Die Majestät wird anerkannt rings im Land.
Jubelnd wird Champagner der Erste sie genannt.
Johann Strauss, die Fledermaus
Entschuldigen Sie bitte das Missgeschick.
Aber ich bitte Sie, das kann doch mal vorkommen! Gar kein Problem.
Doch, das ist uns wirklich peinlich.
Ach, wissen Sie, das sind wirklich nur Lappalien. Fehler kommen vor, man lernt daraus, und sie hat es ja nicht aus böser Absicht getan.
An dieser Stelle wäre jetzt der Punkt gekommen, da der Anrufer sich wieder erheben kann, denn zweimal hat er sich entschuldigt, und das sollte reichen. Dass ich weder ihm noch seiner fehlbuchenden Mitarbeiterin böse bin, dass niemand hier den Versuch unternommen hat, jemand zu betrügen, dass es zwei Personen meines Namens gibt und die Abrechnung noch nicht automatisiert ist – das ist alles verständlich. Sicher, ich musste zweimal zur Bank, und es dauerte etwas, bis mein Hinweis an der richtigen Stelle war, aber so ist das nun mal. Das Leben ist wieder knallrosa.
Wenn er sich nur aus dem Staub erheben und mit mir ein paar nette Worte über das Wetter reden könnte: In München regnet es, in Mantua hat es 30 Grad Hitze, jeder trägt sein Schärflein, er muss am Montag wieder ins Büro und soll ihr beste Grüße bestellen, dass alles kein Problem war, und ich muss nach Verona, Schuhe abholen… so wäre es fein. Kein Schaden, für niemanden, Der Himmel ist blau und es plüscht das Auge auf Italienerinnen im Vergessen der Hektik. So ist es aber nicht. Denn leider ist die Antwort:
Doch, das war ein schwerer Fehler. Wenn Sie mir noch Ihre Adresse in Italien geben könnten, wir würden uns gern mit einer Flasche Champagner entschuldigen.
Rosa knospt draussen vor dem Fenster die Pfirsichblüte und knallrot knospe ich, denn genau das möchte ich eigentlich nicht hören. Denn ich trinke keinen Alkohol. Der Versand von unter Druck stehendem Glas über die italienische Post ist nicht gerade ohne Risiko. Vor allem aber ist die Sache, die zu Beginn übel war, in diesem Moment ins gnadenlos Peinliche umgeschlagen. Vom Unverbindlichen ins Verbindliche. Wäre ich in Deutschland, hätte er vermutlich gar nicht gefragt, sondern einfach die Flasche geschickt. Ich bin in Italien, hier bin ich Mensch, hier darf ich sein und erkläre ihm wortreich und aus purer Höflichkeit lügenbegründet und gehörig schamesrot, warum das wirklich, wirklich überhaupt gar nicht nötig und gewünscht ist.
Ich glaube, diese Unsitte der entschuldigenden Champagnerflaschen entstand irgendwann nach der Erfindung des einleitenden Champagnerempfanges, mit dem in der Event-PR der Journalist und besonders auch die Journalistin auf später reichlich öde Vorträge gelockt werden. Nach drei Gläsern geht so eine Pressemitteilung runter wie Öl, und so muss sich der Eindruck verfestigt haben, dass bei dieser Berufsgruppe vieles mit jener Sorte Alkohol zu erreichen ist. Man kann sie damit gnädig stimmen; sei es zu Beginn oder auch danach, wenn ein wenig Gnade hilfreich sein kann. Der andere mag einen Groll haben und sich ärgern, aber je Nichtsiger so ein gesellschaftliches Subjekt ist, desto grösser ist dann auch die Freude über so eine Flasche. Aha, denkt sich das Subjekt in pfirsichblütenrosaner Stimmung, für mich greifen sie zu Champagner. Das hebt das Selbstwertgefühl, man ist endlich in der Champagnerklasse des Daseins angekommen, man redet darüber und smailt das den Freunden. Endlich. Wer sich nur laut genug in Szene setzt, bekommt, was ihm zusteht. Niemand wage es, es sich mit den entscheidenden Leuten zu verscherzen.
Von Unten kommend, mag man den Gewinn sehen. Von Oben kommend dagegen ist so etwas ganz fürchterlich. Zuerst einmal: Für eine Flasche dieses Getränks geht man bei uns zum badischen Weinhaus und nicht in einen Konflikt, der mehr Zeit kostet, als so eine banale Flasche je bringen könnte. Es ist etwas, das man nicht geschenkt braucht, das ist einfach vorhanden, wenn der Anlass da ist, und wenn nicht, gibt es auch keinen Grund, die Flüssigkeitszufuhr von Tee auf Schaumwein umzustellen. Allein die Vorstellung, dass so eine Entschuldigung demjenigen, der die Entschuldigung längst angenommen, vergeben und vergessen hat, irgendetwas bedeuten könnte, ist ganz schrecklich. Das geht wirklich überhaupt nicht. Wer reich ist und es nötig hat, sich dennoch eine Flasche im Streitfall zu erbrüllen, mag Geld auf dem Konto haben. Aber sonst gar nichts. Leider wird man genau hier von so einer Zwangsbeglückung einsortiert.
Als sässe man dann daheim, liesse den Korken wie ein junger Grosskotz auf einer Party knallen, wo man später schräge Dinge mit den Flaschen und nervösen, betrunkenen Gänseblümchen tut, und sagte sich rotgesichtig: Naja, Versager sind sie schon, aber es lohnt sich wenigstes. Für das moderne Customer Relationship Management mag das natürlich eine bessere Haltung als „Die elenden Versager“ pur sein. Aber es drückt genau das aus, was daraus erwächst: Eine materielle Verpflichtung. Er nimmt das Geschenk an, er fühlt sich geschmeichelt, man kann es mit ihm also auf dieser Ebene regeln, denn er steht irgendwo jetzt in der Schuld. Er mag den Vorfall ehrlich nachsehen, aber besser kauft man ihn nachher gleich nochmal. So wird aus dem Ärgernis eine Art Ablass, und aus dem Ablass eine Art gegenseitige Verpflichtung. Gut für den Kunden, gut für die Firma, und was mit derjenigen passiert, die den Fehler gemacht hat, ist jetzt erst einmal egal. Vielleicht passiert nichts, wenn man nur freundlich genug jede Belästigung wegleugnet. Vielleicht knallt es auch, wenn man sich nur zur Champagnerflasche brüllt. Irgendwer ist schuld, es mag ein Zahlendreher sein oder Überarbeitung, vielleicht sollte die Betreffende auch nicht so viele Überstunden machen, oder die Einweisung an die Hilfskraft war mangelhaft – jemand bekommt das Präsent und jemand anderes den Ärger.
Diese hin und wieder offen zu Tage tretende Haltung „Was mit der passiert ist mir egal Hauptsache der Schampus kommt“ – diese Haltung, mit der zwei sozial gleich schlecht Gestellte es brutal unter sich ausmachen, ist dann auch ein steter Anlass für andere, unbedingt auf dieses Angebot verzichten zu wollen. Man will um Himmels Willen nicht sein wie die. Man will sagen können: Die sind selbst im eigenen Umgang miteinander so, für Fusel bereit, den anderen zu erledigen: Seien wir froh, dass es bei uns nicht so ist (Und halten wir bloss die Tore geschlossen, damit die hier nicht reinkommen, oder will sich jemand über Strategien für geschenkten Schampus und kostenlose Werbeutensilien unterhalten?). Der grosse Vorteil, das einzigartige Geschenk des privilegierten Daseins ist es, all das genau nicht nötig zu haben. Keine Sendungen, keine Dankeskarten, keine Verpflichtung, keine Erinnerungen an Missgeschicke: Das Leben ist schön. Man verzeiht aus einer Position der Stärke heraus, und nicht aus der Position des Schampusgünstlings. Da haben wir unseren Bauerstolz, pflegte meine ansonsten vollkommen nichtagrarische Grossmutter, wie immer recht habend, zu sagen.
Und dann auch noch ausgerechnet Champagner. Das Zitat steht nicht ohne Grund darüber: Es kommt aus einer Arie in der Fledermaus, gesungen von der Figur Orlovsky, eine bei genauer Betrachtung bittere und zynische Parodie der Neureichen ohne Moral und Benehmen, ein offenkundiger Alkoholiker, dem es nie genug ist, der seine Freunde kauft und nur über das Unglück anderer lachen kann. Champagner ist der Kitt, der diesen dystopischen Gesellschaftsentwurf zusammenhält, er entbindet vom Elend sich zu fragen, was ohne Betäubung wäre. Gunst und Verachtung sind durchökonomisiert, alles hat seinen Tarif, die Freundlichkeit wie die Rücksichtsnahme. Genauso geht es auch den heutigen Bürosklaven im Rausch der Karriere, mit Gier nach Titeln und Plätzen in Hierarchien, nach Aufstieg zu Stellvertretern und Unitleitern, Hauptsache sie sind dabei, und können an ihrem Fortkommen arbeiten. Wenn sie es nicht tun, machen es andere, und gemenschelt wird nur, wenn es nach einem hinteren Platz beim Rennen um Gunst und Anerkennung gerade nötig scheint, um dabei zu bleiben. Darauf dann immer gerne einen Schampus laut Tariftabelle von den Fehlbuchern, den Falschdenkern, den Irrtümlichen, da kommt die richtige Entschuldigung genau den Richtigen an.
Ich habe hier in Italien zum Glück keine Nachsendeadresse, und genug Tee für zwei Monate.