Aber ich fürchtete das Unpassende. Es kommt ja alles in die Zeitungen.
Johannes Brahms an Clara Schumann
Die P. ist ein Engel. Charmant, witzig, immer gut gelaunt, und keine, die ihre Patienten achtlos ins Bett wirft. Die P. hat als Pflegerin einen sagenhaften Ruf und ziemlich viele sagen ihr auch, dass sie sich doch selbstständig und das Geschäft selbst machen sollte. Kunden, und zwar gut betuchte und grosszügig zahlende Kunden gäbe es genug: Die Überalterung unserer Gesellschaft, die Qualität der Altersheime und die Neigung der familiär eingestellten Reichen vom alten Schlag, ihre Anverwandten nicht einfach in einem Heim abzuladen, sorgen ganz von selbst für einen wachsenden Markt.
Allein: Die P. will nicht. Die P. ist zufrieden, wie es läuft, sie macht halt ihre Arbeit und das reicht ihr. Würde sie sich ausgründen wollen, man würde, um sich ihre Gunst zu erhalten, sicher behilflich sein, aber sie fühlt sich etwas zu alt und was sie verdient, reicht ihr. Wenn wirklich Not am Mann sein sollte, hat sie aber gute Kontakte in ihre Heimat. Dort hat der real existierende Sozialismus im Verein mit dem polnischen Katholizismus sagenhaft tatkräftige und kompetente Haushälterinnen entstehen lassen, deren Dienste dort aber nicht sonderlich geschätzt werden. Die P. jedenfalls kennt sich aus und kann immer eine ansonsten von den Zuständen im postkommunistischen Osten wenig begünstigte Frau vermitteln, die dann kommt und hilft. Platz ist in den Villen ja überreichlich vorhanden, die Bezahlung ist, am polnischen Niveau gemessen, exzellent, und die Nachfrage ist so gross, dass man sich Ausbeutungsverhältnisse gar nicht leisten kann.
Nicht jede sieht das so, es regt sich auch Protest, und dort wäre die P. fast so etwas wie eine Menschenhändlerin. Zwischen den bayerischen Villenvierteln und den zerfallenden Industriekombinaten des westlichen Polens liegt etwa der soziale Brennpunkt Berlin mit seinen vom Leben überforderten Randgruppen, die am Tag über Pop schreiben, weniger schöne Arbeit als kapitalistische Unterdrückung ablehnen, in der Nacht feiern und dazwischen kaum wahrnahmen, in welchen prekären Verhältnissen sie leben. Falls doch, stellen sie sich hin und fordern eine gerechte Verteilung der Vermögen in Deutschland, rrrrradikale queer-feministische Denkansätze und natürlich auch das Verbot der Ausbeutung von Migrantinnen, die durch ihre Arbeit andere, Berlinerinnen nicht gefallende Lebensmodelle wie etwa “nicht alleinerziehende Mütter” ermöglichen. Ist die Polin erst mal weg, so die Theorie, ist die Frau mit der ganzen Arbeit allein und dann wird sie aufstehen und sich gegen die Unterdrückung des Mannes so zur Wehr setzen, wie man das in der Berliner Platte sehen will, und Hefte über Popkulturtheorie statt Landlust kaufen, Die polnische Haushälterin darf sich also schon mal als die legale Erbin der Prostituierten betrachten, über die im gleichen Ton gesprochen wird und zum Wohle des Weltbilds verschwinden soll. Das hilft natürlich in Osteuropa niemandem, aber sehr wohl der feministischen Theorie.
Da haben wir also auf der einen Seite die gelebte Realität der ansonsten ungenutzten Räumlichkeiten in übergross gebauten Villen und dem aus Sicht Osteuropas absurden Luxus, der hierzulande verfügbar, und mit einer Tätigkeit sogar teilweise finanzierbar ist. Wir haben wieder ein System der Empfehlung von Haushaltskräften, für die ein Leben in Deutschland allemal angenehmer als ein Dasein in Osteuropa ist, wo sie kaum gut bezahlte Stellen finden – was frau in Berlin gern vergisst, Osteuropa hat durchgehend immer noch schwer an den Folgen der Finanzkrise zu leiden, und die wiederum betrifft besonders die Frauen. Möglicherweise wäre das ganze System nicht nötig, vielleicht könnte das auch ein Mensch allein schultern und die Polinnen in Polen lassen, und vielleicht sind 300 m² auch ein wenig viel Wohnfläche gewesen. Aber es wäre etwas viel verlangt, zugunsten von Berliner Gesellschaftstheorie in eine kleine Platte zu ziehen und dort dann ohne Park mehr Zeit für eine Neuverteilung der Arbeit und Leistungen in der Familie zu haben. Ausserdem ist die Wiederkehr dieses vertraulichen Verhältnisses zwischen den Menschen in so einem grossen Haus auch etwas Nettes und erinnert an die grossen Zeiten vor 130 Jahren, da wir hier noch ein ganzes Hinterhaus für das Personal hatten, anders war das gar nicht möglich. Damals galten übrigens Ungarinnen als besonders zuverlässig.
Auf der anderen Seite… auf der anderen Seite höre ich solche Forderungen zur Abschaffung von Haushaltskräften als Mittel zur Durchsetzung neuer Rollenverteilungen der Geschlechter mit mehr Teilhabe für Frauen ausschliesslich von ganz bestimmten Frauen, die nicht wissen, was eine Villa an Arbeit bedeutet. Ich glaube sogar, die wissen überhaupt nicht, was das ist, Arbeit. Also jetzt mal im Sinne eines geregelten Erwerbslebens. Das sind dann mehr so “freie Autorinnen” aus Berlin, und nach meiner bescheidenen Meinung heisst “freie Autorin” oft genug “alles andere wäre ja Arbeit” machen sie halt das, was sie für Kultur halten, was sie für Kultur halten, Pop, Theorie, Politik, Diskurs, 28 Quadratmeter in Neukölln und die Hoffnung, der Senat möchte weiterhin Projekte und Aktionen bezuschussen. Stünden sie in einem Konkurrenzverhältnis zu den besagten Polinnen, würde man sie bei uns wohl eher nicht nehmen: Nach allem, was sie von ihrer Haushaltstauglichkeit bei Twitter zeigen, wissen sie weder mit Goldrandgeschirr umzugehen, noch wie vorsichtig historische Perserteppiche gesaugt werden sollten. Grosso Modo kann man von unserer Seite aus sagen: Die Verschiebung unserer eigenen sozial Benachteiligten in den bürgerkulturfernen Release-Party-Kulturbetrieb der Hauptstadt verhindert eine vorteilhafte Anstellung als Dienstmädchen; da bleibt gar keine Alternative als die Polin, die am Abend lieber Karl Moik betrachtet, statt dass sie mit Freundinnen für radikalfeministische Popgruppen probt.
Für das Berliner Selbstgerechtigkeitsempfinden mag es seltsam scheinen, aber es ist nun einmal so, dass die Gesellschaft über eine wohlhabende Oberschicht verfügt, und auch viele Gruppen, die gern und gut bezahlt für sie arbeiten. Wir haben das übrigens auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht minder, ohne dass ich je ernsthafte Klagen der Berlinerinnen zur Lage des Reinigungspersonals der U-Bahn oder der Theater, die ihnen die Stadt zur Verfügung stellt, gehört hätte. Jeder, der schon einmal in Berlin den öffentlichen Personennahverkehr benutzte und das überlebt hat, wird fraglos nach der Besichtigung eines besseren Viertels erkennen, wo hilfreiche Geister mehr Freude am Dasein haben werden. Dort, wo sie jetzt der Bannstrahl der Berlinerinnen trifft und sie angeblich brutal ausgebeutet werden.
Meine Erfahrungen sind da anders; vollkommen zutreffend etwa hat unsere Haushälterin damals erkannt, dass aus mir nichts werden würde, dass ich mir niemals eine richtige Perle würde leisten können, und deshalb alles selbst können müsste: Kochen, putzen, waschen, reparieren, Heizungen auffüllen, Teppiche ausklopfen, Kronleuchter zum funkeln bringen, Holz hacken, backen, Torte servieren, mit dem Pastetenheber balancieren, dekantieren, Gemälde abstauben und Silber polieren. Das war eine harte Schule und tatsächlich verbringe ich jetzt jedes Jahr zwei Sonntage damit, die Teekannen und Leuchter an beiden Wohnorten schön zu machen. Das sind nun mal die Folgen der bürgerlichen Kultur, davon profitiert meine Familie, unser Ansehen ist gut, und die Gastlichkeit wird gerühmt. Nach meiner bescheidenen Meinung kann man nachweisen, wie wichtig und lobenswert die Hilfe im Haushalt für die Restkultur in diesem Lande ist. Haben Sie schon einmal einen feministischen Text über die Bedeutung des Pastetenhebers im ordentlichen Haushalt gelesen?
Woran das liegt, darüber kann ich nur grobe Vermutungen anstellen, die nur unwesentlich besser als hochwissenschaftliche Genderstudies fundiert sind; ich habe ein wenig den Eindruck, dass dort – wie übrigens auch bei uns, das steht überhaupt nicht in Frage – die Vorstellung herrscht, die Welt würde besser fahren, könnte man sich ihren Gepflogenheiten anpassen. Den Wunsch, Polinnen zu verdrängen und an ihrer Stelle bei uns ehrbar zu leben, kann man wohl ausschliessen. Vielleicht möchten sie auch einfach nur mehr pflegeleichten Plattenbau. Oder mehr Zuschüsse für ihre Kunstprojekte: “Wenn Ihr schon nicht bereit seid, Euren verkommenen Lebensstil zu ändern, dann gebt uns wenigstens Planstellen, Geld, Blogs und Theater, damit wir Euch sagen können, wie verkommen das ist.”
Die P. könnte übrigens auch Ratschläge geben, wo es in Polen wirklich tolle Industriehallen für umsonst gibt, in denen man sicher grandiose Performances machen kann, mit viel Wald aussenrum und bröckelnden Dörfern. Das ist dann gerecht, nehme ich an.
HINWEIS:
Ob das Versagen des Bildhochladers gerecht ist, weiss ich nicht – aber aufgrund der technischen Unzulänglichkeiten möchte ich um die Benutzung des Kommentarblogs bitten.