Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Burschi, magst Du einen Porsche?

Die einen verachten es als Hotel Mama, die anderen rechnen nach und sind zufrieden: Als vermögenswirksame Leistungen sind gutsituierte Eltern unabhängig von der Konjunktur und frei von den Betrugsrisiken, die andernorts drohen.

Alleweil ein wenig Geld im Sack,
alleweil ein wenig Schnupftabak.
Valentin Rathgeber

Jaaaa, sagt S. gefährlich und gedehnt wie eine Giftschlange im Angriff, das soll es geben.

A propops Unterkunft, sage ich ausweichend, in Kloster Scheyern ist gerade eine Wanderausstellung zu Valentin Rathgeber im Kreuzgang, und die knallrot angelaufene P. steigt sofort darauf ein, so dass wir thematisch erfolgreich zur Barockmusik wechseln.

Davor hatte der von der P. eingeschleppte K. nämlich seine unqualifizierte Meinung über jüngere Menschen eingebracht, die immer noch im Dunstkreis ihrer Eltern wohnen, Riesenbabies, Hotel Mama, so etwas sagte er und unterstrich damit, dass ein gutes Einkommen bei einer Autofabrik noch lange nicht hilft, eine niedrige Herkunft zu vertuschen. Denn das Lästern über Familienbande ist ein beliebtes Motiv bei der Unterschicht, die keinerlei Einblick in den tatsächlichen Nutzen so einer Bindung hat.

In meinem Umfeld – und das erklärt die bitteren Reaktionen auf solche Vorwürfe – könnte man so ein Verhalten so gut wie jedem vorwerfen. Seit Generationen. Ich meine sogar, der Umstand, dass es bei uns seit Generationen so ist, macht einen zentralen Unterschied in der deutschen Klassengesellschaft aus. Nur sagte man früher nicht Hotel Mama. Sondern “Stammhaus”, und das spiegelt sich auch heute noch in den Namen mancher Häuser, die für uns nicht mit Nummern verknüpft sind, sondern mit den Namen von Clans. Bei mir ist das nicht ganz so, im Haus starb ein berühmter Kriegsverbrecher und Massenmörder, daher trägt es seinen Namen: Aber dass ein Haus und eine Familie zusammengehört, zeigt überdeutlich, wie wenig man früher vom Wegziehen der Kinder gehalten hat.

Natürlich sollte ein Haus in diesem Falle etwas grösser sein, aber ich möchte hier auch bestätigen, dass man sich in einem Gebäudekomplex mit über 50 Zimmern und einem Nebengebäude sehr viel leichter aus dem Weg gehen kann, als in einer 2-Zimmer-Mietwohnung, in die es Zuzügler wie den K. verschlagen hat. In einer Epoche ohne Altersheime war es für den Nachwuchs verbindlich, in der Nähe der Eltern zu bleiben, und in einer Ära des immens teuren und nachhaltigen Bauens und des knappen Wohnraums konnte man auch nicht einfach so ausziehen – einfach, weil es kaum Alternativen gab. Man muss das nicht umfassend nachahmenswert finden, aber wenn eine Familie so über 6, 7 Generationen so lebt, ist das eben Tradition, und die hat man oder man zahlt 9 Euro pro Quadratmeter Miete in Kleinmehrimg und hofft, sich irgendwann auf Kredit eine Wohnung in einem besseren Viertel leisten zu können. So ist diese Welt nun einmal beschaffen.

Es läge mir fern, die Schattenseiten dieses Zusammenbleibens der Familien kleinzureden, und natürlich verlief das früher auch in liberalen Familien nicht immer ohne Repression und Streit. Aber noch in der weiteren Nachkriegszeit, als nicht sicher war, ob sich dieses Land wieder zu einem Spionageziel der USA knapp unter der Einsatzgrenze für Mörderdrohnen entwickeln würde, galt die Wohnmöglichkeit im Elternhauskomplex für junge, heiratswillige Menschen als echter Startvorteil ins Leben. Sogar in den 70er Jahren war es in den besseren Wohnlagen und Kreisen durchaus noch üblich, Villen mit Einliegerwohnungen zu versehen, falls ein Kind einmal eine Wohnung brauchen würde. Damals konnte ja noch keiner ahnen, dass die Globalisierung alles ändern und Leute wie den K. hierher bringen würde, der das Loblied auf eine unbedingte, selbst bezahlte Selbstständigkeit in allen Belangen singt, die sich allerdings bei genauem Durchrechnen gar nicht lohnt.

Denn natürlich macht es von Anfang an einen Unterschied, ob man die richtige Unterstützung hat. Sozialdarwinistisch gesprochen hat man eigentlich durchgehend mit Elternbeihilfe die besseren Chancen, sich genetisch durchzusetzen. Bekommt man am Studienort eine eigene Wohnung nahe des Parkcafes und ein Auto, hat man mehr Zeit für den Umgang mit dem anderen Geschlecht und dessen gehobenen Vertreterinnen als jene, die Nachts schlafen müssen, um am nächsten Tag zu studieren und zu arbeiten, um sich Münchner Preise leisten zu können. Das ist einfach so. Fährt man am Wochenende heim und hat man dort im Stammhaus eine Wohnung mit Dachterrasse, gestaltet sich das Leben auch angenehmer, als beim Verbleib in der Mietwohnung. Über all die Erbfälle fällt dann auch sicher einmal eine den Eltern gehörende Wohnung ab, die man dauerhaft beziehen kann. Im Ergebnis hat man dank Eltern eine Wohnung in Bestlage zum Leben und eine alte Studentenwohnung in einer beliebten grossen Stadt zum Vermieten. Was der K. aufgrund seiner Herkunft nicht erkennen kann, ist der enorme Startvorteil, der sich dadurch ergibt. Natürlich ist man in solchen familiären Beziehungen und Banden lokal gebunden, aber in unserem Fall ist das genau dort, wo der K. als Neukommender mit seiner Selbermacherhaltung reüssieren möchte. Und er wird hier lange Tage in einem hässlichen Gebäude geregelt arbeiten müssen, um das netto zu erwirtschaften, was für andere – seiner Meinung nach bruttohässlich – einfach so da ist.Und dann hat er noch nicht mal einen Zweitwohnsitz im Alpenraum. Für den er, er muss schliesslich hart und viel arbeiten, vermutlich auch keine Zeit hätte.

Dann muss er gar nicht erst besseren Partien ins Gesicht sagen, dass er vom Quell ihrer Möglichkeiten nichts hält, um sich aus dem tauglichen Genpool zu entfernen. Denn so eine Haltung führt in Beziehungen immer zu übelsten Konflikten, wenn die Eltern auch weiterhin ihr Kind unterstützen, wie sie es gewohnt sind, nicht aber den Partner, der sie spüren lässt, dass er ein derartiges Verhalten verachtet. Und die Natur einer Klassengesellschaft bringt es nun mal mit sich, dass es von diese wenig besitzende, schlecht gelaunte Art nicht auf der roten Liste der bedrohten Schichten steht: Es gibt viele davon. Und viele wollen nach oben. Wer in München Wohnungen vermietet und Anfragen von Leuten bekommt, deren erster Satz ihr Einkommen ist, kennt sie zur Genüge. Dem Hotel Mama sind sie früh entwachsen, zu früh, um Manieren zu lernen. Was für sie zählt, ist die persönliche Leistung, und dann kreuzen ihre Wege die anderer Menschen, die vollkommen zu Recht der Meinung sind, dass persönliche Leistung krass überschätzt wird: Nicht umsonst schreibt das Subklassenportal “Spiegel Online” so oft darüber, wenn jemand mit 30 schon einen Professorentitel und ein Abi mit 16 hat, und man hört danach nie wieder von denen. Solche Einstellungen passen nicht zusammen. Im Ergebnis führt das zu einer genetischen Selektion nach altem Muster. Man sucht sich jemanden, der kein Problem damit hat, wenn Eltern halbironisch fragen: Burschi, wogst an Boasche?

Denn es gibt zwei Arten von Menschen, die einen leasen und bei den anderen machen Eltern Sicherheitsbedenken wegen des alten Sportwagens geltend. Oh, natürlich ist es nicht so, dass man nicht auch Respekt für den selbst erarbeiteten Aufstieg hätte. Aber man möchte nicht verurteilt werden, weil man nicht das Vermögen an Exzellenz-Unis zur Förderung der Fleissigsten und Angepassten verschenkt, sondern wie all die anderen Generationen das Sach zusammenhält und an die eigenen Leute gibt. Blut ist nun mal dicker als Wasser, Kinder sollen es nicht schlecht haben und angesichts der ganzen Karrieristen, die nach Festanstellung und Dienstwägen und Managermagazin-Abo schreien, ist es ohnehin schon schwer genug, sich zu behaupten.

Sicher, man muss sich dafür Spott anhören, keine Kanzlerin vergibt dafür einen Preis und eine Rede hält sie zum Glück auch nicht, und der Zeitgeist verlangt immer noch nach anderen Lebensmodellen, auch wenn Mietnot, Geldentwertung und Griechenlandrettung überdeutlich die Vorteile des Hotels Mama aufzeigen. Mit dem Wissen, dass man, egal wie schlimm es kommt, immer ein Dach und Stuck und Kronleuchter über dem Kopf haben wird, lebt es sich nun mal unbeschwerter als in der bleibenden Unsicherheit fehlender Netze und stets kündbarer Scheingewissheiten wie Lebensversicherungen, Rentenkassen und Aktienfonds. Wenn man unbedingt will, kann man ja auch antworten: Nein, ich möchte gern meinen Kleinwagen weiter fahren. Oder: Den Porsche erarbeite ich mir selbst.

Oder, was plausibler ist: Na gut, aber den übernächsten Porsche bezahle ich dann wirklich selbst. Denn es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass man auch eigenen Ehrgeiz entwickelt. Es muss nur nicht jetzt sofort sein, wenn es jeder und sogar dieser K. macht, was für Teilnehmende schlechte Gesellschaft bedeuten würde.

HINWEIS:

EIn eigener Witz wären die kruden Falschmeldungen, die das hiesige Sstem mal wieder ausspielte, als ich den Beitrag gebaut habe. Ich kann also nur die Ausweichmöglichkeit zum Kommentieren anbieten und ansonsten beten, dass es hier nicht immer so bleibt.