, würde ich “Entität” schreiben, rausgreifen, platt schlagen und mit ein paar hämischen Bemerkungen an einer dafür konstruierten Theorie, gerne auch mit Verweis auf Luhmann oder wenigstens Brechts Radiotheorie, scheitern lassen. So, wie das Deutsche Feuilleton dem Blogger Airen nie vergeben wird, dass sein geliebtes Haschibopperl Hegemann bei ihm abgeschrieben hat, werden Journalisten auch den Lesern nie verzeihen, dass sie sich bei ihrem Leseverhalten nicht an Regeln halten, die sie nicht kennen, und jene begünstigen, die auch ohne Regeln erzählen können.

im Internetkosmos, wo dieser narzisstischen Selbstbeschau immerhin die Gnade des Übersehenwerdens zuteil würde.
Oliver Jungen, a.a.O.

Nun ja.

Darf ich Ihnen noch eine Tasse Tee anbieten?