Senti Italiano vo’darti moglie
Rossini, Die Italienerin in Algier
Sag mal,, sagte die meine Italienpassion nicht teilende I., als sie meine Bilder aus Italien gesehen hatte. Die Italienerin an sich, sagte sie etwas abschätzig, ist jetzt aber nicht wirklich rasend schön. Ich sah noch keine Isabella Rosselini auf Deinen Bildern, die sind manchmal schon etwas vulgär oder billig angezogen, die Mädchen sind schlampig wie in Berlin und die Schuhe der Damen sind wirklich peinlich mit diesen Absätzen. Und dann ist bei den Bildern aus dem Cafe in Mantua immer diese entsetzlihe deutsche Billigparfümerie im Bild, wie in Zwickau: Ich dachte, dass die Italienerin mehr auf sich achtet.
In solchen Momenten kann man gleichzeitig als Freund und Italienliebhaber eigentlich keine richtige Antwort geben. Verteidigt man ritterlich die Italienerin als solche, fragt sich die gepflegte, bessere Tochter, warum sie so viel Mühe auf ihr Aussehen verwendet, wenn der Bekannte auch Turnschuhmädchen und überdrehte Alte mit Dalmatinerpunkthigheels in seinem Blog herzeigt, und das auch noch toll findet. Da könnte sie es ja auch gleich bleiben lassen. Auf der anderen Seite mache ich so etwas tatsächlich nur in Italien; in Deutschland habe ich überhaupt keine Lust auf die Darstellung von Menschen in Alltagssituationen. Und natürlich hat die I. recht: Nach den formalen Kriterien, denen auch viele Italienerinnen ebenso krampfhaft wie sinnlos nachzueifern versuchen, weil die normale Italienerin halt kein Supermodell ist und auch nie werden wird, sieht Schönheit so wie in den Magazinen oder wie die Telegattas in Berlusconis Schmierensendern aus. Aber möchte man das so sagen?
Statt dessen sage ich dann, dass man nicht nach den Bildern gehen kann und darf. Bilder frieren Augenblicke fest, Bilder sind erstarrte Posen, Bildern fehlt die zeitliche Tiefe, sie erzählen die Geschichte eines Moments, und wenn der schön sein soll, dann muss man sich in Pose stellen und auf sich achten. Was aber die Italienerin schön macht, zumindest in meinen Augen, ist nicht nur der Moment, sondern die Bewegung. Sobald das Bild nicht mehr statisch ist, sobald die Italienerin ihren Gang, ihre Gestik, ihre Mimik einsetzen kann, wird alles anders. Das Bild wird ihr, wie auch die manchmal sehr bissige die I., nicht gerecht, das gibt die Möglichkeit, nach Fehlern zu suchen, und man wird da, wie immer in Italien, schnell fündig. Aber in Bewegung! Im Verfallen von der einen Pose in die nächste, da hat man gar keine Zeit mehr, genau hinzuschauen. Aber ich finde das dann schön.
Und so ist es auch mit der Mille Miglia (Teil 1 mit dem Start hier, Teil 2 mit den äh dynamischen Bewegungen hier). Es gibt gute, sehr gute Gründe, warum man die Natur nicht mit ungefilterten Abgasen belasten sollte. Es gibt gute Gründe, sein Geld in etwas anderes zu investieren, als ein paar tausend Euro an einem Wochenende für eine Rundfahrt zu verprassen. Es gibt gute Gründe, warum man diese öltriefenden Kisten nicht mit Vollgas durch den Stadtverkehr preschen und rote Ampeln ignorieren lassen sollte. Und wenn man ehrlich ist, und sich ein wenig vor der wahren Grösse des mittelalterlichen Siena klein gefühlt hat, vor der Geschichte und Kultur, dann sind das nur ein paar alte, stinkende Droschken ohne Motor und, auf lange Sicht, auch ohne historische Relevanz. Auf 1600 Kilometer rauscht die Mille Miglia an Kulturdenkmälern, Naturschönheiten, Museen und Palästen vorbei, nichts wird besichtigt, nie bleibt man stehen, immer ist man in Bewegung: Zum Glück ist es Überland nicht so hektisch, und in Siena muss man im Zeichen der Schnecke durch die Gassen kriechen, bis man auf dem Campo ist.
In der Toskana ist die Mille Miglia am schönsten, weil sie nicht rast, sondern wie eine Italinerin in Bewegung ist. Das Licht in Siena am Mittag ist fast surreal, und die Antwort auf die Frage, warum man das macht, findet man auch im Zweifel stets hier. Natürlich habe ich auch Zweifel, denn diese Ausfahrt erscheint mir, wenn sie in den Städten ankommt, wie ein Requiem auf die Mobilität, um sie herum die Leichen der modernen Autoindustrie in Grau, Silber und Schwarz, und dann kracht ein bunter, lauter, obszöner Blitz hindurch, der Dies Irae, die Erinnerung an die Zeiten, als Autofahren noch lebensgefährliche Freiheit war, und nicht die Suche nach einem Parkplatz und die Auswahl eines Navigationsgerätes. Die Mille Miglia hat damit nichts zu tun; sie ist so zeitgemäss wie die Contraden in Siena, das Pferderennen auf dem Campo, ein analoges Objektiv oder was auch sonst immer die Angriffe der alles gleich und gleich schön machenden Ordnung des globalen Kapitalismus zu überleben in der Lage ist. Oft überlebt nicht das Gute, sondern auch das Schlechte oder, wie die Mille Miglia, das Ambivalente.
Sie ist eine Erinnerung, die man vermutlich in den Menschen ausmeisseln muss, um all die Geräte zu verkaufen, mit denen sich die Moderne in Italien und Europa in eine ungewisse Zukunft schleppt. Es sind Relikte aus einer Zeit, da man sich keine Fragen um die Zukunft der Mobilität stellte, weil man ohnehin nicht wusste, ob man das Rennen überlebt. Aber wenn das Rennen dann zur Landpartie wird, durch Siena am Mittag oder über die abgelegenen Landstrassen, dann ist das alles sehr bei sich und in Bewegung schön. Mehr nicht, aber das ist ja auch ganz angenehm.
(Den Anfang dieses Beitrags habe ich vor einem Jahr geschrieben, unmittelbar nach der Heimreise eines zweimonatigen Aufenthaltes, als Abschluss für die Serie „Bella Italia“, die damals in der FAZ abgedruckt wurde. Ich war so etwa zur Hälfte damit fertig, als ich Mails von meinen Freunden aus Italien bekam, dass es dort gekracht hat: Das grosse Erdbeben von 2012. Ein Beitrag über italienische Bewegungen in Zeiten des Terremoto ist vielleicht nicht die beste Sache, also blieb der Beitrag unfertig. Statt dessen warf ich meine Koffer ins Auto, fuhr zurück und schrieb, was ich sah, hörte und fühlte; seitdem bin ich etwas vorsichtig mit Formulierungen wie „die Erde bebt“ oder „erschüttert die Wände“. In den nächsten Tagen erscheint in der gedruckten FAZ ein grösserer Beitrag über den aktuellen Stand der Dinge, der eher nur so mittelerfreulich ist. Italien steckt tief in der Krise, für 58 dringende Notfälle gefährdeter Bauten hat die Region Mantua – immerhin eine reiche Region mit dem Status eines Weltkulturerbes – nur lumpige 4 Millionen Euro zur Verfügung. Man hat wenigstens die Hoffnung, dass das grosse Beben nun vorbei ist, und deshalb habe ich jetzt, ein Jahr später, den halbfertigen Beitrag umgearbeitet und hier eingebaut, damit die Geschichte weitergeht.)