Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie Kühe auf der Wiese.
Friedrich Nietzsche
Mit den Wegbeschreibungen ist das ja immer so eine Sache: Adressen sind nur gut, solange Metalldiebe nicht die Schilder stehlen. In Berlin habe ich Gästen aus Bayern die Anfahrt oft so erklärt: Irgendwann steht links ein zerbombter Flakturm mit Drogis und rechts immer eine Gruppe finsterer, sie beliefernder Gestalten an einem S-Bahn-Eingang, da biegst du ganz schnell rechts ab und dann gleich wieder links, und nicht weiter fahren, weil das Knacken unter den Reifen zwei Strassen weiter, das sind dann schon die Patronenhülsen von den arabischen Hochzeiten, aber die wollen nur ballern. Am Tegernsee dagegen sind die Schilder manchmal überwuchert, da sage ich einfach: An der Kirche links abbiegen, bis zur Alm fahren und wo rechts die Kühe stehen, links rein.
Patronenhülsen haben wir hier nicht, die Böllerschützen schießen mit reinem Schwarzpulver, und Gras gibt es hier schon, aber es wird nicht geraucht, sondern von den Kühen mit einem unnachahmlichen Rupfgeräusch gefressen. Dazu bimmeln die Glocken, hin und wieder wird gemüht, oft liegen die Kühe einfach so auf der Wiese, und um 16 Uhr versammeln sie sich pünktlich am Gatter, wo der Bauer sie zum Melken abholt. Wenn sich der Bauer verspätet, werden sie ungeduldig und äußern sich lautstark, aber ansonsten ist das hier ein Bild wie aus der Werbung für Milchprodukte. Weil sich die Alm bis über 800 Meter hinauf zieht, gilt die Gegend als besonders geförderte Bergregion. Es greift die Alpenkonvention, und die Baumreihen, die historischen Hage, die die Landschaft prägen, stehen unter Naturschutz. Hier weidet das echte Miesbacher Fleckvieh, und es erzeugt sogenannte Heumilch.
Heumilch muss man heute hervorheben, denn nur ein winziger Teil der Milch in Deutschland entsteht so, wie man sich das vorstellt und neben meiner Terrasse sieht: Indem eine Kuh eine Weide abgrast, verdaut und dergestalt die Milch entsteht. Das Industrieprodukt, das in Supermärkten als “Milch”, “Butter” oder “Käse” verkauft wird, ensteht durch das Einfüllung von Futtermitteln grosser Konzerne in Kühe, die zu Hunderten in Ställen gehalten werden, und weder frisches Gras schmecken noch eine Wiese sehen. Auch tragen sie keine Hörner, sie bekommen keine Glocken und lassen ihren Trieben keinen freien Lauf: Sie stehen dort in genormten Gittern, während sie bei mir im Schatten der Bäume dösen, oder mitunter auch wild über die Anhöhe galoppieren. Manchmal kommt ein Stier dazu, da ist dann was los. Einmal ist eine Kuh auch ausgebüchst und stand dann bei mir Garten. So ist das halt bei uns.
50 Wochen im Jahr würde man diese Milchwirtschaft hier loben, denn sie ist biologisch, und kommt mit dem aus, was die herrlich grünen Weiden hergeben. Es ist naturnah, die Rinder sind sich selbst überlassen, sie brauchen weitaus weniger Medizin, entwickeln keine Traumata und haben mitunter auch eine phantastische Aussicht, zu der ich Sie jetzt auch mitnehme. Denn neben meiner Alm gibt es hier auch noch andere Viehbetriebe, und eine der schönsten liegt oberhalb von Tegernsee: Die sogenannte Kreuzbergalm, weder verwandt noch verschwägert mit dem Kreuzberg im Reichshauptslum. Der Kreuzberg bei uns erhebt sich ´zwischen Tegernsee und Schliersee, und wenn man genau unten am Tegernseer Schlosspark beginnt, sind es exakt 500 Höhenmeter zum Gipfel und zur Alm.
Und 50 Wochen im Jahr gäbe es auch überhaupt nichts zu bemängeln, wenn man da hinauf radelt, durch den schattigen, würzig riechenden Bergwald im letzten Novembersonnenschein. Wir sind hier im Einklang mit der Natur, der ökologische Fußabdruck ist sogar mit Pedelec klein, vor allem, wenn man wirklich alles mit dem Rad und nicht mit dem Pedelec fährt. Rechts des Weges plätschert ein kristallklarer Bergbach, die Farben des Herbstes pinseln den Mischwald grellbunt, und weil Samstag ist, kommen einem auch gut gelaunte Menschen entgegen, die geahnt haben, dass es in den Bergen doch noch schön wird. Grüss Gott und Servus schallt es durch den Wald, an einem der letzten Tage der 50 guten Wochen, während derer man vernünftig darüber reden kann, wie sich der Mensch in der Natur und mit ihr verhalten sollte.
Und das ist dann nach einer Stunde gegenseitiger Freundlichkeiten der Bergkameraden die Alm. Nach Osten sieht man den Wendelstein, weiter bis zum Wilden Kaiser, und bei guter Fernsicht erheben sich, schon weiß mit dem glitzernden Schnee des kommenden Winters prunkend, die Hänge des Großvenedigers.
Und nach Westen sieht man den Hirschberg, den Wallberg, die markante Spitze des Leonhardsteins, Ross- und Buchstein, die Blauberge, und das Karwendelmassiv. Es ist eine Pracht und in ihr, im Sommer, bis vor ein paar Wochen, stehen hier die Kühe und fressen Gras in einem ein Panorama, besser könnte es in keinem Luxushotel sein. Es gibt hier kein Spa, nur die Wassertröge, in die Menschen sich nicht legen dürfen, und wenn man zum Gipfelkreuz geht, sollte man auf Kuhfladen achten. Jetzt jedoch ist das alles bereits getrocknet und schon wieder Teil der Grasnarbe geworden. 50 Wochen im Jahr wird das alles respektvoll betrachtet, denn tatsächlich sorgt der Dungeintrag der Kuh auf der Alm dafür, dass der Humus anwächst. Auf einer Alm fäkalieren sich die Kühe selbst so nach oben, wie der Berliner sich mit sog. Kulturschichten voll mit Spritzbestecken, Patronen, alten Matratzen und zertrümmerter Sanitärkeramik ebenfalls stratigraphisch nach oben bewegt – nur ohne Milch, dafür aber mit Genderforschung. Die auf der Alm entstehende Erde wiederum ist ein Kohlenstoff- und Energiespeicher: Nicht umsonst wird Kuhdung in der 3. Welt bis heute als Brennmaterial verwendet. Hier wird er der neue Untergrund für frisches Gras. Grob gesagt ist es so, dass eine Kuh auf der Alm mit der Entstehung von Dung und dem Kohlenstoffspeicher Erde das wieder ausgleicht, was man ihr die zwei fehlenden Wochen im Jahr während der Weltklimakonferenz anlastet: Ihre Methanproduktion.
Denn Kühe geben nun mal Fäkalien, Milch und Methan, und Methan wiederum soll 23 mal so klimaschädlich wie CO2 sein. 50 Wochen lang ist man froh, eine Kuh auf der Wiese zu sehen, 2 Wochen lang, während der Weltklimakonferenz, verteufelt man die Kuh als Klimakiller, und besonders gern tun das Grüne, die ohnehin meinen, der Veggieday sollte in Grundgesetz, und der Umstand, dass sie ihre Hybridleasingautos im Wahlkampf jetzt gegen Ministerlimousinen eintauschen wollen, sollte besser beschwiegen werden. Die Kuh eignet sich als Sinnbild für den übermäßigen Fleischkonsum des Westens ideal, um die Probleme dort zu suchen, wo es keinen grünen Wähler gibt, sondern nur ein paar rebellische Milchbauern, die inzwischen unten im Tal ihre eigene Heumilchkäsegenossenschaft aufgemacht haben. Eine Kuh hat bei der Wahl keine Stimme, die kann man als Klimakiller bezeichnen, auch wenn sie bei uns eine einzigartige Kulturlandschaft am Leben erhält – mitsamt den darin herumwuselnden Insekten, die andernorts aussterben. So ein Drecksvieh hat mich hier oben übrigens jetzt im November noch gestochen.
Während die Kühe bereits unten im Stall sind und weiterhin getrocknetes Heu bekommen, für echte Milch und echten Käse, der nach Bergkräutern schmeckt, treffen sich also 25.0000 aus 190 Ländern nicht naturnah mit dem Gleitschirm eingeflogene Politiker mit Anhang und überlegen sich, was sie mit “der Kuh” machen, die wegen ihrer Methannatur so gefährlich zu sein scheint, wie “der alte, weisse Mann” wegen seines Testosterons. Es gibt da durchaus Ideen Frankenstein’scher Art: Mit der Fütterung von Mais leidet zwar der Pansen der Kuh, aber die Methanabgabe lässt sich senken. Man kann auf theoretisch das Methan aus der Kuh absaugen, oder an die Kuh naturfremde Zusatzstoffe verfüttern, die die Methanentstehung reduzieren. Und man kann Hochleistungsrinder produzieren, die bei gleichem Methanmenge mehr Milch erzeugen. Das alles kann man prima in engen Ställen machen, damit die Milch bezahlbar bleibt und die Ökobilanz für das Klima besser wird. Denn die Kuh ist der Klimakiller, sagt der Mensch, dem Klimakiller Kuh darf man schon mal ein Loch in den Pansen machen, oder ihm Genmais vorsetzen. Und bei einem Milchpreis unter 40 Cent ist es nur eine Frage der Zeit, bis der freilaufende Klimakiller Kuh, der sein Methan in die Bergluft ablässt, durch das Bauernsterben von selbst verschwindet. Man kann genetisch sicher ein methanarmes Milchmonster bauen, gegen das ein Miesbacher Fleckvieh ein elender Minderleister ist. Hauptsache, die Öko- und Firmenbilanzen stimmen.
Heute beginnen die Hage im Oberland mit ihren eingebetteten Weiden in etwa bei Warngau, früher waren sie auch weiter nördlich zu finden – einfach, weil die Heumilch die einzige Milch war, die es gab. Damals war es auch so, dass die Menge der erwirtschaften Nahrungsmittel die Menge der lebenden Menschen definierte. Gab es weniger zu essen, lebten weniger Menschen, da gibt es einen historisch problemlos nachweisbaren Zusammenhang. Dass heute so viele Menschen in Deutschland täglich Fleisch und Milch essen können, anstelle von Getreidebrei und ein Huhn alle vier Wochen, und dass wir nicht mehr im September Apfelkompott einkochen und Eier für den Winter mit Kalk überdecken, liegt am technischen Fortschritt, der es erlaubt, tausend Kühe in einem Stall den Winter durchzufüttern. In Zeiten von Sense und Heuwagen war das noch unvorstellbar. Jetzt geht das, jetzt entsteht das Methan, jetzt merken wir, dass es nicht gut ist, und machen zwei Wochen im Jahr “die Kuh” verantwortlich. Auch wenn einem jeder seriöse Wissenschaftler die restlichen 50 Wochen mitteilen wird, dass die Kuh am Tegernsee auf der Alm mit Grasfütterung kein Umweltproblem darstellt.
Ich kenne die Milchbauern hier persönlich, und sie haben mir versichert, dass sie überhaupt kein Problem haben, die 30.000 Menschen der Region zwischen Bad Tölz und Miesbach vollauf und in der ökologisch gewünschten Form mit Milch und Fleisch zu versorgen. Bei uns stimmt die Bilanz, teilweise geht unsere Milch auch bis nach Italien, und das Fleisch in die besten Restaurants der Münchner. Wenn woanders die Viehzucht das Klima wirklich killt, dann liegt das nicht daran, dass es dort zu viele Kühe gibt – sie werden wegen zu vieler Menschen nur falsch gehalten. Bei der Produktion von Futtermittel fällt zudem auch noch extrem klimaschädliches Lachgas an, und der Anbau von Mais, getränkt in Pflanzenschutzgift, gilt als mitverantwortlich für das Insektensterben.
Wenn wir nun der Meinung sind, wir sollten da etwas grundlegend ändern, weil es sonst zu spät ist und wir in der Klimakatastrophe fegefeuergleich rösten – nun, nichts hindert uns daran, den Viehbestand den natürlichen Ressourcen unserer Heimat anzupassen, und den bevölkerungspolitischen Rest dem freien Spiel der Kräfte in der Nahrungskette zu überlassen. Bei uns neben der Alm sehe ich keine Probleme, in Berlin wird man vielleicht die Freuden der Ziegenzucht in Hipsterkreisen neu entdecken: Sie glauben gar nicht in war für entvölkerten Trümmerlandschaften so eine Zige noch etwas zum Essen findet, und Milch und Fleisch liefert, weitgehend methanfrei übrigens.
Klimaskeptiker behaupten, es würde sich alles schon wieder einrenken, egal wie viel Methan aus Megaställen der Züchter in Umwelt entweicht. Das glaube ich nicht. Aber als Historiker kenne ich den interdisziplinär unbestreitbaren Kausalzusammenhang zwischen Nahrungsverfügbarkeit und menschlicher Population. Das gleicht sich tatsächlich wieder aus. Ich jedenfalls sehe der Zukunft mit dem Glockenklingeln der Kühe auf meiner Alm gegenüber im Ohr mit grösster, klimaneutraler Gelassenheit entgegen. Es muss nur noch jemand diesen Kreuzbergalm-Plan der natürlichen Viehpopulation, der viele mit Berge mit Kreuzen schaffen wird, der Weltgemeinschaft in Bonn erklären. Jeder grüne Privilegienchecker wird das sicher einsehen und zustimmen.
(Falls Sie das nicht wollen: Suchen Sie sich einen guten Metzger, schauen Sie nach Produkten aus richtiger Milch von guten Käsereien, und fahren Sie mehr Rad. Das ist ein Anfang. Sterben werden wir trotzdem alle.)