Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das Spiel des Throns, der Recamiere und des Holzbretts

Um viere fuara foad, um finfe wora doard.
Bayerische Redensart über die Endlichkeit des Daseins.

Zwei Quadratmeter.

Zwei Quadratmeter ist der effektiv nutzbare Raum für einen Menschen, und da muss er schon recht ausgebreitet herumliegen, etwa so wie der ehemalige Chef von Arcandor in einem Klinikbett, wo er auf seine Entlassung gegen Sicherheiten warten soll. Soll ein Mensch mit Gewalt grossflächiger verteilt werden, wird es eher diätfördernd, und auch der halbe Quadratmeter, auf den Flüchtlinge auf Schiffen zusammengedrängt werden, sind auch nicht gerade dauerhaft erbaulich. Mit einem wirklich grossen Sofa und einer zusätzlichen Katze schafft man vielleicht drei Quadratmeter, und über den Stuhl, auf dem Herr Piech sass, wissen wir lediglich den Umstand, dass er ihm weggezogen wurde. All die Klassenunterschiede des Menschen sind zwar sehr deutlich erkennbar, spielen sich aber letztlich auf einer doch vergleichsweise kleinen Fläche ab. Oder anders gesagt: Es geht darum, wie man die winzige Krume der Welt, auf der man sich gerade befindet, so angenehm wie möglich zu gestalten.

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Ein Beispiel, weil es gerade vorbei fliegt: Das Ding da oben hat vermutlich eine erste Klasse und Leute mit Senatorkarten und Laptops und einem Ziel, das sie so eilig erreichen müssen, dass sie die Buchung so eines Aluminiumvogels buchen. Da sind sie dann da oben und schauen hinunter, sehen rechts dem Hauptalpenkamm und links die bayerischen Voralpen, und neben ihnen schiebt eine gezwungen freundliche Person einen rumpelnden Aluwagen und reicht auf Plastiktabletts vorgekochtes Zeug, das man am Boden nicht einmal einer Ente im See zumuten würde. Als passionierter Teetrinker weiss ich genau, warum ich nicht gerne fliege: Tee ist meine Droge und wäre meine Droge Crack, käme es wegen der verschnittenen Qualität zu einem Gemetzel, was sich da oben niemand wirklich wünschen kann. Trotzdem lese ich immer wieder, wie erfreut junge Berufstätige sind, wenn sie endlich so eine Senatorcard haben, und millimetergenau berechnet ein wenig mehr Platz für ihre Beine in so einem Fluggerät bekommen.

Es mag für ein Flugzeug tatsächlich gar nicht schlecht sein – allein, kein Mensch käme je auf die Idee, sich am Boden in so einen Sessel zu setzen und sich dergestalt abspeisen zu lassen. Die gleichen Leute, die mich über ihre Senatotcard informieren, würden Zeter und Mordio schreien, würde man sie so in ein Restaurant oder ein Hotelzimmer pferchen. Wir lernen daraus: Luxus ist immer situationsabhängig und eben jene, die oft die höchsten Ansprüche vor sich her tragen, und zwar mit Vorliebe an andere und die Gesellschaft, sind gar nicht so, wenn sie dann letztlich das Maximum haben, das sie bekommen können: Lounge an einem hässlichen Nichtort namens Flughafen und kein Chippendalesofa an Bord. Auch keine Silberkannen und dafür minderwertiges Geschirr.

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So kann man den einem zur Verfügung stehenden Raum also auch ausfüllen, oder auf einem einsamen Hotelbett mit Businessrabatt in einem Hochbunker, dessen Waben alle nach den gleichen Nützlichkeitserwägungen gestaltet werden: Minimale Reinigungszeit, Möbel, die an Abschreibungsfristen angepasst werden, irgendwelche Gediegenheit vortäuschende Dekoration und oben ein Restaurant, von dem aus man wieder auf die Niederungen des Daseins blicken und sich noch einen Cocktail einschenken lassen kann – nur nicht umdrehen und sehen, dass das Elend hier oben nur etwas besser lackiert ist. Man wird, was man erlebt, und wenn ich dann ab und zu im Netz die Innenräume sehe, in der solche Menschen ihre zwei Quadratmeter persönlichen Platz haben, dann sieht das oft ähnlich zweckmässig und austauschbar dekoriert aus. Das Regalsystem von USM Haller wie bei der Vertreterausstellung, die Sessel wie in der ersten Klasse des Flugzeugs und die chromglänzenden Freischwinger wie im Besprechungsraum des Chefs. Und natürlich ein pflegeleichter Fussboden in Schmutzfarben. Und eine Putzfrau, wie im Büro.

So kann man die zwei Quadratmeter, die man maximal besetzt, natürlich auch gestalten, und sich schon mal einen Chefsessel dazu stellen. Vielleicht bin ich ja arg triebgesteuert, aber bei solchen Wohnungen frage ich mich dann immer, wie das wohl wird, wenn man zum interessanten Teil des Daseins kommt, etwa, wenn man minimal zu zweit diese beiden Quadratmeter aufsucht, oder sich einmal den halben Kühlschrank gönnt. Dann aber fallen mir wieder die abnorm hohen Single- und Scheidungszahlen bei modernen Grossstädtern ein, die strukturierten und makellosen Lebensläufe bei Partnerschaftsportalen, die Ansprüche an das Gegenüber und die prozentgenauen Ähnlichkeiten, und schon finde ich derartige Räume nicht weiter überraschend: Sie sind durchaus geeignet, um ein Singledasein mit der nötigen Stilsicherheit zu bestehen. Kein Nippes, keine Fehler, am Abend rührt man sich noch einen Cocktail und findet sich durchaus elitär, während im Gang schon der Rollkoffer auf neue berufliche Herausforderungen wartet. Da passt alles, da braucht man keine Exzesse mehr, wo doch alles so zweckmässig wie im Leichenschauhaus ist. Da hat man übrigens auch zwei Quadratmeter.

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Aber da will man natürlich meistens nicht hin, zumindest nicht so bald. Man glaubt an eine individuelle Zukunft, so wie der Rekrut im ersten Weltkrieg dank der Heldengeschichten an den individuellen Kampf dachte, an Mut und Kraft, und weniger an das maschinelle Töten des Maschinengewehrs. Wir sehen heute langjährige Recken wie Middelhoff und Piech fallen, wir hören ihre Siege und Niederlagen, und für die Angestellten der Postbank geht es aufgrund einer Entscheidung um Alles oder Nichts, wie schon bei den Managern von VW und den Kassiererinnen bei Karstadt. Aus irgendwelchen absurden Gründen jedoch glauben viele, ihre zwei lumpigen Quasratmeter der Zukunft mehr beim Aufsichtsrat sehen zu wollen, wo die aufregenden Schlachten toben, denn dort, wo sie zumeist bleiben. Ich bekomme das hier ja nicht so mit, aber da hinten in der Mitte vom oberen Panorama geht es hoch zum Achenpass, und in Rottach steht direkt an der Strasse ein Denkmal. Mit vielen, vielen Namen und dahinter ein Kreuzerl und Zahlen von 14 bis 18 und liegen tun sie, wenn sie nicht völlig zerfetzt oder verschüttet wurden, in langen Reihen fern der Heimat auf zwei Quadratmeter, irgendwo zwischen Verdun und Isonzo. Wenn wir hier schon über Klassen und Privilegien sprechen: Recht viel unterprivilegierter kann man trotz Gedenkstein nicht sein, und jeder, der etwas Hirn hat, sollte sich eigentlich sagen: Genau andersrum sollte es sein.

Und an diesem Andersrum bin ich auch. Unten am kleinen Yachtclub. Der Flieger ist oben, das Denkmal im Schatten des Hirschbergs, die Manager woanders, die Sonne scheint und die Enten wüssten gern, ob sie etwas von meinem Strudel haben könnten. Das klingt ebenso einfach, wie es schwierig ist, überhaupt erst einmal so weit zu kommen, und das genau so zu tun, aber sonderlich problematisch ist das ab einem gewissen Vermögen nicht. Ich mache das freiwilig, drüben in Bad Wiessee werden sie nach dem Zusammenbruch dazu gezwungen. Einer von denen hatscht leicht krumm mit seinen Stöcken an mir vorbei, geht auf den Steg, setzt sich auf die harten Holzbretter und bleibt sitzen. Das sind fei keine schlechten zwei Quadratmeter, wenn man das mit anderen vergleicht.

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Er bleibt auch lang genug sitzen und findet das gut so, wie es ist. Die Enten fallen über Kinder mit Pommes hier, hinten rauscht die Espressomaschine, es ist etwas windig und nicht zu warm. Da oben ist der Himmel langsam wieder makellos blau, die Kondensstreifen haben sich aufgelöst, aber die Gedanken, wie man seine zwei Quadratmeter in ein anderes Büro, an einen anderen Schreibtisch und Rechner bekommt, die bleiben. Irgendwo da hinten hinter der Endmoräne, wo man den Manager und seine Entscheidungsgewalt fürchtet und nicht erkennen mag, dass er das alles und seine zwei Quadratmeter auch nicht gerade so einsetzt, dass er jetzt einen schönen Tag hätte.

Gestern Abend stand ein Bentley Coupe in Seeglas.

Auf dem Behindertenparkplatz.

Man sollte dem Schicksal so wenig Chancen wie möglich geben, seine unstete Natur zu beweisen, und vorher wenigstens noch die richtigen zwei Quadratmeter finden.