Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Lust und die Qualen

Würde man in besseren Kreisen so kommunizieren, wie das der Journalismus tut - von oben herab, desinteressiert an anderer Leute Meinung, laut und unhöflich - würde einen bald niemand mehr einladen wollen. Überhaupt kann ich mich nicht erinnern, dass jemals jemand einen Journalisten eingeladen hätte. In meiner Heimat war der Journalist ein schlecht angezogener Mensch, der in die Firma kam, um über einen Scheck für wohltätige Zwecke zu berichten, ansonsten muss er wohl irgendwo gewohnt haben, wo man nicht wohnt. Das wird schon seine Gründe gehabt haben. Ich jedenfalls möchte nicht so sein. Deshalb trage ich beim Schreiben eine feine Krawatte, es wird hier viel geplaudert und nun auch, aufgrund der Umstände, etwas verfrüht Danke gesagt für all die Freuden des Plauderns in diesem Blog.

Besonders herzlich möchte ich meine Tante Adelgunde in Pang bei Riedering nahe Rosenheim grüssen

Es ist schön hier. Aber in Gedanken bin ich bereits in Italien.

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Wenn nichts dazwischen kommt, verlasse ich am Sonntag diesen spätherbstlichen Traum eines sonnigen Bayernlandes, und überquere in einigen Etappen die Berge, die Poebene und die Toskana, um dann Siena zu erreichen. Ja, Florenz ist berühmter und bedeutender, aber Siena, Siena ist grandios, und stets freut mich der Umstand, dass es von mir bis zum Campo genauso weit wie nach Berlin zum Alexanderplatz ist. Da war ich übrigens schon länger nicht mehr. In Siena dagegen war ich in den letzten Jahren häufiger. Stets sage ich mir: Den Tank, den kann ich nach Norden verschwenden, oder nach Süden geniessen, und dann weiss ich, was ich will, und was mir nahe ist und Freude bereitet. Allerdings bin ich diesmal dort nicht zum Spass, sondern im Auftrag der FAZ. Am dritten Oktober findet dort ein Rennen auf historischen Fahrrädern und Strassen statt, und ich werde nicht nur darüber berichten, sondern auch selbst daran teilnehmen.

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Seit Wochen schon trainiere ich auf meinem Saronni von 1984 und anderen Jugendträumen meines Fuhrparks (oben das Modell “Prenzlhainer Makeup” von Basso) das schnelle Treten auf tückischen Feldwegen, denn das Rennen hat auch lange Passagen auf Schotter zu bieten. 3000 Starter werden dort in einem kleinen Ort namens Gaiole sein, ein riesiges Fest rund um alte Räder, Tradition, Anstrengung und Sieg über sich selbst – ich dagegen, der ich die Runde mit 80 Kilometern nehme, werde schon froh sein, wenn ich nicht gegen mich selbst brutalst verliere und somit dem 1-Mann-Team dieser Zeitung Schande bereite. Das Rad ist geölt, und die Lager sind gefettet und die Verbände bereitgelegt, denn Lenker haben es so an sich, dass man über sie schneller gehen kann, als es ein wenig beliebter Bundespräsident über einen Parteispendenskandal tut. Jeder Blutstropfen auf den weissen Strassen um Siena wird echt sein, denn ich gehöre nun mal nicht zu jenen Standesvertretern, die bis zum Tod durch Alkohol oder Herzinfarkt höchstens auf dem Bürostuhl fahren. Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden hier Anteil nehmen an einer Reise durch Italien, an Selbstzweifeln und der Überlegung, sich doch zur Gruppe mit der kleinen Runde über 38 Kilometern zu schmuggeln, Sie werden am grandiosen Tischen sitzen und am Ende vielleicht sogar vestehen, was einen mittelalten Mann dazu bringt, zwei Tage alle Kultur links liegen zu lassen, um sich in Lycra über Berge zu quälen.

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Darüber werden Beiträge entstehen und Bilder veröffentlicht – und ehe wir uns versehen, wird dieses Blog hier 250 Beiträge und Anlass für ein Jubiläum haben. Das hier ist Beitrag Nummer 247, 250 wird der Vorbereitung des Rennens gelten, und somit kann ich dann gar nicht das tun, was ich eben jetzt tun werde:

Danke

sagen. Danke für die Gunst, für Sie schreiben und mit Ihnen diskutieren zu dürfen. Danke für Ihre Bereitschaft, sich auf all die unterschiedlichen Themen einzulassen und darüber so ausschweifend zu reden. Danke für die Abweichungen unt Fehlakoregduren. Danke für die Geduld beim Freischalten und vor allem: Das angenehme Gesprächsklima, das hier nur minimale Justierungen verlangt. Es ist eine Freude, dieses Blog betreiben zu dürfen, in dem Wissen, dass es wenig Plattformen in dieser neuen Internetwelt gibt, die damit vergleichbar wären.

Um es in – natürlich vollkommen unzureichende – Zahlen zu fassen: Auf die bisher geschrieben Beiträge kommen im Moment 35.466 Kommentare. Meine Beiträge sind mit durchschnittlich 8000 Zeichen für Internetverhältnisse recht lang, aber die Kommentare eines durchschnittlichen Beitrags haben zusammen über 80.000 Zeichen. Es gibt ein paar Beiträge, deren Diskurse mehr als doppelt so viel Text als das tägliche Feuilleton dieser Zeitung beinhalten. Und nicht zuletzt sind mehr als 2/3 aller bei den FAZ-Blogs abgegebenen Kommentare hier, auf diesem Blog zu finden, das eigentlich nicht mehr im Sinn hatte, als ein wenig am Rande der grossen Nachrichten über die Stützen der Gesellschaft oder das, was davon übrig ist, zu plaudern.

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Bedanken möchte ich mich trotzdem nicht als Mitarbeiter dieser Zeitung, sondern privat. Der Mitarbeiter dieser Zeitung hat seine Pflicht und Schuldigkeit in dem Moment getan, da er den Beitrag abschickt. Das allein ist meine Arbeit, nur dafür werde ich bezahlt. Alles andere, das Freischalten und Antworten, das Diskutieren und Plaudern, ist mein Privatvergnügen. Ich verdiene mein Geld mit dem Text, der darüber steht, der Rest ist meine freie Entscheidung. Ich könnte statt dessen Pr0nos runterladen oder mir mit Sportwetten eine Drittalkoholismus zulegen, ich könnte nach Partnerinnen Ausschau halten, die noch nichts über Journalisten wissen, oder Rennrad fahren gehen – ich würde genauso bezahlt werden. Es gibt Leute, die mich für dumm halten, weil ich um 2 Uhr Nachts noch freischalte: Es sind die Leute, die nichts vom Reiz der Kommunikation verstehen, von den Möglichkeiten des Internets, und in ihrer Betriebsblindheit auch nichts mehr vom Faszinosum, das vom anderen Menschen ausgeht.  Ich glaube und hoffe, dass das den Erfolg dieses Blogs ausmacht, das eigentlich eine altmodische und virtuelle Teerunde ist: Dass Ihnen mein Geplauder und mir Ihre Kommentare nicht egal sind. Von mir aus sollen und dürfen Sie hier gern die Werbung ignorieren. Mir sind – zugegeben, ob der schieren Menge – auch die andernorts unendlich wichtigen Page Impressions egal, und ich interessiere mich, wenn ich ehrlich bin, nicht für Relevanz und die Dünkel des Journalismus, von dem ich, auch das sei gesagt, genauso viel absolut keine Ahnung wie die besteingebildetsten Journalistenschüler habe. Wir wissen alle so gut wie nichts. Aber wir sollten ständig von Ihnen dazulernen.

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Mich fasziniert, mich interessiert das Gespräch und die geistige Teilnahme an meinen Plaudereien. Und dafür möchte ich mich bedanken, selbst wenn Sie nur dabei bleiben, um zu sehen, wie sich ein mittalalter Mann in Lycra über Schotterpisten quält und sich fragt, warum er nicht in der dummen, kleinen Stadt an der Donau geblieben ist, und seine Silberkannen poliert.

Dazu in den kommenden Tagen mehr. Sie dürfen an dieser Stelle aber gern Anregungen, Wünsche und Ratschläge anbringen, angesichts derer ich nicht die lügenschwere Illusion erwecken möchte, ich würde mich gerne und jederzeit daran sklavisch orientieren. Ich lasse mir nicht gern in meine Arbeit hineinreden. Aber ich höre gerne zu.