10 Jahre ist es jetzt her, als die New Economy scheiterte; und rückblickend wird man sie vielleicht als kleines Praeludium zu jener Krise des ökonomischen Weltsystems betrachten, die wir momentan erleiden: Weil dort im Kleinen, in einem begrenzten Markt jene Mechanismen von Betrug und Gier ausprobiert wurden, die man wenige Jahre später bei CDOs und Subprimepapieren wiederholte. Deregulierte Märkte, laxe Aufsicht, ein System, in dem es nur Gewinner zu geben schien, das alles gab es schon um das Jahr 2000 herum. 2003 verabschiedeten sich die letzten Freunde aus dem Internetsektor, und brachen zu neuen Ufern auf. Als Berater waren die meisten von den Gestaden der Treuhand in die See der Wirtschaft gestochen: Es gab damals richtiggehende Netzwerke von ehemaligen Plattmachern in der ehemaligen DDR, die mit der New Economy ein neues, grosses Rad drehen wollten. In der DDR hatten sie gelernt, wie man schnell Geschäfte macht und sich schnell mit Gewinn verabschiedet, während hinter einem alles zusammenbricht, und in die normale Wirtschaft konnte man sie kaum integrieren. Da kam ihnen das Internet für den nächsten Hype gerade recht. 1995 blutete der Osten, 2003 der westdeutsche Kleinaktionär.
Und inzwischen kommen sie gerade wieder aus dem Geschäft mit erneuerbaren Energien und der Vermögensverwaltung in einen Bereich, wo ich den ein oder anderen wieder treffe: Heute sind sie bei den Immobilien, sie treten für Gesellschaften als Käufer auf, als Makler oder, denn immer noch will wenig Geld viel Sicherheit, Verpacker von Fonds für kleine Leute, die um ihre Rente zittern. Was sich geändert hat, sind die Firmennamen und einige Vokabeln, aber es ist immer noch die gleiche Blase der inzwischen knapp 50 Jahre alten Jungstars der Treuhand und ihrer Profiteure. Mal haben sie den Staat ausgenommen und mal die Kleinanleger, mal die Familiy Offices und mal die Venture-Capitalists. Sie haben das im Osten gelernt, sie sind schnell, und meistens mit oben dabei. 2000 predigten sie das Neue und 2013 die robuste Geldanlage, 2007 die Photovoltaik und 1995 den Sieg der staatlich garantierten Marktmechanismen.
Und wenn man der Meinung ist, dass man diesen Leuten nicht wirklich Geschäfte, die Wirtschaft, den Einfluss in den Parlamenten oder das offene Ohr eines geltungssüchtigen Politikers anvertrauen möchte, gilt man erstaunlicherweise nicht mehr als konservativ, sondern irgendwie als „links”. Das entnehme ich zumindest gewissen Abteilungen fragwürdiger Verlagsprodukte, die entlang solcher Entscheidungsfragen erklären wollen, wer in welches Lager gehört. Wer den Finanzkapitalismus schätzt, ist konservativ. Und wer dumme Fragen stellt, oder einfach nur die Leute kennt, von denen sich solche Schreiber das Frühstück im Einstein und Politiker die gut dotierten Aufsichtsratsposten bezahlen lassen, der ist links, zu idealistisch, hat keine Ahnung von der Wirtschaft und will sicher nur die Steuern erhöhen, um die Wirtschaft zu ruinieren. Das Spiel, das da gespielt wird, ist eines um Deutungshoheit und um Werte, Werte moralischer Natur. Das Konservative ist die Brustwehr, hinter der man sich in diesen Zeiten gut verschanzen kann, nachdem andere Werte, Werte finanzieller Natur, recht volatil wurden.
Auf 1250 Meter Höhe, an dem Baum mitten im Bild, hat vor Jahrzehnten jemand ein Marterl aufgestellt. Das ist sehr bayerisch, einerseits hat man es mit einer brutalen Hinrichtungsszene zu tun, andererseits wird es gleich wieder verniedlicht, nicht das Martyrium, sondern das Marterl. Wenn ich rodeln gehe, komme ich immer hier vorbei, und es ist genau an einer Stelle, da ich den schlimmsten Anstieg hinter mir und nur noch 100 Meter bis zum Kuchen vor mir habe. Ich bin nicht katholisch und ich bin auch kein Christ, aber Leid und Mitleid ist etwas, das nicht christlich oder rechts oder links ist, sondern für sich steht. Der Wähler der PDS keucht hier nicht schöner als der Wähler der CSU hoch, niemand mag Schmerzen. Aber während die Wirtschaft davon lebt, uns immer lachende und zufriedene Menschen anzuschauen, hat hier jemand kurz vor den Gipfel ein Bild von Leid und Elend gesetzt.
Es lohnt sich, ein wenig darüber nachzudenken, denn der Mensch, der das getan hat, war mit Sicherheit irgendwie konservativ. Er hat das bei einem Holzschnitzer bestellt, bezahlt und hier, wo kein Auto hinfährt, hoch getragen. Aus Gründen der Überzeugung und des Glaubens. Und weil an diesem Bild über Wochen nur ein verdorrter Ast hing, habe ich – kein Christ, kein Katholik – weit unten, an einem vom Wintersturm gefällten Baum, frische Zweige abgebrochen und auch hier hoch getragen. Einfach, weil ich Unachtsamkeit und die Respektlosigkeit, die in so einem ungepflegten Bild zum Ausdruck kommt, nicht leiden kann. Ich will nicht, dass der Breiss durch meine Berge läuft und den Eindruck hat, dass wir alles verkommen lassen. Es ist sehr viel Leid in diesem Bild und auch etwas Leid im Aufstieg. Da bin ich a bisserl konservativ.
Nicht viel natürlich. Und wie konservativ der Bauer ist, dem dieser Wald gehört, ist nochmal eine andere Frage. Sehr! wird man vielleicht denken, wenn man die Wahlergebnisse der Region kennt. Und nicht weiss, dass diese Bauern an ihren Höfen den Otti Fischer plakatieren, mit einem Aufruf gegen gentechnisch produzierte Futtermittel. Dass sie ihr Vieh auf die Weide treiben und das Land nicht verkaufen, ist konservativ. Dass sie gegen die Lebensmittelkonzerne kämpfen und ihre eigene Genossenschaft – Genossen! Im Tegernseer Tal! – gegründet haben, das ist etwas, wörüber sich die Geschmierten im Einstein keine Gedanken machen. Das wird alles einfach irgendwie mit einbezogen beim Bild der Konservativen, so ein Landmann mit grüner Wiese ist doch auch gut für das Marketing, und egal wie mies die Erzeugerpreise und das Pferdefleisch sind, für das Werbemittel der Konzerne mit heiler Welt reicht es aus.
Jetzt haben wir schon vier Sorten Konservative, und einer davon hat die Mistgabel, die nach meiner bescheidenen Meinung zwecks Vermarterlung nach Berlin gehört, um den zwei andere Arten „Mores” beizubringen, was aus dem Kirchenlatein in den bayerischen Sprachgebrauch diffundierte und allein dadurch, dass es nicht verniedlicht wird, seinen ultimativen Charakter ausdrückt. Und wenn man sich überlegt, warum partiell konservative Menschen derartig empfinden, wird man sich wohl eingestehen müssen, dass „konservativ” ein viel zu weit gefasster Begriff ist. Ein Fall von Sprachverschluderung, weil man damit Leute hantieren lässt, die für den Begriff nur höchst umstrittene Werte haben, mit denen sie ihn füllen. Bevor die DDR die BRD übernommen hat, war konservativ noch eine gewisse Geisteshaltung, aber in der Welt der kapitalistischen 5-Jahrepläne von Katastrophe zu Katastrophe, von Umverteilung zu Umverteilung ist es ein Wort aus dem Marketing, eine Verteidigungsstrategie, und publizistische Geiselhaft anständiger Leute durch den Terror der Ökonomie.
Was übrigens nicht heisst, dass manche von denen nicht auch wirklich konservative Adern haben. Nur war ich mit denen auch schon mal bei Empfängen im Herculessaal der Münchner Residenz oder in der Orangerie von Nymphenburg, und es ist halt, wie es ist: An Geld interessierte Leute reden über Geld und versuchen, so viele Häppchen wie möglich so früh wie möglich zu ergattern. Über ihnen kämpft ein Halbgott, oder all die Lust des Rokoko wird ausgebreitet: Sie achten es nicht, sie sprechen von Rendite und Profit und stets neuen Märkten. Doch, die Anzüge sind konservativ. Aber was drin steckt, ist gleichzeitig zweckoptimiert und undefinierbar.
Vielleicht mögen sie das Wort deshalb so gern. Weil man sich dann die weitere Debatte schenken und alles andere darunter vereinen kann. Und so kommt es, dass ich, der ich gar nicht konservativ bin, sehr konservativ im konservativsten Eckerl des Landes lebe und mich unter Konservativen bewege und mich mit ihnen verstehe. Ich fühle mich ihr wohl, ich bringe dem Herrgott Zweige, ich sage Grüss Gott am Berg und schlichte das Holz auf, während in der Küche als Dank Apfelstrudel gebacken wird. Da könnte so viel unter konservativ stehen. Aber manche denken, man wäre es nur dann, wenn man für eine höchst anfällige und riskante Wirtschaftsform eintritt, die es erst seit höchstens 20 Jahren gibt.
Die Haage, die langezogenen Baumreihen, unter denen bei uns das Vieh steht, gibt es seit dem frühen Mittelalter.