Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Nie nach Rimini

Sehnsucht liegt in der Seele des Betrachters: Der eine träumt von nackten Eurovisionen, der andere von Zimmermädchen, der dritte vielleicht von einer Villa und spätestens dann jemand von der Adria, Strand, Meer und Urlaub, kurz: Von Rimini. Dort war ich ein paar Minuten auf dem Weg nach San Marino und weiter nach Rom. Die paar Minuten haben gereicht.

Schicksal ist in das Gesicht geschrieben
Federico Fellini

Früher gab es zwei Arten von Menschen: Die einen machten Urlaub. Und die anderen kannten das nicht. Den Sozialisten sagte diese Aufteilung nicht zu, die Nazis hatten den Einfall, ihre Ideologie an ein Konzept des Volkstourismus zu binden, erst mit Kraft durch Freude und dann mit der Wehrmacht, aber als dann die Russen Berlin und die Amerikaner München besuchten, gab es bald wieder zwei Arten von Menschen. Die einen machten den Urlaub dort, wo sie es sich leisten konnten, daheim, im Harz, im nächsten Tal im Zelt, eventuell sogar in den Bergen und sogar in der Familienpension. Die anderen fuhren an das Mittelmeer zu einem echten Hotel. Und wie es so ist mit der menschlichen Entwicklung: Die einen begannen, den anderen hinterher zu fahren.

Bild zu: Nie nach Rimini

Und so ward Rimini geboren. Rimini, so wie man es kennt. Ein popularisiertes Versprechen an die Reicheren, das allen, die es bezahlen können, zugänglich gemacht wird. Man darf es sich wohl nicht so einfach vorstellen, das Erreichen dieses Ziels, den nächstbesten Meeres für Süddeutschland, in jenen Tagen. Ich bin die Strecke, auf zwei Tage verteilt in einem originalen, höchst schnuckelign Standardfahrzeug jener Tage gefahren, mit 30 PS hinten und Sitzen wie ein Hüpfball: Das ist unter Berücksichtigung einer eingepackten Familie schon, wenn man es rational betrachtet, nicht eben ohne Entbehrung, selbst für eine Epoche, die weitaus schlimmere Entbehrungen kannte. Relative Pein, oder auch, relativer Luxus der 50er Jahre: Da musste man sich in jenen Tagen finanziell lang und beim Gepäck zu viert kurz machen. Am Ende war man dann am Meer, baute deutsche Sandburgen und liess sich sehr deutsche Parzellen am Strand zuweisen, wie heute noch üblich. Der Strand ist lang, aber zu kurz für freies Chaos.

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Für einen Menschen, in dessen Heimat erbittert um Seegrundstücke und den Zugang zum Wasser zwischen kleinen und grossen Millionären gestritten wird, ist Rimini eher ein Schock. Natürlich gibt es grössere und kleinere Strandparzellen, und bessere und schlechtere Abschnitte mit unterschiedlichen Qualitäten bei der Ausstattung. Und vielleicht mag dem Menschen in grauer Vorzeit, als er aus dem vollen Käfer gefallen ist, die Parzelle als eigener Auslaufplatz mit vielen Möglichkeiten erschienen sein: Hinlegen! Die Beine strecken! Über einen Holzweg zum Wasser gehen! Aber von unseren diskreten Buchten am Tegernsee aus gesehen ist das die gleichgeschaltete, uniformierte Gesellschaft: Vorne die Wasserfront, hinten die Trainingsanlagen, dazwischen die Heere der Badenden, links zwo drei vier kehrt zum Essen fassen. Das soll einmal Luxus gewesen sein? Also anders Luxus als der Luxus, den Billigdiscounter auf Billigverpackungen von billigen Inhalten schreiben?

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Ein Mekka der Reichen und Schönen gar? Eine lang verstorbene Grosstante, original Pöselsdorfer Senffabrikantengattin von Beruf, wusste in den 80er Jahren noch zu schwärmen von Heiligendamm (damals DDR, heute Privatinvestor), Sylt (immer noch DDR in Sachen Geschmack), Neapel und eben Rimini, dorthin sind sie vom hohen Norden aus im Mercedes gefahren, für einen langen, geraden, wie mit einem deutschen Lineal gezogenen Sandstrand, für eine lange Strasse und ein Hotel am anderen dahinter. Möglicherweise war das in jenen Tagen anders, bevor die grossen Massen kamen, vielleicht gab es damals noch eine Quadrate. Aber echte Reichenviertel leben nun mal auch davon, dass man das Elend der anderen nicht kennt, sondern allenfalls ferne ahnt. Wie soll man hier in Ruhe Erholung finden, wenn sich nebenan Creti aus Krefeld und Pleti aus Plochingen um eng begrenzte Quadratmeter und am Buffet um Krumen balgen.

Das alles mag für manche Urlaub sein, und für andere das Vorbild für viele andere Strände zwischen Balgarien und Bulearen oder wie das heisst, aber es ist nicht mehr exklusiv. Natürlich schliesst so ein Planquadrat andere aus, aber man selbst ist genauso eingeschlossen, wie alle anderen. Was sich ändert, ist die Grösse der Planquadrate, die Touristenhaltung wird spätestens, auch bei den besten Häusern am Platz, von den weniger schönen Planquadratquadraten begrenzt. Der moderne Tourismus für Besserverdienende und alle anderen stellen gern Exklusivität und Premium heraus, das Herausstellen findet man auch in Rimini, aber das sind Worte, denen nur begrenzt Taten folgen, weil das offensichtlich wird, was zwar jeder weiss, aber nicht jeder gerne zugibt: Das Hotelgewerbe verdient mit Planquadraten. Gastlichkeit ist eine wirtschaftliche Kennzahl. Und das ist nicht exklusiv.

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Das ist eher wie eine Führung durch eine Lederwarenfabrik in Bangladesch. Mag der eine oder andere auch das Meer sehen und sich denken: Oh wie schön – mit etwas Einsicht vermag man hier zu erkennen, dass hier der Wesenskern der Tourismusindustrie vorgeführt wird, der nicht anders ist als der Wesenskern der Geflügelhaltung oder der Nähereien in einer fernen Diktatur: Massenabfertigung. Und so, wie der Massenschuhimporteur auf seine Ware gern ein “Made in Italy” klebt, weil hier der Absatz angeklebt wurde, wird einem hier die Geschichte von den Sternen am Hotel erzählt. Auch wenn darin, bei den Strategen, sehr genau überlegt wird, was man welcher Kategorie zumuten kann. Ungeachtet dessen: Ein Problem mit Rimini haben vermutlich nur Leute aus meinem Umfeld. Für die anderen ist es immer noch das, was sie wünschen.

Denn es gibt Bars und Diskotheken und Umkleidekabinen ohne Löcher und grosse Spielplätze für die Kinder und Kegelbahnen und Platzwarte und jeden Morgen wieder einen sauberen Strand wie bei uns am Tegernsee, nur macht es hier nicht der Ort, sondern der Strandverwalter. Manche Schilder versprechen noch gute, alte, deutsche Vergnügungen am Wasser und andere guten, neuen “Fun” am Meer, man kann sich die Ausgestaltung der Parzellen heraussuchen: Traditionell oder modisch oder gar bald wieder retro mit Tischtennis und mitgebrachtem Grill wie daheim im Volkspark Friedrichshain?

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Rimini sehen heisst auch ein wenig den Tegernsee und seine Grundstücksstreitereien zu verstehen. Wenn diese zugewiesenen Parzellen genau das sind, was man keinesfalls haben möchte, ist das Stück Ufer mit einem Zaun herum vielleicht noch nicht ideal, aber schon mal eine feine Sache. Das ist vielleicht auch das Geheimnis hinter all den Inselprojekten bei Dubai und der Marinas in Kroatien, oder was der Trend oder die Suche nach Gesundheit als Ausrede sonst noch verschreibt. In den Investmentprospekten steht zwar nie “ganz anders als Rimini”, aber die Beschreibung lässt keinen Zweifel: Die Hölle und Rimini, das sind die anderen. Und ob man sich dorthin im Käfer oder im A4 bewegt, macht auch keinen Unterschied. Vielleicht, mag man sich überlegen, ist diese Erfahrung dieses Ortes sogar ein entscheidender Impuls für den selbst gekauften Zweit- oder Drittwohnsitz: Nicht unbedingt am Strand, nicht an diesem Strand, kein Sand vielleicht, aber am Ende des Tages das wohlige Gefühl, kein Planquadratbewohner zu sein. Es stimmt zwar nicht ganz, aber die Planquadrate der Reichen sind in aller Regel besser getarnt als die der Armen.

Und am Abend besucht man ein Restaurant nach Wahl ohne Massenabfertigung. Zumindest muss man dort vor weissem, unzerkratzen Porzellan nicht dauernd an die Plastikflaschen denken, mit denen die Sauce Verte an den Hummer Thermidor nach dessen Leben, gefangen in einem Planquadrat und dann gefühllos abgekocht, gegeben wird.