Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Heiraten hinter roten Absperrungen

Wie bei einem schweren Unfall, und auch teuer: So richtig exklusiv werden Hochzeiten erst, wenn andere luxuriös weiträumig ausgeschlossen werden.

These were the best Days of my Life.

Tanten schniefen, Onkel räuspern sich, aber ich schaffe es nicht, ein ironisches Lächeln zu unterdrücken. Eltern sind stolzgeschwellt und Freunde glücklich, aber ich denke an die Scheidungsrate. Kleine Vermögen wurden geopfert und lange Geschenklisten publiziert, aber bei mir bekommen alle das gleiche: 1 englisches Teeservice aus Silber, egal ob sie das wollen oder nicht Man hat sich etwas bei der Sitzordnung gedacht, und ich ahne, dass es etwas mit Sadismus zu tun hat. Es wird erinnert und gehofft und gewünscht, und ich wünsche mir, dass es bald vorbei ist. Es wird getanzt, aber mir würden bessere Anlässe einfallen.

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Meine Heimatstadt und ich, wir haben einen Burgfrieden geschlossen: Ich sage offen, dass ich auf Hochzeitseinladungen verzichte, und man schleift mich nur mit, wenn sich sonst gar niemand anderes findet, oder die Freundschaft insgesamt doch zu nah ist, als dass ich Nein sagen könnte. Die Natur meiner Sache bringt es mit sich, dass das Konzept „Ehe” für Frauen mit dem Konzept „mit mir gut befreundet sein” eher nur so mittelgut zusammen passt. Damit fallen die Hochzeiten weiblicher Bekannter zumeist schon einmal weg. Dafür jedoch, auch das muss gesagt werden, habe ich so einiges an Erfahrung mit dem Auffangen von Frauen, die gerade ausgezogen sind, und das in den ersten Stunden nicht gleich den Eltern als grosses Scheitern nahebringen wollen. Es gibt Freunde, die hat man für Ehe, und Freunde, die hat man für Scheidungen, und das eine bedingt das andere zwangsläufig. Nachdem ich selbst gut koche, ist das Essen dieser ersten Nächte bei mir vermutlich auch nicht schlechter als das Catering beim Bund für das Scheinleben.

Einen Blumenstrauss habe ich auch noch nie gefangen. Die S. behauptet, dass mich im Gegenteil die Blumensträusse sogar meiden; normalerweise ist sie eine höchst erfolgreiche Straussjägerin, aber die drei Mal, da sie mich mitschleifte, bekam sie nichts ab. Ich sage dann immer, dass sie doch schon einige hat, und trotzdem keinen Mann findet, und dann sagt sie das, was alle sagen: Ich bin mangels Romantik für die Hochzeit einfach nicht geeignet. Dass sie mich mitnimmt und ich dank ihr für immer „Da sprach der alte Häuptling der Indianer” mit solchen Festen verbinden werde, liegt vielleicht auch am gehässigen Mundwerk der S., der noch nie ein Brautkleid gefallen hat, und die selbst eher schlecht in so ein Umfeld restlos glücklicher, vom schönsten Tag des Lebens erfüllter Menschen passt. Sie wird dennoch eingeladen, sie kann sich verstellen, sie sagt es nur zu mir, ich sage es nicht weiter, schweige wie ein Grab und kein Mensch bekommt es mit.

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Ups.

Also, wie auch immer: Ich bin einfach nicht für solche Anlässe geschaffen, man kann mit mir vieles tun, aber für diesen Zweck hat die Vorsehung in diesem schönen Lande eine Vielzahl dunkelblonder, pausbäckiger Gemütsmenschen hingestellt, mit denen man mehr konventionellen Spass haben kann. Ich bekomme solche Auftriebe nur alle paar Jahre mit, und natürlich weiss ich auch, dass sich in den letzten Dekaden einiges zum Pompösen verändert hat. Man gibt sich mehr Mühe, man gibt mehr Geld aus und nimmt vermutlich auch mehr an Geschenken ein, man hat das, was alle anderen auch haben, und noch etwas mehr. Und obendrein ein paar Einfälle, die man sonst allenfalls aus den Hochzeitsmessen kennt, die sich hier in der Eishockeyarena mit den Bau- und Erotikmessen abwechseln. Ich will das hier nicht beurteilen. Das ist einfach so.

Was dagegen früher eher nicht so war, und was mich beim Spaziergang durch den Park wirklich erstaunte, obwohl ich ja so einiges an Torheiten meiner Klasse gewohnt bin, war am Wochenende dieses Hochzeitszeltlager. Das kann man natürlich machen, daneben steht eine Halle, und wenn die zu klein ist, für mehr als 100 Gäste, muss man eben noch ein paar Zelte daneben stellen. Grosse Clans, Berufe mit Breitenwirkung, Verpflichtungen und die Folgen aus vielen Hochzeitseinladungen, das fordert schon einen gewissen Tribut. Und vielleicht ist es heute auch ein wenig wie bei Facebook: Wer die meisten Freunde hat, hat das grösste Sozialprestige. Selbst wenn die weniger guten Freunde dann Platz in den Nebenzelten finden müssen. Aus Plastik. Vielleicht gibt es dort auch eine Videoübertragung aus dem Hauptveranstaltungsraum, wer weiss.

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Was ich aber nicht wusste und mir so, ehrlich gesagt, auch nicht vorstellen konnte, sind die roten Absperrseile an goldenen Stangen mit glänzenden Kugeln oben drauf. Man sagt, dass jede Theorie schlecht wird, wenn sie in der Praxis nur hart genug durchgezogen wird, und das scheint mir hier der Fall zu sein: In Hollywood kann man das vielleicht bei einer Filmpremiere machen, aber das hier ist eine etwas zu gross geratene Hochzeit in der bayerischen Provinz, deren Beteiligte keines der hiesigen Schlösser oder einen der Stadtpaläste haben, sonst wären sie nicht hier im Park (kurz überschlagen: Sollte mir so ein Unheil drohen, würde ich endlich das Erdgeschoss des Nebengebäudes herrichten und dazu den Hof überspannen, das wären dann auch so 200, 220 Quadratmeter Festfläche). Es gibt bei einer Hochzeit zwischen Monaco und London keinen richtigen Grund für solche roten Linien, ausser dass man zeigen möchte: Wir hier. Und ihr da draussen.

Dabei jedoch ist dieser Teil der Grünanlagen eindeutig gemietet, wie auch das überlange Auto aus Amerika, und auch die Abgrenzungen. Man könnte hier, wenn alle Stricke reissen und die Sache schnell gehen muss, auch ein Schloss im Altmühltal mieten, das wäre dann auch im Grünen, und niemand bräuchte diese Stricke und, pardon, peinlich-goldenen Stangen, hinter denen dann für diese Nacht gemietete Studenten die Horden auf die Plätze weist. Weisser Plastiktüll unschliesst die Töpfe herangekarrter Bäumchen, ob das auch schon im Sommer von 69 so gewesen sein mag? Man weiss es nicht. Aber im Sommer von 2012 ist es so. Der nächste Schritt ist absehbar: Man wird sich zum Personal auch noch etwas Security holen, die dann zwischen den roten Bändern steht. Es ist eine einzigartige Nacht, man ist so aussergewöhnlich, irgendwie muss man die gaffenden Horden in Zaum halten, damit sie die Feier nicht stürmen, die Unglücklichen, da draussen, die sich so etwas nicht leisten können, solange sie keinen Kredit aufnehmen.

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Meine Freundin I. hat – mit reichlich Eigenkapital, aber schon etwas länger her und nicht so pompös – auch einmal geheiratet, und weiss zu berichten, dass sie von diesem Tag ziemlich wenig mitbekommen hat: Zuerst war da all die Planung, dann gab es eine Verzögerung, die komplexe Änderungen im Programm nach sich zogen, weil niemand an Puffer gedacht hatte, und weitere böse Folgen, weil die verteilten Time Tables nicht mehr stimmten. Ab einem gewissen Zeitpunkt hatte sie zu viel Alkohol getrunken und liess die Logistik erst aus dem Ruder und dann nach Zusammenstoss mit der Schwiegermutter in den Untergang laufen: So war das bei ihr. Aber wie Menschen in unseren Zeiten nun mal so sind, auf Tschernobyl folgte Fukushima und wenn eine Hochzeit in Stress ausartet, wird sie bei den Freunden weiter skaliert, und die Kontrolle und Organisation verbessert. Alles eine Frage der Managementqualitäten. Wenn alles gut geht, sitzen am Ende alle auf den richtigen Plätzen und sind in der richtigen Stimmung.

Hinter PVC und roten Bändern an goldenen Ständern, und im Catering passt man auf, dass nicht ein Tropfen zu viel Balsamicoglossa verwendet wird. Es ist ein grosses Fest, und am Ende entschwindet ein grosses Auto. Oder, das hatten wir auch schon, ein zum Feuerwerk enthüllter Sportwagen.

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Und wer immer den Strauss gefangen hat, wird sich sagen, dass bei ihrer Hochzeit nicht nur so winzige Bröckchen Kaviar auf den Tellern liegen wird. Und sein Anzug, der ging ja überhaupt nicht. Dem wird man keinen so guten Platz zuweisen können, eher hinten irgendwo, ganz am Rande der Absperrungen.