Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Riesling und der Schiefer

Keine Tricks, keine Panscheieren, aber Veredelung durch den richtigen Boden: An der Mosel wird das Schiefergestein zum wichtigen Bestandteil des Geschmacks eines besonderen Weines

Dieses moderne Leben zwingt zu so vielen neuen Kompetenzen: Man muss Sushi-Arten richtig aussprechen können, um zu sagen, dass man sie nicht mag, man muss Apple-Produkte kennen, um zu sagen, dass man sie nicht besitzen möchte, man sollte mal wieder eine deutsche Jungautorin lesen, psychisch labil und mit Osthintergrund aus einem Wettbewerb; das ist dann auch immer schön krank und kann beim Sushiessen nach Apple besprochen werden. So viel für so ein kleines Hirn wie meines. Und dann auch noch Fachwörter wie Terrior, von denen ich nichts verstehe, weil sie mit Wein zu tun haben, den ich nicht trinke – aber während ich auf Jungautoren, Sushi und Apple allergisch reagiere, mag ich es, wenn es mir vom Weinexperten Christoph Raffelt hier im Gastbeitrag erklärt wird.

We need wines that tell us in no uncertain terms, „I hail from this place and this alone, not from any other, for only here am I at home.“
Terry Theise, reading between the wines

Dieser Satz hat mich beeindruckt. Geschrieben hat ihn ein Amerikaner, der zwar nicht alleine, doch maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass Riesling und Veltliner in den USA unter Weinfreunden eine gewisse Popularität erfahren. Zwar wird auch in den USA Riesling angebaut, doch für jemanden, der wirklich dieser Rebe verfallen ist, reicht die Bandbreite dieses kleinen Gebietes nicht aus. Da helfen auch die immer besser werdenden Tropfen aus Australien und Neuseeland nicht weiter, da muss die das Alte Europa ran.

Nun ist es allerdings nicht so, dass Terry Theise in den USA ein Riesling-Fan geworden ist, um danach nach Europa zu reisen, und dort im großen Stil Riesling einzukaufen. Vielmehr hat er den Riesling, der ihm bis dahin praktisch unbekannt war, Ende der Siebziger in Deutschland für sich entdeckt. Er hat viel probiert, hat Erfahrung gesammelt und irgendwann damit begonnen, Weine in die USA zu importieren. Es dürfte für diese Weine, die so gar nicht dem nordamerikanischen Weinideal entsprechen, nicht einfach gewesen sein, Freunde zu finden. Doch Theise hat beharrlich kleine Schritte gemacht, um seine Idee von Wein populärer zu machen. Sein nun erschienenes Buch reading between the wines ist eine Hommage an die Idee des Terroirs und einer Rebsorte, die, wie wenige andere, dieses Terroir im Wein erfahrbar machen.

Bild zu: Der Riesling und der Schiefer

Der Terroir-Begriff gehört wohl zu den am meisten penetrierten Begriffen der Weinwelt. Er muss in der Weinwerbung dafür herhalten, dass aus einem normalen, angepriesenen Wein ein besonderer, angepriesener Wein wird. Er ist schnell Teil des Vokabulars, dass den Weinkenner über den Normaltrinkenden hebt, das Abziehbild des Herrschaftswissens eines Weinsnobs. Dabei mag ich den Begriff eigentlich sehr gerne. Es ist nur die Frage, womit man ihn füllt. Gemeinhin wird er als Synonym für den Boden verwendet, auf dem der Wein wächst. Ich halte es da mehr mit dem Winzer Reinhard Heymann-Löwenstein, der neben dem Boden die Faktoren Klima, Rebsorte und Winzer mit dazu nimmt.

Löwenstein spricht dabei vom System Weinberg als Kulturleistung – und grenzt diese Art Weinherstellung von jener ab, die im Heimatland Terry Theises und überhaupt in der New World vorherrscht, auf dem alten Kontinent jedoch ebenso massenweise anzutreffen ist. Es geht hier um die Frage, ob der Wein der Ausdruck seiner Herkunft sein soll, ob man also schmecken können soll, wo der Wein herkommt, von wem er stammt und aus welchem Jahr oder ob wir viel lieber eine gleichbleibende Qualität kaufen wollen, die uns nicht, vor allem nicht negativ überrascht, wenn wir uns einmal für ein bestimmtes Geschmacksmuster entschieden haben. Beide Ideen stehen heute nebeneinander. Für den Chefweineinkäufer eines Lebensmittelhändlers ist die Frage leicht beantwortet. Er muss dem Kunden eine gleichbleibende Qualität liefern, egal, welche Jahresschwankungen es gibt. Auch bei den großen Weinhändlern mit Dutzenden von Depots dürften allzu große Jahrgangs- und damit einhergehende Charakteränderungen nur ungern gesehen sein.

Wie aber ist es mit uns Weintrinkern? Der größte Teil der Weintrinker ist Konsument. Er trinkt Wein wie Bier und Cola, er konsumiert ein Getränk, dass er sich irgendwann aus einer großen Auswahl als passend herausgefiltert hat, und bleibt dabei. Ihm ist es egal, wo der Wein herkommt und wie er gemacht wurde. Das ist völlig legitim. Erstaunlicherweise geht auch heute noch die große Mehrzahl der Menschen davon aus, dass Wein ein praktisch unverfälschtes Naturprodukt sei. Die Tatsache, das hunderte verschiedener, spezialisierter, teils genmanipulierter Hefen den Charakter des Weins entscheidend ändern, dass es in Australien üblich und erlaubt ist, Kastanienmehl in den Rotwein zu schütten und sich manch ein Allergiker über seltsame Hautreaktionen nach Weinkonsum wundert, dass Wein nicht mehr in teuren Holzfässern gelagert, sondern mit Eichenholzchips versetzt wird, man nennt es dann oaked, interessiert die wenigsten.

 

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Dem gegenüber steht der Terroirwein. Ein Wein, der einen, wenn man sich mit ihm auseinandersetzt, ahnen lässt, in welcher Landschaft, oder zumindest auf welchem Boden er gewachsen ist und welche Idee der Winzer vom Weinmachen hat. Das hat natürlich durchaus etwas mit Romantik zu tun, vielleicht auch etwas mit Naivität in einer globalisierten Welt, manche mögen das auch als elitär ansehen, doch dem würde ich teilweise widersprechen. Tatsache allerdings ist, dass ein verschwindend geringer Teil der Weinkonsumenten sich tatsächlich mit solchen Weinen auseinandersetzt. Im Discounter findet man solche Weine nicht, die verkaufen aber schon fast 60% allen Weins in Deutschland. Dann kommen die Lebensmitteleinzelhändler, dann die großen Versender und Ketten, die solche Weine auch nur zu einem relativ geringen Prozentsatz im Programm haben. Wohlgemerkt, ich rede hier nicht von irgendwelchen abgefahrenen Freakweinen, sondern vom klassischen deutschen, handgemachten Riesling, dessen Winzer in diesem Wein bewusst die Einmaligkeit seiner spezifischen Lokalität widerspiegeln will. Einen guten Weinhändler zu finden, ist schwierig, in die Weinbaugebiete zu fahren und den Schritt über die Türschwelle eines noch unbekannten Winzers zu wagen, erfordert Überwindung.

Es kommt nicht von ungefähr, dass ich Theise und Löwenstein in einem Satz erwähne, denn Löwenstein stammt von der Terrassenmosel, genau gesagt aus Winningen. Wenn Theise über Riesling redet, spricht er vor allem vom Mosel-Riesling. Das Tal der Mosel gehört sicherlich zu den beeindruckendsten Weinbaugebieten der Erde. Nur selten ist Weinbau so extrem, sind die Hänge so steil, sind die Flächen, auf denen Rebstöcke stehen, so zergliedert, erfordert es soviel Handwerkskraft, um der Erde diesen Rebsaft abzutrotzen. Dabei wird die ganze Anstrengung in den seltensten Fällen adäquat bezahlt.

Dies mussten und müssen viele Moselwinzer schmerzlich erfahren. Es ist nicht einfach, den selbst produzierten Wein einfach ab Hof zu verkaufen. Kaum einer der dort verwurzelten Winzer hat Marketing gelernt. und wenn man keine wirklich exponierte, berühmte Lage hat, wird man selten glücklich. Zwischenzeitlich wurde das Heil, wie in vielen anderen deutschen Weinbaugebieten auch, im Massenertrag auf den einfacher zu bewirtschaftenden, flacheren Bereichen gesucht, während die ursprünglich angelegten, steilen Terrassen langsam verwahrlosten. Dass der Massenertrag die deutschen Winzer auf Dauer nicht glücklich macht, ist mittlerweile klar, für viele Moselwinzer jedoch kam diese Erkenntnis zu spät. Im Bereich Mosel kommt erschwerend hinzu, dass der spezifische Stil der Weine, die traditioneller Weise immer auch ein gewisses Quantum an Restsüße beinhalten, nicht mehr so stark gefragt ist. Wenn schon Riesling, dann trocken, lautete jahrelang die Devise. Folglich haben viele das Winzerhandwerk aufgegeben, oder können es nur noch im Nebenerwerb ausführen.

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Einer, der mit Leib und Seele Riesling macht und dabei von Anfang an auf Qualität gesetzt hat, ist der oben angesprochene Winzer Reinhard Heymann-Löwenstein. Sein Betrieb ist nicht nur mit besten Lagen gesegnet, er holt auch sehr viel aus diesen Lagen heraus. Darüber hinaus ist er einer, der seine Weine auch verkaufen kann, er nimmt eine klare Position ein, die vielleicht nicht immer und jedem gefällt, aber das ist es ja, das sollen die Weine ja auch nicht – dafür haben sie eben Charakter, wie er selbst.

Ich hatte kürzlich  in unserer kleinen Bonner Weinrunde die Gelegenheit, eine ganze Reihe an verschiedenen Jahrgängen aus seiner Spitzenlage Lage Winninger Uhlen zu probieren. Auch wenn sein Gutswein, Schieferterrassen genannt, schon sehr klar verdeutlicht, was Löwenstein unter Terroir versteht, wird es in den Weinen aus dem Uhlen noch einmal deutlicher. Bis ins Jahr 2000 hat der Winzer aus den besten Teilen seines Uhlener Besitzes einen Lagenwein produziert. Ich konnte die Jahrgänge 1998, 1999 und 2000 probieren, sie zeigen deutlich, wieviel Potential auch in ziemlich trockenen Rieslingen steckt, wie komplex und tief diese Weine werden, wenn sie so gemacht werden, dass sie auf das Altern ausgelegt sind. Spannend für die Terroiridee wird es jedoch ab dem Jahr 2001. Seit diesem Jahr vinifiziert Löwenstein aus dem Winninger Uhlen drei Lagenweine, den Uhlen Blaufüsser Lay, den Uhlen Laubach und den Uhlen Roth Lay.

Viele haben damals gedacht, der Löwenstein würde jetzt abdrehen und den großen Reibach machen. Ob die Entscheidung marketingtechnisch ein Hit war, kann ich dabei gar nicht beurteilen. Dass es Sinn macht, zeigt die Probe der drei 2001er Weine. Wir hatten drei Rieslinge aus dem gleichen Hang, aus dem selben Jahr, vom selben Winzer vinifiziert. Es sind die gleichen Riesling-Klone, doch sind es drei völlig unterschiedliche Weine.

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Die Rebstöcke wachsen auf Schiefer aus der Devon-Zeit. Wie der Name Blaufüsser Lay schon andeutet findet sich hier blau leuchtender, also dunkler Schiefer mit sehr viel Tonanteil und 10% Kalkpartikel. Der Wein von diesem Untergrund wirkt eher kühl und zurückhaltend, er duftet nach Blüten, die Frucht ist wenig ausladend, es dominiert die Mineralität des Schiefers, die dem Wein eine starke innere Spannung verleiht. Der Uhlen Laubach verdankt seinen Namen der sogenannten Laubach-Devon-Schieferschicht. Der Schiefer hat einen Anteil von bis zu 40% Kalk, was sehr ungewöhnlich ist, weil Schiefer eigentlich aus zusammengepressten Sedimenten besteht, die meist unter 1% Kalkanteil besitzen. Dieser Kalk findet sich auch im Wein wieder, der Wein wirkt dabei crèmiger als der erste. Wer Chardonnay von den Kalksteinböden des Burgund kennt, wird den Wein durchaus vergleichbar finden, auch wenn hier vom Schiefer eine andere Mineralik dazu stößt. Der Wein aus der Lage Roth Lay ist völlig anders, wie auch der Boden. Hier dominiert Quarzit mit hohem Aluminium und Magnesiumanteil, hinzu kommt viel Eisenoxid. Der Wein selbst wirkt säureärmer, er duftet viel stärker nach Kräutern und zwar nach einer Kräuteraromatik, wie man sie in gutem Gin findet. Dazu kommt etwas von Veilchen und Süßholz.

Dies sind drei ausgesprochen ungewöhnliche, sehr prägnante und charakterstarke Weine. Es sind Weine, die das ganze Potential des Zusammenspiels von Boden, Klima und Handwerk offenbaren. Und man findet selten ein bessere Gelegenheit, den Einfluss, den die individuelle Bodentypizität auf den Riesling hat, direkter zu erfahren.