Wir wollen nicht ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei.
Als ich vor anderthalb Jahrzehnten zum ersten Mal etwas länger in Berlin war, weilte ich in Schöneberg. Und schon damals sah ich diese Aufschrift und dachte mir: Wer so argumentiert, wer so grundsätzliche Regeln der Höflichkeit missachtet, der möchte daneben sicher auch noch das Mehl, die Eier, die Sahne, die Früchte und das Personal, und zwar umsonst und sofort und wenn etwas nicht klappt, gibt es Ärger. Die sind nicht nur dreist, sie würden es auch ausleben, liesse man sie gewähren, und würde man versuchen, ihnen Einhalt zu gebieten, würden sie sich auf irgendwelche Gewohnheitsrechte berufen. Sie hätten schon immer geschmiert und Bäckereien geplündert. Und dann dachte ich mir: Egal. Der schreibt das hin, ein anderer wird kommen und die historische Brücke wieder säubern. Wie gesagt, das ist jetzt 15 Jahre her. Vermutlich würde hier die Polizei doch kommen und einen wegen Denkmalbeschädigung verhaften, wenn man versuchen sollte, die Aufschrift zu entfernen.
Man könnte in Berlin vieles tun, Autos demolieren, Brücken beschmieren, Müll liegen lassen und die S-Bahn beschädigen, man könnte ein paar Geschäfte des gehobenen Bedarfs anzünden und Steine auf Baufahrzeuge in Neukölln werfen, bis man in der bundesweiten Presse unfreundliche Ansagen lesen müsste, wie sie im Moment Horst Seehofer, seines Zeichens bayerischer Ministerpräsident, zu Kenntnis nehmen muss. Denn die gewaltsame Aufkündigung eines Gesellschaftsvertrages in Berlin ist gelebte Tradition und wird, siehe Yorckbrücke, Bestandteil der Lebensrealität. Aber die Idee von Horst Seehofer, gegen den seit Jahren umstrittenen Länderfinanzausgleich zu klagen, gilt als Zeichen der Verzweiflung vor den kommenden Wahlen. Oder als unsolidarischer Akt. Oder als typisch bayerische Kraftmeierei. Oder als Beispiel für die Neigung des Ministerpräsidenten, immer mal wieder Amok zu laufen, und dabei auf nichts und niemanden Rücksicht zu nehmen.
Und natürlich muss man, auch als Bayer, ehrlich sagen, dass Herr Seehofer mitunter heuchlerisch daherkommt. Ich meine nicht den Umstand, dass Bayern lange Zeit vom Finanzausgleich begünstigt war – diese Summen hat Bayern inzwischen mehrfach wieder einbezahlt, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich meine sein Argument, dass in Berlin Studenten eine Prämie bekämen, und in Bayern Studiengebühren bezahlen müssten. Das wollte die Staatsregierung unter Stoiber so, weil die Universitäten leistungsorientiert umgebaut werden sollten. Dafür gab es Gremien und Beiräte und Proteste und am Ende eine saftige Wahlniederlage. Seehofer will hier wieder raus aus dem Gebührenelend, und begründet dessen Existenz nicht mit seiner Partei, sondern mit Berlin und der dortigen Misswirtschaft. Gar nicht überrascht wäre man, würde die CSU demnächst wieder von diesen Gebühren abrücken, besonders, wenn man tatsächlich ein paar Milliarden mehr behalten könnte. So sind die hier. Das muss man nicht mögen. Aber für Seehofer geht es um alles. Daher käme dieser billige Populismus, schäumen die Medien.
An ein paar schmerzhaften Wahrheiten kommt man dennoch nicht vorbei: 3,043 Milliarden bekam Berlin letztes Jahr an Mitteln zugeteilt, 3,663 Milliarden wurden Bayern abverlangt. Bis 1994 war dieser Ausgleich nur ein wenig Rumschieberei; seitdem Berlin mit dabei ist, läuft das alles aus dem Ruder. Begründet wird das dadurch, dass der Staat laut Grundgesetz im ganzen Land gleichartige Lebensbedingungen herstellen soll. Und natürlich damit, dass Berlin so arm dran ist: Der zweite Weltkrieg (vor 67 Jahren zu Ende gegangen)! Die deutsche Teilung (seit 22 Jahren ist die Stasihochburg der Ostblock-Subventionsmoloch Ostberlin wieder eins mit der Immobilienmafia dem West-Subventionsmoloch Westberlin)! Weil ein Land wie Deutschland eine richtige Hauptstadt braucht, und noch so viel getan werden muss! Dafür braucht man zum Zuschuss der anderen Länder auch noch fast eine Milliarde Neukredite. Rund 4 der 22 Milliarden des Haushalts kommen auf diese Art rein, und weitere 2,881 Milliarden sind Bundesergänzungszuweisung. Das ist schon mehr als ein Stück Kuchen, aber, könnte man meinen, doch kein Grund für die humorlosen Bayern, gleich die Solidarität einer Nation aufzukündigen. Das ist die Bundesperspektive.
Und darin gehen ein paar Kleinigkeiten unter – wie etwa die Meinung von über 80% der wahlberechtigten Bayern, dass ein Vorgehen gegen den Ausgleich gut und richtig ist. Und auch ich – nun, ich habe am Wochenende im Tagesspiegel diese Geschichte gelesen. Darin geht es um ein Grundstück an der Spree, das zu meiner Zeit dort ein paar findige Leute mit einem Lattenzaun abgesperrt hatten, um Parties zu feiern. Vorn war ein Türsteher und hinten Musik und gute Laune. Und als dieser Betrieb, die Bar 25 geschlossen wurde, gab es laute Proteste, Berlin würde den Berlinern den Zugang zur Spree nehmen – der davor von Türstehern und nicht ganz billigen Preisen auch nicht gerade offen gehalten wurde. Es gab einen Bürgerentscheid, in diesem Bereich am Fluss nicht alles dem Projekt Mediaspree zu opfern, und nun setzt sich also der neue SPD-Chef in Berlin dafür ein, dass die alten Betreiber mit einem neuen Konzept unter dem Stichwort „Stadtrendite” weitermachen dürfen. Das alles klingt so lange halbwegs schlüssig, als man die Hintergründe nicht kennt: Denn das Gelände gehört einer städtischen Firma namens BSR, die von sich behauptet, in Berlin eine Stadtreinigung zu betreiben.
Ja, ich habe auch schallend gelacht, aber wenn man in Berlin lebt, merkt man: Die leben prächtig mit der Vortäuschung dieses Geschäftes, so wie der Bürgermeister ja auch angeblich „regierend” ist. Diese BSR jedenfalls beabsichtigt bislang, das Gelände an den Meistbietenden zu verkaufen. Dadurch käme dem defizitären Betrieb der Stadt eine hohe zweistellige Millionensumme zu, und zusammen mit dem Bau und der Vermietung würde auch für Berlin etwas abfallen. Allerdings haben die ehemaligen Spreeabschneider und Betreiber der Bar nicht genug Geld. Und deshalb soll politisch entschieden werden, dass die BSR auf diese Einnahmen verzichtet, die eventuell reichen würden, die 74 Millionen Verlust aufzufangen, die im letzten Jahr ermisswirtschaftet wurden. Andernorts gälte so ein Vorgehen möglicherweise als Veruntreuung, in Berlin möchte man damit die Hauptstadtkultur fördern, an der Spree feiern, sozialkünstlerische Projekte anschauen und sagen, dass die anderen Arbeiter an der Mediaspree auch einen Ort zum Entspannen brauchen. Gleichzeitig sorgt das Projekt dafür, dass in der näheren Umgebung weniger Luxussanierungen drohen, die fraglos entstünden, würde man hier noch mehr gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen. Schreckliche Vorstellung für Berlin.
Und diese fehlenden zig Millionen, die sind dann eben noch ein Scherflein drauf, auf dem ohnehin schon üppigen Defizit der Stadt. Gegen die Mehrkosten des Berliner Flughafens, der fliegt, wie Berlin gereinigt wird, ist das doch gar nicht so schlimm. Pleite geht Berlin nicht, genug Geld für einen kostenlosen Kitaplatz für Alle ist auch noch da, und am Ende hat man ein schreckliches Defizit und keine Wirtschaftsleistung und ist so arm und nahe an der Pleite, dass irgendjemand zahlt. Erschöpft von der Bettelei um das nackte Leben setzt man sich dann an die Spree in das Künstlerdorf mit Stadtrendite, leise wummern die Beats über den Fluss und auf dem neuen iPhone steht, dass nachher die Yvi mit dem Gras vorbeikommt. Ja, es ist schon eine Freude, in so einer Hauptstadt zu leben, die so sozial ist, diesen Ort für die Menschen zu erhalten. Also, natürlich nicht für alle Menschen, die mittellosen Migranten und Hertzies und Truckerfahrer aus Halle sollen bitte daheim bleiben, aber die richtigen Menschen. Und für das Betreiberkonsortium. Und die jungen Wähler. Was wie Filz, das gibt es doch nur in Bayern. Wer wird denn hier gleich in Hektik verfallen. Der ausgeglichene Haushalt kommt schon irgendwann, nur nicht heute. Aber wenn Bayern weiterhin den Ausgleich für das strukturschwache Berlin schickt, wird das schon was werden mit der Bundeshauptstadt.
Ja, die Bayern, die sind schon etwas Feines, aus Berliner Sicht, wo die Stadt viel tut, damit das Wohnen auch bei Clubmatepreisen von 4 Euro erschwinglich bleibt. Diese Bayern zahlen irrwitzige Mieten und Hauspreise, und machen trotzdem keine Randale, arbeiten lieber kräftig und zahlen Steuern, und wenn es schlimm wird, auch noch Vermögensabgaben – sagen Berliner Wirtschaftswissenschaftler. Das kommt dann in Berlin an, und alles ist fein. Wenn der Ministerpräsident dagegen klagen will, schreibt die Hauptstadtpresse böse Artikel über ihn, er sei ein Populist und Randalierer, wohingegen die Stadtrendite an der Spree natürlich nur Lebensqualität für Sozis und junge Leute ist, die an der Spree keine Eier werfen oder demonstrieren. Ist doch alles prima, sollte das Defizit noch grösser werden, können es die Bayern mit ihrer florierenden Wirtschaft schon abfedern. Sie wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen. Sie wollen die ganze Bäckerei.
Aber in Bayerns West, Süd-, Ost und auch ansonsten benachteiligten Nordvierteln, das kann ich hier berichten, ist die Stimmung eine leicht andere. Mag man in Berlin auch hoffen, dass Seehofer abgewählt wird: Auch eine neue Regierung wird nicht umhin kommen, hier aktiv zu werden. Denn hier geht es nicht um eine Frage der politischen Einstellung, sondern um eine gewisse Mentalität. Es geht um eine Erschöpfung und das Gefühl, dass sich dort nie etwas ändern wird, solange es immer jemanden gibt, der für diese Eskapaden aufkommen muss. Es ist auch nicht mehr so, dass man die dauernden Ausreden noch hören möchte. Und die Neigung, es nie bei einem Stück Kuchen zu belassen und immer nur die dummen Bäcker zu verhöhnen, die hat für etwas, wie soll ich sagen, Bedauern gesorgt. Wir sind hier alle gegen den Länderfinanzausgleich. Nicht wegen eines Ressentiments gegen Berlin, nicht wegen eines Nord-Süd-Konflikts, nur wegen solcher Geschichten. In Bayern hat man wegen solcher Fehlleistungen – Hypo Alpe Adria zum Beispiel – die CSU bestraft. Berlin kann man nicht bestrafen. Dieses verzogene, versiffte, schlecht erzogene Drecksbalg von einem dauerbedröhnten Slum, das kann man nicht wegwerfwindelweich schlagen. Auch die Russen wollen es nicht mehr haben. Aber man kann es – hoffentlich – auf Entzug setzen. Bis in unserer arbeitsamen Alpentäler dringt das Wehklagen von Hipstern, Sozis und Freundesfreunden nicht. Und sollte die Stadt pleite gehen oder bei einem Aufstand abgefackelt werden: Investieren kann man auch in Bayern.