Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Jugend ohne Gott und migrationsfinanzierte Rente

Sie werden schon sehen, daß jede Epoche die Epidemie hat, die sie verdient. Jeder Zeit ihre Pest.
Ödön von Horváth

Die Pest waren wir. Vom v. S. war bekannt, dass er hinter Jungs her war. Bei seiner nicht ganz unbekannten Frau versteht man das, war alles, was wir uns damals dachten, wenn wir ihn an der grossen Bar sitzen sahen. Der P., der damals ein bekannter Schauspieler war, musste hin und wieder etwas gebremst werden, wenn er sich im Suff zu schnell den Frauen näherte, aber wenigstens soff er kein Bier, denn er hatte selbst im Exzess etwas bleibenden Sinn für das, was sich schickt. Seine Kollegin K., in eo ipso tempore fast eine Berühmtheit in den Gazetten und erkennbar magersüchtig, kannte ich nur wegen ihrer Stürze, bei denen sie, ebenfalls gut mischintoxiniert, indiskret und laut wurde. Wer das war, musste man mir erst erklären, denn ich hatte kein TV-Gerät. Es gab bessere Abendunterhaltung für die Angehörigen der besseren Kreise. Eine alte Villa im Park, Boxen, eine Tanzfläche, München.

pesta

Der kleine Mann war auch immer da, wenn er in München war. Wir haben ihn nicht weiter beachtet, warum auch. Es war ohnehin klar, dass er kommen würde, denn jeder ist damals gekommen, einen besseren Platz gab es nicht, also kam auch er. Er hatte damals eine schwierige Phase, so eine Art Karriereknick, wie ihn die Schauspieler K. und der P. Mitte der 90er auch noch bekommen sollten, und der v. S. war ohnehin schon recht alt und ist nicht lang danach gestorben, aber nicht an AIDS, wurde damals kolportiert. Man steht unbeteiligt neben dem Auf und Ab derer, die sich das Schicksal nicht mehr heraussuchen können und etwas sein müssen, um etwas zu gelten. Uns war das fremd. Wir waren, was wir damals gewesen sind. Jung, gut angezogen, auf der richtigen Seite, aus guten Familien und ohne Zwang, dort drinnen das Frischfleisch zu geben, oder die Gaffer. Der kleine Mann kannte das Haus, er mochte es, und sass an der hinteren Bar und trank.

pestb

Zur Kenntnis haben wir ihn auch nicht genommen, weil das gewöhnliche Volk das durchaus gemacht hat. In die Villa im Park konnten manche, vor allem die Richtigen, aber alle konnten in ein Zelt draussen am Olympiagelände, riesig, laut, unüberschaubar, populär und es waren dort Menschen, die Turnschuhe trugen und mit denen man nicht über Gaultier und Comme de Garcons sprechen konnte. Irgendwer hatte das Gerücht verbreitet, dass das Zelt nun der ultimative Ort sei, und der kleine Mann dort in Erscheinung treten würde. Der kleine Mann machte aber nur lustlos seinen Job, den er in München zu tun hatte, trank bei uns etwas an der Bar und verschwand irgendwann. Es war Sommer und warm. Er war auch nicht mehr ganz jung und der Job, die Termine, die Reisen, das war stressig. Für uns war es der Ort zum Tanzen, für ihn der Ort zum Rumsitzen auf einem rotplüschigen Barhocker, wo man sich recht gut unterhalten konnte. Oder schweigen und abschalten, auch wenn man eigentlich bekannt war und draussen vor der Stadt, im Zelt, viele vergebens auf einen warteten.

pestc

Es war also nur ein normaler Sommerabend unter Leuten, die zu ihren Bedingungen und Wünschen ihre Vergnügen haben wollten, und die anderen als die Pest galten. Das Neue, das Besondere, es brauchte damals lang, um sich durchzusetzen. Vieles wird vergessen, manches wird zum besten Hit der 80er und 90er und sogar auf den Hochzeiten gespielt, die heute, bei mir nebenan im barocken Spiegelsaal, das Publikum erfreuen, sofern es eingängig genug ist. Summer of 69. Denn draussen vor der grossen Stadt, tanzte sich der Pöbel dazu seine Füsse platt und wartete auf eine Erscheinung, die nie kam und bei uns so banal wie der v. S. blieb. Man darf nicht vergessen, sein Abstieg vom Höhepunkt war damals noch nicht vorbei, und wer später mit 57 noch Konzerte mit Liedern seiner Jugend gibt, ist wohl sehr verliebt in diese grosse, aber verblichene Vergangenheit. Ich kann das verstehen, denn diese Zeit war gut.

Ich kenne diese Sehnsucht. Wenn ich an den leeren, bedeutungslosen Hüllen vorbei fahre, die früher das Parkcafe oder das Nachtcafe waren, verspüre ich auch einen kleinen Stich, selbst wenn es heute nicht mehr meine Welt wäre – wir alle haben uns damals geschworen, nicht Lustgreise wie der v. S. zu werden, denn das Beispiel war nicht schön. Übrigens, weil wir gerade bei den Toten sind, auch Guido Westerwelle hat da mal eine Veranstaltung gemacht. Die FDP mit kostenlosen Drinks im Nachtcafe, die Apothekerpartei beim Jugendfang. Wir haben die Augenbrauen höher als bei den Halbnacktauftritten der K. gezogen. Bei Westerwelle war das Nachtcafe plötzlich voll mit Leuten, die dort nicht hingehörten und aussahen, als müssten sie Geld erst noch verdienen. Es war nicht eben erbaulich. So gesehen kann man unseren stillen Umgang mit dem kleinen Mann an der hinteren Bar als höchste Form des Respekts bezeichnen. Nichts stand mehr im Mittelpunkt unseres Lebens als wir selbst. Wir waren eine Jugend ohne Gott, zynisch, privilegiert, selbstbezogen, ignorant, und es war uns auch voll bewusst. Wir waren der lokale Pestausbruch unserer Zeit, mehr nicht.

peste

Die nächste Jugend bekommt dagegen die Zukunftsseuchen in unerfreulicher Weise zu spüren, denn der Weg vom Tanzen in der Villa im Park zu den angemessenen Beschäftigungen ist für Paradiesvögel mit schillerndem Gefieder aus Lebenslauflücken wahrlich nicht mehr so leicht – und ausserdem ist Exzess heute auch nicht mehr elitär, sondern Berghain-RTLII. Diese Berufsjugend, die mangels Maschinenbaustudium nicht viele so richtig brauchen, kämpft daher politisch um eine Grundsicherung im Alter; sie macht sich Gedanken, sie glaubt, dass eine neue Art Sozialismus ihr späteres Dasein retten und sie vor der Angst befreien kann, beim Sammeln von Pfandflaschen mit der Konkurrenz von Jüngeren aus fernen Ländern konfrontiert zu sein. In der Musik des kleinen Mannes und in unserem Leben gab es ausser der Party von 1999 keine Zukunft, nur Gegenwart, aber das hat sich grundlegend geändert. Die Rente ist wohl erst nach dem 70. Lebensjahr sicher, so man darauf angewiesen sein sollte. Das ist eine lange, elende Perspektive. Sie ist auch nicht schöner als die Pest.

Es scheint mir auch, als gäbe es nach der Neujahrsnacht von Köln nur noch wenige Stimmen, die behaupten, wir hätten mit der Migration vorwiegend junger Männer unser demographisches Problem und die Frage der Rentensicherung gelöst, wie das so schön von Qualitätsjournalisten bei ZEIT, Spiegel und der Prantlhausener Zeitung versprochen wurde, wie früher im Neuen Deutschland die Fortschritte des Sozialismus. Diese Zuversicht wird gerade unter dem Stichwort Rentenreform von den Herrschenden kassiert, und vermutlich ist es sogar richtig, sich als Minderbemittelter Sorgen zu machen – schliesslich bekam man gerade Menschen mitsamt Folgekosten “geschenkt“, zusätzlich zu denen, die man schon hat und jetzt bald in Ruhestand gehen wollen. Man weiss nie, wie lange das Leben dauert, und was es an Chancen und Risiken mit sich bringt. Was ich aber im Parkcafe gelernt habe, und was auch ein Grund sein mag, warum der Pöbel vor der Stadt umsonst auf jenen wartete, den wir nicht beachteten: Angenehmer Wohlstand ist immer auf Inseln daheim. Brücken, die andere zu den Inseln des Wohlstands bauen, dienen vor allem dem entschädigungslosen Abtransport der Beute. Das ist bei der Mitgliedschaft im richtigen Club nicht anders als bei der Vermögensverteilung – und um die geht es eigentlich, wenn man über Rente spricht. Grundsicherung ist ein hübsches Wort, bedeutet aber auf der anderen Seite Grundgeldeintreiben des Staates. Grundsicherungsfreunde wollen eine Party für alle, die dann aber für wenige nicht mehr schön ist. Unserer Zeit eine leichte Magenverstimmung.

pestd

Gerecht ist das natürlich nicht. Mag sein, dass wir nach solchen durchtanzten Sommernächten die Vorlesungen ignorierten oder gar irgendwann das Studienfach wechselten. Mag sein, dass wir dort wenig über das echte Leben gelernt haben, und auch wir studierten nicht Maschinenbau. Was wir aber wussten war, dass es uns gut ging und man nur eine gewisse Anzahl von v. S., P. und K. erträgt, bevor die Stimmung kippt. Es ist wichtig, dass die richtigen Leute Zutritt bekommen und die Mischung stimmt. So ähnlich ist das, glaube ich zumindest, auch bei der Almosenpolitik. Und weil sie kein exklusiver Club ist, sondern eine Boazn auf Malle, wo von Leuten wie Schäuble im Tonfall von H.P. Baxxter befohlen und durch Lücken in den Sozialgesetzen ausgenutzt wird, ist es nur natürlich, dass man froh ist um alles, was man sonst noch so besitzt. Es gibt ein Dasein neben der staatlichen Almosen. Es gedeiht auf Inseln, zu denen es nur wenige Brücken gibt. Da ist es schön, da würde man gern bleiben, und wenn sich manche selbst einladen und kämpfen wollen, so achtet man um so mehr auf den eigenen Strand. Natürlich wird die Rentendebatte bitter. Natürlich wird es zur Kanonenbootpolitik gegen Vermögende kommen, und diejenigen, die uns geschenkte Menschen versprachen, werden jetzt Geschenke von unseren Erbschaften haben wollen. Denn wenn ihre Rente nicht sicher ist, sollen es unsere Vermögen auch nicht sein.

pestf

Was haben wir uns damals über den Gastauftritt von Westerwelle im unserem Nachtcafe gewundert. Also wirklich. Aber manche von uns werden jetzt überlegen, ob man den Lindner nicht als Türsteher engagieren soll. Jeder Zeit ihre Pest, aber zu jeder Zeit versuchten auch die Klugen, sie draussen zu halten.