Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Gentrifizierer hinter Gittern

Drei Tage war der Radler nachher platt, jetzt isst er wieder und ist satt.

Wir sitzen auf jeweils zwei Quadratmetern hoch über Lucca und reden über die Hauspreise in Italien, ohne dass ich auch nur eine Sekunde ein schlechtes Gefühl hätte: Günstig ist es momentan, sofern man etwas Vermögen von jener Sorte hat, wie es die Verkäufer hier momentan dringend brauchen. Italiener kaufen Wohnungen in Berlin, weil es dort angeblich mit den Preisen bergauf geht, und Mieter mehr zahlen müssen, wollen sie nicht in die Plattenbauten am Stadtrand abgeschoben werden. Deutsche kaufen dagegen hier in Italien, weil die Preise stark gefallen sind und Italiener eben lieber in Deutschland investieren. In der Oberschicht geht die Rechnung gerecht auf. Natürlich ist es, wenn man die sozialen Schichten betrachtet, nicht ganz gerecht, wenn die einen drei Wohnorte haben und die anderen über die Gentrifizierung jammern, aber die Leute, die die Gentrifizierung ablehnen, lehnen auch Nationalismus ab und sollen sich also bitte nicht so fremdenfeindlich haben, wenn der italienische Käufer als Mietrendite mehr als die Hälfte dessen verlangt, was sie mit Hilfsarbeiten in Cafes, der taz und am Bau von Webseiten erwirtschaften können. Die Deutschen verteilen sich in Italien in den Hügeln und in halb aufgelassenen Dörfern. Und rücken den Italienern nicht in den Städten auf die Pelle. So, wie man das früher gemacht hat.

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Denn wie es früher unter Grossbürgern üblich war, kann man sich unten in Lucca anschauen. Auf den ersten Blick ist es natürlich schön, wenn sich im Erdgeschoss eines Palazzo ein Fenster öffnet, und an der Decke Stuck und Malerei zu sehen sind. In der guten, alten Zeit, als die einen biologisch-dynamisch und dynastisch zuverlässig die gentechnikfreien Schweine in reinster Landluft hüteten und die anderen unter nackten Schweinereien an der Decke prassten und Hof hielten, als sich Lucca eine Republik nannte und tatsächlich aber von einigen reichen Clans beherrscht wurde – in dieser guten, alten Zeit war es anders, als wir es aus modernen Städten kennen: Da wohnten Arme und Reiche nah beieinander, die einen in Hallen und die anderen in Verschlägen hoch oben in den Speichern. Zumindest solange so ein Palazzo keinen neuen Flügel oder Park brauchte, und eine Parzelle der Armen der neue Grund für weitere Lustbarkeiten wurde.

So entstanden dann üppige Anlagen, und niemand fragt heute danach, was aus jenen wurde, die hier vertrieben wurden: Man schaut, wenn man kann, durch das Fenster und versucht einen Blick auf die Gemälde zu erhaschen. Ars longa, vita brevis, sagt der Lateiner und ich will ja nicht zynisch sein, aber diese Vita wird brevissima, ja sogar nach einer Weile nicht existent, wenn Mieter irgendwann weiter ziehen: Häuser und Besitzer sind eine Einheit, Mieter dagegen kommen und gehen. Die Ausmalung, die Gestaltung, den Prunk: Das alles machen die Reichen. Und sie bestimmen, ob man die Fenster öffnet, die Vorhänge zurückzieht und den Passanten einen Blick durch jene Gitter erlaubt, die sie unweigerlich aussperren. Hier ist es gerade anders, hier kann man eintreten und staunen.

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Hübsch, nicht wahr? Für die einen mag es eine Anregung für die Restaurierung ihrer eigenen Denkmalschutzimmobilie sein, für andere ein Vorgeschmack auf Kommendes. Ich höre so viele Klagen über die Gentrifizierung und wie rechtlos und ausgeliefert und sozial ausgesperrt sich die Betroffenen fühlen. Das sieht man es mal, so höhnisch und brutal, wie es früher wirklich war, und was noch ginge: Keine dezente Überwachungskamera, keine gestaffelten Annäherungshindernisse, keine Zurücknahme des Baukomplexes und die Schaffung eines prohibitiven Niemandslandes zum Schutz vor Unerwünschten. Nur eine hohe, dicke Mauer und dann dicke Eisengitter. Maximaler Effekt bei minimalem Aufwand ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit. Heute überlegt man sich als Architekt genau, wie man die äusseren Grenzen besser absichert, wenn die Kundschaft unbedingt von den Villenviertel in die Metropolen zieht. Unsichtbar und flexibel soll das sein, und nicht den Anschein einer Festung vermitteln. Wir sind ja keine Oligarchie mehr, die sich Republik nennt, sondern eine Oligarchie, die sich eine Republik hält und zu diesem Zweck in urbanen Räumen dezent agiert. Bislang. Noch. Mit so hübschen Dachgärten auf den Neubauten, mit Kinderschaukel und Biogarten zum gemeinsamen Kräuterpflanzen.

Diese Dachgärten sind dann die neuen Deckengemälde des neuen demokratischen Zeitalters: Die Sonnenschirme ganz oben lassen den weniger begüterten Zeit-, aber nicht Klassengenossen jenes freudvolle Leben ahnen, das früher durch Deckengemälde Gewissheit wurde. Natürlich war ein Dachgarten damals nicht nötig, denn jeden Feind, der verbrannte Giftstoffe im Sinne des heutigen Grillens serviert hätte, hätte man verurteilt auf die Galeeren nach Pisa verkauft: Man hatte fähiges Kochpersonal und überliess denen die Drecksarbeit in der Küche. Dafür hatte man Deckengemälde und Kronleuchter und Holzläden, mit denen man entscheiden konnte, ob die anderen das sehen dürfen, oder nicht.

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Dagegen wird das „Ich schon, ihr nicht“ heutzutage wirklich dezent kommuniziert – so dezent, dass sich Autonome im Reichshauptslum dieses Landes wirklich in Persona hin bemühen und die entsprechenden Häuser verunzieren müssen, auf dass man den für Berliner Verhältnisse gehobenen Standard erkennen kann – ein Verhalten übrigens, das man nur erklären kann, weil man davon abgekommen ist, solche Leute an die Pisaner zur selbstgeruderten Lustkreuzfahrt zu den Mauren und Mohren kostenneutral abzugeben. Man sieht also, es war nicht alles schlecht im alten Lucca und ich denke auch, dass es gerade derartig innovative Methoden der Sozialeinsparung sind, die auf der anderen Seite zum Prunk und Ruhm der Republik beitrugen. Seien wir ehrlich: Am Ende geht man doch achtlos an alten und neuen Kaschemmen vorbei und hofft, dass man einmal vorgelassen wird und sehen kann, wie hübsch und angenehm es sich in der Oligarchie lebt. Hinter Fenstern, Vorhängen und Gittern, die niemanden einsperren, sondern alle anderen aussperren, sei es neben den Schweinestall oder an ein Ruder, das übrigens keinesfalls unzuverlässig prekär wie eine kreative Agentur ist.

Milde sind wir geworden, milde und auch ein wenig heruntergekommen, wenn wir in T-Shirts statt Brokat dann oben auf den Dachgärten sitzen, Fleischbrocken verbrennen und vielleicht sogar noch überlegen, wie man diese Welt für alle besser machen kann – Gedanken, die in der Republik Lucca und ihren Profiten aus der Seidenzucht fern lagen, weil es in den Handelshäusern Geschäfte unter ihresgleichen gab, und Seide nun mal kein Produkt ist, das sich im Kommunismus von Savonarola über Pol Pot bis zum genderlatzhosenneutralen Sprachwirken gut verkaufte. Vielleicht ist das Verschwinden des echten Prunks auch ein Grund, warum unsere teuren Townhouses eher so wie die Kaschemmen und Abtritte des Mittelalters aussehen, und gemeinhin jede Grandezza vermissen lassen.

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Aber wie so oft: Des einen Niedergang ist des anderen Aufstieg, und aus dem kleinen Spaziergang zu den Oligarchen von Lucca darf auch der Minderbemittelte und sozial Mittelstarke das gute Gefühl mitnehmen, dass er vielleicht doch irgendwann in der Platte am Stadtrand lebensechte Reportagen an die taz verkaufen muss, aber die Mittel zur Abgrenzung und Aussperrung viel freundlicher sein werden. Concierge statt knüppeltragende Dienstboten, hell erleuchtete Fensterfronten statt Gitter, und Balkone, von denen niemand mehr Befehle an das gewöhnliche Volk erteilt, sondern höchstens noch mit Spritz zuprostet: Diese unsere Gentrifizierung ist die Mildeste, die man sich vorstellen kann, und durchaus als Beweis zu werten, dass man allein auf 200 Quadratmetern leben kann, ohne deshalb auf ethisch gehandelten Fair Trade Espresso verzichten zu müssen.