Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Die Zukunft wie eine überfahrene Ratte wegwerfen

Als Bayer muss ich sagen: Respekt, meine Herren. Der Kongress des Chaos Computer Clubs war trotz der Lage am Nordpolarmeer gut.

Aber die wahre Zukunft habe ich draussen vor dem Kongresszentrum in Hamburg gesehen. Die Zukunft ist aus billigem Plastik, blau, und nur zehn mal zehn Zentimeter gross. Darin blinkt eine LED, wie man das aus Filmen kennt, bei denen gleich eine Bombe hochgeht, und im daneben liegenden Dammtorbahnhof könnte man damit sicher eine Räumung verursachen: Das Ding sieht aus wie ein militärischer Zünder. Es ist aber etwas viel Schlimmeres: Es ist ein funkgesteuertes Alarmmodul in einem Coffee Shop, das einem mitteilt, dass das Essen fertig ist. Es ist nicht normaler Terror, es ist Alltag.

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Ich hätte gern einen Flug dorthin, wo der Erfinder lebt, und der denken mag: Menschen kosten Geld, wenn sie Essen zum Tisch tragen, Kommunikation kotzt die junge Generation eh an, also entwickle ich etwas, das den Gast wie ein dummes Stück Vieh einfach anblinkt und ansurrt, wenn das Essen fertig ist, und er holt es sich dann selbst. Dafür entwickeln wir einen wirklich scheusslichen Plastikkasten, der angefunkt werden kann, und dann schlurfen Datenzombies hocherfreut zur Theke, an der sie zu feige sind, dem Personal Danke zu sagen, Trinkgeld zu geben oder sonstwie menschlich zu interagieren. Diese Person würde ich gern treffen und sagen, was ich mit seiner kranken, asozialen Erfindung gemacht habe: Ich habe sie zwischen zwei Fingern gehalten, wie man eine tote, klebrige, mehrfach überfahrene Ratte halten würde, sie mit einem für wirklich jeden erkennbar angewiderten Gesichtsausdruck am weit ausgestreckten Arm zur Theke getragen, und den Bedienungen zum Trinkgeld – übrigens in einen Topf und nicht direkt, menschliche Interaktion ist wohl nicht so geschätzt – mein Beileid ausgesprochen, nur noch ein Funktionsanhängsel so eines widerlichen Stück Technikdrecks zu sein. In der menschlichen Kommunikation stecken zigtausende von Jahren voll mit Erfahrung und Zuneigung – das sollte für die Übergabe eines Tellers reichen.

Und dann würde ich ihm einige der in diesen Zigtausenden von Jahren erfundenen Bezeichnungen nahebrimgen, die das frühere Treiben seiner leiblichen Vorfahren in kritischem Lichte sehen. Denn die digitale Ratte ist nur der erste Teil einer Invasion. Solche Leute werden sicher auch dereinst auf die Idee kommen, die Übergabe von Essen mit Gesichtserkennung sicher zu machen – nur wenn das bestellende Gesicht zum abholenden Gesicht passt, bekommt es Essen. Eine Servicekraft ist dann gar nicht mehr nötig, statt dessen wird auch gleich erkannt, wer der Besteller ist. Seine Krankenkasse wird informiert, und wenn der Fettgehalt im Pesto zu hoch ist, wird gleich mal die Risikoanalyse in Gang gesetzt. Die fordert dann entweder als Ausgleich eine Stunde überwachten Sport oder einen neuen Tarif. Dem Nutzer dieses Drecks wird während der Verarbeitungszeit Werbung einer anderen Krankenkasse mit Wechselrabatt eingespielt, und der Erfinder kassiert von allen. Von den einen Geld und von mir dann hoffentlich eine Darbietung des beliebten bayerischen Volksstücks „Der Watschenbaum ist umgefallen und seine Blätter waren beilförmig“. Ich habe zwar keine Ahnung von Computern, aber hacken kann ich solche Rattenzüchter auch analog.

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Weil wir gerade in diesem Rückblick auf die Zukunft über Bayern gesprochen haben: Während draussen vor dem Kongress ein freudloses Fortschritt droht, herrscht drinnen unter dem Rautenhimmel ein dem Bergbewohner sehr vertrautes Klima. Man muss sich das wie die Datenschutzversion der Leonhardifahrt in Bad Tölz vorstellen: Irgendwann sind recht viele mordsberauscht, man ist sich in den meisten Punkten eh einig, und wo man in Tölz während der Predigten Reliquien sieht, sieht man hier Powerpointfolien. Vieles ist normalen Menschen ähnlich unverständlich wie der tridentinische Ritus, aber auf dem Höhepunkte treten zwei Kardinäle auf, Monsignore Franciscus Rigorosus und Monsignore Felix della Scala, und verpassen der Welt einen allgemeinen Sündeneinlaufablass mit dem Namen „Die Fnord News Show“. Der Jubel ist dann so, als würde der Papst auf dem Petersplatz den Gebirgsschützen zwei Wochen Freibier verkünden.

Natürlich ist dem Gebirgsschützen nichts näher als seine alte, hirschlederne Trachtenhose, die er schon auf Dutzenden von Bierbänken und Beichtschemeln blank gewetzt hat. Das Loch dort stammt von einer Messerstecherei mit dem Toni, der Fleck hier von einem Masskrugweitwurf auf sie Grattler vom Nachbardorf, und Kundige wissen anhand der aufgestickten Motive schon von weitem, welcher ruhmreichen Kompanie der Träger angehört. Auch ich trage hier bei uns im schönen Bayern natürlich eine Tegernseer Hirschlederne, die nach zig Jahren immer noch besser als die alten T-Shirts vergangener Chaos-Circhweih-Congresse aussieht, die hier, ausgeblichen und zerfetzt, dem Besucher von den scheinbar alten Hasen vorgeführt werden.

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Da waren also junge Hüpfer dabei, die stolz vier Jahre alte Logos auf der Brust trugen und zeigten, dass sie oldschool dazu gehören zu einer elitären IT-Welt, in der ich damals schon Profiblogger war – aber so ist das halt. Jede Kultur erfindet sich gern ihre historische Legitimation und Codes. Blaue Haarmobs bei den Queerfeministinnen, die auch bei jedem Haberfeldtreiben mitspielen könnten, alte Hoodies bei lustigen Holzhack0rZbuam, und die Vorträge beginnen erst um halb zwölf zwengs den vorherigen Vollräuschen, halt so wie bei uns auf dem Barthelmarkt, wo vor zwölf auch nicht die Blasmusik spielt. Oh, und die Männer tragen derartig wilde Wildererbärte, dass ich nächstes Jahr hier einen Stand mit Stöpselhüten. Hirschfängern und Jennerweindevotionalien aufmachen werde. Weil, so ein Wildschütz ist ja auch nur ein freigeistiger Real Life Hacker überkommener Jagdvorschriften und der Feind aller Förster und Gendarmen gewesen.

Der Kongress blickt auf eine stolze, lange Geschichte zurück, manche Besucher fühlen sich in ihrer einzig richtigen Art sehr sicher und glauben sich auf einem Weg in eine Zukunft, in der sie zum wichtigen Faktor werden – da kann so eine historische Credibility, basierend auf den Mythen der Berge, die Computer und Drei-D-Drucker nun mal nicht ausspucken, nur helfen. Das ist bei uns in Bayern auch nicht anders, und in vielen Punkten ist man sich hier eh so einig wie die CSU-Fraktion. Man will genauso unabhängig sein, ein eigenes Reich in diesem Staat haben, in dem die grosse Koalition in Berlin nichts zu melden hat, in dem man die Regeln selbst bestimmt, und den eigenen Lebensidealen huldigt – und mag Hamburg auch weit im Norden liegen, so habe ich doch keinen Zweifel, dass Dukes-of-Hazard-Fans auch Gefallen an einem Dirndl finden werden. Gut, vielleicht ist es strategisch etwas mangelintelligent, an dieser Stelle strukturelle Ähnlichkeiten von Subkulturen aufzuzeigen. Aber kennt man eine Leonhardifahrt, kennt man alle. Es gibt ab und zu auftretende Kritik von Queerfeministinnen, Immernochpiratinnenabgeordneten und Postprivaschisten, sie klingt wie die Ermahnung der katholischen Landfrauenbünde. Da, wo bei Leonhardi die geschmückten Kutschen stehen, wartet beim Cameradschaftlich Congressualen Classentreffen die beleuchtete Rakete.

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Und die wahre Zukunft, die Zukunft der kleinen, überfahrenen, blauen Plastikratten, ist hässlich genug, dass man um Alternativen wirklich froh sein kann. Diese Zukunft, die im Congresszentrum analysiert, beurteilt und auseinander genommen wird, geht draussen weiter, verbittet sich Kritik und tut, was Märkte und Politik fordern. Da ist es gut, wenn ein paar Tage offen diskutiert, genörgelt und debattiert werden kann, als wäre es am Stammtisch von Kloster Reutberg.

Foads ruig hi, Leid. Einzig echtes Manko: Es gibt keine Eisbären in Hamburg, die man des Felles wegen jagen kann. Oh, und Vorsicht, was sie als Franzbrötchen verkaufen, ist kein Baguette, sondern ein Fladen aus Strychnin. Da sollte man vorbereitet sein und besser die eigenen Schweinshaxn mitbringen. Dann hat man beim Essen auch keine blauen Ratten um sich.