Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, gehen wir zur D-Mark
Leitspruch heldenhafter Revolutionäre, der schon einmal erfolgreich war
Meine Freundin I. ist, wie im Westviertel nicht selten, ebenso blind wie eitel. Eigentlich müsste sie eine Brille tragen, und Kontaktlinsen verträgt sie nicht gut – folglich stolpert sie lieber durch ein kaum erahntes, schwammiges Farbenmeer. Sie hat eine Brille, und sie lässt sich auch manchmal bewegen, sie zu tragen. Zum Beispiel von mir mit viel Flehen, in ihrem vollkommen übermotorisierten Wagen, ein Hochzeitsgeschenk ihrer gescheiterten Ehe. Aber auch dann ist sie immer noch eine miserable Fahrerin. Ich bin noch mittelalt, und ich würde nicht gerne jetzt schon sterben. Aber wie es aussieht, werde ich als Beifahrer einer blinden Frau am Steuer eines italienischen Sportwagens am Reschenpass in den verschneiten Abgrund stürzen. Es mag ein mondäner Tod sein – mir ist er noch zu früh. Deshalb würde ich gerne noch einmal auf meinen vor fast zwei Jahren vorgeschlagenen, karolingischen Teilungsplan für Europa zurückkommen.
Es ist nämlich so, dass man bei uns momentan einen Dialog mit zwei knappen Wörtern führen kann, die alles sagen. Der geht so:
Ich: Eurobonds.
I.s Vater: Schweiz.
Denn jenseits vom Reichshauptslum, wo man vom Euro nicht viel merkt, weil die meisten ihn nicht haben und der Rest im Slumregierungsviertel nicht mehr Milliarden und Billionen unterscheiden kann, ist man vor der Lynchjustiz als Eurobondbefürworter nur kurz sicher. Nämlich so lang, wie es dauert, das Geld in Sicherheit zu bringen. Danach kümmert man sich gern um einen Platz für Dissidenten an der Laterne. Bis dahin ist man froh, wenn die Tochter den Weg über die Alpenpässe mit jemandem unternimmt, der schon mal mit dem LV-Koffer auf dem Beifahrersitz in Chiasso den Schweizer Zöllner nach dem Weg zur UBS fragte, und zur Antwort bekam, der Zöllner spreche nur Italienisch und Französisch.
Und wenn heute Abend schon wieder eine Rettung beschlossen wurde – fragt man sich natürlich auch, was “Rettung” im europäischen Kontext noch bedeutet. Normalerweise, wenn man etwa sein Vermögen vor dem Zugriff des Finanzamtes rettet, ist es gerettet. Heisst: Ist in Sicherheit und bedarf erst mal keiner weiteren Rettung. Retten heisst, dass Retten in der Eigenart als einmaliger Akt danach nicht mehr nötig ist. Heute haben die EU-Regierungschefs beschlossen, dass auch fröhlich weiter gerettet werden kann, wie schon die letzten zwei Jahre. Man kann sich auch zu Tode retten. Gleichzeitig gibt es aber auch Versuche, die Rettung für Privatpersonen bei 100.000 Euro pro Konto zu begrenzen. Mit Verlaub: Auf jedem Konto für die Dachsanierung eines unterdurchschnittlichen Stadtpalastes sind mehr als 100.000 Euro. Für 100.000 Euro bekommt man für ein studierendes Kind nicht mal einen Golf und eine 1-Zimmer-Kaschemme in Moosach. Vor dem Staatsbankrottsrettungsbankrott kommt erst mal die Zutoderettung von grösseren Vermögen. Also muss ich mit I. ins Auto, auf den Reschenpass und dann – es ist sicher sehr schmerzhaft, da hinunterzufallen. Und steinig.
Und weil nun in zwei Jahren nichts besser wurde, sondern erheblich schwieriger, und weil entgegen aller Behauptungen und Versicherungen vier Mitgliedsstaaten mehr oder weniger pleite sind, und weil man sich doch ohnehin inzwischen politisch übelst Vorwürfe macht in der europäischen Familie – würde ich raten, es wie in jeder anderen besseren Familie zu machen, bei der sich nach einer Weile zeigt, dass das gemeinsam geerbte Anwesen eine verkommene Bruchbude ist, durch deren Dach es regnet, und im Keller der Schimmel grassiert. Wenn sich dann noch vier Parteien bei der Zündelei am Gashahn die Wände heraussprengen, sollte man einsehen, dass man sich bei Begräbnissen und Leichenschmausereien oft genug sieht, den anderen die runtrgekommene Bude hinterlassen und dann selbst in einen Neubau ziehen. So nämlich entstanden schon immer die besseren Viertel, und ich wüsste keinen Grund, warum man daraus nicht eine bessere Staatengemeinschaft machen sollte.
Mein Vorschlag, der neben dem guten, alten Westen der BRD auch Ostfrankreich, die Niederlande, einen Teil Belgiens, die Schweiz, Teile Österreichs, Norditalien und die Provence mit der einzig wahren Hauptstadt Bonn am Rhein umfasst, könnte der üblen Nachrede eines “nationalstaatlichen Alleinganges” allein entgehen, als er gleich eine Reihe von Nationalstaaten ignoriert und teilt. Durch einen Beitritt zum schon existierenden Schweizer Franken würde man nicht nur sehr hübsches und international akzeptiertes Geld bekommen, sondern auch in Sachen Euro die Hände in Unschuld waschen – die anderen können den gerne behalten und nach Belieben ihren Bedürfnissen nach unten anpassen. Niederländisch käme allein noch als Sprache der neuen Gross-Schweiz dazu, und überdies hätte mnan mit einem Zusammenschluss der Wohlstandsregionen auch dem Gerede vom Wohlstandsgefälle einen wirksamen Riegel vorgeschoben.
Politikern, die ja in der Regel aus weniger begüterten Schichten stammen und Politiker wurden, um dem Schicksal zu entgehen, sei an dieser Stelle auch die Erfahrung meiner Kreise mitgegeben, dass verarmte Verwandschaft auch auf Jahrzehnte und Jahrhunderte noch helfen mag, den Reicheren den Sinn von Sparsamkeit und ordentlichem Wirtschaften bildlich vor Augen zu führen. Und statt irgendwelche Haushaltskompetenzen an das Grosse Ganze zu übergeben, könnte man es doch auch so machen wie früher: Städtepartnerschaften mit Resteuropa, Schulklassen verschicken, Honoratioren treffen, auf kleiner Ebene zusammenarbeiten. Ja, es mag ungerecht sein, aber in der kleinen, dummen Stadt an der Donau hat das Weinfest der italienischen Partnerschaft mehr für die europäische Idee getan, als gefeierte Leistungen wie die Glühbirnenverordnung, der Rettungsschirm und die Fehltage von Silvana Koch-Mehrin zusammen.
So, wie es im Moment ist, erinnert es zu sehr an erzwungene Familienfeste. Es gibt viele Sorgen, Ärger, Probleme, und eigentlich will keiner den anderen sehen. Man ist zusammen, weil die Tradition es so will, aber eigentlich warten alle nur darauf, dass einer aufsteht und sagt: Es geht so nicht mehr. Damit man sich wieder in die Augen schauen kann, ist Trennung notwendig. Danach kann man wieder zusammenfinden. Das hat bei der DDR mit der PDS funktioniert, es gibt keinen Grund, warum es nicht auch unter Europäern klappen sollte, wie es auch hilfreich bei der Lösung von Familienkonflikten ist. Ein, zwei Generationen später renkt sich das schon wieder ein: Auch unser Clan, einst nach dem ersten Weltkrieg heillos zerstritten zwischen Königsgetreuen und Liberalen, hat das alles längst zur Familienfolklore verarbeitet. Es dauert natürlich etwas – schnell geht es nur in die Schlucht, wenn I. die Kurve nicht erkennt.
Natürlich haben Sie recht, wenn Sie jetzt sagen: Niemand wird das tun. Niemand wird sich hinstellen, die Probleme ansprechen, die alle kennen und verschweigen, denn dieser jemand wird auf ewig das schwarze Schaf der Familie sein, das “den Zwirl do neibrocht hod”, der einen letztlich aus “dem Schlamassl aussebringt”. Niemand will derjenige sein, der das sagt, was man nie gesagt hätte, aber jetzt, da es draussen ist, kann man sich ja am Mord der europäischen Idee beteiligen, Nägel mit Köpfen machen und zusammenwachsen zu lassen, was laut Millionärsdichte zusammen gehört. Niemand wird das klaren Verstandes tun. Nun – das stimmt, aber auch dafür sehe ich zwei Lösungsmöglichkeiten.
1. Jeder schreibt das auf, was ihm an den anderen nie gepasst hat. Dann leaken wir alles zu Julian Assange, idealerweise noch mit ein paar Interna über den En.BW-Deal, Einschätzungen zu Berlusconis letztem Bunga-Bunga und ein paar Sexskandalen aus Paris gespickt. Das kann man später alles als Tratsch abtun, der die unverbrüchliche Freundschaft zwischen der Gross-Schweiz und der Rest-EU nicht gefährden wird.
2. Irgendjemand, der impulsiv, launisch, ohnehin schon beschädigt und leicht ersetzbar ist, hält es mit gutem Zureden für eine gute Idee, sich populistisch an die Spitze dieser Bewegung zu stellen, nur um dann von der Umwälzung gefressen zu werden. Wer könnte sich nur für so einen spätrömisch-dekadenten Plan…
An Herrn Westerwelle haben jetzt aber Sie gedacht.