Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Schwan, Spatzl, dumme Gans – Genderdebattieren mit Relativcharme

Wenn Männer aufhören, Charmantes zu sagen, hören sie auch auf, Charmantes zu denken.
Oscar Wilde

Ich bin bekanntlich der höflichste Mensch von der Welt, wohlerzogen und allen Menschen und ihren Schwächen zugetan. Aber auch der höflichste Mensch der Welt sieht sich immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie er diese Contenance angesichts der Realität tapfer erhält. Bayerische Freunde etwa verstehen meine liebevolle Nachsicht für die ethischen Defizite von radikalen Feministinnen überhaupt nicht, und vertreten die Ansicht, sie selbst würden beim Beschreiben derer Tolldreistigkeiten nicht an sich halten können. Böse und bitter wäre ihre Wortwahl, justiziabel wäre vieles und überhaupt, auf grobe Birkenstock-Klötzinnen gehöre auch ein grober Keil. Man ist nicht wirklich zufrieden mit meiner nachsichtigen Haltung und wundert sich, warum ich so gelassen bleibe.

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Die Frage wird im Frühling wieder aktuell, denn diese Szene hat erkannt, dass sie beim Thema Flüchtlinge nur verlieren kann. Flüchtlinge haben ganz andere Sorgen als ihre Forderungen nach Einführung des Binnen-I und rosa Röckchen für Jungs.  Wo kämen wir denn da hin, wenn Medien immer nur über die Forderungen in Idomeni berichteten und nicht über den genderneutralen Umbau der Gesellschaft? Daher machen Aktivistinnen und die befreundeten Medien nun langsam einen Schwenk: Mit #imzugpassiert melden eine Kunststudentin und die üblichen Empörten, was ihnen alles so im Zug widerfahren ist, und wie viel Alltagssexismus sie erleben. .

Damit steht wieder die wichtigste Sorge der Welt – das Wohlergehen der Aktivistinnen mit erkennbaren Interviewbegierden – im Zentrum der Darstellung. So werden heute aus inszenierten Kamagnen Nachrichten gemacht. Mein Trick, um angesichts von nicht nachprüfbarer Behauptungen der immer gleichen “Wozu-Polizei-wenn-ich-es-twittern-kann”-Aktivistinnenblase und ihrer Helfer in den Medien weiterhin höflich zu bleiben, ist das Verfassen von Texten, die schonungslos ausdrücken, was ich mir denke. Ich schreibe Emails, die die ganze tiefere Vielschichtigkeit der bayerischen Sprache umfassen. Ich mache aus meinen Wünschen, was die berufliche Zukunft vonunkritischen Kollegen angeht, keinen Hehl. Ich verweise auf die Nachteile eines Daseins in kleinen Mietwohnungen und darauf, dass Schulfreundinnen mit Kindern, Haus und Garten jenen Wert für die Gesellschaft haben, den sie für sich in Anspruch nehmen. Diese Mails schicke ich dann an Namederbetreffendenperson@gschupfteHenna.netwoah oder summarisch an info@zentralratderschiachn.mistamseln und dann geht es wieder. So bin und bleibe ich öffentlich der höflichste Mensch von der Welt, denn meine Mails erreichen nie ihr Ziel. Aber ich habe sie abgeschickt, und das fühlt sich gut an.

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So sind wir doch eigentlich alle, und darauf basiert auch die bessere Gesellschaft, aus der ich sehr wohl und andere nicht kommen, was man bisweilen leider auch merkt. “Schlucken, Alfonsius, schlucken“, brachte mir meine Grossmutter bei, und wer klug ist, denkt sich einfach seinen Teil, merkt sich den Vorfall und wartet auf eine günstigere Gelegenheit der Rache. Das ist nicht nett, aber sehr wohl höflich, und das Schöne am Leben in gehobenen Verhältnissen ist, dass wir auch wirklich die Zeit und das Vermögen haben, um jenen günstigen Moment erwarten zu können. Anderen fehlt das Vermögen und die Geduld, die preschen dann gleich mit ihrer Meinung vor, wie etwa eine anonym agierende Person bei Twitter, die gestern ihren Beitrag zum Aufmerksamkeitsschwenk hin zum Feminismus leistete: Eine glaubhafte “JournalistinHH“, die sich wirklich so unausgewogen benimmt, wie ich das von schlecht bezahlten Personen in einem krisengeplagten Beruf am Polarkreis erwarte, bezeichnete die Zeitschrift Capital wegen des Frauenbildes als “Drecksblatt“. Und der kritisierte Chefredakteur blieb ihr mit einer Bemerkung über “dumme Gänse“ nicht allzu viel schuldig.

Natürlich reagieren nun manche schnell und nennen das Sexismus. Das ist ganz erstaunlich in einer Epoche, die ansonsten dazu neigt, Unschönes eher sprachlich zu verbergen. Wir leben in einem druckertintenklecksenden Saeculum, in dem Menschen aus der Subsahararegion stammen, weil es uns peinlich ist, über ihre Hautfarben zu sprechen. Wer nach Deutschland migriert und seine Herkunft verschleiert, gilt nicht als illegal, sondern als anzuerkennender Altfall, wobei darin immer das Versäumnis deutscher Behörden zum Ausdruck kommt. Wir sagen nicht mehr arm oder gar Grattler, wenn es um sozial Benachteiligte geht. Sie sind benachteiligt, also Opfer zumindest der Umstände, wenn nicht gar des Systems oder der Reichen. Wir sprechen bei brüchigen Biographien von Unterprivilegierten und drücken damit aus, dass ein Defizit besteht, was die umgebende Gesellschaft zu beheben hätte. Radikale Feministinnen gehen einen Schritt weiter und sprechen von einer ganzen Rape Culture, die eine Kollektivschuld am Elend der Frauen und ihrer obszönen Vorwürfe trägt. Wie betrachten nicht mehr den Einzelnen, denn wir kriegen eins auf die Nuss, wenn Menschen als illegal, Schwarze, Barackler etc. bezeichnen. Wir bevorzugen Worte, die den gesamten sozialen Kontext mit abbilden und Opfer kreieren, gelten daher als höflich und bewusst, und stellen uns damit auf die Seite der Guten. Ich passe mich da auch an und bringe hier, wie gewünscht, viele Frauenbilder.

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Dem Wohlverhalten widerspricht jedoch die Neigung des Netzes, einzelne auszugrenzen und dann gemeinschaftlich anzuprangern – momentan eben denjenigen, der mit “dumme Gänse“ weit unter dem bleibt, was ich privat andere vielleicht in falsch adressierte Mails schreiben würden. Aber es erscheint mir als guter Moment, unseren gesamtgesellschaftlichen Konsens der Ursachenbetrachtung bei der Beurteilung zu bedenken. Wir sehen durchaus, dass hier die Bereitschaft besteht, Kosenamen zu verwenden, statt die Drecksblattsagerin analytisch zu hinterfragen. Dieses Verhalten gilt uns normalerweise als Charme, wenn wir etwa nach Stunden der weiblichen Nichtentscheidung im Wäschegeschäft immer noch “Spatzl“ sagen, wenn wir längst “zum Geier“ meinen. Wir sagen Spatzl, aber einen Heiratsantrag würden wir gerade eher nicht machen. Wir passen den Charme den Umständen an, und reagieren nicht abfällig – wir sind immer noch nett. Liebenswürdig. Nur halt relativ zu der uns umgebenden Gesellschaft. Der Charme ändert sich, aber er bleibt.

Das ist der Grund, warum ich doch als höflichster Mensch der Welt darum bitten möchte, vom Wort “Sexist“ Abstand zu nehmen. Wie haben hier nun mal eine Eskalation der wüsten Beschimpfung und relativ dazu eine massvoll ornithologische Bezeichnung. Hätte JournalistinHH gesagt, sie wünschte sich mehr Frauen, wäre die Antwort vielleicht Spatzl gewesen. Hätte sie ihr Anliegen in einem erfreulichen Tonfall vorgetragen, hätte man sicher die schwanengleiche Eleganz ihrer Überlegungen gelobt. Charme entfaltet seine Schwingen relativ zum Umfeld, und wenn wir das in Betracht ziehen, dürfen wir den Einzelnen nicht ohne Rücksicht auf die Umstände verurteilen. Ich sehe hier keinen Sexismus.

Ich sehe nur einen Relativcharmeur.

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Ich finde das Wort sehr schön, denn es glaubt an das Gute und macht gleichzeitig die Problematik des Daseins deutlich. Auf diesem Niveau ist es möglich, sich weiter gepflegt auszutauschen, auch über grundsätzlich andere Auffassungen hinweg. Es schlägt keine Türen zu, es lässt wissen, dass sich die Tür bewegen kann. Es nimmt Rücksicht auf menschliche , nur allzu menschliche Schwächen, und wirkt deeskalierend. Es ist nicht diskriminierend und klingt auch noch recht hübsch. Es würde niemanden dazu animieren, sich in einen Schreikampf zu stürzen, der keinem etwas bringt. Das Wort hat keinen Absolutheitsanspruch und verhindert, dass andere das Werk von Julius Streicher durchsuchen, ob der nicht vielleicht auch schon “Drecksblatt“ gesagt hat. Relativcharmeur ist ein charmantes Wort. Es trägt zur zivilisierten Gesellschaft vorbildlich bei.

Wir sollten es öfters verwenden. Höflichkeit kostet schliesslich nichts und stört später auch nicht beim Zücken des Dolches in jenen Momenten, die sich dafür wirklich empfehlen.