He may be a bastard, but he is our bastard
US-Staatschef Richard Nixon über seinen nicaraguanischen Amtskollegen Somoza
Der ägyptische Staatschef Mubarak könnte an den Tegernsee ziehen, wenn er es unter seinen unhöflichen Landsleuten nicht mehr aushält. Wir haben hier ganz famose Einrichtungen für Alterskrankheiten, zum Beispiel. Ausserdem ist der See schon länger bei Leuten beliebt gewesen, die als starke Persönlichkeiten und Führer gelten können. Bei Gmund, links im Bild etwa, hatte Heinrich Himmler sein Privathaus. Auf der anderen Seite, in Bad Wiessee, feierte Röhm mit seinem Anhang die letzte Party. Ein wenig südwestlich des Sees versteckte sich nach dem Krieg der spätere BND-Chef Reinhard Gehlen für ein paar Wochen vor den Amerikanern. Und hinten rechts, in Rottach und Kreuth, liessen sich nach dem Krieg eine Menge höherer Chargen aus Wehrmacht und Waffen-SS nieder. Darunter vermutlich auch manche, die in der ein oder anderen Kriegswoche im Osten weniger als 100 tote Zivilisten auf dem schwach ausgeprägten Gewissen hatten. Keine Frage, wir haben hier eine blendende Infrastruktur für arabische Diktatoren.
Naja, böse alte Geschichten, kann man sagen, die alten Nazis liegen längst auf dem Rottacher Friedhof, und ansonsten ist hier alles ganz normal, nur ein wenig besser. Kein Wunder, muss man sagen, die Anwohner haben die Krise gut überstanden, und die paar Euro mehr für das Benzin können sie sich auch leisten. Schliesslich sind die Depots wieder werthaltig und die Wirtschaft blüht auf, und es war auch bei diesem Spiel wie drüben in der Spielbank von Bad Wiessee: Am Ende gewinnt immer die Bank. Und gezahlt haben die Staaten, die das als “alternativlos” ansahen. Dafür dürfen sie sich gerade in Davos kostenlos von echten Fachleuten anhören, wie schlimm und schrecklich doch jeder Versuch wäre, sie jetzt zu regulieren, wo doch alles gut läuft und zu aller Wohlergehen beiträgt, zumindest in diesem kleinen Kreis, Banken, Politik und ein paar Journalisten, die das alles aufschreiben und im vollen Brustton der eigenen Bedeutung in einem scheusslichen Alpenkaff der Welt dann mitteilen.
Und tatsächlich können die Staaten wenig anderes tun, als bei diesem Spiel jetzt weiter mitmachen. So ein Staat will Schulden verkaufen und kurzfristig finanzieren, er kann sich keine Staatspleiten wie in Griechenland leisten, denn sonst würden die Rentenkassen, die griechische Schulden besitzen, und andere systemwichtige Institutionen leiden, und am Ende würde es wieder jene Steuerzahler treffen, die schon die Bailouts der Banken finanziert haben, und dann wäre auch der Rentner am Tegernsee nicht mehr froh und gelassen… das System läuft, für alle ist es die beste aller möglichen Welten, die einen müssen am Ende vielleicht weniger zahlen, und die anderen kassieren wieder schöne Boni für ihre Leistungen, solange sie nicht im Gefängnis sitzen, aber das tun nur wenige. Dem Rest geht es prima. Die Banken verdienen wie 2007, nur die Staaten haben weniger, aber dafür das Wort “alternativlos” für die Einsicht in die Realitäten. Homma wieda wos gleant, sagen wir in Bayern am Tegernsee.
Mit den Staaten – man sieht es in Davos – kann man es ja machen. Leise Töne, dezente Gespräche, keiner stellt sich hin und nennt die Schuldigen verdammte Kriminelle, Verbrecher, Mörderbande, widerliches Gesocks, dafür sorgt schon die Security vor Ort, selbst wenn ihre Spekulationen mit dem nachgeworfenen Geld der Notenbanken die Preise für Rohstoffe nach oben treibt. Rohstoffe wie Getreide, die bei uns für eine kleine Inflation sorgen, und in Nordafrika für Hunger, weil die Staaten dort die Brotpreise nicht mehr subventionieren können. Und dann werden die Leute eben hungrig. Sie werden hungrig, schlecht gelaunt, daheim gibt es Ärger, sie sind wütend und möchten nicht nur mehr essen – statt froh zu sein, dass sie sich nicht wie manche Tegernseerin dem Fettabsaugen unterwerfen müssen – sondern möchten auch noch etwas vom Geld der Reichen. Jener Reichen, die halt gerade in ihrem Land greifbar sind, dazu auch Mitbestimmung, damit sie an das Geld kommen, Demokratie, weniger Unterdrückung, gar Korruptionsbekämpfung und für bayerisches Verständnis ähnlich irrationales Zeug. Wenn man so will, verlangen sie von ihren Staaten und Herrschern eine Art Schuld ein und sind auch bereit, sie einzutreiben. Man könnte die Revolten als Bank Run der Entwicklungsländer bezeichnen.
Und tatsächlich haben die Aufstände in der arabischen Welt eine überraschende Ähnlichkeit mit der Bankenkrise: Zuerst geht es den Leuten schlecht, sie können nicht mehr bezahlen, was sie zum Leben brauchen. Das Problem wird kleingeredet, kaschiert, es gibt ein paar Versprechungen und Beschwichtigungsversuche, die Aufforderung, den Mund zu halten, aber was hilft das, wenn man Hunger hat? Irgendwann überschätzt man an der Spitze die eigene Unfehlbarkeit und Machtposition, das to big to fail, und plötzlich wollen alle ihre Rechte, weil das Vertrauen weg ist: Die Revolution in Tunesien ist der Lehman-Moment in Nordafrika. Es geht, begreifen die anderen Armen und Unterdrückten, die in einer ähnlichen Lage sind. Sie sehen, dass sie ausgebeutet werden, und an der Spitze geht die Party weiter. Wenn Tunesien Lehman Brothers war, ist Ägypten Goldman-Sachs: Systemrelevant. Man hat im relativ unbedeutenden Tunesien gesehen, welche überraschenden Auswirkungen so ein Umsturz haben kann. Und, so bemüht sich die Lobby von Mubarak zu betonen, damit steht und fällt die Strabilität in der Region, die über Wohl und Wehe der Weltwirtschaft und US-Aussenpolitik entscheidet. Es muss nur jemand den Suezkanal bestreiken – schon steigt der Ölpreis in Regionen, die jeden Versuch der Wirtschaftserholung in den USA zunichte machen.
Und wie bei der Bankenkrise wird nun betont, welche entsetzlichen Risiken da lauern. Die Muslimbrüder zum Beispiel. Was das für die Menschenrechte bedeuten könnte (Staatsterror wie bisher vielleicht)! Scharia (wurde in Ägypten schon 1980 als Besänftigung dieser Gruppe als Gesetzesgrundlage eingeführt)!Der Friede im Nahen Osten (den sie seit 1979 nicht weiter gebracht haben)! Israel (gegen das als Sündenbock im ägyptischen Staatsfernsehen ununterbrochen gehetzt wird)! Ägypten unter Mubarak, sieht man, ist zwar nicht fein, aber auch alternativlos. Natürlich wäre es nett, wenn die Oligarchen etwas von ihrem Reichtum abgäben und demokratischen Wandel einführten, der zum gewünschten Ergebnis führt, wie man auch von den Banken hoffte, dass sie keine irrwitzigen Derivate mehr erfanden, und sich schamlos bereicherten, wenn man ihnen Milliarden gab. Die Banken lernten, dass man ihnen jede Zockerei vergab, wenn sie nur laut genug den Zusammenbruch des Systems beschworen. In Ägypten führen vermutlich 150 Tote die Aufstände nicht dazu, dass 1,5 Milliarden Dollar amerikanischer Hilfe überprüft werden. Mubarak mag alt und krank sein, aber so senil, dass er sich nicht ausrechnen kann, wieviele Menschen er pro Woche seine Schergen risikolos für die Stabilität ermorden lassen kann, ist er vermutlich doch nicht.
Und wie es der Teufel haben will, ist man gegenüber der ägyptischen Oligarchenblase genauso in der Verantwortung, wie man es mit der Notenbank und ihrer Politik des lockeren Geldes gegenüber den Banken war. Man hat Mubarak und die Banken einfach machen lassen. Man kann nicht umhin, sich den Zorn der Bevölkerung zuzuziehen, um das System zu retten, zu dessen Teil man sich gemacht hat. Man kann die Partner bitten, jetzt umzudenken und anders zu werden, aber das hat bei den Kleptokraten in den Banken nicht funktioniert. Warum, könnte man sich fragen, sollte es bei einem nahöstlichen Gewaltherrsc… Aber die Muslimbrüder! Die Menschenrechte unter dem Islam! Man kann doch nicht einfach so einen Partner hängen lassen!
Steht in den Medien, sagt der Aussenminister, blöken alle, die bislang über die Defizite des Systems hinwegsagen. Also mahnt man etwas und bailt aus, man hebt den Zeigefinger und schreckt gleich wieder zurück. 1,5 Milliarden Dollar, das ist letztlich nur Papier wie all das andere Papier aus der Notenbank. 150 tote Ägypter sind schlimm, aber nach der Rechnung der westlichen Freiheit besser als 15 Selbstmordattentäter. Für manche sicher erstaunlicherweise hat man bislang in Kairo so Dinge wie Meinungsfreiheit, Demokratie und ein Ende des korrupten Systems gefordert, zum Gewaltverzicht aufgerufen und auch keine antiamerikanischen oder antisemitischen Sprüche geschrien. Die Nuslimbrüder haben lange gebraucht, bis sie sich anschlossen. Man könte Mubarak vermutlich mit viel Geld retten, und das System eine Weile stabilisieren, in der Hoffnung, dass es schon wieder wird, und der Terror des Regimes mit den Aufständischen aufräumt.
Die Bankenkrise ist nicht vorbei, sie wurde nur zu einer Währungs- und Staatsschuldenkrise. Mit etwas Pech könnte ein Bailout von Mubarak den Aufstand auch verschieben, hin zu einer umfassenden Glaubwürdigkeitskrise. Man mag mich einen Egoisten nennen, aber mir wäre es lieber, wenn Mubarak baldmöglichst ein nettes Fleckerl auf dem Kirchhof von Rottach gleich neben einem Nazigeneral erwerben würde, und in zehn Jahren die radikalpolitischen Zinsen für eine Niederschlagung der Demokratiebewegung zahlen muss.