No country for old women
Als ich jüngst einen Beitrag über Cellulite und deren Bedeutung beim Sex schrieb – ungefähr bei Null ist sie anzusetzen – schrieb eine Leserin aus dem bayerischen Oberland, ihre Grossmutter hätte mich, wäre sie noch am Leben, dafür ja sofort eingeladen und bekocht und dann versucht, mir eine ihrer Enkelinnen anzudrehen. Das hört man gerne. Weniger, weil man es darauf abgesehen hat, über diese Tätigkeit hier nach Rosenheim zu heiraten, denn wie das mit einer dortigen Landrichterstochter und Faschingsprinzessin ausgeht, auch davon kann die Familie ein Lied singen, das hier keinen etwas angeht. Sondern vor allem, weil man sich bei solchen Äusserrungen gleich verstanden weiss: Man ist nicht allein mit der Erfahrung, dass man ab einem gewissen Alter nicht mehr als Mensch, sondern als Problem gesehen wird, das es zu beheben gilt. Im Oberland sind es die Enkelinnen, die weg müssen, daheim war ich es.
Meine Grossmutter hätte es nämlich genauso gemacht, weshalb es gar keine schlechte Idee war, interessanten Damenbesuch mit oder ohne Cellulite ihr gegenüber nicht allzu sehr zu rühmen. Ich muss das vielleicht erklären: Das Haus, in dem ich wohne und geboren wurde, ist recht gross, und Herr war hier meine Grossmutter. Meine Eltern hatten hier eine Wohnung, zogen aber bald ins Westviertel. Die glaubten, ihre eigenen Kinder würden das schön finden und später in die Einliegerwohnung ziehen. Ich dachte überhaupt nicht daran, und sobald ich halbwegs erwachsen war und sich die Gelegenheit bot, in die Altstadt zurück zu ziehen, okkupierte ich eine Dachkammer und wohnte wieder mit meiner Grossmutter unter einem Dach in dem Haus, das für mich immer das Haus schlechthin gewesen ist. Auf dem Weg nach oben, sei es nun allein oder in Begleitung, musste ich an ihrer Tür vorbei, dieselbe hatte einen Spion, und so war die alte Dame stets gut informiert über das Kommen und Gehen im Haus. So war das damals, Privatsphäre galt hier in etwa so viel wie die Verfassung dem obersten Verfassungsaushöhler im Innenministerium, und der freie Wille des Menschen, nun: „Dich fangt schon noch eine ein”, pflegte meine Grossmutter zu sagen, wenn ich log, dass die Tochter der S. und die Buchhändlerin P. nur gute Bekannte seien „und dann wirst Du aufgramt”. Damit die Schlamperei ein Ende hat.
Und dann wirst Du aufgeräumt. Man muss sich das versinnbildlichen, um den Inhalt so zu verstehen, wie er gemeint ist. Es heisst nicht, dass ich nach einer Odyssee über weibliche Kontinente einen Platz für das Leben gefunden hätte, also aktiv etwas suchen und entdecken würde. Es heisst auich nicht, dass im Rahmen einer gemeinschaftlichen Beziehung eine Liebe erwächst, die dann ein Zusammenleben in fairer Partnerschaft nach sich zieht. Es heisst noch nicht einmal, dass man sich eventuell, vielleicht, aufgrund des Ehegattensplittíngs und der Wegverheiratung anderer Optionen überreden lässt, zu heiraten. Nein, es heisst im besten Fall: Der Ungebundene ist nicht aufgeräumt; allenfalls ein Gegenstand, den endlich jemand wegräumen muss, und was er selbst davon hält, ist egal. Im schlechteren Fall steht das Aufräumen in der Tradition der Müllbeseitigung. Wie auch immer: Es ist unordentlich, gegen die Ordnung der Welt, da muss eine g’scheide Frau her, die das wegputzt und sauber macht. Der nicht Gebundene: Ein Stück Schmutz im Familienheilsplan, sagen wir es, wie es ist. Wie ein Knopf, zu dem nichts passt.
Nun ist das Wegducken der Männer vor Ehe und Verantwortung und die Orientierung zu Abwechslung und Lebensfreuden keine neue Sache; aber meine Grossmutter wäre rein biologisch nicht meine Grossmutter gewesen, hätte sie es nicht selbst geschafft, selbst einen Bekannten „aufzuräumen”. Sie wusste also, wovon sie sprach, wie auch die Grossmutter aus Rosenheim gewusst hätte, was da zu tun ist. Nachdem deren Enkelin jedoch den Konjunktiv bemühte und darüber hinaus gar keine Anstalten machte, dem Wunsch ihrer Vorfahrin eigenständig nachzukommen, nähern wir uns dem eigentlichen Kernproblem der Beseitung von menschlichem Müll: Der Unfähigkeit der Jugend bei den entsprechenden Aufräumarbeiten. Oder, wie es meine Grossmutter unvergleichlich auszudrücken beliebte: Sch****-Pille, ohne die hätte Dich längst eine aufgeräumt.
Womit sie vielleicht nicht ganz unrecht hatte, allein, es is wias is, sagt man bei uns in Bayern, und tatsächlich ist dieser entscheidende und alt bewährte Putzlumpen beim Aufwischen von Männerschmutz aus dem Heilsplan für immer abhanden gekommen, wenn man etwas aufpasst. Sinnreich wäre es jetzt, neue Mittel zu finden, wie man das organisiert – aber alleinstehende Frauen gehen gemeinhin arbeiten und haben die beste Ausrede, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Früher traf Putzwillen auf Schmutzdasein, heute ist irgendwo der Karrierewille und irgendwo anders die Paarungsnotwendigkeit, die über Matching Points bei einem Internetdienst betrieben wird. Keine Matching Points, kein Interesse am Aufräumen. So ein System spuckt Dutzende aus. Frau muss sich nicht mit jenen herumschlagen, die ihr Desinteresse an dauerhafter Bindung noch nicht einmal zu diesem Markte tragen. Und die entsprechenden Damen machen es wie ich echten Leben auch: Das Problem wird an eine Hilfskraft ausgelagert, an die digitale Lebenspartnerschaftsschneiderin und Bekanntenprofilputzfrau in einem. Da finden dann sicher die Richtigen zusammen.
Und so fliegt das, was früher Zeit und gesellschaftlicher Druck vereinten, auseinander: Hier die einen, die sich nicht aufräumen lassen wollen, und dort die anderen, die ihr Leben aufgrund des äusseren Drucks wie einen Baukasten planen. Ich wage zu behaupten, dass Grossmütter dergleichen auch mit Argwohn betrachten, denn tatsächlich kommt hier durch die Hintertür der Partnerberechnung die wenig geliebte und zumeist auch grossmüttterfeindliche Zweckehe wieder herein; man schraubt an den Parametern und bekommt ideale Ergebnisse, wie sie keine verwitwete Grosstante besser mit ihrer Freundin ausschachern könnte. In der Folge: Vielleicht etwas weniger Gefühl. Und damit auch weniger Mörtel, der die Beziehungsaspekte zusammenhält, dann rieselt es, Brocken fallen heraus, und am Ende muss wieder aufgeräumt werden, aber diesmal vom Scheidungsanwalt. Man muss die nüchterne Betrachtungsweise des Aufräumens von Ungebundenen nicht mögen, aber so eine Grossmutter nimmt Anteil und überlegt sehr genau, wem sie welche Enkelin aufschwatzt – aber so ein Programm mit Matching Points? Wo sich die Anfragen von Frauen verdreifachen, wenn man als Beruf statt „Journalist” das schöne Wort „Berufssohn” eingibt?
Die Interessen der eigenen Familie gingen da sehr viel weiter: Hatte ich erklärt, dass ich überhaupt noch keine Neigung verspüre, mich an eine einzige Frau zu ketten und wenn doch dann nur aus freiem Willen und nicht für Kinder, gab es eine typische Antwort. Geheiratet wird. Weil wohin sollen wir dann mit unserem ganzen Sach – mit Sach gemeint sind die angehäuften Vermögenswerte. Es mag als der Gipfel der Entmenschlichung des Enkels erscheinen, ihn gewissermassen als Pipeline des Vermögens in eine Zukunft zu betrachten, die kein Betroffener erleben wird, zumal heutige Erben mindestens eine so sichere Bank wie Rettungsschirme der EU sind. Aber es zeigt: Hier wird mit Bedacht agiert und überlegt. Nicht nur die Gegenwart spielt eine Rolle, auch die Zukunft und ihre dann hoffentlich immer noch im Sinne der Familie agierenden Fortpflanzen. Die dann hoffentlich wieder die passenden Partner finden. Und so weiter. Und so fort.
Vermutlich in der Hoffnung, dass es so etwas wie einen Generationenvertrag der Freiheitsrechtsaufkündigung gäbe: Jede Generation könnte dann den Nachfahren klar machen, was sie zu tun hätten. Eine drollige Vorstellung, vorgestrig und nicht mehr modern. Wer verzichtet heute schon auf seine Freiheiten. Ich glaube ganz sicher, zumindest höre ich es so, und warum sollten junge Mütter lügen, dass die Kinder gerne schon im Kindergarten Englisch lernen und froh sind, so schnell wie möglich das Studium anzutreten, und dass man ihnen das TV reglementiert, sagt noch lang nichts darüber aus, ob man später die angeschleppte Buchhändlerin nicht wie jeden anderen Menschen auch fair und freundlich behandeln würde.
Solange der sich bloss nicht mit der abgibt und später mal eine heiratet, mit der man sich sehen lassen kann.