IHR ODER DER TOD
Motto auf einem Prunkschild Karl des Kühnen
Es gibt eine Reihe von politischen Theorien, die im 20. Jahrhundert schreckliche Folgen hatten. Nach diesen 100 Jahren des Elends und des Mordens mag es ein wenig tröstlich sein, dass nicht allen Ideen die Möglichkeit eingeräumt wurde, weitere und überflüssige Beweise des menschlichen Versagens anzutreten. Und der Umstand, dass sich die damals populären Ideen von Eugenio Rignano in den 20er Jahren nicht durchsetzen konnten, versöhnt vielleicht mit kleineren Menschheitsverbrechen wie der Erfindung der Mikrowelle und private TV-Stationen. Zumindest gild das für jene, die in gute Verhältnisse hineingeboren sind: Eugenio Rignano nämlich vertrat die Auffassung, dass es gesamtgesellschaftlich betrachtet eine gute Sache wäre, private Vermögen spätestens nach drei Erbgängen zu 100% zu besteuern. Oder zu enteignen, konfiszieren, berauben, brandschatzen, wie man das in meinen Kreisen sehen würde. Und schon bei früheren Erbfällen sollte der Staat pauschal 30% einbehalten, dachte Eugenio Rignano und mit ihm viele andere; würde man dergleichen heute am Tegernsee vortragen, wäre es eine Förderung der unter Nachwuchsmangel leidenden Gebirgsschützen.
Ich weiss natürlich nicht, ob Eugenio Rignano ein echter, konsequenter Philosoph war und verfügte, dass mit seinem Vermögen so zu verfahren sei. Was ich aber sicher weiss ist, dass in meinem Umfeld jede soziale Sinnhaftigkeit von Erbschaftssteuern für das Gemeinwohl bis auf das Blut bestritten wird. Es gibt viel Hassenswertes in dieser Gesellschaft, viele Ungerechtigkeiten und bald auch wieder Blitzer am Achenpass, wo die lange Gerade hinter Glashütte auch 240 verträgt – aber nichts trifft härter, brutaler und tiefer das wohl betuchte Gemüt als die Frechheit des Staates, schon einmal besteuerten Besitz beim Todesfall gleich nochmal zu besteuern, ganz so, als reichte das Elend in so einem Falle nicht aus. Keine Beerdigung am Gmundner Bergfriedhof, über der nicht der hagere Geist des Schäuble mit langen Fingern in des Toten Taschen wühlt.
Von solcherlei unhöflichem Betragen angewidert, schweift der tränengeschwängerte Blick hinüber zum Achenpass, denn dort, im österreichischen Vorbalkan, dort hat man ein Einsehen und die Erbschaftssteuer gänzlich abgeschafft. In Tirol kann man ruhig die Augen schliessen; nirgendwo könnte Eugenio Rignano ferner sein, als in den Todesstationen rund um Wien, jenem Berlin des Balkans, von dem sogar ich sagen würde, dass man es als Toter ertragen kann. Und da gibt es, wie wir in den Fällen eines unvorsichtigen Mitarbeiters der Bayerischen Landesbank, der Familie Piech und zuletzt beim Familienverband der zu Guttenberg lesen durften, durchaus eine Lösung, um als Deutscher durch Winkelzüge in den Genuss der österreichischen Liebenswürdigkeit zu gelangen: Die Privatstiftung für die Familie nämlich steht prinzipiell jedem Deutschen offen, der ein ausreichendes Vermögen mitbringt. Und nicht nur die Erbschaftssteuer entfällt: Auch andere Belastungen bei Transaktionen, wie etwa bei der Zuführung von Gewinnen, fallen jenseits der Grenze geringer aus.
Ich will die werte Leserschaft hier gar nicht mit den nervigen juristischen Einzelheiten belasten, für die man in solchen Kreisen Mitarbeiter hat, die sich darum kümmern. Unwidersprochen jedenfalls ist, dass gleich hinter der Staatsgrenze in Salzburg sehr schöne Villenviertel anzutreffen sind, und der Ort über ganz famose, wenngleich etwas teure Antiquitätengeschäfte, Festspiele und Museen verfügt. Sollte also jemand planen, seine Firma und sich selbst jenseits der Grenze einzubringen, sei an dieser Stelle zudem vermerkt, dass Salzburg, historisch als Fürstbistum betrachtet, eigentlich gar nicht zu Österreich gehört. Man sitzt dort gewissermassen zwischen den Welten, und das gar nicht mal so schlecht. Kein Wunder also, wenn sich der Vorbalkan für schon üppig Besitzende zu dem entwickeln kann, was Monaco für gerade noch Verdienende ist: Eine Steueroase, und dank Doppelbesteuerungsabkommen und Gestaltungsmöglichkeiten vollkommen legal, und ganz ohne den schlechten Ruf anderer Gegenden, die den Reichen viel Müh und Plagiat abnehmen.
Besonders hübsch finde ich in diesem Zusammenhang die dadurch mögliche, das eigene Tun dezent belodenmäntelnde Propaganda: Letzthin las ich von einem, der meinte, er habe sich und seine Familie damit faktisch enteignet. Andere verweisen kühn auf die dringend gebotene Vermeidung von Erbstreitigkeiten, die mit einer Stiftung vermieden werden. Besonders herzig übrigens auch die Einbringung von Schlössern in derartige Konstrukte: Das sei der schwierigen und teuren Erhaltung von Kulturgütern geschuldet, darf man nachlesen. Und es stimmt natürlich. Derartige Argumente lassen sich bei einer grossen Yacht nicht vortragen, selbst wenn man überlegen könnte – wäre man denn ein schlimmer Neider – ob so ein selbst bewohntes Schloss zwingend als Problemfall und andauerndes Elend in Sachen Erhaltung gelten muss; braucht doch eine Yacht ab und zu einen neuen Anstrich und einen Bunga-Bunga-Kabine, ohne dass man dafür kulturelle Gründe ins Feld führen würde. Aber es scheint, als sei das Gemüt der schlichten Menschen mit 400 Jahre alter Prunksucht so zufrieden, wie es deren moderne Ausprägungen verdammt.
Nur auf den ersten Blick erscheinen all die Bücher, die sich mit der Thematik beschäftigen, so unerfreulich wie die Vorstellung, den Rest aller Tage in der Steiermark zu verleben, mit Nachbarn, die dem Jörg die Treue halten. Dort steht zwar geschrieben, dass von Deutschland aus an Stiftungen übertragene Vermögen von 17,5% Enteignung durch Schenkungssteuer bedroht sind. Aber man kann diese Steuer mittels einer österreichischen Kommandit- oder Personengesellschaft “abschirmen”, wie es so schön heisst, und das ist keinesfalls eine weitere Belastung. Man gründet eben eine Firma mit wohlklingendem Namen, etwa die “Wohltuende Alphonsinische Vermögens & Latifundien KG von 1543”, beschafft sich einen Salzburger Briefkasten und bittet Amalie, die sowieso gerade bei ihrer Bank geflogen ist, dort pro forma Geschäftsführerin zu werden – in Österreich wusste man schon immer ein Platzerl für missratene Kinder zu finden. Vielleicht brauchen ihre Eltern ja auch einen Chef für die “Würdevolle Amalia Auguste Stiftungs KG”. Es ist nicht ganz einfach, alle Schlupflöcher der grenzüberschreitenden Steuerwirrnisse zu finden, aber der kundige Berater spricht nicht zu Unrecht von “Gestaltungsmöglichkeiten” in dieser Unübersichtlichkeit.
Dergleichen Chancen über zwischengeschaltete Gesellschaften gibt es nicht nur bei der Verbringung von Vermögen ins steuergünstige Österreich, sondern auch bei der Ausfuhr von Zuwendungen nach Deutschland. Und bislang ist mir noch kein Fall bekannt, da eine Zeitung mit grossen Lettern einen “Steiermark-Rudolf-Ferdinand” oder eine “Wolfgangsee-Agnes-Mathilde” an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt hätte – alles ist legal, alles ist möglich. Mir scheint, man redet in der Presse ohnehin nicht gern über solche Gestaltungsfragen, die auch nicht leicht zu erklären sind. Das Elend an der Sache ist allein der Umstand, dass die üblichen kleinen, ärmeren Reichen, die von der Erbschaftssteuer genauso brutal wie die wirklich Reichen betroffen sind, aufgrund der Komplexität und der hohen Kosten so einer Lösung von den Segnungen der Österreicher ausgeschlossen sind: Es lohnt sich erst für wirklich grosse Vermögen.
Es sei denn, jemand hat die Idee… also, es ist doch so: Diese österreichischen Familienstiftungen sind mehr als nur Steuerersparnis. Sie haben ein gewisses Prestige, lassen auf ein grosses Vermögen schliessen, machen auch alkoholkranke Kinder attraktiv, und sind nicht so protzig wie ein Haus in Dubai. Geschäftsabschlüsse und Ministerernennungen werden keinesfalls schwerer, wenn man über so eine Stiftung im Hintergrund munkelt, denn nur die wirklich Reichen… ich sehe da ein Geschäftsmodell: Denn ob man nun dem deutschen Fiskus einfach so das Geld in den Rachen wirft, oder es aufgrund einer schlecht konzipierten Stiftung tut, die dafür wenig kostet, macht keinen Unterschied – mit Ausnahme der Stiftung, die man in Österreich hat. Sie ist nicht im Mindesten so peinlich wie ein gekaufter Adelstitel, nicht so halbseiden wie ein österreichischer oder gar Bayreuther Doktortitel, sie bietet dem Nachwuchs Geschäftsführerposten in Firmen…
Man könnte doch in Zusammenarbeit mit ein paar hungrigen Juristen, einiger vorgegründeter KGs mit vielen Posten in einer schicken Villa bei Salzburg mit vielen Briefkästen… eventuell vertreibt man auch kleine Besenkammern in einer runtergewirtschafteten Burg in Ostdeutschland, um eine denkmalpflegerische Dimension einzubringen… die Volks-Österreichische-Familienstiftung für nur noch 49.999 Euro, Denkmalschutzbegründung mit Schlossanteil 9.999 Euro Aufpreis… der Sohn hat dann einen ordentlichen Beruf, einen guten Spruch – “Was? Staatssekretär werden? Kann ich mir zeitlich eigentlich nicht leisten. Die Familienstiftung verlangt nach mir, morgen wieder nach Salzburg…” – und beste Aussichten auf weiteren gesellschaftlichen Aufstieg. Das würde mindestens 6 Monate am Tegernsee und 30 Jahre in Berlin funktionieren, bis jemand der Sache auf die Schliche käme.