Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Nikotin, Cholesterin, Verbote und andere Drogen in guter Gesellschaft

Raucher sind, statistisch gesehen, tendenziell eher jung und/oder wenig begütert und sterben recht früh, während vermögende Menschen in höherem Alter fast durchwegs Nichtraucher sind. Nun gab es in Bayern gerade einen Volksentscheid gegen das Rauchen, der für Freunde der Fluppen schlecht ausgegangen ist. Man kann mit guten Gründen fragen, was eigentlich die alten Reichen ohne Nikotinsucht dazu brachte, für Verbote zu stimmen, die in ihrem normalen Leben absolut keine Rolle spielen. Und wer als nächster dran ist.

Ein Pfund Dreck braucht der Mensch im Jahr.
Meine Urgrossmutter

Es ist schön. Die Sonne scheint. Das Leben lockt. Die Terrasse glänzt, es plätschert der Brunnen, man könnte jetzt über die I. reden, die mit dem B. gar nicht mehr klarkommt. Warum nur nehmen fast durchgehend rauchfreie ältere Herrschaften, die ganz sicher nicht mehr in Raucherclubs gehen, die unschönen Seiten eines heissen Sommernachmittags auf sich, um in der backofenheissen Altstadt das Wahllokal zu besuchen und für eine Einschränkung des Rauchens eher junger Menschen zu stimmen, das auf sie und ihr Leben keinen Einfluss hat? Warum ist es Wohlhabenden, unter denen statistisch betrachtet nur eine kleine Minderheit raucht, nicht egal, ob, wann und wo rund die Hälfte der weniger Wohlhabenden der Volksdroge Rauchen verfällt? Wäre man freundlich, könnte man annehmen, es sei wahrgenommene Sorgfaltspflicht für die Jüngeren und Ärmeren. Liebevoller Schutz für weniger Kluge und Erfahrene, eine helfende Hand, deren Wert die Geretteten erst sehr viel später begreifen. Denn natürlich müssen wir dereinst alle sterben, aber Raucher sterben nun mal eher unangenehm, qualvoll und oft auch recht langwierig.

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Das wäre eine Variante, die man über Tee und Torte im Westviertel verbreiten könnte, ohne dass sich jemand indigniert fühlen würde; natürlich verbietet man etwas, aber man gibt auch zurück. Freundliches Patriarchat, so wie früher, nur eben ohne Zigarre über dem runden Bauch, der ebenfalls auf dem Weg in die Verpönung ist. Erziehung ganz im Sinne von Rousseau und seinem Hauptwerk “Emile”, damit die anderen die Gesellschaft zu und das Zusammenleben respektieren lernen. Würde ich ohne Schamesröte hinzufügen, denn ich bin auch einer von denen, die das Rauchen am liebsten abgeschafft sehen wollen. Ich sehe da nur edelste Motive, ich bin vollauf von meiner Haltung überzeugt, und ich bin sogar gegen Rauch allergisch – ich kann also medizinische Gründe für meine Abscheu nachweisen.

Aber das erklärt noch nicht, warum reiche Städte in Bayern sich so vehement gegen das Rauchen entschieden haben, und es erklärt nicht, warum es Leute tun, die davon nicht betroffen sind, und auch nicht Rousseau gelesen haben, sondern allenfalls den jüngsten Immobilienkompass und die Aktienkurse. Böse sind die Gedanken, die einem bei der Schnittmenge kommen könnten, bei den reichen Alten: Ist hier vielleicht mehr dahinter als der im Alter zunehmend wichtig werdende Fetisch Gesundheit, ist es nicht vielmehr ein weiterer Verteilungskampf, ein Versuch, Umverteilung nach Unten zu bremsen und Vermögen oben zu belassen?

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Denn angesichts der Überalterung der Gesellschaft und der verstärkten Anhäufung von Vermögen an der Spitze des Sozialsystems ist es überhaupt nicht gut, wenn die Jugend raucht.  Schliesslich braucht das reiche Alter ein System, das es gesund und am Leben erhält, und kränkliche, oft ausfallende Jungarbeitnehmer sind da dezidiert kontraproduktiv. Auch mag es nicht gefallen, wenn jene weniger Begüterten regelmässig medizinische Hilfe in Anspruch nehmen müssen, die sie nicht finanzieren können, und weil man sie nicht einfach sterben lässt, muss man eben die Etats auf Kosten anderer vergrössern. Jede Zigarette, jeder Zug ist eine Belastung für das Gesundheitssystem und jene, die hinein- und draufzahlen, weil sie sich rundum ökologisch ernähren, auch unter der Woche Bergtouren am Tegernsee unternehmen, und ihre Lungen bei abendlichen Spaziergängen am Strand fern aller Abgase schonen. Jeder Lungenröchler in städtischen Wartezimmern zwingt diese Menschen, wenn sie zur Vorsorge gehen, zum längeren Ausharren unter wenig erbaulichen Mitmenschen. Es ist ja nicht so, dass nur der Rauch stört. Es stören auch die Folgen.

Da hilft es angesichts der demographischen Entwicklung auch nicht, wenn Raucher jung sterben. Jung sterbende Raucher sterben unter Ausnutzung des Gesundheitssystems, der Krankenbetten und der Ärzteschaft nicht einfach so, sie sterben in einem absehbaren Zeitraum, wie auch alte Reiche. Ein 70 Jahre alter Nichtraucher in guter Wohnlage mag wie ein 50 Jahre alter Raucher noch 20 Jahre haben, aber in dieser Zeit benötigen sie die gleichen Leistungen der Medizin, um diese 20 Jahre zu durchleben. Leistungen, die nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Auch der Raucher wird irgendwann sterben, aber wenn man ihn zum Nichtrauchen zwingt, stirbt er erst etwas nach dem Reichen und vor allem: Unter geringerer Ausnutzung der Ressourcen Pflege, Betreuung und Behandlung. Wie auch immer sich das Gesundheitssystem entwickelt: Entweder zahlen die Reichen mehr für alle, oder sie erfahren die negativen Seiten der Überlastung des Systems, mal ganz abgesehen davon, dass die Enkel vom bevorzugten Berufsziel Mediziner Abstand nehmen.

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Und dann ist da noch der namenlose und unermessliche Groll, der einen überkommt, wenn man im Westviertel oder in der Altstadt gerade den Weg gefegt und die Unkräuter aus den Beten gezupft hat, und dann kommt so einer daher und schmeisst seine Kippe auf das allgemein wohltuende Werk. Wer weiss, was er davor in den Händen hatte, oder welche Bakterien in seinem Mund waren. Man kann es nicht einfach so aufheben, man braucht wieder Schaufel und Besen und hat reichlich Zeit zu überlegen, was man mit denen täte, wenn man nur könnte. Man kann ja damit leben, dass Eigentum verpflichtet, aber das heisst noch lange nicht, dass Besitzlosigkeit alles darf. Der Volksentscheid ist am Sonntag; wenn in der Nacht davor von jungen Rauchern auf dem Weg in die Disco zehn Kippen vor dem Haus weggeworfen haben, wird man nur begrenzt zum Verteidiger deren Recht auf Rauchen und der Tabakindustrie. Über den sorglosen Umgang mit anderer Leute Eigentum muss man sich nicht wundern; wer im Jahr 1500 Euro oder mehr verqualmt, hat am Ende des Jahres auch 1500 Euro weniger für einen Bausparer.

Natürlich, mag man einwenden, ist es ein wenig doppelmoralisch, den Armen und Jungen ihre Laster zu erschweren. Aber es ist nun mal auch so, dass es weniger problematisch wäre, würden sie sich entsprechend den Konventionen zu benehmen wissen. Raucher in besseren Kreisen gehen entweder freiwillig und idealerweise unter Erfindung einer Ausrede nach draussen, die dem Gastgeber erst gar nicht das Gefühl vermittelt, er würde den Raucher so oder so hochkant rausschmeissen, würde der sich erdreisten, sich angesichts eines barocken Portraits eine anzustecken und auf den Ardebil zu aschen. Die Frage “Stört es Sie, wenn ich rauche?” gehört heute zum guten Ton, und sie ist nicht rhetorisch, denn  danach erfolgt stets die Erklärung, man wisse ja sehr wohl um die Untugendhaftigkeit des Benehmens. Man darf das nicht für einen Kotau vor der Ideologie des Nichtrauchens halten. Es gehört eher in die Kategorie von rein doppelmoralisch Aussagen wie “Naja, die 270 fahre ich selten aus, die 350 PS brauche ich nur als Reserve beim Überholen”, “Nächstes Jahr müssen sieben Fernreisen reichen, diese Flugzeugabgase sind zu schädlich, wo war noch mal das Grand Hotel am Lago Maggiore, von dem Sie erzählten?” oder “Ich hätte dieses Portrait eines Bischofs aus der Zeit um 1700 nie gekauft, aber bei 12.500 hob plötzlich kein anderer mehr die Hand”. Mit solchen Abhängigen, die nur hin und wieder den Lastern zu frönen vorgeben, Konventionen verstehen und sich mit den üblichen Lippenbekenntnissen benehmen, kann man leben. Es geht nicht gegen sie, es geht gegen die anderen.

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Ältere und reichere Herrschaften haben durch ein Rauchverbot also nichts zu verlieren, aber durchaus einiges zu gewinnen; es ist fast so wie früher, als man Sonderrechte kaufen konnte. Rauchen hat als Laster nun mal das Pech, hohe Kosten und Belastungen zu verursachen, die auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, und obendrein als nicht mehr sozialkompatibel zu gelten. Das ist der natürliche Wandel der Zeit, auf der einen Seite werden Untugenden wie Tätowierungen sozial akzeptabel, auf der anderen Seite gelten alte Zeichen des Wohlstandes als diskriminierend. Das Rauchen folgt in seiner gesellschaftlichen Ächtung letztlich auch nur harten Alkoholika, Kokain und Morphin und fetten Sossen. Beim Rauchen fällt es nur wegen des Volksentscheides in Bayern auf, bei Drogen wegen der Kriminalität, aber andere, leise Vernichtungszüge hat es auch gegeben – man wird mitunter schon schräg angeschaut, wenn man nur mit Butter kocht, ordentliche Portionen bereitet oder den Mittagsschlaf, den es am Tegernsee durchaus zwischen 12 und 2 mit dem Schliessen der Läden noch gibt, für eine gute Sache hält.

Natürlich bin ich militanter Nichtraucher. Natürlich stehle ich Rauchern die Feuerzeuge und werfe Zigaretten weg. Ich halte bei Süchtigen gar nichts von einem angeblich “freien Willen”, und sehe kein Problem darin, ihnen meinen richtigen Willen aufzuzwingen. Aber nachdem ich schon als Freund von Kalorien gegniabieslt werde, habe ich mich diesmal der Stimme enthalten. Cholesterin wird demnächst das neue Nikotin werden, und der Zuckerschock gilt heute schon als unfein. “Wohlgenährt” ist längst “schlecht erzogen”. Und wenn ich all die dürren Elitessen sehe, die mit komplizierten Modellen vermutlich ausrechnen können, wieviel jedes kleine Blech Zwetschgendatschi die Krankenkasse kostet, ist es jetzt kein schlechter Zeitpunkt, mit der Gesetzeshatz auf Andersabhängige aufzuhören. Allenfalls 100 Euro Strafe für eine weggeworfene Kippe vor meinem Haus, darüber könnte man reden.