When it comes to women, does anybody really want the facts?
Raymond Chandler, The Lady in the Lake
Vor ein paar Wochen kam ich auf der Frankfurter Buchmesse bei einem Gespräch zwischen Alice Schwarzer und Frank Schirrmacher vorbei. Letzterer lobte die Erfolge von Frau Schwarzer und beschloss mit der Vision, er und andere würden später an einem nach ihr benannten Platz sitzen, weil man sie nicht mehr benötigte: Frauen könnten das alles ja mindestens genauso gut. Da hat er einerseits recht, gerade im Journalismus sieht man ja sehr schön, dass Frauen sehr oft sehr gut und fundiert schreiben können, während Männer sehr häufig sehr dumme Satzkonstruktionen machen mit sehr vielen Wiederholungen. Andererseits muss man mich nicht mehr zum Alteisen tun: Wir haben zwar keinen entsprechenden Platz am Tegernsee, aber nichts machen tue ich hier heute schon, und ich muss sagen, so schlecht ist die Vision nicht. Sie hat nur einen kleinen Haken: Sie ist falsch.
Sie glauben nämlich nicht, an wie vielen beschäftigungslosen, Zeit habenden Frauen man hier so vorbeikommt. Ich mein, das hier ist nicht Berlin, das ist Oberbayern, hier herrscht Vollbeschäftigung, der Landkreis Miesbach sucht händeringend qualifizierte Arbeitskräfte. Oben auf der Neureuth im Biergarten bedienen Frauen aus Sachsen, und hier unten ist es auch im November gar nicht so leicht, einen leeren Strandabschnitt zu finden. Für mich ist das normal, ich kenne das hier nicht anders, aber für Frau Schwarzer wäre das vermutlich kein schöner Anblick. Es gibt hier durchaus Initiativen zur Verschönerung der Kindergärten. Feministische Frauengruppen wären mir neu. Man wird sich eventuell damit abfinden müssen, dass ein gewisser Wohlstand der Förderung der gesamtgesellschaftlichen Lage nicht wirklich förderlich ist.
Nun könnte man natürlich abwinken und sagen, das ist Bayern und da sind die Menschen anders. Leider trifft das nicht zu, die wenigsten Tegernseeanwohner sind hier geboren. Sie kamen irgendwann hierher, und haben das dieser Umsiedlung zugrunde liegende Vermögen – billig ist hier gar nichts – vermutlich nicht anders erworben, als andere bessere Kreise Westdeutschlands auch. Verdient, geerbt, erheiratet, meistens entscheidet das soziale Umfeld. Wer hier am Strand in der Sonne sitzt, darf sich gemeinhin in guten Lebensumständen wähnen, und zwar nicht erst seit gestern. Es ist, wenn es um ältere Damen geht, exakt jene Generation, die in den späten 60er und 70er Jahren an den Universitäten studierte. Nicht alle waren damals Anhängerinnen der freien Liebe – durchaus aber in jenem akademischen Umfeld, in dem der Feminismus gross wurde. Und dann jede Bedeutung verlor.
Das ist vermutlich nicht wirklich dankbar gegenüber jenen, die für Frauenrechte eintraten, aber so etwas wie einen Generationenvertrag der weiblichen Solidarität gibt es allenfalls in den eigenen Familien. Natürlich wäre es eine Katastrophe, wenn eine Tochter oder Enkelin nicht das Abitur bekäme. Selbstverständlich ist danach das Studium wünschenswert. Einen guten Beruf und einen entsprechenden Ehemann soll die Tochter bekommen. Mit allen Insignien der Klasse soll sie gross werden und angenehm leben. Dann fehlt auch nichts zur Durchsetzung der Gleichheit der Frau: Was wünschenswert ist, ist vorhanden. Was nicht vorhanden ist, kann besorgt werden. Und selbst, wenn sie sich dann entschliesst, nur Mutter zu sein: Man kann sich das hier leisten. Hübschere Kindergärten und Spielplätze und Reitmöglichkeiten gibt es in diesem Land selten .
Vor ein paar Wochen war ich beim Chef der hiesigen Molkereigenossenschaft, die sich ganz der naturnahen Landwirtschaft verschrieben hat. Mitglieder sind Bauern im Tal, die zumeist schon seit Generationen hier arbeiten. Und an einer Stelle sagte der Bauer etwas sehr Interessantes, das man vielleicht als Leitmotiv der hiesigen Frauenschicksale begreifen kann: Ob ich denn meinen würde, dass die Tochter von so einem Bauern mit dem Grund und den Immobilien in der Hinterhand es für nötig erachten würde, einem Feriengast das Essen hinzustellen und das Geschirr abzuwaschen. Da hat er recht, und die Tochter vermutlich auch, was immer sie sonst tut. Die Zeiten der Frau als Haushaltsinventar jedenfalls sind vorbei.
Einen Restfeminismus kenne ich noch. Der kommt vor, wenn diese Tochter sich zu einem Berufsdasein in der Ferne entschliesst, und dort feststellen muss, dass die Welt nicht überall wie hier funktioniert. Schlechtere Bezahlung, unfaire Behandlung, Zurücksetzung und unschöne Aufgaben, oder sogar sexuelle Belästigung: Das kommt nicht gut an, da wird schnell zu einem Berufswechsel geraten, und die Empörung, wie dem Kinde so etwas angetan werden kann, ist nicht zu gering. Allein: Es geht um das Kind, nicht um die gesellschaftliche Gesamtsituation, der jenseits der Gestade gern nachgesagt wird, sie sei aufgrund männlicher Dominanz schon strukturell frauenfeindlich – selbst wenn das ab und zu nicht auffallen sollte. Es geht um den eigenen Einzelfall. Die neuen Regelungen für weibliche Führungskräfte werden sicher nicht angelehnt. Was darunter passiert, steht auf einem anderen Blatt, das hier nicht bedruckt oder gelesen wird. Und soziales Engagement, das durchaus vorhanden ist, geht in andere Richtungen – da gibt es vom Benefizkonzert bis zum Dorfladen, mag mir scheinen, angenehmere Tätigkeitsfelder als das, was Frau Schwarzer gefallen würde.
Natürlich könnte man das recht schnell ändern, würde man den Frauen am See ihre Rechte nehmen: Keine langen Spaziergänge mit den Hunden mehr, keine Beaufsichtigung von Kindermädchen, die Kinder beaufsichtigen, keine Haushaltshilfen, Männer, die sich in die Erziehung über Gebühr einmischen, begrenzte finanzielle Freiheiten und anderes, das den Fortschritt zurückdrehen würde. Allein: Dazu gibt es keinen Grund. Die finanziellen Mittel sind gemeinhin vorhanden und das in einem Ausmass, dass es nicht mehr um die Ausgestaltung der Frauenfreizeit geht, sondern – ich glaube, ich mache mal einen Beitrag über die sich verändernden Vorstellungen, was Kinderwägen und Kinderräder heute alles leisten müssen. Selbst eine Scheidung stürzt hier niemanden mehr in eine Krise. Für Unterdrückung braucht man Druckmittel. An deren hiesigem Nichtvorhandensein hat sich Frau Schwarzer nicht allein Verdienste erworben, um es höflich zu sagen.
Vielleicht, mag manche Feministin jetzt sagen, ist das eben die neue Art der Unterdrückung der Frau; ein Rollenbild wird umgeschrieben, damit die männliche Dominanz besser getarnt weiter wirken kann, in Wirklichkeit sei das doch das Elend des Wohlstandes, am See sein ist kein Leben, und wo bleibt denn die Dankbarkeit, dass es jetzt so ist, wie es ist… Darüber könnte man vielleicht sogar nachdenken, wenn man sich partout mit unerfreulichen Dingen der Benachteiligung beschäftigen möchte, zumal sie auch nicht so dargestellt werden, dass man damit Vergnügen haben könnte. Aber davor gibt es och die Frage, ob man im Winter frische Tomaten verwenden sollte, ob ein Pferd gekauft oder nur gemietet wird, wie man das Fett reduziert und all die anderen Herausforderungen der Moderne, die das Leben auch nicht gerade leichter machen. Sie liegen jedoch näher liegen als die Frage, ob Sexarbeiterinnen nun zu verdammen sind, und welche Strafen für ihre Kunden angemessen wären. Und weil die Privilegien durchaus angenehm sind, und der See an Tagen wie diesen lockt, bleibt immer noch genug Raum für Männer wie den Herausgeber oder diesen Blogger, am Rechner tätig zu werden und niederzuschreiben, dass Feminismus für unterprivilegierte Frauen wirklich wichtig ist. Noch wichtiger als die Frage, ob die privilegierte Frau einen Airdale Terrier braucht.
Oder zwei. Weil so ein Airdale Terrier allein, der langweilt sich doch. Oder freundet er sich dann besser mit den Katzen an? Hat da jemand Erfahrung?