Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das abgesperrte Tor zur Welt

München ist gerade dabei, sein Weltstadtherz für sich selbst zu entdecken: Nie ist ein Prosit gemütlicher, als wenn die Fremden draussen am Flughafen im Stau stehen.

Wegen Reichtum geschlossen
Türschild an Südtiroler Hotels im Herbst

Vor ein paar Jahren gab es im schönen München einen Bürgerentscheid zum Bau von Hochhäusern. Im Norden und Osten der Stadt hatten sich einige Firmen architektonisch überverwirklicht, und den Münchnern war das zu viel. Also stimmten sie mehrheitlich gegen diese monströsen Bauten. In ganz Deutschland lachte man sie aus, München sei ein Dorf, zurückgeblieben und nicht zukunftsfähig, was sollten nur die Investoren sagen. Das gleiche sagte man den Münchnern, als sie sich zusammenrotteten, um den Transrapid zum Flughafen zu verhindern. Wie könnte man das tun! München müsste international konkurrenzfähig bleiben, man müsse an das Wachstum denken, der Manager sollte in nur 8 Minuten vom Hauptbahnhof, äh, also… Das alles kam nicht.

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Es wird weiterhin verdient, gebaut, und luxussaniert. Wider aller Erwartungen, Befürchtungen und höhnischer Bemerkungen in anderen Städten über dieses Dorf ging es München auch weiterhin gut. Sehr gut. Sehr viel besser als dem Rest des Landes. Keine einzige Firma wandte sich ab, weil sie kein Hochhaus mehr bauen kann. Die Manager kamen weiterhin mit den Autos vom Flughafen. Man weiss in München sowieso nicht, wohin mit noch mehr Firmen, Menschen und Zuwanderern aus jenen Städten, die München die Zukunftsfähigkeit absprechen. Bochum. Rüsselsheim. Halle. Bad Homburg. Wattenscheid. Hamburg. All diese Krisengebiete, schrecklich. München hat deshalb viele Probleme, der extrem hohe Anteil innerdeutscher Ausländer, der Bierpreis auf dem Oktoberfest, die Verringerung des Salzes auf Brezen für den winseligen Geschmack der Zugezogenen, und das dauernde Gejammer der verarmten Managementflüchtlinge aus dem Norden, dass sie keine Immobilie finden. Aber an der Infrastruktur gibt es nichts auszusetzen.

Und nun sollen sich die Münchner am Wochenende entscheiden, ob die Stadt im Aufsichtsrat des Flughafens für oder gegen eine neue Startbahn sein soll. Und wieder sagen die Befürworter der Heimat, die man liebt, indem man sie zubetoniert, dass es wichtig für den Standort ist. Dass man die Infrastruktur wegen der Arbeitsplätze braucht. Dass München den Anschluss zur Welt benötigt. Dass mehr Passagiere kommen, und die Stadt zukunftsfähig und weltoffen bleiben muss. Die Münchner sollte doch bitte kein Signal aussenden, dass sie etwas gegen diese Welt haben und den Zugang verrammeln möchten, wie sähe das denn aus. Wie es aussieht, sah ich letzthin auf der Maximilianstrasse.

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Ja, die Welt. Also, mit der Welt ist es so, dass es kaum möglich ist, draussen im einzig sinnvollen Cafe an der ganzen Strasse einen Platz zu bekommen. Denn die Welt ist schon da, aus dem Orient, trägt italienische Fussballerkleidung und hat die heimatliche Musik auf dem Handy GANZ LAUT LAUFEN. Vorne fährt ein überlanges amerikanisches Automobil vorbei, mit Erdinger Kennzeichen, wo der Flughafen ist, und aus den Fenstern hängen kreischende Blondinen. Ein Schwarm von mittleren Managern von Woandersher, die sicher alle Focus und GQ lesen, pöbeln die Bedienung an, weil sie meinen, sie hätten hier reserviert und sie würden auch ordentlich Kasse machen. Grüss Dich, Welt. Bitte noch einen Hugo für die Dame und einen Tee für mich. Es ist, wie es ist. Gengan’s hoid zum Hofbreihaus mid earna Blosn, möchte man ihnen zurufen. Die einzige Infrastrukturmassnahme, die in München wirklich interessiert, ist die Abschaffung der Autobahngebühren in Italien und Österreich, die den Weg an den See und ans Meer teuer machen. Da ist der typische Müncher öfter anzutreffen, als am Flughafen.

Es ist also gar keine Frage des Fluglärms, der Bodenversiegelung, der Zukunft oder der Wirtschaft. Es ist mehr eine Frage der richtigen Gentrifizierung der Stadt, ob man noch ein Tor aufreissen will und als ohnehin schon glücklicher Bewohner der besten aller möglichen Stadtwelten mit gehobenem Einkommen und sauberen Strassen mehr Konkurrenz haben möchte. Denn die Neukommenden machen die Preise kaputt und die Lokale übervoll, die Kellner schnippisch und die Opernkarten rar.. Noch mehr von denen, und der Immobiliensuchende wird dorthin ausweichen müssen, wo es billig ist, also billig für Münchner Verhältnisse: In die Einflugschneise der neuen Startbahn zum Beispiel. Und jene, die hier schon eine Wohnung ihr Eigen nennen, haben auch nichts davor. Sicher, die Wohnung wäre jetzt mehr wert, aber was soll man nach dem Verkauf tun? In die Einflugschneise ziehen?

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Mit Fremdenfeindlichkeit hat das nichts zu tun, der heutige Münchner ist selbst ein Fremder. Es ist die Angst der Wohlhabenden und Saturierten, die ihren gut eingerichteten Platz gefunden haben, vor den Reicheren, für die sie bestenfalls Kulisse und schlimmstenfalls ein Hindernis auf dem Weg zum Drittwohnsitz sind. Die Reicheren bringen noch mehr Geld in die Stadt als früher, aber inzwischen neigen sie auch dazu, den Münchnern dafür etwas wegzunehmen: Ihre Boulevards. Ihre Ruhe. Ihre Zufriedenheit. Ihren Wohnraum. Die Bedrohung fährt nicht mehr einen BMW mit Ebersberger Kennzeichen, sie fliegt aus Riad, London und Moskau ein. Wir am Tegernsee, wir denken oft daran, ob man den Münchner hier nicht am Wochenende ein wenig reglementieren, begrenzen und schnell wieder heimschicken kann. Wir finden den Stau auf der Bundesstrasse, in dem sie zwei Stunden grillen, gar nicht so furchtbar, im Gegensatz zu einer Verlängerung der Autobahn zu uns. Niemand versteht es besser als wir, wenn die Münchner nun ihrerseits sagen: Eine dritte Startbahn wäre in Ordnung, aber nur, wenn dafür alle Landebahnen geschlossen werden. Würden wir genauso machen.

Ausserdem sollte man das pragmatisch sehen: In einer Welt, in der Abgrenzung, Klasse und Prestige nur noch von flüchtigen Vermögen definiert wird, in der jeder überall alles vermag, der nur die Mittel hat, und in der den Kapitalströmen keine Grenzen gesetzt sind, ist so eine altmodische, hochgezogene Brücke, ein zu enges Gate und elende Wartezeiten auch für Reiche draussen, vor den Toren, im Erdinger Sumpf, quasi in der Seuchenstation zwischen den Fabrikbauten eine herrlich antiquierte und herzhafte Massnahme, die Herrschaften daran zu erinnern, dass vieles geht, aber auch nicht alles. Die kommen trotzdem aus dem US-Fahrzeug hängend hier an, da kann ein wenig Demut nicht schaden. Man braucht keine Startbahn, sondern eher einen wie den Wowereit, der solche Vorgänge gekonnt reglementiert. Aber so ein Ude, der innerlich still hofft, die Bürger möchten ihn von seiner früheren Startbahnzusage erlösen, damit er nächstes Jahr unbeschwert Ministerpräsident anstelle des Ministerpräsidenten werden kann, der geht zur Not auch.

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Die Ausländer kommen trotzdem. Die Wirtschaft will trotzdem nicht nach Rüsselsheim. Keine Massendemütigung, da hat man wirklich alles versucht, hat bislang das Oktoberfest verwaisen lassen. Wenn nicht noch mehr kommen, ist genug Platz und Sprizz und Hugo für alle da. Die Münchner sind zufrieden und bleiben auch mal ein Wochenende daheim, statt uns schon wieder den See zuzuparken, jozefix was soll dieser 7er hier, diese gscheade, elendigliche, gottverf…

Ein jeder also an seinen Platz. Der Zureisende in seine Schlange, der Münchner nach München und der Tegernseer findet das gut.