Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse.
Gottlieb Wendehals
Oh, fein, es folgt auf die hier geschilderten Grundlagen eine grosse Integrationsdebatte, und diesmal ist sie aus politischen Opportunitätsgründen samt und sonders judengenteilerrein. Man will sich ja keinen rassistischen Schiefer einziehen, sondern möglichst Schiefer an die anderen verteilen, und immer schön mit der leise hinterhergeschobenen Begründung, man müsse das tun, das Volk wolle es so, die Stimmung an der Basis sei so, das Volksempfinden verlange es – egal, solange keiner über die Milliarden”geschenke” an die Atomindustrie redet, die genau genommen keine “Geschenke” sind, sondern zusätzliche Einnahmen, die Ihre und meine Ausgaben sind. Aber gut, reden wir über Integration. Ich sage: Ein Islam, der Plakate druckt, um für kulinarischen Fastenbrechen mit Flatratepreisen zu werben, ist einerseits sehr viel westlicher als etwa die katholische Kirche, aber, auch das sei vermerkt, davon steht nichts im Koran, und schon gar nicht in Englisch.
Ich sehe das und freue mich. “Flatrate” ist zwar nicht generell meine Vorstellung eines Kulturbegriffs, aber es zeigt doch sehr schön, wie durch die Hintertür der Wortwahl und der Einschätzung von Rezipienten eine Veränderung stattfindet. Vielleicht haben sie auch Angst, dass ohne Flatrate zu wenig kommen, und sehen sich in einer Konkurrenzsituation, vielleicht kennen sie auch nur ihre Pappenheimer. Aber diese Religion ist dabei, sich anzupassen. Ohne schieben und drängeln, ohne irre Thesen und Verdrehung von Statistiken oder auch nur den Wunsch einiger verbliebener CDU-Granden, der Bundeskanzlerin zu zeigen, wo und in welcher Bildungsferne noch immer der mittlerweile doch leicht rostbraune Hammer hängt. Das muss man doch mal sagen dürfen.
Dieser missionarisch wirkende Eifer – oder haben Sie schon mal einen konservativen Politiker Plakate für Integrationsflatrate aufhängen sehen? – ist ja so eine Sache. Gerade, wenn man aus Bayern kommt und damit aus einem Landstrich, in dem man eigentlich schon immer vieles sagen durfte, und vielleicht nicht ganz der Norm entsprach. Die bayerische Norm ist Alkohol ab spätestens 16 und in erheblichen Mengen. Ich trank noch nie, ich bevorzuge Tee. Und weil man das micht zu akzeptieren bereit war, klingt die ganze Integrationsdebatte mit ihren Reflexen so vertraut: Der macht nicht mit, der findet das nicht lustig, der ist anders, der richtet uns hintenrum aus, den nehmen wir uns jetzt mal vor, dem schütten wir heimlich was ins Glas, den faseln wir dauernd an, den kriegen wir schon klein. Klein kriegen wohlgemerkt, nicht “das wird eine feine Sache, wenn er auch etwas trinkt”. Es ging nicht darum, dass ich trank. Es ging um das Durchsetzen einer Norm, deren Opfer trotzdem der Aussenseiter geblieben wäre. Und bayerische Jugendliche können in der Sache ziemlich ausdauernd sein, um es noch höflich zu sagen.
Umgekehrt habe ich eigentlich nie versucht, einem von denen zwangsweise Assam und Darjeeling einzuflössen, damit dieser Bierdimpfl den Unterschied zwischen Tee zum Morgen und Tee zum Abend versteht. Es war und ist wirklich nicht mein Interesse, jemanden mit einem in sich stimmenden Weltbild von der in China genähten Trachtenhose bis zum Besäufnis auf dem Oktoberfest auf ein paar mir wichtige Punkte festzunageln, und ihn dann pro forma als “gebildet” oder als “gern gesehenen Gast” zu definieren. Es würde keinen Sinn machen, mit so einer Person über ein Buch zu reden, dessen Inhalt er sich im Kindler herausgesucht hat. Man würde einen Bastard der Halbbildung zeugen, einen Parvenü, eine lächerliche Figur, und das im vollen Wissen, dass es für keine Seite eine Verbesserung gibt. Ich halte es fraglos – allein schon unter Hinblick auf die hohen Kosten der Volksdroge Alkohol – für wichtig, dass man Alternativen aufzeigt. Aber mit einem Gruppenzwang, mit dem elitäre Leute andere in Lebensgefahr bringen, kommt man auch auf der anderen, nach meinem Erachten besseren Seite nicht weiter.
Dieser Wunsch, andere zu “integrieren”, ist nach meinem Dafürhalten stets auch ein Ausdruck der Unsicherheit in der eigenen Kultur. Wäre die eigene Kultur wirklich so grossartig und offensichtlich überlegen, würden die anderen von selbst kommen. Aber gerade auf konservativer Seite muss sich da in den letzten Jahren viel Zweifel aufgebaut haben: Kinderschänder und Vertuscher in der Kirche, ein Kapitalismus, der Abermilliarden durch die Bankenkrise verschlingt, eine Globalisierung, die Westviertel zum Spielball ihrer Interessen macht, die Angst, dass diese Welt das Beste bereits hinter sich hat, das Ende von Traditionen, Bildungszielen und Lebensentwürfen. Dem konservativen Weltbild kommt der Wesenskern abhanden, seine Autorität ist dahin, die Kinder zucken mit den Achseln und machen es, wie sie es für richtig halten. Der Konservativismus flüchtet sich in den, Padon, kulturhistorischen Idiotenbegriff eines “christlich-jüdischen Abendlandes”, um eben diese Chimäre gegen Ausgregenzte durchzusetzen. Ausgegrenzte, die daraufhin nicht das Vergnügen haben können, die Angreifer in ein Gespräch über die Briefe von Ambrosius von Mailand zu verwickeln. Oder ein klein wenig an Augustinus zu erinnern, im Hinblick auf den Lebenswandel ihrer Töchter. Denn nicht 2000 Jahre Zivilisation stehen hinter dem Konservatismus, sondern ein paar Jahrzehnte Vergessen des minderwertigen Lehrstoffmülls deutscher Gymnasien im Grundkurs Geschichte.
Diese Zeiten der Verunsicherung ist so wie bei meinen Bekannten aus Schulzeiten: Wenn sie den einen auch noch zum Saufen bekommen, müssen sie sich keine Gedanken mehr machen, dass jemand Bedenken hat, wenn sie in diesem Zustand auf den Feldwegen Rennen fahren. So eine Berauschung ist nur toll, wenn sich alle gegenseitig versichern, dass sie prima drauf sind, und genau diese Berauschung an der Richtigkeit des eigenen Tuns wird man jetzt erleben. Wie in meiner Jugend wird auch diesmal kein Mittel zu dumm sein, um nicht vorgetragen zu werden. Man wird Gegenbilder zur eigenen Idealwelt suchen und finden und gemeinschaftlich verurteilen, und so den Eindruck haben, dass man mal wieder das Abendland und seine Werte gegen die anderen verteidigt hat. Immer natürlich so, dass auch der letzte Bierdimpfl noch irgendwie den Eindruck haben kann, ebenfalls auf dem Zug zum zweiten Tours, zum endgültgen Granada und allerletzten Lepanto dabei zu sein, bis zur nächsten Runde des Schauspiels, das alle zwei, drei Jahre aufs Neue gegeben wird, Hoyerswerda, Leitkultur, Rütli, Eiuwanderungstest, U-Bahn-Schläger (sofern nicht deutscher Hewrkunft).
Es ist nicht anzunehmen, dass diese Aufwallung eine Bedeutung auf die Integrationsarbeit hat. Es dürfte dem Schläger in Berlin ebenso egal sein, wie dem formal deutschen Wodkaatmer in der kleinen, dummen Stadt an der Donau, der vor 30 Jahren aus Russland importiert wurde, um ihn und sein deutsches Blut vor den Kommunisten zu retten. Man muss trotzdem darüber reden dürfen, denn das ist nicht nur eine prima Unterstellung gegen andere, die eine andere Meinung haben, sondern ein hervorragender Anlass, die Angriffe gegen das eigene Weltbild zu beklagen, und damit seine Dominanz zu betonen. Das hilft, sich ein paar wenig erfreuliche Fragen für ein paar Wochen nicht stellen zu müssen, als da wären: Was ist diese deutsche Kultur, das geistige Konstrukt, in das sich andere einfügen sollen? Was sind die Vorzüge dieser Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass Minderheiten damit im täglichen Umgang eher begrenzt in Kontakt kommen? Es hilft, andere noch rückschrittlicher aussehen zu lassen, und die Gräben im eigenen Lager vom rechten Rand bis zu den Homosexuellen, von den kirchlichen Gruppen bis zu den arbeitenden Müttern für eine Weile zu vergessen. Die sich abschottenden Schichten sind als Feindbild eine der letzten verbliebenen Gemeinsamkeiten und gleichzeitig das verlorene Paradies, das Shangri La der früher bestimmenden politischen Kraft. Deren grosse Zeiten, in Bayern noch mit Auswüchsen wie arrangierten Ehen, Kopftüchern, unbedingte eheliche Treue, Jungfräulichkeit, Töchter in Klöstern, starke religiöse Bindung, Konfessionsschulen, Hass auf Schwule und einem knallhart durchgesetzten Kuppelparagraphen, sind in Bayern noch keine 50 Jahre her.
Es ist alles nicht mehr so einfach wie früher, als “konservativ” ein in sich stimmiges Lebensmodell und Wertesystem war. Mit etwas Pech und unvorsichtigen Übertreibungen steht am Ende dieser Integrationsdebatte kein Gesetz gegen die Unwilligen, sondern eine Spaltungstendenz zwischen dem, was an konservativer Realpolitik zugunsten der Mitte mit in paar Lippenbekenntnissen nach Rechts üblich ist, und dem, was sich im Untergrund zwischen Kriegervereinen, Neuen Rechten und radikalen Christen marginalisiert sieht. Mit den Muslimen, ihren Flatrates, Schleiern, Popstars und Megaparties hat das letztlich wenig zu tun. Vielleicht ist deren Mischkultur sogar auch eine Art Integration: Anpassung durch eben jene Desintegration und Atomisierung der Schichten, die längst auch ein Kennzeichen der Gruppen geworden ist, die sich in ihrem Wesenskern eigentlich dagegen stemmen wollten.