Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Alle Wege führen nach Ansbach

Dass rings der Mensch die Bruderhand dem Menschen reicht trotz alledem
Ferdinand Freiligrath

Die sicherste Methode, das Amt des israelischen Ministerpräsidenten zu verlieren, wäre es, nach einem Anschlag mit einer Splitterbombe auf Zivilisten zu schweigen. Die Zivilisten, die in den Augen von Hamas-Terroristen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Staat legitime Ziele sind, würden so einen Akt der fehlenden Solidarität des Regierungschefs höchst übel nehmen. So schnell wie möglich äussert sich daher der Regierungschef in solchen Fällen für sein Volk. Ich war in Israel, ich kenne da Leute, man ist in dieser Hinsicht höchst empfindlich, und ich weiss aus journalistischer Erfahrung übrigens auch, dass man sich an den Terror so wenig gewöhnen kann, wie sich der menschliche Körper daran gewöhnen kann, von Metallsplittern zerfetzt zu werden.

frankh

Ansbach ist nicht weit weg von meiner kleinen, dummen Heimatstadt an der Donau. Es ist mit seinem Schloss, dem Park und der Orangerie ein beliebtes, wirklich lohnenswertes Ausflugsziel, und es gibt dort auch sehr feine, klassische Konzerte, gerade im Sommer. Ich denke, die normale, kulturbeflissene Familie bei uns ist dort jedes Jahr zu Besuch. Allein die Anfahrt über den fränkischen Jura mit seinen kleinen, gewundenen Strassen ist eine Erholung, und dort, wo ich fast täglich entlang radle, müsste man nur nach rechts abbiegen und wäre, so man in der Früh beginnt, gegen Mittag dort, wo fette Sossen blubbern. Ich kann wirklich nur raten, das mit dem Fahrrad zu machen, denn auf jeder Hügelkuppe, die man erreicht, möchte man “Hach“ sagen.

frankj

Das liegt daran, dass diese Region etwas westlich von den grossen Zentren Ingolstadt und Nürnberg nicht so dicht besiedelt ist. Es gibt, wenn man die Nebenstrassen aufsucht, wenig Verkehr. Man beginnt in Oberbayern, erreicht das Altmühltal und merkt langsam, wie sich die Regionen ändern: Erst die gedrungenen Jurahäuser mit ihren flachen, steingedeckten Dächern, dann die spitzgiebeligen Fachwerkhäuser. Hach. Die Menschen reden anders, die hardnn Gonnsonanndnn werden ganz weich, es klingt putzig – Hach! – und die Brezen schmecken auch anders: Harmonische Lauge, glattere Oberfläche. Hach. Es gibt mehr Obst und mehr Obstkuchen. Hach. Hachhachhach.

franki

Manche meiner Vorfahren haben einen sehr mannigfaltigen Migrationshintergrund, und während ich den Wiener Teil gern verschweige, weil alles vor 1670 nicht mehr zählt, so war dieser Teil der Sippschaft danach doch 170 Jahre in einem jener kleinen fränkischen Duodezfürstentümer daheim, die erst später zu Bayern kamen. Ich merge das, weil ich jenseids von Eichschdedd im Dialekt einen leichten Rückfall erleide, und wenn mich jemand fragt, erzähle ich das mit meiner Familie auch lang und breit und irgendwann werde ich Ihnen das auch noch alles hineindrücken, aber hier geht es ja um etwas anderes – nämlich darum, dass Ansbach wirklich eine Krönung der Region ist, die selbst wiederum zu den etwas vergessenen Kleinoden des Landes gehört. So lieblich. So freundlich. Hach. Ich mein, bei mir daheim hängt sogar ein fränkischer Bischof aus der Zeit von 1680, und auch ihm zwinkere ich freundlich zu. Eine Nebenkammer meines Herzens schlägt fränggisch, und es schlägt Hach.

frankf

Alf Frommer, das entnehme ich dem Internet, ist Berliner. Berliner Werber. Mir wurden gestern seine Worte mehrfach von verschiedenen Netznutzern zugemutet:

Die Entscheidung von Merkel die Flüchtlinge ins Land zu lassen war, ist und bleibt menschlich-politisch richtig. Trotz allem. #Ansbach

Das schreibt sich im fernen Berlin sicher leicht, aber ich denke eher nicht, dass ich das so apodiktisch in Franken momentan sagen würde, selbst wenn ich die Aussage richtig finden würde. Da baut jemand eine Bombe mit dem Ziel, möglichst viele Menschen bei einem Fest möglichst schwer zu schädigen, ohne Unterschied und vollkommen wahllos, nur weil sie einem Volk angehören. Aufgrund meiner inneren Verbundenheit würde ich fast vermuten, dass die Verbindung von Anschlag – die totale Negation unserer Kultur – und dem Beharren auf einer fragwürdigen und erkennbar riskanten Entscheidung, deren grösserer Kontext auch Selbstmordattentätern die Reise vor ein Pariser Stadion erlaubte, momentan nicht das angemessene Wort ist. Als ich das hier zu schreiben begann, dachte ich noch: Hoffentlich wird das Allem, dem das zum Trotze sein soll, nicht grösser, aber da war auch schon die Geiselnahme und der brutale Mord in Rouen.

frankc

Herr Frommer und die vielen hundert, die ihn teilten, müssen gar keine Zyniker sein – es sind auch Leute dabei, von denen ich weiss, dass es nicht so ist. Die Sache ist nur, dass bei mir daheim die Kombination der Verteidigung einer verantwortlichen und schweigenden Kanzlerin, einem Attentat und dem hiesigen Gefühl, dass es so auf gar keinen Fall weiter gehen darf, eine enorme Verbitterung erzeugt. Diese Berliner Aussage würde man so ganz sicher nicht verbreiten, wohnte man am Rande der Hügel, auf denen alle Strassen irgendwie nach Ansbach führen. Das schickt sich nicht. So geht man nicht mit der Heimat um, da steht das Mitgefühl an erster Stelle. Das “Trotz allem“ verbreiten dennoch viele Berliner und manche Münchner. Das sind aber nicht die Gedanken derer, die eine gewisse Verbundenheit spüren. Da ist kein “Hach“. Und natürlich auch keine Diskussionsbereitschaft. In Ansbach kommt man ins Grübeln. In Berlin will man davon nichts hören.

frankb

Die Bruchlinien zwischen den grösseren Städten und dem Rest des Landes, und speziell jenen Teilen des Landes, die eine starke, kulturelle Identität haben, sind hier öfters Thema. Meistens arbeite ich sie an kleinen Beispielen heraus, aber gestern war das ziemlich offensichtlich. Für alle meine Freunde, die hier etwas unternehmen, stellt sich jetzt instinktiv die Frage, was man beim Open Air, bei der Critical Mass, bei den Highland Games, bei den Sommerkonzerten bedenken sollte. Das ist nicht Panik, sondern durchaus wohlüberlegte Fürsorge über alle sozialen Grenzen hinweg. Das Auge würde gern weiter mit Wohlwollen auf der Heimat liegen. Nur, wenn die Heimat ein paar Strassenzüge, Lokale und eine Mietwohnung einer Baugenossenschaft sind, ist da kein Land. Die Empathie stützt sich auf das, was bleibt, und das ist das persönliche Umfeld, das meist auch nicht von dort kommt und kein Heimatgefühl mitgebracht hat. Das Private ist politisch und die neue Heimat ist es auch.

franke

Das “Hach“ kommt dort vor allem dann, wenn einer etwas sagt, hinter dem man sich scharen kann. Wenn das ideologische Grundgerüst, an dem die richtigen Überzeugungen aufgehängt werden, nicht in Unordnung kommt. Und dann ist eben die richtige, nicht zu debattierende Einstellung bedeutend wichtiger als der ferne Ort, den man erst mal bei Google Maps suchen musste. Ein Gefühl der Rührung für Ansbach bringt dort nichts. Beim Axt-Attentat von Würzburg wurde von manchen gefragt, warum uns das Attentat von Kabul nicht berührt. Mein Eindruck ist, dass Kabul und Ansbach im urbanen Kontext gleich weit entfernt sind.

frankd

Da ist es dann auch völlig in Ordnung, wenn sich die Kanzlerin erst am Donnerstag in die Bundespressekonferenz begibt, während ihr französischer Kollege Hollande sofort nach Rouen eilte. Frankreich ist ohnehin vom komplexen und politisch brisanten Gegensatz zwischen Provinz und Paris geprägt, der wahlentscheidend sein kann. Wer dort politisch überleben will, kann sich nicht verstecken und warten, bis die Nachricht ideologisch von den Medien einsortiert wurde – da hat das aufgeklärte Paris eine andere Tradition als die deutsche Tradition der Stasi. Bei uns gibt es durchaus Unterstützung für einen relativierenden Zugang, in gewissen Vierteln mancher Städte und einigen Redaktionen. In Frankreich droht schlichtweg eine Machtübernahme von Le Pen. Aus der Provinz.

franka

Es ist Sommer. Die Kirschen sind schon geerntet, die Äpfel werden rot, und Franken sind gesellige Menschen: Man könnte ihnen zuhören und nicht mit einem Werberspruch aus Berlin eins überbraten, um gleich mal zu zeigen, wie man selbst die ferne Splitterbombe globalpolitisch einsortiert. Gut, das geht natürlich auch, speziell, wenn einem egal ist, was aus einer als obsolet empfundenen Nation wird. Die Kulturschickeria von Budapest sah sich vor Orban auch auf einer Ebene mit Wien und Berlin. Niemand hätte sich am Samstag in Ansbach vorstellen können, dass dort am Sonntag eine Splitterbombe explodiert. Es kommt immer anders, als man denkt. Wir wissen tatsächlich nicht, ob nicht weitere Gefahr durch den IS unter uns droht. Möglicherweise gibt es uns sogar schon nicht mehr, sondern die mit den Sorgen und jene, die gern alles verteilen und niemanden, der sie umbringen möchte, erschiessen würden.

frankg

Dann bin ich wenigstens auf der Seite mit dem Kirschkuchen.