Stützen der Gesellschaft

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Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Sommerwein in Oevelgönne

Es gibt nicht einen perfekten Sommerwein, sondern viele: Ausgerechnet verpönte und belächelte Sorten sind bestens geeignet, die schönsten Tage des Jahres zu beschliessen.

Ich möchte Weintrinker sein,
mit Kumpanen abends vor der Sonne sitzen
und von Dingen reden, die wir gleich verstehen…
Franz Josef Degenhardt

(Das Thema Wein behandelt hier im Gastbeitrag wie immer sachkundig: Christoph Raffelt)

Es hat ein bisschen gedauert, mich neu zu sortieren auf dem Weg vom Rhein an die Elbe. Eine neuer Job, die Pendelei zur Familie, Wohnungssuche, Wohnungsfindung die Auflösung der alten Wohnung… was halt so dazu gehört. Da bin ich kaum zum Schreiben gekommen und auch kaum zum Weingenuss. Das Wetter war eh verregnet und der Sommer ließ auf sich warten, zumindest in Hamburg. Mittlerweile beruhigen sich die Dinge ganz allmählich. Die neue Wohnung ist noch nicht fertig renoviert, gewohnt wird in einer Zwischenlösung. Die Familie ist wieder vereint und der Sommer ist gekommen. Das sind gute Voraussetzungen, um mal eine schöne Flasche zu öffnen, sonntags, auf der Terrasse, oder am Elbstrand, zur blauen Stunde. Wein soll her, nichts Intellektuelles, kein Meditationswein. Ein Wein, der Spaß macht und zum Wetter passt, Sommerwein eben.

Gibt es eigentlich einen Archetypen für diese Art Wein? Oder ist das bei jedem etwas anderes? Zumindest fällt mir eine ganz Reihe an Weinen ein, die für mich Sommer verkörpern. Und vielleicht gibt es doch eine Reihe von Weinen, auf die wir uns einigen können, im Kreis von Freunden, jeder mit einem Glas in der Hand. Für mich jedenfalls gibt es jene, die ich gerne im Sommer trinke, und andere, die auch in der düsteren Jahreszeit so viel Sonne und Wärme in sich bergen, dass ich direkt an bestimmte Landschaften denke, wenn ich sie probiere. Sie sind für mich die Blaupause des Sommers. Auch wenn das nicht direkt die Weine sind, die Gegenstand unserer Überlegung waren, ist für mich ganz klar, welche Weine ich im Herbst oder Winter aus dem Keller hole, wenn ich Sehnsucht habe, nach Sommer, nach Sonne, nach Süden. Die Weine, die mir dann direkt in den Sinn kommen sind die, die irgendwo zwischen Gigondas, Aix-en-Provence und Perpignan unter der Hitze des französischen Südens zur vollen Reife gelangt sind. Direkt habe ich das Zirpen der Grillen im Ohr, Wanderungen durch die Montagne Sainte-Victoire, Exzerpte aus den Tagebüchern Cézannes, den Fischmarkt in Sète und die Austernzüchter in der Ethau de Thang, die Katharerburgen in den Pyrenées-Orientales, die Schieferböden in der Nähe von Coullioure und die ehemaligen Klöster von Fontfroide oder Valmagne. Wenn ich in einer solchen Stimmung bin, hole ich mir genau diese Art von kräftigen roten Weinen aus Syrah und Mourvèdre, Cinsault oder Grenache oder allem zusammen aus dem Keller. Weine, die gleichzeitig vor Kraft und Saft strotzen, die aber, wenn sie gut gemacht sind trotzdem frisch wirken, bei aller Frucht nicht marmeladig wirken, nicht eingekocht, nicht so, als würde man einen Rumtopf trinken. Das Château de Negly kommt mir in den Sinn, die Domaine Matassa oder die Domaine de l’Horizon, Vincent Gauby oder Saint Jean du Barroux. Aber dazu vielleicht im Herbst ein wenig mehr.

Bild zu: Sommerwein in Oevelgönne

Zurück zu den Sommerweinen. Ich glaube, die schönsten Sommerweine habe ich in meinen Urlauben getrunken. Da macht es dann auch weniger aus, ob der Wein wirklich was taugt oder nicht. Ich würde jetzt nicht ganz auf Qualität verzichten wollen, aber es verschieben sich eindeutig die Prioritäten. In einer selbstgezimmerten Bretterbude in einer mallorcinischen Bucht zu sitzen, mit Blick auf das einzige Segelboot, das dort vor sich hindümpelt während einem eine frisch gebratene Dorade und ein Landwein serviert wird. Bacalau, in einem Strandrestaurant irgendwo oberhalb von Porto genossen, dazu ein Glas Vinho Verde. In einer Trattoria in den Hügeln hinter Bardolino zu verweilen und entspannt zur Hausmannskost der Wirtin einen leichten Rosé zu trinken, kann das Glück auf Erden sein. Da wird es am Elbstrand schon ein bisschen schwieriger mit einem Glas Bardolino. Da nehme ich dann doch lieber etwas anderes. Aber Rosé ist schon ein gutes Stichwort. Ich mag ja Rosé, nicht jeden, zugegeben, aber ich mag auch nicht jeden weißen oder roten Wein. Ständig wird über Rosé die Nase gerümpft. Das sei ja nichts Halbes und nichts Ganzes, schon gar kein richtiger Wein, immer irgendwie dünn und blass und eindimensional. Ich finde, das ist Unsinn und trifft vielleicht für Weine zu, für die die Kritiker nur einige wenige Euro ausgegeben haben. Will man einen vernünftigen Rosé, kostet der genauso viel wie ein vernünftiger Weißwein oder Rotwein. Dann findet man von Italien und Österreich über Deutschland bis nach Frankreich und auch auf der iberischen Halbinsel eine ganze Reihe wirklich schöner Weine. Manche sind sogar so intensiv und komplex, dass sie in einer eigenen Liga spielen. Mir fällt da ein Wein vom Herrenhof Lamprecht aus Österreich ein, oder eine Spezialabfüllung von Friedrich Becker, dem Pfälzer Burgunderspezialisten. Das mögen Ausnahmen sein, gut möglich, aber Rosé ist deutlich besser als sein Ruf.

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Wenn ich Rosé oder überhaupt Weine für den Sommer empfehle dann gerne welche, die sich ein bisschen mit dem Alkohol zurückhalten. Ein Klassiker für den Sommer ist für mich frischer Vinho Verde. Dieser grüne Wein aus Portugal heißt nicht so, weil er grün bzw. unreif gelesen worden wäre, er stammt auch nicht von grünen Trauben, denn es gibt ihn auch rosé oder rot. Er verdankt seinen Namen der Region Minho, in der er angebaut wird und die, an der Grenze zu Spanien gelegen, die grünste der Regionen Portugals ist. Die Weine sind leicht und moussierend. Wenn sie gut gemacht sind, erfrischen sie ungemein mit einer spritzigen Säure. Obwohl es jetzt wahrscheinlich keine so große Kunst ist, einen sicherlich zu machen, musste ich kürzlich feststellen, dass es doch immer noch Vertreter auf dem Markt gibt, die nicht mal dieses Leichte, Spritzige hinkriegen. Empfehlen kann ich aber ohne zu zögern die Weine von Casal Garcia, ein großer Erzeuger, zugegeben, dafür gibt es sie häufiger im ganz normalen Supermarkt, sie sind einfach und gut.

Wo wir gerade auf der iberischen Halbinsel sind, hat sich im traditionellen Rotweinland Spanien eine Region samt Traubensorte ins Licht gerückt, die lange Zeit kaum jemand kannte. Es ist die Region Rueda in Castilla-Leon, mitten in Spanien, eingerahmt von klassischen Rotweinregionen wie Toro oder Ribera del Duero. Hier wird traditionell der Verdejo angebaut, eine sehr frische, säurebetonte Sorte, die in ihrer Stilistik von Stachelbeeren und Maracuja mit einer Reihe Kräutern und einer typischen, leichten Bitternote manchmal an Sauvignon Blanc erinnert. Die Weine aus dem Rueda sind momentan der Exportschlager aus dem krisengeschüttelten Spanien. Das Phänomen ist noch relativ neu und hängt damit zusammen, dass man heute relativ gut und kostengünstig kalt vergären kann. Das ist in warmen Regionen sehr wichtig, und hat beispielsweise aus dem Merlot-Land Friaul ein Pinot Grigio Land gemacht. Auch wenn es die Kellertechnik ist, die es vermag, auch in heißen Regionen frische und sehr fruchtige Weine hervor zu bringen, finde ich das nicht per se schlecht. Es birgt aber die Gefahr, dass die Weine nur noch vordergründig fruchtig und ansonsten ziemlich eindimensional schmecken – und das wäre mir auch für einen Sommerwein zu wenig. Es gibt von mir daher eine klare Empfehlung für einen Wein, den man in den meisten Bioläden kaufen kann. Es ist der grün etikettierte Verdejo 2011 von Menade. Das ist für mich Verdejo genau so wie er sein sollte: herb, mit deutlicher Säure, der Geschmack von Stachelbeeren tritt hervor, tropische Aromen schwingen mit, werden aber nicht zu intensiv und zum Schluss gibt es eine sortentypische Bitternote, als würde man an einer Bitterorangen- oder Limettenzeste knabbern.

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Wenn ich die Sommerweinreise zurück über die Pyrenäen nach Frankreich führe, kommen mir zwei, bzw. drei Rosé in den Sinn, die genau aus der Ecke Frankreichs stammen, die man immer mit Rosé in Verbindung bringt – die Provence. Der traumhaft schöne Landsitz Château La Canorgue liegt im Luberon, in einem der schönsten Winkel ganz Frankreichs. Hier wird seit Ende der Siebziger ohne Einsatz von Chemie gearbeitet und die Weine sind immer eine sichere Bank – frisch und saftig und nie langweilig. Das Château hat vor einigen Jahren mal die Kulissen für einen unsäglich Film zur Verfügung gestellt: Ein gutes Jahr von Ridley Scott, mit Russell Crowe in der Hauptrolle. Doch auch Crowe wirkt völlig unambitioniert in einer Geschichte, die auf den Provence-Romanen von Peter Mayle basiert, die romantische Biederkeit der Romanvorlage allerdings spielend unterbietet.

Die Domaine Richeaume liegt zu Füssen der Montagne Sainte-Victoire. Diese Bergkette, unweit der Stadt Aix-en-Provence gelegen, bildet die Kulisse für zahllose Gemälde des Malers Paul Cézanne, der sich dieser Landschaft immer wieder auf’s Neue und in immer neuen Blickwinkeln angenähert hat, um langsam seinen Stil zu formen. Hier hat Mitte der Siebziger Henning Hoesch seine Heimat gefunden, und über viele Jahre hinweg sein Weingut aufgebaut. Auch er hat von Anfang an auf den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden verzichtet. Seine Weine gehören für mich schon seit langer Zeit zu den schönsten der ganzen Provence, und sein Rosé ist ein Traum. Auf der anderen Seite der Montage lebt ein weiterer Deutscher mit Weingut, der sich ebenfalls dem biologischen Weinbau verschrieben hat. Peter Fischers Château Revelette Rosé ist etwas einfacher als der von Richeaume, vielleicht nicht ganz so tief, aber ebenfalls köstlich. Es gäbe noch viel über die zum Sommer passenden französischen Weine zu schreiben, aber ich muss weiter, gen Norden, über die Grenze.

In Perl beginnt gleich nach dem Grenzübertritt von Frankreich aus, im Dreiländereck, das Anbaugebiet der Obermosel. Dieses unterscheidet sich grundlegend von den berühmten Gebieten der Mittel- und Terrassenmosel. Die Hänge sind flacher und die Böden sind komplett anders. Der Schiefer fehlt, dafür gibt es mehr Kalk und Mergel. Das hat dazu geführt, das auf deutscher wie auf luxembourger Seite die Burgundersorten vorherrschen, und außerdem eine Sorte, die ihren Namen nach einem anderen Fluss hat, wo die Rebsorte ebenfalls angebaut wird – der Elbling. Besonders empfehlen kann ich die Weine vom jungen Winzer Stefan Steinmetz in Wehr. Der Elbling ist für kleines Geld zu haben (unter 5 Euro), der Auxerrrois ist nur geringfügig teurer. Beide Weine sind sortentypisch und blitzsauber ausgebaut, machen viel Spaß und werden nicht langweilig. Eine besondere Empfehlung ist der Crémant Liaison, eine Cuvée verschiedener Burgundersorten.

Eine weitere typisch deutsche Rebsorte, die wie der Elbling lange Jahre unter den Folgen des Massenertrags gelitten hat ist der Müller-Thurgau, in manchen Landesteilen auch Rivaner genannt. Gleich zwei Weine dieser Rebsorte stehen auf meiner Sommerwein-Liste. Das ist zum einen der Rivaner des Weingutes von Racknitz an der Nahe, über das es sich noch mal eigens zu berichten lohnt. Dieser Rivaner ist extraktreicher und komplexer, als ich das von dieser Sorte kenne. Der Alkohol hält sich mit 11,5% vornehm zurück, dafür stehen Mineralität und Würze im Vordergrund. Noch etwas fruchtiger ist der Müller-Thurgau Frank & Frei, den gleich mehrere fränkische Weingüter unter einem gemeinsamen Label abfüllen. Die Weine werden jedoch nicht zusammen geschüttet, sondern getrennt auf den jeweiligen Weingütern ausgebaut. Sie zeigen sehr schön das Potential der Sorte, wenn die Erträge begrenzt werden und Arbeit im Weinberg investiert wird.

Bild zu: Sommerwein in Oevelgönne

In Österreich ist es der junge Grüne Veltliner, der auch bei heißen Temperaturen noch Laune macht. Auch wenn diese Rebsorte längst als Spitzengewächs mit großer Langlebigkeit ausgebaut wird, liegt sein Ursprung doch eher im Einfachen. Man hat diesen Wein, der charakteristischer Weise neben Apfel- und Zitrusaromen immer auch eine pfeffrige Komponente, das so genannte Pfefferl hat, früher (und auch heute noch) im Heurigen, im Ausschank der Winzer des Weinviertels rund um Wien bekommen. Von da aus hat er stetig seinen Siegeszug rund um den Globus angetreten, bis in die Szenelokale von Tokyo und New York. Einer, der containerweise den Veltliner in die USA liefert, ist der umtriebige, begabte Fred Loimer, der mit dem jungen und frischen Veltliner Lois einen empfehlenswerten Wein im Gepäck hat. Auch wenn er eine ganze Menge Winzer unter Vertrag hat, die für ihn die Reben anbauen – für die geforderten Mengen reichen seine Weinberge nicht aus – stimmt trotzdem immer die Qualität.

Was ich übrigens immer wieder gerne trinke sind die Weißweine von Feudi di San Gregorio und von Donnafugata. Erstere stammen aus Kampanien, letztere aus Sizilien. Das sind frische, dezent aromatische Weine aus dortigen Rebsorten mit so klingenden Namen wie Cataratto, Zibibbo, Ansonica, Greco oder Fiano. Lauter Traubensorten, die praktisch ausschließlich im italienischen Süden vorkommen. Sie stammen von dort, und tragen den Süden auch ziemlich unwiderstehlich in sich. Und dann feiert der Lambrusco ein schönes Comeback. Auch hier, wie in so vielen anderen Weingegenden, finden sich immer mehr Winzer, die Qualität vor Quantität setzen und diesen moussierenden, trockenen oder halbtrockenen Rotwein aus der Emilia-Romagna wieder ins rechte Licht setzen, denn Lambrusco kann ein großartiger Sommerwein sein – verspielt, frisch und aromatisch.

Bild zu: Sommerwein in Oevelgönne

Das also war eine kleine Auswahl an Sommerweinen. Und zwar bewusst eine Auswahl an Weinen und Rebsorten, deren Ruf lange Zeit nicht der Beste war, wenn er überhaupt noch vorhanden war. Bei Elbling, Müller-Thurgau und Lambrusco zeigt sich aber, wie sehr sich die Weinwelt verändert. Es gab zwar nie so viele uniforme Weine wie heute, es gab jedoch auch ne so viel Qualität und, noch besser, es gab, wenn ich das richtig sehe, nie so viele Winzer, die sich um ihre regionalen Spezialitäten so ernsthaft bemühen, wie das heute der Fall ist. Daher gibt es neben den üblichen Verdächtigen wieder eine ganze Menge zu entdecken. Nun werde ich das Fenster schließen, dass mir einen leichten Durchzug beschert hat, während ich im Interimswohnzimmer die Zeilen verfasst habe. Die Familie ist ausgeflogen und ich habe tatsächlich Lust auf ein Glas Wein bekommen. Ich werde mir ein Glas mitnehmen und eine Kühlmanschette. Zum Sandstrand an der Elbe, unterhalb des malerischen Oevelgönne, einem winzigen Stadtteil mit pittoresken ehemaligen Kapitäns- und Lotsenhäusern, sind es nur wenige Minuten. Ich werde mir eine Weißweincuvée aus Franken mitnehmen, eine kleine Spezialabfüllung von Horst Sauer. Mal schauen, wie gut sie zur Hitze des Tages passt.