Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Väter mit Heiligenschein

an affront to the whole history of mankind
Winston Churchill über die Prohibition

Im Königreich Bayern, das jetzt schon fast hundert Jahre nicht mehr existiert, und auch noch einige Zeit später, als die Zeiten noch schlechter als in jener Epoche wurden, die man als „Gute, alte Zeit“ verharmlost, war der Umgang mit den Einnahmen ein wichtiges Kriterium der Klassengesellschaft. Die Oberschicht definierte sich dadurch, dass sie genug Geld hatte und die Frauen nicht arbeiten mussten, sondern sich um das Anwesen und den guten Haushalt kümmerten mit dem, was ihre Männer ihnen dafür gaben. In den weniger begüterten Kreisen arbeiteten Frauen oft nebenher, aber sie achteten auch darauf, dass ihre Männer das Geld ablieferten, auf dass sie es verwalteten. Denn zu gross war die Gefahr, dass die Männer das Geld bei Bier, Kartenspielen und der Bedienung im Gasthaus verjuxten.

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Deshalb kassierten die auf ihren guten Ruf bedachten Frauen das, was die Männer mitbrachten, so schnell wie möglich und achteten darauf, dass das Geld dem guten Zweck der Familienzukunft zugeführt wurde. Denn die Verlockungen kannte damals ein jeder und zwar von denen, die den Lohn bezahlten, und deren Einnahmen nicht komplett an die Frauen gingen: Die konnten sich so manches Stamperl, manches Kartenspiel und manche Zigarre leisten, während andere froh um den Schnupftabak und Norgerl im Bierglas sein konnten. Nicht ganz zufällig ist „Noagaltrinker“ in Bayern ein sehr unschönes Schimpfwort für sozial Deklassierte, denen früher nichts anderes übrig blieb, als jene Reste in den eigenen Bierkrug zu füllen, die Vermögende stehen liessen. Schlimmer ist allenfalls noch der „Rossboinsammler“, der sich kein Holz leisten kann, sondern gefundenen Pferdekot verheizen muss – so waren sie, die guten, alten Zeiten.

Dieses Blog jedoch hat den Vorzug, aus jener Zeit nicht die Schreckensgeschichten der Untergebenen erzählen zu müssen, sondern aus dem ganzen Schatz der Erfahrungen der gut Eingesäumten berichten zu können, und weil man bei uns der Frau nur einen Teil gab und den Rest verjuxte, ist es nun vielleicht auch an der Zeit, über das Högnerhäusl zu reden. Dasselbige befindet sich in einem Wald auf den ersten Hügeln hinter der kleinen, dummen Stadt an der Donau, und wie es der Zufall nicht haben wollte, lagen aussen herum die Reviere der Jäger aus der Stadt. Diesen Zeitvertreib musste man sich leisten können, und böse Zungen sagen, dass es vielen gar nicht um die Jagd ging, sondern um das Beisammensitzen oberhalb der Stadt, das Schafkopfen, das fette Essen und was man halt sonst so im Högnerhäusl gemacht hat. Das war immerhin so verwerflich, dass diese Gaststätte in meiner Jugend noch den Ruch des Exzesses hatte, und alte Freunde des Anwesens auf dem Heimweg grössere Umwege fuhren, weil die Polizwitschgerl später die Honoratioren nicht mehr achteten, ihnen gar auflauerten und schon ab der vierten Mass aus dem Verkehr zogen, spätestens nämlich als der Veterinär von Köschi – egal. So war das da oben in den Hügeln, und dass mein eigener Grossvater schulschwänzungstaugliche Entschuldigungen für den Nachwuchs kunstvoll verfertigte, nur damit alle dort die fetten Enten essen konnten – das geht Sie, liebe Leser, ja nun wirklich überhaupt nichts an.

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Wie auch immer, dieses sein gelungenes schriftstellerisches Oeuvre verschimmelt heute sicher in einem Speicher des ehemaligen Instituts für höhere Töchter, und dass ich überzeugter Antialkoholiker die wenigen Sektgläser gut weggesperrt aufbewahre, die nicht bei all den Festlichkeiten mit Gewehrknallerei im Hof zu Bruch gingen, hat nostalgische Gründe. Natürlich will ich nicht den Eindruck vermitteln, dass noch in der Bundesrepublik im Eierlikörschwipps mit dem Drilling zur Gaudi auf den Kamin des nebenan liegenden Stadtpalastes geschossen wurde. Aber es passt halt ganz gut zu einer langsam ausklingenden Epoche, in der nicht alle vor Gericht gleich waren, das Sach noch etwas galt und jeder sehr genau über die Verfehlungen der anderen Angehörigen der Ohdvoläh Bescheid wusste. Und nichts sagte, denn man redete nicht darüber und dass Sie mir auch ja nichts davon erzählen, wenn Sie einmal im Högnerhäusl sind, denn das ist heute ein hochanständiges Haus.

Ich erzähle diese vollkommen ehrlichen Geschichten und verschweige die wirklich schlimmen Details nur, weil diese kleinen Sündhaftigkeiten des Wochenendes der Honoratioren vom Fetzenrausch über die Masskrugschlägerei bin zum Nebennausgehen heute ganz anders heissen und sogar echte Folgen haben: Alkoholismus, gefährliche Körperverletzung und Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt sind schon lange nicht mehr gesellschaftlich akzeptierte Normausrutscher. Sie glauben ja gar nicht, wie hier früher der Obstler konsumiert wurde und wenn ich Ihnen alte Bilder zeigen würde, sähen Sie überall Flaschen vor zünftigen, singenden Leuten – heute würde man das mit Asozialen verbinden. Früher war das vollkommen normal und ein Zeichen guter Gastlichkeit, wenn man spezielle Gläser für Sekt, Schnaps, Rum, Champagner, und so weiter hatte. Das steht heute alles im Schrank am Tegernsee und kündet zusammen mit all den Walzenkrügen von einem eher sorglosen Umgang in früher zeittypischen Mengen. Es ist nicht nur das fette Essen in den alten Kochbüchern der besseren Gattinnen – dazu gehörte eben auch das entsprechende Nachspülen.

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Als Antialkoholiker begrüsse ich die Veränderungen sehr. Auch bin ich Vegetarier und würde nie ein Tier erschiessen. Heutige Väter meines sozialen Umfelds sparen natürlich für das Studium der laktosefrei ernährten Kinder in Oxford. Überhaupt sind das gute Menschen, immer und überall. Sie saufen nicht. Sie trinken das schwere Ale aus Kleinstbrauereien nur zur Unterstüzung derselben gegen die Multis. Der Obstler wird bei uns nicht mehr neidrichdad, sondern nachdenklich verkostet. Das Fleisch auf dem Grill kommt natürlich stets vom Biometzger, lebte als Tier gleich hinter dem Högnerhäusl im Altmühltal, knabberte dort am Wacholder, und das schmeckt man. Wild kommt gern auf den Tisch, es gibt nämlich zu viel davon und so leistet man seinen Beitrag zur Rettung des heimischen Bierregenwaldes. Der SUV für Frau und Kinder sichert deutsche Arbeitsplätze. Das neue Sportgerät muss her, weil es der Gesundheit dient. Und das Wochenende am Gardasee ist nur Benzinverschwendung, solange man die Work-Life-Balance nicht berücksichtigt. Spielsucht kann man dank des Internets verstecken oder als Börsenspekulation sogar legitimieren. Man lässt keine Norgerl mehr stehen, aber sehr wohl die Flasche für den Flaschensammler.

Nur der aussereheliche Sex: Für den gibt es keinerlei moralisch einwandfreie Lösung, die den Sünder in einen altruistischen Heiligen verwandeln würde. Es ist nicht so, dass man es nicht versuchen würde, denn manche geben an, sie würden mit ihren spezielleren Wünschen dergestalt ihre Partner entlasten, die das nicht so schätzen. Das ist zumindest eine nachvollziehbare Erklärung, aber es ist noch sehr weit zu jenem Heiligenschein, den das Ale der Kleinstbrauereien, das deutsche SUV und das Abrichten der Kinder auf eine internationale Karriere so strahlend hell über dem Schädel des gehobenen Jungbürgers erscheinen lassen. Mein privater Eindruck ist ja, dass man sich an die moralische Vorzüglichkeit des eigenen Treibens so gewöhnen kann wie an zehn Halbe am Tag, und damit genauso sicher mit dem Auto fährt. Weil so ein SUV nämlich mit überhöhter Geschwindigkeit auf dem Weg zum Kindergarten ganz anders über einen Radler drübergeht, als früher, als dabei noch der Lack verkratzt wurde.

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Heute war Vatertag, und manche benehmen sich so, wie es früher in der Waldschänke nicht unüblich war, ganz so, als wäre den Protagonisten der Hals übervoll von ihrer Bigotterie. Das muss niemandem gefallen und die Vorstellung, dass sich darin eine Unterdrückung, ein Zwang, eine gesellschaftliche Konditionierung äussert, die für einen Tag abgelegt und vergessen werden kann: Diese Vorstellung ist nicht wirklich schön, ja, es fehlen sogar die schönen Bilder, die das archaische, benzolstinkende Ritual der Mille Miglia produziert, auf der gerade zu sein ich das Vergnügen habe. Es gibt heute nur noch selten Anlass, den Männern sofort das Geld abzunehmen, und wie meine Grossmutter so treffend bemerkte, wissen wir heute gar nicht mehr, was Sparen ist. Dafür haben wir für unser teures Treiben immer vorzügliche Begründungen höchster moralischer Integrität. Bis auf die Sache mit dem Sex – da haben die anderen die moralischen Heiligenscheine. Da bekommen wir dann früher oder später Netzsperren wegen der Kinder, Pornoverbote wegen der Heranwachsenden, Gewaltgesetze für Frau Schwarzer, Schutzräume an den Hochschulen und ein Schutzgesetz für Prostituierte, dessen Schutz aus der gleichen trüben Wortquelle wie Schutzgeld kommt.

Mei.

Wie das unter dem Prinzregenten mit den Saisonbedienungen aus Böhmen und Ungarn war – das erzähle ich vielleicht ein andermal.