Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Polen als Inbegriff des christlichen Abendlandes

Ah! messieurs! si beau qu’il soit il ne vaut pas la Pologne. S’il n’y avait pas de Pologne il n’y aurait pas de Polonais!
Alfred Jarry, König Ubu

Das mit den „Krankheiten“, die zu heilen sind, hat mich jetzt eiskalt erwischt. Denn momentan denke ich nicht nur über die Anbringung einer Solaranlage an einem nicht denkmalgeschützten Anbau des Stadtpalastes nach, ich tue das auch, während ich einen vegetarischen Nusszopf esse. Gestern erst habe ich mich gegen den Wahnsinn aller Religionen ausgesprochen, denn ich bin Atheist. Und mir gegenüber steht ein alter Rennradrahmen des Herstellers Diamant aus der DDR, der in neuem, sozialistischen Glanz erstrahlen und mich abgasfrei zum Zwetschgenräubern tragen soll. Ich bin, fürchte ich, genau dort, wohin der polnische Aussenminister Witold Waszczykowski auf keinen Fall kommen will, wie er betonte: „zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen. Das hat mit traditionellen polnischen Werten nichts mehr zu tun.“

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Das sind so die Aussagen, die hier in Deutschlands Journalistenkreisen ausgesprochen schlecht ankommen, denn natürlich verstehen sie, dass diese Aussage nicht nur ökologisch und sozial vorbildliche Radfahrer wie mich meint. Es trifft das gesamte progressive Milieu mit seinen Forderungen nach Gender, nach Gleichheit, Artenschutz, Tierrechten, Antidiskriminierung, Willkommenskultur und feministisch-kollektivem Mundhalten, wenn Gruppen nicht weisser Männer über Frauen herfallen, vielleicht, weil das ein dreissigfacher Einzelfall und keine strukturelle Rape Culture wie bei Weissen ist. Dieser nur demokratisch legitimierte Pole wagt es, in dieser bürokratischen EU etwas zu sagen, das vermutlich der Sichtweise seiner Wähler und nicht dem von der journalistischen Elite repräsentierten deutschen Volk mit seinem Veggie-Feiertag entspricht. Kein Wunder, dass eine der grössten Empörungen der deutschen Medien seit der Ablehnung einer Übergabe des Danziger Korridors folgt.

Ja, König Ubu hat schon recht, wenn er am Ende des nach ihm benannten Theaterstücks Polen so überschwenglich lobt: Gäbe es Polen nicht, müsste man es erfinden. Dann nämlich kann man sich prima empören an einem Tag, da die moralisch vormals hellen Schweden ins Lager der Dunkeleuropäer abwandern, weil sie mit der von Deutschland verursachten Flüchtlingskrise nicht mehr weiter wissen und Dänemark nun auch die Grenze zu den Helleuropäern – also uns – verrammelt. Solange ein Pole so etwas Dreistes sagt, muss man sich nicht mit der Frage auseinander setzen, ob die eigene Haltung nicht vielleicht etwas überambitioniert und planlos war. Und natürlich würde man es feiern, knickte Polen angesichts der Empörung dann ein, und entschuldigte es sich – allein, das funktioniert nur im Märchen oder bei Spiegel Online, wenn eine feministische Kolumnistin auf Zuruf ihrer Peergroup gehorsam den Link zu jemandem löscht, den diese Leute für misogyn halten. Polen ist einfach nicht bereit, diesem leuchtenden Beispiel des freien Westens zu folgen.

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Ich könnte mich natürlich nun aufs Rad schwingen und beim Generalkonsulat einen veganen Muffin als Protestnote vorbeibringen, wie es vielleicht jene Engagierten tun, die stets die Wohnung verlassen, wenn ihre ukrainische Putzfrau kommt, die viel weniger als ihre polnische Vorgängerin kostet. Allein – als  Helldeutscher nehme ich Ankommende, wie sie sind. Ich habe da eine gewisse polnische Erfahrung gemacht, und wenn ich auch keinesfalls hier das Wagnis eingehen möchte zu behaupten, ein Pole dürfte gegenüber einem Helldeutschen eine abweichende Meinung haben – so war ich doch eine Weile auch von einer Polin abhängig, und fand es prima. Vor ein paar Jahren nämlich kamen zwei schlimme Ereignisse in meiner Familie zusammen, und so war es nötig, schnell eine Betreuung für das Familienanwesen zu organisieren, wollte man seine Verwandten nicht staatlich – und damit ganz ohne Parkett und Kronleuchter – betreuen lassen. Also donnerte ich schon am Folgetag Richtung Polen, um eine mittelalte und mittelbreit gesunde Dame abzuholen, die wir hier Laura nennen wollen. Laura stammt aus einer halb deutschen, halb polnischen Familie nahe Bunzlau, und hatte Zeit und Erfahrung als Hauswirtschaftlerin – ich bin übrigens kein Rassist, ich hätte es auch mit einer helldeutschen Gender Studentin versucht, aber wir hatten einfach ein paar Minimalanforderungen, Laura erfüllte sie und war bereit, die Arbeit sofort anzutreten und so kam das.

So eine Gehilfin hätte Friedrich Torberg nicht erfinden können. Laura war auf eine altmodische Art eine phantastisch Hilfe, und wäre das alles kurz nach dem Fall der Mauer in der alten BRD passiert, wäre es auch absolut stimmig gewesen. Laura hatte keinen Führerschein, also fuhr ich sie zum Supermarkt. Sie hielt überhaupt nichts von meinem Wochenmarkt – viel zu teuer – sie wollte in einen besseren Supermarkt. Sie wollte grosse Packungen. Sie wollte – mir wurde flau im Magen – tiefgekühlte Hühner aus Massentierhaltung. Sie nahm viele billige Eier und kümmerte sich nicht um meinen Protest – im Kuchen schmecken die alle gleich. Sie nahm riesige Flaschen diverser Waschmittel und so viel, dass ich daheim Allergien allein schon von den Tischdecken bekam. Das Biowaschmittel rieche nach nichts, das wollte sie nicht. Ein Drittel der beim Wocheneinkauf durchgebrannten 200 Euro ging in Fleisch, Wurst und Schinken. Der Haushalt besitzt drei Kühlschränke, einen Speisekeller und eine riesige Tiefkühltruhe – das war alles immer randvoll. Der letzte Euro ging für den Kauf von gigantischen Plastiktüten drauf. Natürlich Plastik. Plastik ist toll und das nächste Mal gibt es wieder neues Plastik.

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Wie gesagt: Ich war bei Bunzlau. Da gibt es Wald mit Pilzen, ein stillgelegtes Stahlwerk, 20 Prozent Arbeitslosigkeit und in der Folge der Wirtschaftskrise besonders viel Strassenprostitution auf dem Weg nach jenem Deutschland, das so gern hell sein will. Ein hell erleuchteter Supermarkt, 200 Euro – das war für Laura eine grandiose Sache. Die ganze Familie nahm drastisch zu, da half mir mein ganzes Radfahren nichts Warum ich mit dem Rad fahre, wenn jeder in der Familie ein Auto hat, wollte Laura wissen. Die Antwort „weil 70 Kilometer bergige Strassen schlank und gesund machen“ befriedigte sie nicht. Am Abend ging sie an der Bibliothek achtlos vorbei in die Einliegerwohnung und freute sich auf den Musikantenstadl. Oder auf MDR. Oder auf einen lustigen, alten Film. Laura lebte, kochte, putzte, wusch, ass, trank und redete wie vor dem Fall der Mauer. Das Essen war immer fett, die Gespräche waren immer distanzlos lustig, und kein Tag verging, da ich nicht ermahnt wurde, mir eine Frau zu suchen und Kinder zu haben, weil so geht das nicht weiter und ich hätte doch ein eigenes Haus und ein Auto und jetzt aber schnell, ich sollte doch an die Familie denken. Es war eine lustige Zeit und heute mischt Laura eine Fabrikantenfamilie am Bodensee auf.

Wir sind eine grosse, alte, bayerische Familie. Niemand hat bei uns je vergessen, dass man nie Margarine nehmen darf und immer Butter nehmen muss. Drei Gänge plus Kuchen waren früher einfach üblich, und das sieht man den Verwandten den alten Bildern auch an. Früher war Fleisch normal, morgens, mittags, abends. Man war stolz auf grosse Häuser und pfiff auf Heizkosten. Natürlich fressen Kronleuchter Strom. Die Stars der Volksmusik waren wirklich Stars. Unsere Welt musste sich nur drei, vier Dekaden zurück versetzen, um Laura zu verstehen. Sie lebte den Konsumtraum des Westens vor dem Untergang des Ostblocks und genau das, was Westmedien den Polen lange Zeit als Westen verkauft haben. In Polen ging das schief, aber bei uns war es möglich. Hier ist es wie im Fernsehen, sagte Laua einmal, und sie tat auch alles, damit es wie im Forsthaus Falkenau und in der Schwarzwaldklinik wurde. Bei dreifacher Kalorienzuckerbierwursttiefkühlhuhndiät.

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Da haben Sie den Wurstsalat in Ideologieaspik – speziell, wenn Sie helldeutsch und der Meinung sind, Integration sei keine Bringschuld der Zuwandernden, und Anpassungsdruck an unsere Vorstellungen sei rassistisch. Ständig wird jemandem wie mir, der nur ganz leicht von der orthodoxen Lehre der Willkommenskultur abweicht, eingetrichtert, ich sollte doch mal meine Privilegien checken und von den Newcomern lernen – so wurde es mir auch auf dem Kogress des CCC in der Keynote gesagt, wo die Sprecherin meinte, dass wir ohne zu fragen nach Afrika gegangen wären, und uns nun nicht so haben sollten, wenn Afrika ohne zu fragen zu uns kommt. Das war historisch inkorrekt – Deutschland war nie in ihrem Heimatland Somalia – aber in Polen waren Deutsche oft ohne Einladung. Und wenn die Polen kommen, lerne ich eben von einigen, dass sie auf der einen Seite durch die Wende im Osten weniger bekamen, als sie sich gewünscht haben. Und auf der anderen Seite diese – im Kern zutiefst westlichen, heute für uns nur biovegan hochpreisigen – Konsumträume immer noch haben. Natürlich verachten sie junge Leute, die Jute statt Fendi oder Gucci tragen und wie Cracksüchtige aussehen – wer soll denn die heiraten?. Natürlich empfinden sie handtotgestreicheltes Biorindfleisch vom Wochenmarkt als Betrug und mangelnde Achtung vor der Familie, die auch in der Not hilft, als verwerflich. Sie gehen am Sonntag in die Kirche und wünschen sich ein selbstbewusstes Land, das selbst entscheidet.

Wir fühlen uns von ihrem Aussenminister beleidigt.Denn die aktuelle polnische Regierung verkörpert die Leitkultur eines christlichen Abendlandes wie unter Strauss, Kiechle und Zimmermann, an das wir nicht mehr erinnert werden wollen. Es ist schrecklich und schlimm für Europa, und Danke an alle, die dagegen protestieren. Aber ich habe vom Laura gelernt und ich sage Ihnen: Das Gewinsel wird uns so viel helfen wie meine sinnlosen Bitten an Laura, doch wenigstens Biotiefkühlhuhn aus heimischer Produktion zu kaufen.