Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Kinderabrichtung in der Konsumgesellschaft

Es ist nicht so, dass wir nichts oder auch nur wenig haben - aber das, was andere gerade so bekommen, ersetzt einen als ehemaligen Zögling besserer Kreise dann doch in Erstaunen.

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Filomena Angelika in einer E-Mail.

(3. Teil einer losen Serie über Kinder in besseren Kreisen und was sie eigentlich sollen, Teil 2 über Ferienarbeit, Teil 1 über Erfolgsdruck)

In meinem spätjugendlichen Leichtsinn empfand ich Werbung für Pornographie und sexuelle Stimulanzen immer als grobe Beleidigung. Weder brauche ich Melkmaschinen – ich bin keine Kuh – noch Viagra – als Kunstfigur habe ich keinen Unterleib. Ich habe kein Interesse an einer willigen Walburga und keine Nachfrage nach Nichtmehrminderjährigen aus Halle. Oder woher auch immer. Also löschte ich solche Angebote, wenn sie jemand in die Kommentare meiner Blogs schrieb. Ich wurde älter. Und inzwischen haben sich auch die Spammer geändert. Man offeriert mir keine sündige Susi mehr, sondern Treppenlifte. Oder Luxuskleider für Kinder. Wenn mich die bereite Bettina aus Bremerhaven schon ärgerte, was soll ich dann erst jetzt sagen? Treppenlifte und teurer Luxus für Kinder, die ich nicht habe. Das Menschenbild von Spammern ist keine Freundlichkeit. Zumal mein absolutes Lieblingsbild meines zweimonatigen Kurzurlaubs zwischen Verona und Rom das hier ist:

Bild zu: Kinderabrichtung in der Konsumgesellschaft

Da sitzen die Eltern also in diesem Geschäft und lassen sich Dinge vorführen, die die Mutter der beiden dann unzweifelhaft als Mitglied einer gewissen Schicht ausweisen wird – selbst wenn jene Marke in Italien gefühlt jede zweite Frau trägt. Und die Töchter der Familie, die in 10 Jahren recht sicher nicht mehr angenervt von derartigen Geschenken sein werden, geben sich keine besondere Mühe, ihr Desinteresse zu verbergen. Drinnen will Frau Mama auch das dezentere Muster sehen. Und die andere Grösse. Oder doch eine Sonderanfertigung? Immer diese Entscheidungen… Die Töchter, die ein Anrecht auf Bespassung zu haben glauben, hätten jetzt vielleicht gerne jemanden, den sie anraunzen und schlecht behandeln könnten. Da ist aber niemand. Und würde Frau Mama ihnen etwas kaufen, wäre es ihnen auch egal. Sie sind zu jung für Logos. Sie haben sich einen Nachmittag in dieser Stadt sicher anders vorgestellt. Ich vermute, ich ahne, ich befürchte, dass sie zusammen schon Mittel und Wege gefunden haben, damit dieser Einkauf für die Eltern der letzte Höhepunkt des Tages geblieben ist.

Die weitere Geschichte kann man sich auch blutrünstig in Spammervorstellungen ausmalen; die Eltern versuchen es vielleicht mit Bestechung und dann mit Gewöhnung, denn wozu gibt es denn die Einstiegsangebote: Kleider, die gleichzeitig dem kindlichen Spass wie auch dem Markenbewusstsein der Eltern entsprechen – schliesslich muss man die Kinder ja auch herzeigen, und wenn sie schon hochbegabt sind, was inzwischen alle sind, in irgendwelchen Bereichen, dann sollten sie dabei auch hübsch aussehen. Ich nehme so etwas schon gar nicht mehr richtig wahr, auch ich werde eingewöhnt, aber eine Bekannte aus dem Norden erzählte mir vom Kinderspielplatz in Gmund, ein Vater habe seinen Sohn abgeholt und zur Anprobe mitgenommen. Vermutlich denkt man, dass die Kinderlein sich erst mal an die schönen Seiten dieses Daseins gewöhnen sollen, dann fallen später die unvermeidlich schlechten Seiten nicht mehr ganz so schwer. Vermutlich gibt es auch Näherinnen, die eine Anprobe zu einem Spiel machen, und familiäre Probleme verhindern.

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Nun bin ich selbst nicht gerade auf der Brennsuppn dahergeschwommen, wie man das in Bayern so schön auszudrücken beliebt, und mit einem zeitlichen Abstand, der nicht ganz so gross wie zwischen devoter Doris und dem Treppenlift “Seniorenglück” ist, sehe ich natürlich auch die Unterschiede. Die Erbzusammenführung von Besitz macht den Neukauf von Bettwäsche in meinem Umfeld eigentlich überflüssig; schränkeweise kommt nie benutzte Aussteuer auf die Familien, und wenn man nicht gerade Freunde von Latex und Leder und RTLII einlädt, ist der Bestand durchaus repräsentativ. Angesichts der Mengen ist jeder Neukauf purer Luxus und Verschwendung. Als Kind wurde ich so gebettet, wie die Vorfahren lagen, keiner dachte sich etwas dabei, ausser vielleicht, oh, der schöne Brokat von der Tante Balbina, den hebe ich doch besser auf. Es denkt sich auch heute keiner was dabei, meine Gäste äussern Entzücken über Hochzeitsinitialen, Durchbrüche und das Rüschenmodell mit Nelken und Rosen. Der Spam jedoch lässt mich wissen, dass grosse Namen der Bettwäschehersteller eigene Motive für den Nachwuchs bereit hält, die dem dann später mordspeinlich sind. Moderatoren, Fussballspieler und andere Schwammköpfe sind dort zu sehen.

Nichts zeigt die Tendenzen dieser Heranfütterung von kleinen Monstern schöner als die öffentlich ausgetragenen Wettläufe um Trampoline, die heute zumeist in Vorgärten zu sehen sind. Scheussliche Stahlgerüste mit haushohen Netzen, für die übrigens auch kräftig geworben wird. Ein schönes Sinnbild für die spätere Hyperaktivität im Eingesperrtsein, die vermutlich viele im Berufsleben einmal erwarten wird, sinnloses Auf und Ab, Höhepunkte und Niederlagen zwischen Begrenzungen, die einem andere vorgeben. Reichtum der Eltern ist gleichbedeutend mit weiteren Netzen, an der Sache ändert das nichts, und der Nachwuchs kann sich zwischen achtstufigem Gymnasium und Chatten bei Facebook schnell und drecklos austoben. Elternliebe misst sich in Fangzaungrösse, wenn sie nicht mehr in Kinderwagen messbar ist.

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Befragt man die eigenen Eltern, warum man so etwas als Kind nicht hatte, ist die Reaktion verständnislos; wieso auch, das gab es damals einfach nicht, und hätte es das gegeben, hätte man es nicht gebraucht. Mein Verdacht ist, dass die Umverteilung der Gesellschaft weit fortgeschritten ist, und die Bessergestellten im Laufe der Zeit alles angehäuft haben, was sie noch halbwegs sinnvoll verwenden können. In den Garagen stehen pro Person ein Auto und drei Räder, die Häuser sind nur noch mit einer Putzfrau zu führen, die Gartenfeste werden von Eventagenturen organisiert – es geht den Eltern wie einem Kunstsammler, der ein neues Gemälde, aber keinen Platz an den Wänden mehr hat. Die Kinder geraten dann zwangsläufig in den Fokus der Zwangsbeglückung. Die Wirtschaft reagiert und tut das Gross in die KinderverGrösserung.

Eventuell gehen wir mit diesen Kindern den gleichen Weg der modebewussten Adligen der Neuzeit, die sich den ein oder anderen kleinen Mohren hielten und den dann entsprechend ausstaffierten. Letzthin war im Bayerischen Nationalmuseum auch ein Seidengewand für einen Hofaffen zu bewundern. Man lacht darüber genau so lange, bis man Jungfamilien auf der Maximilianstrasse sieht. Und fragt sich, ob aus der zum Dogma erhobenen, sexuellen Leistungsbereitschaft mit all den Pillen, Beautytempeln und Sportzwängen nicht auch weitere Zwänge aus dem erwachsen, das man sich bei all der sexuellen Attraktivität dann erzeugt hat.

 

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Treppenwitz der Geschichte: Wir haben eine Gesellschaft, in deren Oberschicht die körperliche Attraktivität extrem wichtig ist, aber demographisch siegen genau jene Schichten, die durch den Reichtum der Oberschicht genau jene sexuelle Ausstrahlung eher nicht haben können. Aber bis dann die Werbung für Treppenlifte zum willkommener Lebenserleichterung wird, kommen noch die teuren Abibälle, die Autos zum 18. Geburtstag, die Studiengebühren, die Auslandsaufenthalte – Kinder waren noch nie billig, aber inzwischen kann man sie unbegrenzt teuer machen. Die Zubehörliste kennt kein Ende, und vor ein paar Tagen schleifte hier eine Mutter ihr nach einem Eis quengeldes Kind an der kleinen, himmelblauen und mit einem echten schnauzbärtigen, dicken Italiener bestückten Ape in der Fussgängerzone vorbei in Richtung Cafehaus. Mit der Bemerkung, es werde dort

richtig

gutes

Eis

bekommen. Ich vermute, nächstes Jahr wird der Spam dann auch Eismaschinen für den Hausgebrauch umfassen, idealerweise mit vorgepackten Zutaten wie bei Nespresso, die man extra bestellen muss, damit sie hineinpassen. Auf den modernen Kücheninseln ist neben all den Mixern und Automaten noch viel Platz. Und irgendwo muss es ja hin, das Geld.