sauber gebratzelt (sprich: sauwabrahdsld): Bayerisch für schwer auf den Arm genommen, übel hereingelegt, ordentlich auf die Schippe genommen
Müsste man einen Pechvogel des Jahres wählen, dann könnte nur einer gewinnen: Karl Theodor von und zu Guttenberg. Immer, immer, immer hat er den falschen Zeitpunkt erwischt. Man stelle sich nur vor, der Plagiatorenskandal wäre aufgekommen, wenn er an der Spitze deutscher Truppen dem Namen Deutschlands im libyschen Sand wieder Weltgeltung verschafft hätte: Niemand hätte es ernsthaft wagen können, dem Sieger von Tripolis mit ein paar läppischen Zitaten zu kommen. Oder er hätte seinen Rückkehrversuch nicht verfrüht mit der Brechstange in einem Londoner Hotel versucht, sondern jetzt zur Weihnachtszeit daheim im Schloss, also im Familienschloss, dass muss man bei den Kurzzeitmietern von Schloss Bellevue und anderen Eventlocations schon dazu sagen, in der Halle beim Kamin, mit einer Mischung aus Demut und Erfahrung, ohne dem Herrn Wulff den Rücktritt zu empfehlen: Soll sich der doch weiter um Kopf und Kragen stöpseln, mit jedem Buchgeschäft und Fest von Freunden würde die Republik sehen, was sie an Guttenberg relativ hatte. Keinen, der sich kaufen lassen muss, keinen, der sich ziert, Konsequenzen zu ziehen, und das, was sonst so war, ist doch längst vergessen; die Christbaumkugeln hat übrigens die Urgrossmutter in Familienfarben machen lassen, und es knistert das Holz aus den eigenen Wäldern, von den eigenen Waldarbeitern geschlagen, und nicht das Gas eines Grossversorgers, dessen Chef Gönner ist und sich Politiker hält, wie echte Herren eine Rotte Jagdhunde.
Hätte man das geschickt und mit der richtigen Mischung aus Demut, Nachdenken und ein wenig Einsicht in diese blöde, naja, dumme, aber irrelevante Sache auf 80 Disketten da gemacht, die Bildzeitung hätte zu Weihnachten das Volksfürstliche Badewasser zu Schlürfen, Schnupfen und Bekreuzigen auf den Markt werfen können, und man hätte ganze Swimmingpoolinhalte unter die Leute gebracht. Zumindest unter die Leute, die mit so einer Attitüde etwas anfangen können und dafür alle aufs Blut hassen, die bei ihrem Kredit günstigere Konditionen haben, die sie als junger Zweitfamilienvater vermutlich auch auf 80 Disketten zu erwähen vergassen. Damit gewinnt man nicht alle, aber doch jene, mit denen man später einmal Wahlen gewinnen kann. So viele Möglichkeiten, so schöne Chancen, alles vertan.
Es ist eine Laune des Schicksals, dass die beiden idealen Schwiegersöhne dieses Landes und seiner konservativen Bewohner auf eine Art geschetert sind, die an die gezielten Bestrafungen in Dantes Hölle erinnern: Der eine, entrückt und abgehoben, stolperte sich an Fussnoten zu Tode. Der andere, von unten kommend, klein und bescheiden, wollte ganz oben dabei sein, passte nicht auf, wurde überheblich, verbrannte sich die Flügel und stürzt zurück in die Schlagzeilen des Boulevard, die ihn lange Zeit förderten. Das Schicksal, mag sich der Konservative trösten, kann es noch, auch wenn sonst früher mehr Lametta war. Aber das ändert nichts am unerfreulichen Umstand, dass hier diejenigen scheitern, die von Oben und Unten kommend, besonders gern Werte betonten. Statt dessen werden Manieren der Neureichen und die Arroganz der Gecken zur Schau getragen. Also ziemlich genau das, was zu vermeiden erste bessere Gesellschaftspflicht ist.
Dabei war Wulff nach seinen eigenen Worten in der Bild angetreten, aus Bellevue eine, Zitat, Denkfabrik für Deutschland zu machen; darunter geht es in der Berliner Republik nicht. Er nahm dafür Worte aus deutscher Vergangenheit in den Mund, als da wären Friedrich der Grosse und dessen Verbindung zu Voltaire, oder Humboldt und Goethe als Staatsdiener. Gut, vielleicht haben die Reporter das auch falsch verstanden und er hat genuschelt, vielleicht sollte es Schenkfabrik heissen, und unsereins unterschätzt nur gröblichst die geistigen Fähigkeiten derer zu Maschmeyer, Geerkens und Grossmann. Mit etwas Glück bleibt das jetzt auch so, wenn das Glück auf Seiten der Politik und der konservativen Parteien ist. Es gibt weisse Weihnachten am Tegernsee, und der Morast in Berlin ist weit weg.
Trotzdem wird, wenn die Biogans gegessen und der unverzichtbare Jahrestributkirchbesuch abgestattet ist, die Frage im Raum stehen – und neben den Christbäumen ist auch noch viel Platz dafür – was nun eigentlich aus dem wird, was man früher als bürgerliche Tugenden bezeichnete. Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit einer sich abschottenden Elite und einer Unterschicht, die sich gar nicht mehr für die Grundlagen einer solidarischen Gemeinschaft interessiert, liesse sich ein paar Stufen weiter oben auch mit Guttenberg und Wulff erzählen; der eine meint über den Regeln zu stehen, der andere borgt sich ein Jetsetleben und Privilegien, als habe er nicht Wahlen, sondern eine Castingshow gewonnen. Das alles konnte schon früher nicht gefallen, aber 2011 ist das Jahr, da diese Verhaltensweisen an der Spitze angekommen sind. Und alle reden darüber. Und es liegt nicht nur am Internet.
Dass der Bundespräsident obendrein auch den Willen hat, die Schande seines bürgerlich fragwürdigen Lebensstils noch ein wenig weiter öffentlich auszutragen, zeugt auch davon, dass man nicht mehr auf die klassische Politik und ihre disziplinierende Wirkung hoffen darf. Mögen sich auch Berliner Kreise gründen und die Gerüchte über eine Abspaltung der Union halten: Es wären die alten Leute mit alten Ideen wie Nation, Volk und anderem, was man vielleicht gar nicht mehr so gut findet: Was man bräuchte, was entstehen müsste, wäre eine Art „Gemässigt konservative APO der Alt-Besserverdienenden”, die nicht gleich jede Scheidung verdammt, aber deshalb noch lange keine Orgien auf Firmenkosten akzeptiert. Eine Art Erneuerung, die das Alte nicht aufgibt, aber einen sinnvollen Umgang mit der Moderne findet. Das gelang im Mittelalter den Reformorden, und für die Zusicherung, nicht allabendlich sehen zu müssen, wie die eigenen Leute und Anführer das mit Füssen treten, wofür man sie eigentlich gewählt hat, könnte sich so eine Haltung schon lohnen. Irgendwie schaffen es ja Hospizvereine auch, sinnvolle Arbeit zu leisten, ohne dass deshalb gleich peinliche Videos entstehen.
Diese Reform wird einem vermutlich keiner abnehmen. Früher hätten vermutlich ein paar Ermahnungen gereicht, und man hätte mit Rücksicht auf die vermögende Kernwählerschaft den Wünschen entsprochen. Heute sind die Konservativen absolut nicht mehr vermögend: Reich sind die Freunde von Wulff, und selbst deren Reichtum ist nichts gegen die 489 Milliarden, die letzte Woche, einfach mal so, wir haben es ja, den Finanzinstitutionen hinterher geworfen wurden. Diese neu gedruckten 489 Milliarden sind eine Spritze für die Banken, aber auch eine klare Absage an alle, die sich ihr Geld nicht selbst gedruckt haben. Sie sagen: Ihr und Eure Anliegen, Euer ererbter und erarbeiteter Reichtum, Eure Tradition, Eure Werte und Eure Demokratie, das alles spielt keine Rolle. Sie sagen auch: Wir sind abgekoppelt. Und ihr seid machtlos. Am Tegernsee wohnt angeblich die Elite, die bestimmenden Kreise dieses Landes, aber keiner, der hier wohnt, hat dafür gestimmt, dass bei gleichbleibendem Besitz die Geldmenge so aufgeblasen wird. Wir sind sauber gebratzelt, von allen Seiten, und ziemlich gut durch wie eine Gans.
Es gäbe gute Gründe für eine konservative Rebellion, für eine neue Partei, für Debatten und radikale Fragen, für einen Klassenkampf von Oben, der keine falschen Freunde schont. Vor allem aber gibt es auch gute Gründe für die Biogans, danach den Skiurlaub – die Pisten in Österreich sind endlich offen – für dieses neue Gasthaus beim Berg Isl, und für den Kauf von ein paar Gemälden, zur Sicherheit. Man muss so viel tun, es ist immer so ein Stress, die Kinder kommen und streiten um das Erbe, es ist Weihnachten, und man fängt mit der neuen konservativen Moral schon mal damit an, dass man einen Kachelofen einbauen lässt.
Es gäbe viel, was man tun könnte. Und man wird 2012 das Angenehme mitnehmen und das andere da war doch noch was…
Wir werden sehen. Hier bei den Stützen des Gesellschaft, die allen Lesern und Kommentatoren Dank sagen möchten für die Aufmerksamkeit, und schöne Feiertage wünschen.
Und einen angenehmen Rücktritt im neuen Jahr.