Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wie Reiche beim Essen prassen

Zu Silvester stürmen Vermögende teure Restaurants und verschwenden Millionen bei Hummer und Kaviar. Unter drei Sternen und Wassersommelier geht gar nichts, berichten Journalisten der Klatschpresse, aber als Bewohner erstklassiger Lagen hat man einen anderen Eindruck.

Butter! Nie Margarine.
Meine Grosstante

Es gibt Fragen, die hört man als Tegernseeanwohner nur, wenn man nicht dort ist. Die klingen in etwa so: “Sagen Sie mal, da war im TV-Programm soundso die Serie XY und spielte am Tegernsee und da war so ein Restaurant zu sehen mit Blick auf den See, das sah wirklich toll aus also kennen Sie das?” Oder “Da gibt es doch auch diese Restaurants die im Michelin so hervorragend abgeschnitten haben, kennen Sie die?” Nun habe ich kein Fernsehgerät und auch keinen kulinarischen Reiseführer, denn einerseits habe ich vor dem Fenster die Berge und andererseits bin ich kein Tourist, der so etwas bräuchte. Aber in der Regel weiss ich, welche Lokale sie meinen. Es gibt am See ein paar Restaurants, in denen jene Filme gedreht werden, die Menschen falsche Vorstellungen vom Leben hier vermitteln. Und ab und zu kommen Fremde an den See, weil im Michelin drei Sterne für ein Restaurant stehen, was in etwa bedeutet: “Dafür lohnt sich die Reise.” Und nochmal andere würden, könnten sie sich die Fahrkarte leisten, uns dafür die Fenster einwerfen.

Am unteren Bildrand, knapp über den dunklen Bäumen, ist so eine Beule im See zu sehen. Das ist die sogenannte Überfahrt, und dahinter breitet sich Rottach-Egern aus. Da also fahren diese Leute hin, weil man jenseits des Sees so viel davon hört. Und es gehört zu den unausrottachbaren Gerüchten, die das Fernsehen verbreitet, dass wir Anwohner tatsächlich auch dorthin fahren, mit dem Auto an einem sagenhaft geschmacklosen, goldenen Stern halten, das dortige Hotel betreten und so tun, als könnten wir mit der dortigen Küche etwas anfangen, und wir würden genau wissen, welcher Wein zu bevorzugen ist. Wir Tegernseeanwohner haben es ja, wir können es uns leisten. Und obendrein könnte es den weitgereisten Gästen vermutlich gar nicht gefallen, würden sie die Grundlosigkeit ihrer Erwartung entdecken, ein Mahl unter den hier Lebenden einzunehmen. Man stelle sich nur vor, der verlotterte Typ da drüben wäre gar kein exzentrischer Multimillionär aus Bad Wiessee mit Jagd und Alm, sondern wirklich nur ein Journalist mit verbeulten Hosen, der aus Recherchegründen, was sonst, auf Kosten des Hauses isst. Degoutant!

Viele von denen, die wirklich hier wohnen, haben eine etwas längere, und über Generationen zurückreichende Familiengeschichte, und das wird Vorabendserienanschauer vielleicht enttäuschen, aber: Diese Geschichte verlief in Deutschland zwangsweise ohne grössere Festlichkeiten in Sternerestaurants. Das beginnt schon damit, dass die Feinschmeckerei nach französischem Gusto französisch ist, und ihren Siegeszug in den Köpfen der Parvenüs erst antrat, als die meisten Familien schon zu einem gewissen Wohlstand gekommen waren. Und auch diesen Wohlstand erreicht man nicht durch Geldverschwendung beim Essen, sondern durch Gelderhaltung. Moderne Exzesse, bei denen eine Familie in wenigen Stunden einen doppelten Hartz-IV-Satz verspeist, mag es im TV geben, und sicher machen das da unten auch welche auf der Beule: Aber das ist nicht die Tradition. Die Tradition spielte sich vor allem zu Hause ab, gute Familien hatten immer auch gute und sparsame Hausfrauen, und die Erinnerungen erzählen vom Braten, der drei Stunden im langsam erkaltenden Holzofen vor sich hin schmorte. Und dass man den Geschmack überhaupt nicht mit modernen Gas- oder Elektroöfen vergleichen kann. Es gibt da übrigens ein Restaurant etwas abseits vom See, da wird das immer noch so mit Buchenholz gemacht, aber die Adresse sage ich nicht.

Mit dem, was heute als exquisite Küche gilt, konnte die Tradition überhaupt nichts zu tun haben – viele Zutaten waren damals entweder nicht bekannt, oder aufgrund fehlender Kühl- und Transportmöglichkeiten nicht verfügbar. Vor 100 oder 150 Jahren wäre auch eine Reise zu bekannten Restaurants nicht einfach gewesen. Und weil damals auch das Vermögen nicht nur in den wenigen grossen Städten zu finden war, gingen die Honoratioren der kleineren Städte eben in die besten Gaststätten, die verfügbar waren. In meiner Heimat etwa gibt es eine Dynastie, die es zu höchsten Anlagebetrugsehren gebracht hat, die den ganzen Freistaat erschütterten: Deren Stammvater sass mit dem meinem im Cafe-Restaurant K., wo alle waren. Der Gipfel der Extravaganz war der Besitzer der damals grössten Firma der Stadt, von dem es hiess, er ginge jeden Tag im Hotel R. essen. Und für den reich gewordenen Mediziner gab es hier kein grösseres Vergnügen, als selbst geschossene Viecher in den Ofen eines dunkel getäfelten Jagdhauses schieben zu lassen, draussen, in einem winzigen Dorf inmitten von Wäldern. Mit einer Sosse so fett und fest, dass man damit heute ein Schock Restauranttester vergiften könnte. Und noch zu meiner Jugend gab es einen Gasthof, der Kesselfleisch direkt nach der Schlachtung anbot. Die bluttropfenden Details sind ekelerregend, aber damals war es immer etwas Besonderes, das sich die besseren Kreise nicht entgehen liessen.

Reich war, wer sich jeden Tag Fleisch leisten konnte. Über die Zubereitung hat man sich keine Gedanken gemacht, man nahm halt, was da war, und das entscheidende Kriterium war die Menge. Ich kenne die alten Bilder der Männer meiner Familie und die erhaltenen Kochbücher: Zwischen den Mengenangaben und den Doppelspitzkegeln mit Kugeln oben drauf gibt es einen Kausalzusammenhang. Aber darin kommt kein Kaviar, keine Haifischflosse und auch keine Sauce vor. Nur Sosse, Eier, Butter und Fett. Was immer also Michelin, TV-Sendungen, Zeitschriften und Feinschmeckerkolumnen zum Essen in besseren Kreisen verbreiten: Es hat bei uns so viel Tradition wie Paris Hilton und so viel Akzeptanz wie Margot Honecker. Nur lachen können wir Tegernseer über neumodische “Traditionen” wie den auf einem Bergbachkiesel servierten Fisch: Wir wissen, dass der angebliche Bergbach im Kreuther Tal vor 100 Jahren von seinem Hauptzufluss abgetrennt wurde. Da drin gibt es keine frei lebenden Fische mehr, dazu führt der Bach zu wenig Wasser. Der Fisch kommt aus einer banalen Fischzucht, aber der Tourist glaubt nun mal gern, dass er mitsamt Stein aus dem Bergbach käme, und dass so gelebte Tradition aussieht. Dabei dürfte der typische Bergbauer früher nicht mehr als einen Holzlöffel und eine irdene Schüssel besessen haben. Und keinen Michelin.

Und ansonsten, ganz ehrlich: Selbst mit der Tradition ist es auch bei uns nicht mehr weit her. Während so ein Feinschmecker allein durchaus so ein Restaurant aufsuchen kann, ist die typische Tegernseefamilie längst vom Vegetarismus heimgesucht. Oder teilweise sogar vom Veganismus. Kaum einer schiesst hier das Reh noch selbst, aber viele Kinder wollen ihre Kühe und Gänse lebendig. Man kann mit solchen Einstellungen durchaus in Luxusrestaurants gehen und auch vorbestellen. Meine Erfahrung aber zeigt, dass all die ersten Häuser das Problem vor allem dadurch lösen, dass sie tierische Produkte ersatzlos weglassen. Bei gleichem Preis. Man kommt sich dabei übertölpelt vor, denn diese Häuser exerzieren ihre Rafinesse mit Vorliebe an Fisch und Fleisch, und der Rest sind unglaublich überteuerte Rohkostbeilagen mit ein paar Spritzern Glossa, serviert mit sehr verächtlichen Kellnerblicken Und das wiederum ist kulinarisch weltenfern von dem, was Veganer als “das ganze Universum der Hülsenfrüchte” bezeichnen. Meine Grossmutter nannte das abwertend “gnaschig”, aber so sind die Familien heute nun mal, und selbst, wenn ein Hotel diesen komplexen Ansprüchen genügte: Man macht so etwas einfach nicht im Alltag. Das macht man vielleicht im Urlaub, aber wer hier lebt, hat selbst eine Küche. Und eine Telefonnummer.

Die werde ich hier auch nicht veröffentlichen, aber, und das ist die ganze unschöne Wahrheit, am anderen Ende der Telefonnummer ist eigentlich immer ein normales Restaurant, das man als gutbürgerlich bezeichnen könnte. Am Ende meiner Nummer ist entweder ein Italiener oder ein bayerisches Restaurant, wo ich immer einen guten Tisch bekomme, wenn ich vorher anrufe. Beim Italiener warten die gleichen Mädchen wie überall auf die Pizza zum Mitnehmen, nur die Kleidung ist vielleicht etwas gehoben, und es gibt kein Piercing. Die starke Konkurrenz einer Touristenregion bringt es mit sich, dass die Verwendung regionaler Produkte und kulinarische Sonderwochen üblich sind, und weil die Restaurants mehr an die hiesige Kundschaft denken, müssen auch Veganer nicht verhungern. Im Sommer, Entschuldigung, ich weiss wie unglaublich banal das klingt, geht man auf eine Hütte oder an den Strand, wo es selten mehr als Kioske gibt. Oder bringt seine eigenen Sachen mit. Multimillionäre sitzen mit Bierflaschen an ihren Bootshäusern. Die besten Torten für alte Tanten gibt es in Cafes, da würde jeden Testesser der Schlag treffen, würde er die Inneneinrichtung der frühen 80er Jahre in diversen Brauntönen sehen. Trotzdem habe ich überhaupt keine Hemmungen, dort Pralinen zu kaufen und sie in Frankfurt als die Besten des Tegernsees anzupreisen: weil es stimmt.

Ja, also, die Sterneküche. Sicher, im TV sieht das vornehm aus, aber ganz ehrlich muss ich auch sagen: Meine Kronleuchter sind besser. Wenn ich Besteck des XVIII. Jahrhunderts will, bekomme ich es dort nicht. Das Porzellan ist nicht schlecht, aber nun ja. Die Gläser sind modern, und die umfassende Baccaratausstattung daheim, vom Onkel Toni für 11 Säuferfreunde, sollte man nicht erwarten. Meine Stühle sind Rokoko und keine Imitate. Und so weiter. Und so fort. Letztlich sitzt man auf einem Industrieteppich und stochert mit einer bestenfalls versilberten Gabel in Rüben, die nicht ganz durch sind. Zur Suppe gibt es wie kostbare Edelsteine abgezählte Semmelbröckerl, die hier Croutons heissen. Alles ist neu, alles möchte besonders sein und der Wassersommelier verspricht besondere Nuancen. Zwischen Tisch und Sofa sind zwei Fusswege durch die Kälte und ein kaltes Auto. Man kann das schon mal machen.

Aber das ist nichts gegen den Spass, den man oben in der B. hat, mit dem prächtigen Panorama, dem Germknödel und der Katze, die nachher die Vainillesosse eigentlich nicht ausschlecken darf, aber sie ist ja nicht umsonst so fett, und das ist dann wieder gelebte Tradition, die zum Glück keiner filmt. Bei der B. will man übrigens jetzt ein neues Reichenressort bauen, mit neuer Sterneküche. Raten Sie mal, welcher Bebauungsplan hier von den anderen, hier schon Katzen fütternden Reichen gerade mit allen Mitteln torpediert wird. So ist das mit der hohen Kunst der Zubereitung am See.

HINWEIS:

Die hohe Kunst der Javascript-Zubereitung und deren fehlerhafte Folgen bringen mich dazu, Ihnen, liebe Leser, ein spezielles Kommentarblog für das Kommentieren anzuraten.