Die Partei, die Partei, die hat immer recht
Sie, liebe Leserinnen und Leser, wollen auch so ein zeitgemässes Niedrigenergiehaus? Nun, da gibt es eine einfache Lösung: Wenn sie jener besseren Hälfte der Weltbevölkerung mit fliessendem Wasser im Haus angehören, kennen Sie den Unterschied zwischen Blau und Rot, die für Kalt und Warm stehen. Wenn Sie zudem das Glück haben, zu jenen 20% der Bevölkerung dieses Landes zu gehören, die nicht die durchschnittlichen 44, sondern gleich 80 oder mehr Quadratmeter pro Person bewohnen, vulgo also drei oder mehr Zimmer durchschreiten können, ohne Leben jenseits Ihrer Katze zu sehen, dann können Sie das Niedrigenergiehaus ganz billig haben: Malen Sie das grössere, hellere Zimmer mit Parkett in kühlen Farben wie Blau oder Grün aus, verwenden sie kalt funkelnde venezianische Spiegel, und halten Sie sich dort auf, wenn es heiss ist. Ein kleineres Zimmer malen Sie in warmen Rottönen aus, legen einen bunten Perserteppich aus, und runden das mit vielen Büchern in Mahagonimöbeln und dunklen Gemälden und Spiegeln in Goldrahmen ab. Schon haben Sie einen Raum, der im Winter nicht nur schneller warm wird, sondern Ihrer Psyche vorgaukelt, dass es wärmer ist und die Heizung nicht so hoch aufgedreht werden muss.
Denn unsere Psyche will belogen werden. Hier ist es – ausnahmsweise – einmal für einen guten Zweck, für die Umwelt, und einen noch besseren Zweck, Ihr Vermögen. Und vielleicht sogar für den besten aller Zwecke, wenn Sie zu all dem Überfluss auch noch einen repräsentablen Altbau haben: Für die Tradition, in der Sie stehen nämlich, denn weisse Räume, im Winter kalt und im Sommer grell, sind in besseren Kreisen eine Marotte der Moderne. Kratzen Sie nur mal an den Malschichten in Richtung 1700, Sie werden erstaunt sein, wie bunt – und vor allem, überlegt bunt – Ihre Familien- und/oder Hausgeschichte war. Mein Vorzimmer etwa sieht aus wie das Innere eines Himbeerpuschfaschingskrapfens – und es ist die Farbe, die man hier tatsächlich auch vor 200 Jahren verwendete.
Was man hingegen ganz sicher nicht, nie, unter gar keinen Umständen gemacht hätte: Den Verputz des Hauses abgeschlagen. Das Haus nachgerade gehäutet. Ich kenne einen Schlossbesitzer im Altmühltal, der aus eigenem Erleben sagen kann, warum das keine gute Idee ist: Als er vor Jahrzehnten begann, das Schloss zu restaurieren, empfahl man ihm, den alten Putz abzuschlagen. Seitdem hat er einen neuen Putz und damit nichts als Ärger: Der neue Putz passt in seiner Wasserdurchlässigkeit nicht zum Mauerwerk. Er sieht an einigen Stellen viel zu neu aus. Und er ist an anderen Stellen seit Jahren ein Restaurierungsfall, bröckelt, zieht Wasser, platzt nach der Winterkälte ab und lässt einen verwundert zurück, wieso der alte, abgeschlagene Putz nach 300 Jahren besser gehalten hat. Oder kommen Sie zu mir: Im Hausgang haben wir eine gute Putzschicht von 1450. Die hält. Was man darüber später aufgebracht hat, beschert mir Jahr um Jahr jede Menge Arbeit, denn zuerst kommt das Wasser aus dem Boden, und dann fällt der neue Putz ab. Ich, der Schlossbesitzer und andere Altimmobilieneigentümer: Wir wurden zwangsweise, leider, Experten in Sachen Hausklima, historisch korrektes Verputzen und besonders für die Erkenntnis, dass die Alten schon wussten, was sie taten, und wie teuer es wird, wenn man sie nicht achtet. Die Neuen – hauen den Putz runter, früher, weil er alt war und heute, weil man das Haus in Styropor einpackt und zum Plattenbau macht.
Letzte Woche war ich in Frankfurt und in Waldbüttelbrunn bei Würzburg; die Stadt geht auf diesem Weg klar voran, und in jener Siedlung der Zeit um 1900, in der ich zu Gast war, werden gerade nebenan zwei Häuser verpackt. Also erst mal gehäutet, dann mit Styropor überzogen und verfettet, und dann neu verputzt, so glatt und eben, wie man das auf Plastik gut machen kann, damit es nachher auch so eben und tot wie Plastik aussieht. Das Mauerfleisch wird künstlich 10 Zentimeter aufgequollen, genauso tief versinken dann die Fenster in Bunkerlöchern. Es sieht gut aus für die Energiebilanz, und es sieht so aus, als habe das Haus etwas Falsches gegessen, und nun schwillt der Körper an, die Haut ist straff und darunter pocht der Eiter an den Nerven. Die Alten haben sich durchaus Gedanken zu Themen wie Form und Proportion gemacht, was man von einem Styroporaufbringer und einem Energiepass eher nicht sagen kann.
Lang, lang hat es gedauert, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass man alte Häuser besser nicht entkernt und sich eher überlegt, wie man das Vorhandene richtig nutzt. Jedes ausgeräumte Haus ist eine verlorene Schlacht, das alles kommt nicht wieder, Geschichte kann man nur einmal wegreissen, und inzwischen versteht man, dass es nicht reicht, nur Fassaden zu erhalten. Und jetzt also geht man dazu über, die Fassaden zu verkleiden und darüber eine neue Haut zu spannen, die erst wie Disneyland aussieht und später, wenn das Wetter das tut, was es eben zu tun in der Lage ist, wie das, was es ist: Vergammelndes Plastik. Und später dann: Neue Sanierungskosten. So ein alter Putz hat geatmet, da konnte Wasser und Wärme durch die Mauern. Styropor ist dicht, ausser an den Stellen, wo es undicht ist und das Wasser hineinsickert. Wenn ein altes Stück Putz einmal abfällt, macht es nichts. Wenn so ein neuer Putz auf Styropor ein Loch hat, ist man gleich auf Plastikgewebe, das man in letzter Zeit in Städten so oft an Schrammen sieht.
Die Stadt geht voran, das ist der Trend und die Zukunft und die Bauvorschrift, ein Mieter hat ein Recht nachzulesen, wie toll ein Haus eingepackt ist. Auf dem Land ist man in der Hinsicht noch etwas hintendran. Vielleicht, weil es sich aufgrund der Immobilienpreise nicht richtig lohnt. Vielleicht aber auch, weil man auf dem Land noch genug Zeugnisse einer ganz ähnlich verrückten Vergangenheit noch sieht. Dieses Verpacken von alten Häusern nämlich ist keine neue Erfindung, sondern etwas, was Modernisierer in den 50er, 60er und 70er Jahren schon einmal versuchten, um Dörfer und Kleinbürgersiedlungen den Idealen der Stadt anzupassen. Zuerst eliminierte man die Sprossenfenster. Dann schnitt mal breite Fenster a la Bauhaus in die Fassaden. Dann setzte Man Glasbausteine ein. Dann noch so eine praktische Patten an die Fassade, die so schön sauber und einheitlich waren. Und wenn dann noch Geld übrig war: Mosaik rund um die Türen. Keine Frage, das Bauhaus hat am Ende gewonnen. Bei uns in Gmund am Tegernsee wohnt übrigens ein bundesweit bekanntes Architektenpaar, das wegweisende Bauten entwickelt – in einem penibel restaurierten Gründerzeitpalästchen. Es gibt so Siege, die man besser anderen überlässt.
Welcher Sieg jetzt besser ist – die modernisierten Altbauten oder die fetten Styropormonster – wird sich erst in einigen Jahren zeigen, wenn man die Rückbaukosten in Relation setzen kann. Prinzipiell habe ich auch gar nichts dagegen, wenn altes Putzhandwerk dann wieder auflebt; ich kenne da einen Experten, dem ich sehr viel mehr Aufträge als den Plattenherstellern wünsche. Aber vorerst kann kein Zweifel bestehen, dass unter der Ideologie der Heizungskosten eine ganze Generation von Besserverdienenden drauf und dran ist, in Plattenbauten zu ziehen. Es ist nicht mehr Beton und es ist dahinter ein alter Kern, aber es ist zweifellos Platte, und ich bin mir sicher, dass es in der DDR genau so verordnet gewesen wäre, wenn man dort nur genug Styropor gehabt hätte. Trotzdem muss man zugeben, dass es ein Fortschritt der Zivilisation ist: Das früher sehr beliebte Asbest erzeugte Krebs, was noch weniger schön als Schimmel ist.
Es mag sein, dass vielen der Unterschied zwischen einem alten und einem neuen Verputz gar nicht auffällt. Es mag auch sein, dass die Finanzkrise ein schlimmeres Beispiel für die mangelhafte Lernfähigkeit der Menschen ist. Als Historiker macht man sich in der Hinsicht ohnehin keine grossen Illusionen. Aber manchmal frage ich mich schon, ob wir den Osten übernommen haben, oder der Osten uns und dann alternativlos mit einer besseren PR und Werbung das durchzieht, was seit jeher im Sinne der 5-Jahrespläne war. Wir sind drauf und dran, unsere Stadtoberflächten zu zwangskollektivieren. Was wir dann noch herzeigen, sind ohne Aufforderung Energiepässe – hat da jemand VoPo gesagt? – und neue Häute eines neuen, effizienten Menschen, der alles weiss pinseln kann, weil die Haustechnik den Rest nach Verordnung und Programm reguliert. Ein altes Haus nach dem anderen. Man kann dann mehr Miete verlangen. Die neue Funktionselite schaut darauf. Die Partei hat immer recht.
Sie hat recht. Sie braucht keinen Stuck, fleischfarbene Wände, Perserteppiche, goldene Spiegel und Capriccios, die Italien zeigen.